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INTERVIEW/010: Gefesselte Kunst - Fiona Whelan zur Arbeit im Kollektiv (SB)


Interview mit Fiona Whelan am 9. Februar 2012 in Berlin



Fiona Whelan hat einen Abschluß in den schönen Künsten am National College of Art and Design (NCAD) in Dublin und in Kunst im öffentlichen Raum der University of Ulster. Sie arbeitet seit acht Jahren in Rialto, einem traditionellen Arbeiterviertel der irischen Hauptstadt Dublin, als Künstlerin in einem kommunalen Projekt mit Jugendlichen. In ihrer Tätigkeit befaßt sie sich insbesondere mit Fragen von Machtverhältnissen und Kompetenz und hat sich in den letzten Jahren auf die Beziehungen zwischen jungen Leuten und der Polizei konzentriert. Sie arbeitet im Kollektiv "What's the Story" und hat im Museum of Modern Art (IMMA) und in The LAB in Dublin sowie international beim Festival NEU/NOW in Vilnius ausgestellt. Zudem unterrichtet und koordiniert sie im Postgraduiertenstudium der NCDA.

Im Rahmen der Konferenz "radius of art" war Fiona Whelan eine der beiden Referentinnen des Workshops "Practice as way to experience life: Artists engage in critical discussion about the primary issues that face their socially engaged practices". Thematisiert und diskutiert wurde am Beispiel der Projektarbeit an sozialen Brennpunkten die Rolle und Verantwortung von Künstlerinnen und Künstlern im Kontext der Widerspruchslage zwischen Geldgebern, Projektleitern, Teilnehmern und deren sozialem Umfeld. Der Schattenblick nahm die Gelegenheit wahr, ein Gespräch mit Fiona Whelan zu führen.

Fiona Whelan - Foto: © 2012 by Schattenblick

Fiona Whelan
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Sie selbst stammen, wie Sie sagten, aus einer Mittelschichtfamilie in Dublin. Wie kam es zu Ihrer Arbeit mit jungen Leuten aus der Arbeiterklasse?

Fiona Whelan: Probleme, die mit Ungerechtigkeit zu tun haben, hatten mich schon immer motiviert. Allerdings war es wohl so, daß ich das in jüngeren Jahren noch nicht auf diese Weise auf einen Begriff bringen konnte. Es waren einfach beiläufige Themen, die damit zu tun hatten, daß etwas nicht fair war. Ich fühlte mich zu dem Arbeitsfeld hingezogen, in dem ich heute tätig bin, und einmal dort angekommen, arbeite ich, acht Jahre später, noch immer dort. Ich stelle fest, daß ich durch die Arbeit herausgefordert werde, daß sie aufregend ist, und so setze ich sie aufgrund der in dieser Zeit gewachsenen Beziehungen insbesondere zu den jungen Leuten, aber auch zu den professionellen Sozialarbeitern, mit denen ich auf kommunaler Ebene kooperiere, weiter fort.

SB: Könnten Sie für unsere Leser beschreiben, worin Ihre Arbeit im Stadtteil besteht?

FW: Meine Tätigkeit besteht in sozialem Engagement als Künstlerin, darum arbeite ich in einem kommunalen Jugendprojekt, was speziell in Großbritannien und Irland ein eigener Beruf ist. Ich arbeite in diesem Zusammenhang als Künstlerin mit jungen Menschen und mit Sozialarbeitern zusammen und habe mich im Laufe der Zeit zunehmend für die Frage der Macht interessiert und sie ausgiebig unter die Lupe genommen. So beschäftige ich mich grundsätzlich mit den Machtverhältnissen zwischen mir und den Leuten, mit denen ich arbeite, aber auch damit, auf welche Weise junge Menschen Macht erleben, wie ich selbst Macht erlebe und wie sich das voneinander unterscheidet. Ich versuche also, die jeweils spezifische Wahrnehmung von Macht zu erforschen. Nachdem wir uns diese Fragen gestellt hatten, schloß sich daran der Themenkomplex an, wie wir mit Macht umgehen könnten.

Das Projekt, an dem ich in den letzten vier Jahren gearbeitet habe, baute sich aus einer Sammlung anonymer, detaillierter Darstellungen und Geschichten zu Erfahrungen mit Macht und Ohnmacht auf. Dies führte uns insbesondere zu einer Untersuchung des Verhältnisses zwischen jungen Menschen und der Polizei. Und das hat wiederum eine ganze Reihe neuer Zugänge zu der Frage geschaffen, denen wir nachgehen mußten. Der künstlerische Prozeß hat meines Erachtens wesentliche Teile des Dialoges in Gang gesetzt, der in diesem Zusammenhang erforderlich war.

