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BERICHT/066: MS Artville - käuflicher Protest ... (SB)


Unsere Aktionen sind doch eine Demonstration! Das ist ziviler Ungehorsam. Wir machen ja keine Vitrinen kaputt - sondern ersetzen nur die Poster. Ja, die Unternehmen haben für die Werbung bezahlt. Aber ich habe auch das Recht, sie nicht zu sehen. Wenn ich privates Fernsehen gucke, zahle ich dadurch, dass ich die Werbung anschaue, für das Programm - und kann auch den Kanal wechseln, wenn ich keine Lust darauf habe. Im Internet kannst du einen Adblocker schalten. Aber auf der Straße bist du der Werbung ausgeliefert - es sei denn, du wehrst dich.
Vermibus (Künstler und Aktivist aus Berlin) [1]

Frauke Bank, Pressesprecherin von Wall, dem größten Betreiber von Außenwerbung in Berlin, schätzt, daß es in der Stadt etwa 30.000 Werbeflächen gibt. Und Berlin ist nicht einmal die Stadt mit der meisten Werbung: Ein New-Yorker, schätzen Marketingexperten, sieht in der Stadt 5000 Werbebotschaften am Tag, weltweit dürften es in großen Städten durchschnittlich 3000 täglich sein. Dagegen kämpfen Adbusting-AktivistInnen seit Jahren, indem sie Werbung im öffentlichen Raum entfernen oder zerstören. Poster werden überklebt, übermalt, durch Botschaften oder Kunst ersetzt. Mitunter werden sie so verändert, daß sie wie eine Parodie ihrer selbst erscheinen, wie im Falle der Künstler, die ein Capri-Sonne-Poster gekapert und darauf aufmerksam gemacht haben, wieviel Müll das Getränk produziert. Teils arbeiten diese Artivisten allein, nicht selten aber auch im Team oder organisieren internationale Kampagnen zu bestimmten Terminen in verschiedenen Städten.

Den Betreibern von Außenwerbung ist das zwangsläufig ein Dorn im Auge. In Berlin zahlen Firmen laut Frauke Bank von Wall, das etwa ein Drittel der Gesamtfläche zum Beispiel mit Plakatsäulen oder Vitrinen an Bushaltestellen vermarktet, durchschnittlich 28 Euro am Tag für so eine Werbefläche. Es sei ein Unterschied, ob man dagegen protestiert, was ein urdemokratisches Recht sei und jedem offenstehe, oder zur Beschädigung und Diebstahl von fremdem Eigentum übergehe: "Wir zeigen jeden solcher Vorfälle an." Adbusting-Aktivisten verübten Vandalismus und sollten sich stattdessen in Bürgerinitiativen engagieren oder Demonstrationen veranstalten. Adbusting-Plakate würden ohnehin so gut wie immer am nächsten Tag entfernt, weshalb die Aktionen überhaupt nichts brächten. Davon abgesehen finanziere Wall mit einem Teil der Einnahmen auch 5.000 Wartehäuschen und 275 Toiletten im Stadtgebiet.

Dem hält der eingangs zitierte Artivist Vermibus [2] entgegen, daß es sich bei seinen Aktionen um zivilen Ungehorsam handle, der keinerlei Schäden an den Vitrinen verursache. Er ziehe gegen die nicht hinzunehmende Überflutung durch Werbung und deren Botschaften im öffentlichen Raum zu Felde. Diese Aktionen erzielten durchaus Wirkung, da sie mit Fotos und Videoaufnahmen dokumentiert und in sozialen Netzwerken veröffentlicht würden. Dies sei ein Weg zu zeigen, wie es anders gehen könnte, und die Menschen zu mobilisieren. Was öffentliche Toiletten und überdachte Bushaltestellen betreffe, seien diese kein Luxus, sondern sollten eigentlich als Teil der städtischen Aufgaben eine Selbstverständlichkeit sein. Der Kampf für eine werbefreie Stadt sei keine Utopie. So sei 2013 eine Gruppe Adbusting-Aktivisten in Frankreich angeklagt worden, Werbetafeln verunstaltet zu haben. Sie argumentierten, daß ihre Rechte verletzt worden seien, weil sie gezwungen wurden, sich kommerzieller Werbung im öffentlichen Raum auszusetzen, und wurden freigesprochen. Ein Paradebeispiel liefere Sao Paulo, eine Stadt mit etwa zwölf Millionen Einwohnern, die randvoll von Werbung gewesen sei. Vor mehr als zehn Jahren habe die Stadtregierung beschlossen, sämtliche Werbetafeln abzuschaffen. Alle Seiten seien damit zufrieden, daß die Stadt bis heute werbefrei geblieben ist.


