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INTERVIEW/028: Krieg und Propaganda 14/18 - Stimmung, Zeitgeist und Versagen, Prof. Dr. Sabine Schulze im Gespräch (SB)


"Man sollte an seinem eigenen Urteil feilen."

Interview mit der Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg zur Ausstellung Krieg und Propaganda 14/18 am 19. Juni 2014



Die "Massenpropaganda" gilt, zusammen mit effektiveren Maschinengewehren und dem erstmals exzessiv zum tödlichen Einsatz gebrachten Chlorgas als die innovativste "neue Waffe" des Ersten Weltkriegs. Sie zielte darauf ab, die Notwendigkeit des persönlichen Einsatzes für das Vaterland tief in den Köpfen ihrer Rezipienten zu verankern und wird nicht selten für die lange Dauer und Zerstörungskraft des Ersten Weltkrieges mitverantwortlich gemacht. In der Ausstellung "Krieg und Propaganda 14/18" zeigt das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg bis zum 2. November 2014 die bis heute hochaktuellen und facettenreichen Spielarten der weltumspannenden Propagandamethoden. Der Schattenblick hatte am 19. Juni 2014 kurz vor der Eröffnung von "Krieg und Propaganda 14/18" die Möglichkeit, die MKG-Direktorin Prof. Dr. Sabine Schulze zum Ausstellungskonzept und der Effizienz der Propaganda während des Ersten Weltkriegs zu befragen.

Foto: Maria Thrun

Lucian Bernhard
Das ist der Weg zum Frieden - die Feinde wollen es so, September 1917
Plakat für die 7. Deutsche Kriegsanleihe
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Maria Thrun

Schattenblick (SB): Frau Schulze, die Ausstellungsarchitektur für "Krieg und Propaganda 14/18" ist von einem Szenografiebüro in Berlin entworfen worden, wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Museum und Büro?

Sabine Schulze (SSch): Die ist sehr eng und ganz intensiv. Wir sind schon im letzten Herbst zusammengekommen und haben unsere ersten Ideen in einem gemeinsamen Brainstorming gesammelt. Zum Beispiel, was sind Gemeinschaftserlebnisse, an die wir uns erinnern, jeder in seiner eigenen Biografie? Wie funktioniert so etwas? Wir sind alle anfällig mitzulaufen, und es war dann sowohl von der Love Parade als auch von '68 die Rede. So haben wir uns dem Thema angenähert und dem, worauf wir uns konzentrieren wollten. Wir wollten nicht den Krieg erzählen, denn das machen viele zur Zeit. Wann wer wen ein paar Meter vor und zurück geschlagen hat, das ist nicht unser Thema, sondern was hinter den Kulissen passiert, wer da die Fäden zieht, wer da Meinung macht und dass man seinen Augen nicht trauen darf. Dass immer wieder manipuliert wird, man sich aber ganz wohl fühlt in der großen Masse und nicht mehr hinterfragt. Diese Themen haben wir wirklich sehr intensiv zusammen diskutiert, sind immer wieder die Objektlisten durchgegangen und haben dann langsam Bereiche gebildet. Was mir persönlich als Anregung wichtig war, ist, dass wir nicht in jedem Raum einen Film, eine Postkarte, einen Stahlhelm, eine Zeitung haben, sondern dass wir Themen ausstellen, wie das Kinderspielzeug, die Postkarten, die Filme und zum Schluss die Plakate, so dass man die Medien auch auseinanderhalten kann, die damals natürlich gleichzeitig auf alle eindonnerten, und einfach sieht, mit welchen Mitteln gearbeitet wird. Unter anderem sind das grafische, natürlich sehr emotionale Mittel, aber immer auch eine Verdrehung der Tatsachen. Man weiß am Schluss ja eigentlich gar nicht, was passiert ist, wenn man aus dieser Ausstellung herauskommt, und das empfinde ich als ganz besonders spannend. Gleich am Anfang erblickt man schon dieses überdimensionierte Foto, das so aussieht wie bei Jules Verne. Fotografie ist eigentlich das Medium, das für "so ist es gewesen" steht, aber bei diesem Bild weiß man, so kann es nicht gewesen sein.

Foto: Michaela Hille

Ausstellungsraum mit Nagelfiguren
Nägel unterschiedlicher Qualität konnten gegen entsprechend unterschiedlich hohe Geldsummen erworben und von den Käufern eigenhändig in die Holzskulpturen eingehämmert werden. Die gesammelten Spenden kamen kriegswichtigen Projekten zu Gute und wurden auch für den Unterhalt von Witwen und Waisen verwendet
Ausstellungsansicht 4
Foto: Michaela Hille

SB: Wer waren diejenigen, die an der systematischen Organisation der Propaganda beteiligt waren, die also um diese massive Verbreitung von falschen Tatsachen und Verleumdungen wussten?

