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INTERVIEW/005: Gabriele Sand, Kuratorin "Made in Germany Zwei" (SB)


Interview in der Culture Lounge auf der ITB Berlin am 8. März 2012


Als eine von neun Kuratorinnen und Kuratoren betreut Gabriele Sand die Ausstellung "Made in Germany Zwei", die vom 17. Mai bis 19. August 2012 in Hannover vom Sprengel Museum Hannover, der kestnergesellschaft und dem Kunstverein Hannover veranstaltet wird. Nach einer Pressekonferenz zu diesem Projekt auf der ITB beantwortete Frau Sand dem Schattenblick einige Fragen.

Gabriele Sand - Foto: © 2012 by Schattenblick

Gabriele Sand
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Was bedeutet es für Sie, Kunst im ungewöhnlichen Rahmen einer Tourismusbörse vorzustellen?

Gabriele Sand: Man muß Tourismus ja nicht negativ sehen. Es hat durchaus positive Aspekte, wenn Menschen sich von Ort zu Ort bewegen, ist das auch eine Form von Neugier. Und diese Neugier wollen wir natürlich ansprechen. Wir sind jetzt hier in der Culture Lounge, wo es fokussiert um Angebote im Bereich von Kunst und Kultur geht. Und daher denke ich, daß wir mit unserer Ausstellung "Made in Germany Zwei" hier am richtigen Ort sind, um entsprechende Veranstalter darauf aufmerksam zu machen, daß es sich lohnen kann, Hannover zu besuchen, auch hinsichtlich des ganz konkreten Vorhabens, sich mit zeitgenössischer Kunst auseinanderzusetzen. Auseinandersetzung klingt jetzt so anstrengend, es macht natürlich auch Spaß.

SB: Wie ist man auf den Namen der Ausstellung gekommen? Made in Germany läßt an Güterproduktion und Exportwirtschaft denken.

GS: In der Tat ist das ein Bereich, der aus der Wirtschaft kommt. Eigentlich wurde Made in Germany als Negativbegriff in England erfunden, um es als Ausgrenzungskriterium zu benutzen. Das wurde dann im Laufe der wirtschaftlichen Geschichte und Entwicklung positiv besetzt. Made in Germany steht heute für die Qualität von Waren. Wir haben das, wenn man so will, etwas paraphrasiert. Made in Germany bedeutet für uns: Kunst, die in Deutschland produziert und gedacht wurde, was indirekt vermittelt, daß Deutschland tatsächlich auch ein Kunststandort ist.

Die Produktionsbedingungen in Deutschland sind auch deswegen für Künstler interessant, weil zum Beispiel in Berlin sehr viel passiert und die Mieten so niedrig sind, daß man sich auch ein Atelier leisten kann. Bundesweit gibt es ein ungeheuer dichtes Netz an Kunstvereinen. Allein Hannover hat zwei, aber eigentlich besitzt jede mittelgroße Stadt in Deutschland eine Art Kunstverein. Es gibt zudem sehr viele interessante Akademien für Künstler, die aus Amerika, England und Brasilien oder von wo auch immer in der Welt zu uns kommen, um hier zu studieren. Es werden außerdem sehr viele Stipendien, wie zum Beispiel das DAAD-Stipendium, vergeben, was Künstler nach Deutschland bringt. Viele bleiben hier ganz, weil sie bei uns auch ein dichtes Netz an Galerien finden. All das steht für den Begriff Made in Germany.

SB: Die EU-Kommission hat neulich darauf gedrängt, daß die Markenzeichen einen höheren Anteil an nationaler Produktivität aufweisen, weil Waren oft unter falschem Etikett produziert werden und mit dem Herkunftsland der Marke nichts mehr zu tun haben. Ohne jetzt einen nationalen Anspruch formulieren zu wollen, sind die Künstler, die sie ausgewählt haben, doch in der Regel keine Bundesbürger?

GS: Wir bewegen uns ja nicht im Bereich der Wirtschaft oder der Industrie, sondern wir bewegen uns im Bereich der Kultur. Und da ist das Moment der Internationalität ein großes Thema. Heute kann man an vielen Orten leben und Kunst machen. So entstehen Kunstmetropolen. Das gilt im Moment ganz sicher für Berlin, aber in fünf Jahren könnte das auch Brüssel sein, in zehn Jahren wieder London oder Paris. Das heißt, daß dieses Moment des Nationalen in der Kunst eigentlich nebensächlich ist. Im Sinne einer politischen Auseinandersetzung oder einer Auseinandersetzung der Kunst mit bestimmten politischen Themen kann das durchaus ein thematischer Schwerpunkt sein, aber dieses Moment der nationalen Identität steht in unserer Ausstellung nicht hinter dem Begriff Made in Germany. Es ist keine Ausstellung über ein bestimmtes Deutschlandbild oder ein spezielles Heimatbild, sondern Made in Germany zeigt an: Wir sind hier ein internationales Land.