Schriftzug 'VERMIBUS' vor verfremdeter Augenpartie - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick

Vermibus - Künstler und Aktivist auf der Straße

Am 20. Juli fand auf dem MS-Artville-Gelände in Hamburg-Wilhelmsburg das Richtfest statt, in dessen Rahmen ein Symposium mit verschiedenen ArtivistInnen veranstaltet wurde. Zum Thema "Vermibus & NO-AD Day" stellte der in Berlin lebende spanische Künstler und Aktivist sich und seine Arbeit vor. Zum besseren Verständnis seiner aktuellen Tätigkeit ging er zunächst etwa 20 Jahre in seiner Lebensgeschichte zurück und erzählte, wie er im Alter von zehn Jahren begonnen habe, sich mit Graffitis zu beschäftigen, worin er recht gute Fertigkeiten entwickelte. Da er stets auf der Suche nach einer geeigneten Stelle zum Sprayen gewesen sei, habe er im Laufe der Zeit seinen Blick für die Umgebung geschärft, worauf ihm der öffentliche Raum in zunehmendem Maße etwas gesagt habe. Damals machte der Fotograf Oliviero Toscani diese verrückte Werbung für Benetton, was dazu beigetragen habe, sein eigenes Verständnis zu erweitern, wie soziale Kommunikation im öffentlichen Raum funktioniert, selbst wenn es sich nur um Werbung handelt. Der öffentliche Raum könne etwas verändern, wobei es ihn allerdings einige Jahre gekostet habe zu realisieren, wie bedeutsam diese Einwirkung ist und welch große Rolle Werbung dabei spiele.

Irgendwie sei er als Fotograf bei einer Werbeagentur gelandet, wo seine Tätigkeit vor allem darin bestand, Aufnahmen von Personen auf Partys und bei Events zu machen, die diese Agentur organisierte. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, einige Fotos zu retuschieren, bevor sie hochgeladen wurden. Dies geschah im Auftrag der Firmenleitung, die bei ihren Events auch die Abbildungen von weniger gut aussehenden Gästen aufbessern wollten. Das konnte er zwar mit seinen Überzeugungen nicht vereinbaren, doch hatte er einen gut bezahlten Job, weshalb er einwilligte und die Vorgaben erfüllte, so Vermibus. Es sei zum Bruch gekommen, als er eine Pause einlegte und für zwei Monate nach Berlin ging. Dort habe er eine E-Mail der Agentur erhalten, in der sie ihm mitteilte, daß sein Vertrag nicht verlängert werde, da er den Schönheitsstandards der Firma nicht entspreche. Die Ironie der Geschichte sei also, daß er wegen derselben Kriterien nicht länger bei der Agentur beschäftigt wurde, die hinzubiegen sein Job gewesen war.


Beim Vortrag am Stehpult - Foto: © 2019 by Schattenblick

Vermibus
Foto: © 2019 by Schattenblick

Daraufhin habe er beschlossen, in Berlin zu bleiben. Sein Hintergrund als Graffiti-Schreiber, die Geschichte bei der Agentur und seine neue Umgebung hätten zusammengespielt, sich dem zuzuwenden, womit er sich heute befasse. Immer mehr Leute hätten verstanden, daß es sich um eine Kritik an der Werbung handelt, und ihn gefragt, was denn falsch an Werbung sei, was er zunächst nicht hinreichend beantworten konnte. Nachdem er sich einige Zeit damit beschäftigt hatte, habe er allmählich verstanden, daß es sich bei dem, was ihm bei der Werbeagentur widerfahren war, nicht um ein isoliertes Problem, sondern ein Resultat verschiedener Probleme gehandelt habe, die bei dieser Arbeit zum Tragen kommen. In dieser Branche, die viele Millionen Euros umsetzt, herrsche ein absoluter Mangel an Verantwortungsbewußtsein.

