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INTERVIEW/029: Krieg und Propaganda 14/18 - Mediale Gewalten, Kurator Dennis Conrad im Gespräch (SB)


Vom Kampf um die öffentliche Meinung

Interview mit dem Kurator der Ausstellung "Krieg und Propaganda 14/18" im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg am 19. Juni 2014



Die Propaganda des Ersten Weltkriegs war geprägt von einer politischen Konkurrenz der Großmächte Frankreich, England und des Deutschen Reiches um die ideologische Beeinflussung der Bevölkerungen neutraler Nationen. Der textlich und im Layout interessant und übersichtlich gestaltete, historisch aufschlussreiche Katalog zur Ausstellung, die bis zum 2. November 2014 zu sehen ist, schlägt einen aus heutiger Perspektive gangbaren Weg in das Dickicht der Parteilichkeiten, dessen Undurchdringlichkeit im Krieg schnell zum propagandistisch nützlichen Dauerprogramm ausgebaut wurde. Der Schattenblick hatte auf der Pressekonferenz am 19. Juni 2014 die Gelegenheit dem Hauptkurator Dennis Conrad einige Fragen zur Entstehung der Propagandamethoden, zur musealen Konzeptentwicklung und zum bildlichen Stellenwert des Widerstands zu stellen.

Schattenblick (SB): Während des Ersten Weltkriegs ist eine unglaubliche Fülle an Propagandamaterial aller Parteien über die am Krieg beteiligten Kontinente regelrecht ausgeschüttet worden. Wie groß ist der museale Korpus, also das Material, das davon erhalten geblieben ist?

Dennis Conrad (DC): Wenn man die Postkarten einzeln zählen würde und die unterschiedlichen Medien hinzurechnet, zeigen wir hier in der Ausstellung insgesamt wohl über tausend Exponate, man kann das sehr schwer genau beziffern. Allein pro Tag werden im Ersten Weltkrieg bis zu 200 Millionen Postkarten versendet, die Post trägt acht Mal täglich Postkarten aus und auch die Plakate werden in Millionenauflagen gedruckt. Natürlich sind das ganz billige Papiere, die nicht zum Aufheben gedacht sind. Sie werden auf einen Bretterzaun oder ähnliches geklebt und danach wird wieder überplakatiert, so wie wir es heute auch kennen. Wenn man das berücksichtigt, befinden wir uns im Zeitalter der Massenmedien. Nun sind Museen die Orte, an denen sich diese Artefakte erhalten. Hier im Museum für Kunst und Gewerbe haben wir eine sehr große Sammlung von Grafik- und Druckerzeugnissen, die schon zu Kriegsbeginn vom damaligen Museumsdirektor Justus Brinckmann zusammengetragen worden ist, und wir haben versucht in der Ausstellung eine repräsentative Auswahl der erhaltenen Objekte zu zeigen. Schaut man nun global, ist es so, dass sich bestimmte Dinge, wie zum Beispiel Filmmaterial in Archiven, besser erhalten haben. Vieles steht aber auch auf der Verlustliste, so dass es, denke ich, da keine Ziffer gibt, die man nennen könnte. In den Museen ist die Quote der erhaltenen Objekte sicherlich besonders hoch.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Dennis Conrad, Kurator der Ausstellung 'Krieg und Propaganda 14/18'
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Dann hat der Museumsdirektor des Museums für Kunst und Gewerbe schon zu Beginn des ersten Weltkriegs gezielt damit angefangen Material zu sammeln, um es für die Nachwelt zu erhalten?

DC: Genau. Gerade unser Museum als ein Museum für Gestaltung beschäftigte sich mit Alltagskultur und Themen, die in der Gesellschaft vorherrschend waren und das war zu jener Zeit nun einmal der Krieg. Man kam aus einer Zeit des internationalen Miteinanders, aus der Zeit des Jugendstils bis kurz danach. Es gab einen sehr großen internationalen Dialog, man interessierte sich auch für die künstlerischen Errungenschaften der anderen Staaten. Dieser Dialog ist auch zunächst einmal gar nicht abgerissen. Das heißt, man hat hier ganz bewusst die Plakate der anderen Kriegsparteien gesammelt, man hat sie sich auch gegenseitig zugeschickt, das war trotz des Krieges gar nicht ungewöhnlich, was erst einmal erstaunen mag. Die Kriegsparteien, und eben nicht nur die Deutschen, dachten, 'das ist wieder einer dieser Kriege, der dauert zwei Monate, dann hat einer gewonnen und danach geht es normal weiter'. Die Propaganda hat jedoch in ihrem Ausmaß dazu geführt, dass eben dies nicht mehr passieren konnte, sondern dass man sich so stark verfeindet hat, dass man gar keine diplomatische Ebene mehr hatte, dass man mit einer nicht gekannten Ausweglosigkeit konfrontiert war. Unter anderem hat also die Propaganda dazu beigetragen, dass der Krieg so lange gedauert hat und dass man eben nicht mehr zusammenkam. Dementsprechend ist es besonders eindringlich, dass wir diese Plakate noch aus einer Zeit haben, in der man dachte, 'wenn dieser Krieg erst einmal gewonnen ist, werden wir zurückschauen können und das Ganze auch historisch in seinem Erscheinungsbild Revue passieren lassen'.