SB: Wollen Sie dieses Markenzeichen vielleicht auf ironische Weise konterkarieren?

GS: Nein, so ist es ganz sicher nicht gemeint. In der Ausstellung werden Arbeiten präsentiert, die sich ganz konkret mit deutschen Problemen auseinandersetzen. Das eine spricht nicht gegen das andere. Aber was sich heute beobachten läßt, wenn man sich mit aktueller Kunst beschäftigt, ist die Internationalität. Sie können heute alles überall machen. Durch das Internet sind die Kommunikationswege sehr kurz geworden. Von daher ist es natürlich interessant, einmal zu schauen, wo wir im Sinne des europäischen Gedankens eigentlich stehen, also daß man nicht dieses Moment des Nationalen in den Vordergrund stellt, sondern eher das Internationale. Und das findet hier statt.

SB: Ihre erste Ausstellung war eher auf den Standort, diese hier ist auf die Kunst selbst bezogen. Hat bei Ihnen ein gedanklicher Prozeß stattgefunden, der sich in dieser Ausstellung reflektiert?

GS: Natürlich. Bei der ersten Ausstellung war zu hinterfragen, wo hier in Deutschland eigentlich die Kunst passiert, wieso sie hier passiert und was die Bedingungen dafür sind? Das war auf jeden Fall interessant, und dabei ist sehr deutlich geworden, daß es einen Unterschied macht zum Beispiel zu Frankreich, wo alles sehr zentral über Paris organisiert ist. Das ist in Deutschland anders, wesentlich dezentraler, auch wenn wir mit Berlin eine Art Kulturhauptstadt haben. Aber auch Köln, Düsseldorf oder München sind Standorte, an denen bestimmte Produktionen stattfinden und die auch Akademien besitzen. Bei Made in Germany Zwei muß man eine andere Frage stellen, denn es geht ja um Kunst. Gibt es einen Unterschied zu Made in Germany Eins, und wie läßt er sich fassen? Dazwischen liegen immerhin fünf Jahre.

Wenn man sich überlegt, was im letzten Jahrhundert um 1910 passiert ist - da gab es Paradigmenwechsel in der Kunst, die Objektkunst hat sich entwickelt, die Malerei hat sich völlig neu gedacht -, dann kann man sich durchaus einmal fragen, ohne den Anspruch zu erheben, das jetzt exakt formulieren zu können, was in bestimmten Bereichen eigentlich passiert. Und die Schwerpunkte, die wir entwickelt haben, sind in der Tat aus der Diskussion im Erforschen dieser Positionen entstanden. Wir haben nichts aufgestülpt, sondern die Schwerpunkte sind umgekehrt aus der Auseinandersetzung hervorgegangen. Das ist zunächst einmal ein Angebot an den Diskurs, sich an bestimmten Kriterien abzuarbeiten. Ich bin selber sehr gespannt, wie die Kritik und die daran interessierten Menschen damit umgehen. Es ist auch ein Experiment.

SB: Wie ist Ihr Verhältnis zur documenta 13? Haben Sie da nicht die Befürchtung, ein wenig im Schatten zu stehen?

GS: Es kommt darauf an, wie gut oder schlecht die documenta ist, und wie gut oder schlecht die Ausstellung in Hannover sein wird. Beim letzten Mal war das überhaupt kein Thema. Wir hatten natürlich, gar keine Frage, weniger Besucher, aber die documenta hat auch einen ganz anderen Werbeetat. Wir haben im Vergleich dazu sozusagen Spurenelemente von einem Werbeetat, aber das war eigentlich kein Problem. Im Gegenteil. Ich glaube, daß wir sogar davon profitieren werden, weil Hannover und Kassel nur eine Stunde auseinander liegen, und das haben die Leute jetzt mit der zweiten Made in Germany auch verstanden. Hannover liegt zwischen Berlin und Kassel, das hat eher Vorteile. Und dadurch, daß Made in Germany eigentlich sehr gut rezipiert wurde, ist die Aufmerksamkeit von Made in Germany Zwei wesentlich intensiver, als dies beim ersten Mal der Fall war. Von daher bin ich guter Hoffnung.