Wie geht Vermibus bei seinen aktivistischen Kunstaktionen vor? Er entfernt die Werbeposter von Modeunternehmen oder Kosmetikfirmen aus den Vitrinen und bearbeitet sie in seinem Atelier unter Verwendung chemischer Lösungsmittel. Dabei verändert er Gesicht und Haut der dargestellten Models auf den Plakaten und entfernt die Logos. Hat er diese Arbeit abgeschlossen, bringt er die modifizierten Poster wieder in ihren ursprünglichen Kontext zurück, manchmal in derselben Stadt, manchmal auch in einer anderen. Er bevorzuge es, Poster aus einer Stadt zu nehmen, einige Zeit verstreichen zu lassen und sie dann in einer anderen Stadt wieder anzubringen.

Vermibus führt dazu auf seiner Website aus: In der Werbebranche ist das Glätten der Gesichtshaut, die Vergrößerung der Muskeln oder die Verengung der Taille per Photoshopping als vorgebliche Perfektionierung des menschlichen Körpers längst zur Norm geworden. Die Präsentation dieses idealisierten Blicks soll den KonsumentInnen ein besseres Leben in Aussicht stellen, wenn sie diese Produkte kaufen. Wir müssen schön sein, um glücklich zu sein, so die Botschaft, und nur wenige realisieren, daß dieses Versprechen absolut trügerisch ist. Mit seinem Vorgehen kritisiere er das gängige Schönheitsideal wie auch das Bestreben der Werbung und der Konsumgesellschaft im allgemeinen, individuelle Identitäten zu entwenden und sie durch eine bestimmte Marke zu ersetzen. Er nehme die Depersonalisierung der Werbung aufs Korn und negiere sie, indem er sie auf ihre enthumanisierte Spitze treibe. Dabei sei die Straße essentiell für die Botschaft seiner Arbeit, die dort beginne und ende.


Vom Künstler verfremdetes Frauengesicht - Foto: © 2019 by Schattenblick

Morbide Ästhetik
Foto: © 2019 by Schattenblick

Im Schwitzkasten der Werbemacht

Was macht die Werbung im einzelnen? Sie okkupiert unseren öffentlichen Raum, was ziemlich offensichtlich ist, so Vermibus in seinem Vortrag. Sie steuert die Bedürfnisse der Konsumenten und vieles mehr. Die Marken haben derart große Macht und einen so weitreichenden Einfluß, daß sie selbst die Medienmeinung manipulieren können, was zu den gravierendsten Problemen gehört. Natürlich könnte man einwenden, daß es den Medien freisteht zu publizieren, was immer sie wollen. Das trifft zwar im Prinzip zu, doch gilt es zwei maßgebliche Einschränkungen in Betracht zu ziehen. Zum einen greift die Zensur, da ein Unternehmen, das als Sponsor auftritt oder Werbung in dem Medium schaltet, mit beträchtlichen Geldmitteln im Spiel ist, die es abziehen kann, wenn ihm etwas nicht paßt. Zum anderen kommt Selbstzensur ins Spiel, da der Herausgeber geneigt ist, der einträglichen Werbung die Tür zu öffnen. Zudem betreibt die Werbebranche einen enormen Aufwand, um mit psychologischen Untersuchungen mehr über die potentiellen KundInnen herauszufinden: Am Ende wissen sie mehr über uns als wir selber. Werbeagenturen wie Facebook oder Google, die auf der Oberfläche soziale Medien sind, aber von Werbung leben, widmen dem ihre größte Aufmerksamkeit. Sie kontrollieren jeden unserer Schritte, verfolgen unsere Spuren anhand jeglicher Informationen, die wir preisgeben, während sie uns erzählen, daß sie Kommunikationskanäle seien, die uns mit unseren Freunden verbinden würden. Letzten Endes aber handeln sie mit Informationen und verdienen sehr viel Geld damit.