SSch: Es gab tatsächlich Propagandabüros, bei denen sich auch Grafikfirmen bewarben. Aus diesen wurde dann ausgewählt und auch entschieden, in welcher Intensität was propagiert wird. Das war alles staatlich gelenkt, da konnte man sich nicht selbst verwirklichen, sondern das musste zusammenpassen. Zum Beispiel sind immer wieder auch Aufrufe zu Gemeinschaftserlebnissen wie den öffentlichen Nagelungen der Holzskulpturen kreiert worden.

SB: Inwiefern war es denn in der breiten Bevölkerung bekannt, dass es eine Propagandamaschinerie gab?

SSch: Kaum. Da würde ich sagen, überhaupt nicht. Am Schluss war ja jeder stark involviert und hoffte, dass das, was er gesagt bekam, auch so ist. Das haben wir sehr deutlich bei der "Hamburg erinnert sich"-Aktion gesehen, wo Hamburger Stücke aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gebracht und darüber berichtet haben. Auch die Erinnerung ist kollektiv. Es hat zwar jeder seine eigene Geschichte des Verwandten, der möglicherweise nicht wiedergekommen ist, aber die Geschichten ähneln sich. Mir ist es bei der Vorbereitung dieser Ausstellung selbst so gegangen, denn auch meine Oma und Großtanten entstammten der Generation, die den ersten Weltkrieg mitgemacht hat, die Geschichten passen da total ins Schema.

SB: Können Sie dieses Schema für unsere Leser kurz umschreiben?

Foto: © 2014 by Schattenblick

Museumsdirektorin Prof. Dr. Sabine Schulze auf der Pressekonferenz
Foto: © 2014 by Schattenblick

SSch: Ich glaube, dass diese Generation im Großen und Ganzen Vorbehalte gegen die anderen europäischen Länder gepflegt hat, und als der Krieg ausbrach, noch mehr als vorher. Meine Großtante war für ein Jahr in England und musste dann zurück, weil der Krieg kam. So ein Aufenthalt ist hinterher erst einmal kaum mehr möglich gewesen. Gerade England, Deutschland und Frankreich, das waren einfach unvereinbare Geschichten, Deutschland hatte da ja schon eine große Tradition. Wir können uns das gar nicht mehr vorstellen, was das für ein Glück ist, dass wir heute unmittelbar miteinander sprechen und auf so etwas vielleicht nicht mehr so leicht hereinfallen! Das möchte ich auch gerne an hoffentlich viele junge Besucher weitergeben.

SB: Auf welche Signale müsste man denn heutzutage achten, um einer neuen Kriegspropaganda nicht auf den Leim zu gehen?

SSch: Man könnte sich unterschiedliche Seiten anhören und Gott sei Dank ist das ja heute medial möglich. Ich kann zum Beispiel auch Nachrichtensender anderer Länder empfangen und hören, damals sind diese Informationen gekappt worden, man bekam nichts mit und kam von außen auch nicht in die Länder hinein, um Informationen zu geben. Man sollte einfach immer sehr an seinem eigenen Urteil feilen.

Bild vom Buchtitel 'Nesthäkchen und der Weltkrieg' - Foto: Elke Schneider

Else Ury
Nesthäkchen und der Weltkrieg, mit Illustrationen von Robert Sedlacek, um 1916/1917
21 x 15,5 cm
Druck: Meidinger's Jugendschriften-Verlag, Berlin
Altonaer Museum, Hamburg
© Stiftung Historische Museen Hamburg / Altonaer Museum
Foto: Elke Schneider

SB: Sie haben vorhin auf der Pressekonferenz angesprochen, dass Sie in der intensiveren Auseinandersetzung mit dem Material und dem Thema auf Zusammenhänge gestoßen sind, die Ihnen so nicht bewusst waren. Was hat Sie bei der Arbeit an dieser Ausstellung überrascht?

SSch: Insgesamt ist mir die Bedeutung des Ersten Weltkriegs erst jetzt so richtig klar geworden. Wir haben uns in der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs ja wirklich gut getummelt und der Erste war so eine Art Vorklapp. Wie der funktionierte war schon klar, zum Beispiel, dass es völlig andere Waffensysteme waren. Der Erste war ein wesentlich brutalerer Krieg, Mann gegen Mann, das war im Zweiten Weltkrieg schon sehr viel anonymer. Aber wie damals schon Feindbilder konstruiert wurden und auch dieser massenhafte Einsatz von Propaganda, das war mir nicht klar. Der Zweite Weltkrieg war von Anfang an ein gut vorbereiteter Propagandafeldzug, aber dass das im ersten Weltkrieg schon so perfektioniert war, dass die Theorien der Massenpsychologie, die ja in dieser Zeit entstehen, schon so zum Einsatz kamen, war mir nicht bewusst.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Die Front des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Anmerkung:

Siehe auch Bericht und Interview zur Ausstellung unter
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BERICHT/042: Krieg und Propaganda 14/18 - Die unsichtbare Naht des Widerspruchs (SB)

29. Juni 2014