SB: Wir sprachen, Ihre Arbeit betreffend, über die Frage der Politik. Könnten Sie dazu einige Worte sagen?

FW: Ich denke, daß ich als Künstlerin eine Verantwortung habe, mir meiner selbst und meiner Position am Ort des Projekts bewußt zu sein. Ich denke, daß wir alle von Politik betroffen sind, ob es uns gefällt oder nicht. Daher bestätigen wir entweder die existierende Politik mit unseren Handlungen oder wir versuchen, sie zu verändern. Ich bin mir bewußt, in bestimmten Bereichen die Bedingungen, die mich irgendwann dorthin geführt haben, entwirren oder wenigstens aufdecken zu müssen und die Machtstrukturen zu untersuchen. Das haben wir bei unserer Arbeit in mehr oder minder großem Ausmaß getan. Meines Erachtens finden sich Künstler oftmals in Situationen wieder, in denen politische Pläne am Werk sind, die möglicherweise mit ihren eigenen Interessen in Konflikt geraten. Indessen wollen wir als Künstler diese Arbeit machen und brauchen dafür das Geld. Manchmal ist das der einzige gebotene Rahmen, in dem wir notgedrungen arbeiten müssen. Interessant ist jedoch, was wir aus solchen Situationen machen können. Ich habe in kleinem Rahmen versucht, mit den Leuten, mit denen ich arbeite, mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen umzugehen, und dabei ist es uns gelungen herauszufinden, wie wir das Verständnis junger Menschen von Macht und Kontrolle erforschen können.

SB: In Ihrem Workshop sagten Sie vorhin, daß sich ein Künstler seiner Abhängigkeit von Politik und Geldgebern bewußt sein sollte. Mein Eindruck war, daß viele Teilnehmer das nicht hören wollten.

FW: Ja, das ist schwierig. Irgend jemand verwies im Zusammenhang künstlerischer Projekte auf lächelnde Gesichter, und vielleicht war es das, worauf ich vorhin reagiert habe. Ich glaube zutiefst an künstlerische Prozesse und bin der Auffassung, daß die Menschen ihres Rechtes kreativ zu werden beraubt worden sind. In diesem Sinne wollen wir, daß Menschen sich freuen, lachen und sich an kreativen Prozessen beteiligen, die ihnen positivere Erfahrungen vermitteln. Ich denke aber auch, daß wir vorsichtig sein müssen, das Glücklichsein zu feiern, wo doch die Leute gleichermaßen zornig sein müßten. Die Welt erlebt eine Krise, und wir leben in einer Zeit des Kapitalismus, der Korruption und gewaltsamer Systeme. Die Menschen haben das Recht, zornig zu sein, und die Verantwortung, zornig zu sein. Deshalb müssen wir als Künstler vorsichtig sein, da wir häufig dazu eingeladen werden, den Schmutz, den das Versagen solcher Systeme hinterlassen hat, aufzuwischen. Es geht darum, sich dessen bewußt zu sein und damit umzugehen. Ich sage nicht, daß wir die Annahme öffentlicher Gelder grundsätzlich verweigern sollten, möchte aber dennoch auf die damit verbundenen Gefahren hinweisen.

SB: Zu Beginn Ihres Vortrages sagten Sie, daß es viele Gründe für die Menschen gebe, depressiv oder eben auch zornig zu werden. Wie entwickelt sich die aktuelle Situation in Irland?

FW: Wir haben großen Schaden erlitten durch einen wirtschaftlichen Boom, der in erheblichem Ausmaß mit Deutschland und auf andere Weise mit Europa zusammenhängt. In den letzten zwei Jahren ist die Blase geplatzt, wodurch eine rasante Talfahrt ausgelöst wurde. Für diese Mißwirtschaft sind die Regierung, die Banken und andere Nutznießer verantwortlich. Dennoch lautet die Botschaft, daß wir alle den Preis bezahlen müßten, obwohl wir das Problem nicht herbeigeführt haben. Die Trennung der Klassen voneinander ist sogar noch stärker geworden, die Armut nimmt zu, und so haben selbst Angehörige der traditionellen Mittelschicht in diesem wirtschaftlichen Klima schwer zu kämpfen.

SB: Sie hatten im Zusammenhang Ihres Projekts hervorgehoben, daß Sie über einen langen Zeitraum mit denselben Menschen gearbeitet haben. Warum ist Ihres Erachtens die Dauer der Zusammenarbeit so wichtig?