Vermibus räumt ein, daß Konsum zwar notwendig sei, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, doch dürfe man die Folgen nicht ausblenden: Wir produzieren viel mehr Abfall, als unsere Welt aushalten kann. Werbung trägt zu diesem Prozeß bei, indem sie mithilft, die Konsequenzen zu verbergen. Sie beeinflußt unser Verhalten, bringt Ungleichheit hervor, prägt unsere Schönheitsvorstellungen, Wünsche und Ziele. Und nicht zuletzt produziert sie einen enormen visuellen Lärm, den unser Gehirn nur mühsam verarbeiten kann. Wir versuchen zwar, ihr zu entgehen, indem wir uns anderen Dingen zuwenden, doch ist Werbung dafür bekannt, die Lücke in unserer Aufmerksamkeit zu finden. Ob legal oder illegal dringt sie in unsere Mails und sozialen Medien ein, mitunter sogar in unsere privaten Gespräche.


Projektion einer Schautafel zu Auswirkungen der Werbung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Krake Werbung
Foto: © 2019 by Schattenblick

Internationale Kampagne für einen Tag ohne Werbung

Um seine Reichweite zu vergrößern begann Vermibus, die Interventionen auch in anderen Ländern durchzuführen. Zu diesen internationalen Kampagnen gehört der "No-Ad Day", bei dem es darum geht, daß Menschen in verschiedenen Städten zeitgleich Werbeplakate aus den Vitrinen entfernen und diese leer zurücklassen. Inspiriert von dem Projekt "Buy Nothing Day", das von dem Künstler Ted Dave gegründet wurde und bei dem die Teilnehmenden 24 Stunden lang keine Einkäufe tätigen, ging Vermibus einen Schritt in der Konsumkette zurück und zielte auf die Werbung ab. Er rief in den sozialen Medien dazu auf und fertigte ein Video an, worauf sich viele Leute diesem Open call anschlossen und es zu Interventionen an verschiedenen Orten kam. Der Tag ohne Werbung fand ursprünglich am 24. November statt, doch da es zu dieser Zeit oftmals naß oder winterlich ist, wird das Datum inzwischen etwas flexibler gehandhabt. Die Aktionen müssen nicht überall am selben Tag stattfinden.

Das No-Ad-Projekt startete 2012 damit, die Bewohner Berlins zeitweise von dem Einfluß der Werbung zu befreien, indem es einen kommerziellen Raum in einen Raum sichtbarer Ruhe verwandelte. Dieses Projekt zivilen Ungehorsams konnte leicht angewendet und modifiziert werden, um Werbeflächen zu verändern, zumal auch Informationen zur Vorgehensweise veröffentlicht wurden. Wenn ein Mann mit Warnweste mitten am Tag wie selbstverständlich die Vitrine an der Bushaltestelle aufsperrt, die Werbung herausnimmt oder sie durch ein anderes Poster ersetzt, nimmt zunächst niemand daran Anstoß. Die Arbeitskleidung ähnelt jener des offiziellen Personals, einen Schlüssel für die Vitrinen nachzumachen ist nicht teuer und auch nicht besonders kompliziert. Den billigsten Schlüssel kann man nach Angaben der Public Ad Campaign schon für einen Euro nachmachen, wobei deren AktivistInnen gegen eine Spende auch fertige Schlüssel verschicken und Dateien für 3D-Drucker ins Netz stellen, mit denen man die Schlüssel ausdrucken kann.

In Berlin dokumentierte ein Team von je zwei Fotographen und Videokameraleuten die gesamte zehnstündige Intervention, in deren Verlauf mehr als 30 Poster in den größten Einkaufsmeilen der Stadt entfernt wurden. Die Vitrinen blieben mehrere Tage lang leer, da der Betreiber Wall Decaux keinen Ersatz auf Vorrat hatte. Beim internationalen "No-Ad Day", wie ihn Vermibus mit einem kurzen Video illustrierte, befreiten 63 Menschen in mehr als 20 Städten weltweit über 300 Werbeflächen. Alle Aktionen wurden friedlich und selbstorganisiert durchgeführt, ohne Schäden anzurichten. Dies geschah am Vortag des Schwarzen Freitags. 300 Werbungen an einem Tag zu entfernen deckt indessen nur den zehnten Teil dessen ab, was man täglich in einer einzigen Stadt zu sehen bekommt. Deshalb regen die AktivistInnen der Public Ad Campaign dazu an, sich dem Vorhaben durch eigenständige Aktionen anzuschließen.