SB: Sie hatten in einer Ihrer Pressemitteilungen auch die verschiedenen Förderer erwähnt. Das geht hin bis zur Volkswagenstiftung, die als Mobilitätspartner einige Fahrzeuge zur Verfügung stellt. Nehmen die Förderer Einfluß auf Ihre Arbeit?

GS: Da gibt es keine Einflußnahme. Das ist gar kein Problem. Wir hatten beim letzten Mal fast denselben Etat. Natürlich liegt er nicht so hoch wie bei der documenta. Das ist auch eine größere Ausstellung.

SB: Sie arbeiten auch mit dem Land Niedersachsen zusammen. So zählt das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur zu den Förderern. Wie gestaltet sich dieses Verhältnis?

GS: Das Projekt wird natürlich unterstützt. Das liegt in der Natur der Sache selbst. Man muß einfach sehen, daß die Regierung das auch selber nach vorne bringt. Sowohl die Stadt als auch das Land Niedersachsen machen mit einer solchen Ausstellung, aber auch mit vielen anderen Veranstaltungen in Hannover, ganz einfach öffentlich, daß die Stadt neben vielen anderen Aktivitäten eben auch ein Ort der Kultur und vor allem der Kunst ist. Aber mit so einer Ausstellung spricht man natürlich wesentlich größere internationale Beziehungen an. Und insofern ist das natürlich etwas, was der Region selbst nützt. Dies erklärt auch, warum die Niedersächsische Vertretung in Berlin daran interessiert ist, die Ausstellung zu unterstützen. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist noch, daß eine Arbeit von Olaf Holzapfel, die wir in Made in Germany Zwei zeigen werden, in der Stiftung Niedersachsen sozusagen vorpräsentiert wird.

SB: Haben sie für politische Kunst einen speziellen Zugang in der Ausstellung geschaffen, ist das ein Thema?

GS: Das ist dezidiert kein Thema, aber natürlich werden in diesen sechs Themen, die zum einen inhaltlich gefaßt sind, auch politische Fragen eine Rolle spielen. Es ist nicht so, daß wir gesagt haben, daß die Umwelt oder das Problem der Kriege im Moment nicht unser Thema sind, sondern wir betrachten erst einmal ganz neutral die Kunst und stellen dann fest, um welche Themen es dabei geht. Da wird Politik sicherlich bei einzelnen Arbeiten eine Rolle spielen, aber das ist jetzt nicht dezidiert ein Anspruch, den wir an die Kunst selber stellen.

SB: Es gibt heute sehr viele Kunstprojekte, die ökologisch ausgerichtet sind und eine Botschaft transportieren. Wie bewerten Sie diese Entwicklung ganz persönlich als Kuratorin, daß Kunst auf diese Weise eine Art Trägereigenschaft bekommt für gesellschaftlich relevante Fragen?

GS: Man darf natürlich nicht vergessen, daß Künstler in dieser Gesellschaft, in dieser Welt mit all den Problemen leben. Es ist dann letztendlich eine Frage der Entscheidung, womit man sich auseinandersetzt. Kunst ist immer ein aktueller Diskurs von philosophischen, gesellschaftspolitischen, kulturellen und soziologischen Fragestellungen, die im Moment stattfinden. Das kann aber auf unterschiedlichen Ebenen passieren. Ich finde es genauso interessant, wenn ein Künstler sich mit ökologischen Themen auseinandersetzt. Die Frage ist, wie das passiert, weil Kunst natürlich auch etwas ist, das im Bereich des Ästhetischen und Sinnlichen funktionieren muß. Sie muß sich ja schließlich vermitteln. Insofern kann, soll oder muß das eine Rolle spielen. Ein Künstler ist auch ein Teil dieser Gesellschaft, und wenn es ihm ein Anliegen ist, wird das in seiner Kunst ihren Ausdruck finden.

SB: Zufälligerweise findet heute hier in Berlin der offizielle Abschied für den ehemaligen Bundespräsidenten und Ministerpräsidenten Niedersachsens, Christian Wulff, statt. Was bedeutet das für die Ausstellung?

GS: Es ist eine traurige Entwicklung, die wir da beobachten mußten. Im Sinne einer politischen Entwicklung spielt das aber für mich und für diese Ausstellung wirklich keine Rolle. Als Bundespräsident hat er die Schirmherrschaft über diese Ausstellung gehabt. Das ist tatsächlich personengebunden. Man wird sehen, ob das unter seinem Nachfolger so weitergeht. Insofern hat das für uns natürlich eine Konsequenz.

SB: Frau Sand, vielen Dank für das Gespräch.

Im Interview  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Gabriele Sand mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

15. März 2012