FW: Ich nehme an, es verhält sich wie in jeder menschlichen Beziehung. Je länger man zusammen ist, desto mehr lernt man voneinander, desto intensiver tauscht man Wissen aus, desto tiefere Gefühle entwickeln sich. Geplant war das zunächst nicht, doch sobald wir ein kleineres Projekt beendet hatten, wollten wir gleich im Anschluß das nächste zusammen beginnen, weil wir an denselben Dingen interessiert waren. Für mich waren es die Kernbeziehungen, jene, die über acht Jahre Bestand hatten, die zu dem Maß an Vertrauen geführt haben, durch das wesentliche Veränderungen untereinander und dann auch mit Außenstehenden möglich wurden. Ohne diese dauerhaften Beziehungen, die lange Zeit und die aufgewendete Energie wäre all das nicht möglich gewesen. Daher ist Zeit für mich ein entscheidender Faktor. Das heißt nicht, daß alle Projekte langfristig angelegt sein müssen, doch gehe ich schon davon aus, daß Zeit eine wesentliche Hilfe ist, wenn man tatsächlich etwas verändern will.

SB: Sie kamen bei der Vorstellung Ihres Projekts nicht zuletzt auf die Arbeit im Kollektiv zu sprechen. Was bedeutet das für Sie?

FW: Ich definiere "Kollektiv" immer wieder neu. Dabei erfreue ich mich des Gedankens, daß ich noch so wenig weiß und daher die Grenzen dessen, was ich kenne, erweitern kann. Man könnte sagen, ich verfüge über ein Teilwissen oder eine Teilperspektive. Natürlich könnte jeder von uns auch allein etwas Interessantes auf die Beine stellen, doch mich fasziniert die Idee, all diese verschiedenen Kenntnisse um einen Tisch zu versammeln, disziplinübergreifend zu arbeiten und die unterschiedlichen Fragestellungen und Verantwortlichkeiten gemeinsam in etwas Neues zu überführen. Das wichtigste am Kollektiv ist aber sicherlich, daß wir die gleichen Interessen verfolgen. Wir versuchen nicht, fremden Interessen zu dienen, und arbeiten weder jeder "für sich" noch "für junge Menschen", sondern für uns alle. Wir alle sind dort, weil wir uns für dieselben Dinge interessieren, wie künstlerische Arbeit im Kollektiv, die persönlichen Geschichten junger Menschen und Fragen der Machtverhältnisse.

SB: Im Rahmen der Konferenz "radius of art" ist allenthalben von gesellschaftsbezogenen Themen wie etwa sozialem Wandel die Rede. Haben Sie den Eindruck, daß dieser Anspruch umgesetzt werden kann?

FW: Ich höre aus einigen Projekten, die uns hier präsentiert wurden, heraus, daß das Streben nach sozialem Wandel dort authentisch ist. Meines Erachtens befinden wir uns als Künstler nicht selten in sehr interessanten Situationen und lassen nicht davon ab, einen Wandel herbeizuführen. Allerdings halte ich Vorsicht für geboten, da sich dieser Wandel zwischen den Menschen vollziehen muß. Wir entwickeln uns, werden aufmerksamer und stehen auf - und das ist wirklich wertvoll. Darüber hinaus müssen wir uns jedoch mit den Systemen befassen, was ja kein neuer Gedanke ist, aber heute von manchen Bewegungen wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Viele Künstler befinden sich in der Situation, mit Menschen und deren Stimme zu arbeiten. Das allein ins Auge zu fassen reicht jedoch meines Erachtens nicht aus. Ich habe mir die folgende Forderung nicht als Redensart ausgedacht, sondern "unterwegs" aufgeschnappt: Wir müssen die Systeme dazu bringen zuzuhören - jene Systeme, die unterdrücken, jene Strukturen, die Armut und Erniedrigung verursachen. Das sind die Systeme, die angesprochen werden müssen, und ich glaube, als Künstler sind wir in einer Position, die es uns erlaubt, ebenso zu den Menschen hinüber wie zu den Systemen hinaufzuschauen.

SB: Im Workshop fiel der Begriff "Revolution", doch als man die Ohren spitzte, war von einer "sanften Revolution" die Rede. Würden Sie diese Ansicht teilen?

FW: Ich hörte kürzlich einen Soziologen in einer Talkrunde in Dublin sagen: "Wenn Sie die Leute dazu bringen können, über Macht zu reden, setzen Sie eine Revolution in Gang." Ich behaupte nicht zu wissen, wie man eine Revolution macht, aber ich denke, daß eine Menge Dinge geschehen, die uns davon ablenken, was wirklich passiert. Wir werden als Konsumenten insbesondere mit einer Fernsehkultur bombardiert, die uns von allem ablenkt, was in unserer Realität wichtig ist. Fängt man an, sich demgegenüber mit Machtverhältnissen zu beschäftigen, setzt man einen Prozeß der Veränderung in Gang. Diese Aussage hallt in mir nach, das sind meine Gedanken zu "Revolution".

SB: Fiona Whelan, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

(Aus dem Englischen übersetzt von SB-Redaktion)

8.‍ ‍April 2012