Um eine Gegenposition zu Mode und Schönheitsideal zum Ausdruck zu bringen, plant Vermibus zudem eine Reihe von Interventionen, die sich gegen die alljährlichen Fashion Weeks richten. Diese setzen als Marksteine der Modebranche spezifische Standards von Ästhetik und Schönheit, die dann über die Werbung vermarktet werden und so eine weitere Strategie zur Globalisierung der westlichen Konsumkultur repräsentieren. In diesem Kontext will der Artivist vom Herbst an der Route der wichtigsten Stationen folgen und nach New York, London, Mailand und Paris reisen.


Straßenszene bei Entnahme eines Werbeplakats - Foto: © 2019 by Schattenblick

Vor aller Augen unbemerkt ...
Foto: © 2019 by Schattenblick

Negation der Ästhetik oder Ästhetisierung des Protests?

Nehmen die Passanten überhaupt wahr, daß es sich nach dem Austausch der Poster in der Vitrine keineswegs um eine andere Werbung, sondern einen gezielten Eingriff des Protests gegen die Werbung handelt? Diese Frage drängte sich zwangsläufig auf, zumal offengeblieben war, in welchem Ausmaß die Menschen im urbanen Getriebe überhaupt wahrnehmen, was da an optischen Reizen auf sie einstürmt. Vermibus selbst bekräftigte, daß man in manchen Fällen durchaus sehen könne, daß die Leute die Veränderung realisieren, überlegen und anfangen, Fragen zu stellen. Sie wollten erfahren, warum das gemacht wurde und wie es vor sich geht, und genau darauf komme es ihm an. Zweifellos kommen seine Interventionen, gemessen an weitaus spektakuläreren und öffentlichkeitswirksam provozierenden artivistischen Aktionen, auf vergleichsweise leisen Sohlen daher. Ebenso nahe liegt, daß ihre wesentliche Wahrnehmung nicht so sehr auf der Straße, als vielmehr im Nachvollzug in der virtuellen Sphäre erfolgt.

Auch wäre anzumerken, daß der in Anspruch genommene zivile Ungehorsam doch sehr eng eingehegt bleibt, sich von wesentlich radikaleren Formen der Bloßstellung oder Zerstörung bildhafter Zurichtung des Menschen abgrenzt und fast schon beteuert, daß er lediglich aufkläre, aber letzten Endes niemandem schade. Und natürlich wünschte man sich schon schärfere Einwände gegen das wachstumsgestützte, warenproduzierende und profitgetriebene Verwertungsregime als eine beiläufige Bejahung des Konsums als vermeintliche Triebkraft der Wirtschaft unter Kritik an gewissen Auswüchsen und Folgen dieser Verhältnisse.

Von vordringlichstem Interesse dürfte indessen die zentrale Thematik des Künstlers sein, nämlich die Auseinandersetzung mit der Ästhetik der Modebranche und seine Gestaltung eines Gegenentwurfs. Läßt man die von ihm verfremdeten Gesichter auf sich wirken, muten sie zwar gravierend verändert, aber nicht in einem abstoßenden Sinne entstellt an. Vielmehr fühlt man sich an Mischgeschöpfe aus Fantasywelten erinnert, die im ersten Moment erschrecken mögen, aber von wenngleich morbider, so doch eigentümlich faszinierender Schönheit sind. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, die proklamierte Negation der Modeästhetik habe im Fall dieses künstlerischen Schaffens eine Ästhetisierung der Protestform hervorgebracht. So sehr sich Vermibus lebensgeschichtlich an Oliviero Toscani reibt, der als Benetton-Fotograf definitiv auf seiten der Modebranche bleibt, mutet seine Abkehr von diesem Gewerbe weniger als ein radikaler Bruch, denn eine Art künstlerischer Wettstreit diesseits eines Grabens an, der bei näherem Hinsehen gar nicht so breit zu sein scheint, wie dies der artivistische Anspruch für sich reklamiert.


Fußnoten:


[1] www.vice.com/de/article/kbjpqe/so-trollt-dieser-berliner-kunstler-strassenwerbung

[2] www.vermibus.com


Berichte zum MS Artville-Symposium im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → KUNST → REPORT

BERICHT/063: MS Artville - Kunstanimierte Protestbereitschaft ... (SB)
BERICHT/064: MS Artville - Geschäftsmodell NGO ... (SB)


31. Juli 2019


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