Auf dem Plakat für französische Kriegsanleihen würgt ein französischer Soldat den schwarzen Reichsadler am Hals - Foto: Maria Thrun

Marcel Falter
Pour le suprême Effort. Emprunt National, 1918
Farblithographie, 120 x 77,4 cm
Druck: Chaix, Paris
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Maria Thrun

SB: Könnte man sagen, dass die Propaganda damals außer Kontrolle geraten ist?

DC: In einer gewissen Weise kann man das sicher sagen, ja. Das hat damit zu tun, dass der Krieg im gegenseitigen Aufschaukeln als ein existenzieller Kampf angesehen wurde, es ging um "alles oder nichts", so lautete auf allen Seiten der große Slogan. 'Man muss diesen Kampf zu Ende führen, sonst ist man selbst vernichtet', dieser Mythos wurde dauerhaft aufrechterhalten. Natürlich fiel es unter diesen Umständen sehr schwer an den Diskussionstisch zurückzukehren. Gerade die Kriegsanleiheplakate, die besonders stark in den Jahren 1917/1918 zum Vorschein kamen, waren mit Durchhalteparolen versehen, die den Menschen suggerierten, 'ihr müsst jetzt alles dazu beitragen, damit dieser Krieg gewonnen wird, sonst ist alles verloren'. Diese Zusammenhänge haben mit dazu geführt, dass das Ganze in gewisser Weise außer Kontrolle geraten ist.

SB: Wie haben Sie sich der Auswahl für Ihre Ausstellung angenähert, wenn Sie mit einer so massiven Menge an Material zu tun hatten? Wo beginnt man da?

DC: Natürlich muss man selektieren. Wenn man das Quellenmaterial sichtet und Sekundärliteratur liest, stößt man auf bestimmte Schwerpunkte. Es ist unmöglich alles zu zeigen. Man sieht ja bereits jetzt, dass es ein sehr großer, komplexer Korpus an Objekten, an Geschichten ist. Wir haben uns auf besonders eindringliche Propagandakonzepte konzentriert und uns bemüht, in der Ausstellung auch die Bandbreite der verschiedenen Medienformen zu zeigen. Eine der wichtigsten Entwicklungen im Ersten Weltkrieg ist, dass man Film, Fotografie und Musik für die Propaganda vereinnahmt. So war unser Anliegen, auch hier das mediale Spektrum zu zeigen und bestimmte Bezugspunkte wie die Mobilisierung, die Dämonisierung, die Partizipation herauszuschälen und darzustellen, auf welche Weise Propaganda funktioniert, was sie für ein Potenzial entwickelt und wie sie die Menschen emotional anspricht. Das Projekt ist so über 18 Monate peu à peu gewachsen, man lässt bestimmte Themen fallen, man greift andere auf, verstärkt sie, modelliert, das ist in ganz normaler Prozess der Ausstellungskonzeption.

Ein deutscher Soldat küsst seine Frau, der Absender hat seinen Namen und den seiner Frau per Hand über die Köpfe des Postkartenpaares geschrieben - Foto: Maria Thrun

Bildpostkarte
O, bleibe mein!, 1914 - 1917
Gelaufen am 23. Juli 1917
Rasterbuchdruck, 14 x 9 cm
Verlag: Albert Fink, Berlin
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Maria Thrun

SB: Sie legen am Anfang des Ausstellungsrundgangs dar, dass es zu Beginn der propagandistischen Euphorisierung der Menschen durchaus Regungen in der Bevölkerung gegeben hat, die dem Krieg kritisch gegenüberstanden. Ist auch eine Art bildliche Gegenbewegung bekannt?

DC: Nein, das ist eben das Spannende, dass wir im Zuge unserer Recherchen sehr schnell gemerkt haben, dass die Proteste, die es in allen kriegsbeteiligten Ländern gegeben hat, in der Regel keine bildliche Aufzeichnung mit sich gebracht haben. Man weiß mittlerweile aus Chronologien, aus Berichten der Zeitzeugen über Tagebücher und andere Aufzeichnungen, dass es beispielsweise in den Wochen vor dem Krieg allein im Deutschen Reich 750.000 Menschen auf die Straßen getrieben hat, die gegen den Krieg protestiert und pazifistische Kundgebungen besucht haben. Allein am Vorabend der Mobilisierung gab es noch einmal 100.000 Protestanten vor der Siegessäule in Berlin, das hat es in allen am Krieg beteiligten Ländern gegeben. Als dann der Kriegsfall eingetreten war, wurde ein Demonstrationsverbot verhängt, woraufhin es nicht einmal mehr Presseberichte gab, weil nicht mehr demonstriert wurde. Fotografiert wurde natürlich, weil man die Euphorie der ausziehenden Soldaten mit ihren geschmückten Helmen nutzbar machen wollte. Das sind die Bilder, die sich dann eben auch bis heute über Geschichtsbücher, über die zeitgenössische oder historische Berichterstattung tradieren, wohingegen die Auseinandersetzung mit der Kritik keine Bilder gefunden hat, man findet sie im Prinzip nur im Quellenmaterial. In der Ausstellung haben wir versucht, aus einer historischen, kritischen Perspektive aufzuzeigen, dass man sich die Euphorie ohne den Zweifel nicht vorstellen kann. Das eine ohne das andere gibt es nicht. Selbstverständlich wollen wir nicht den Eindruck erwecken, als habe es die Euphorie nicht gegeben, denn natürlich war sie vorhanden.

Ein englischer Soldat schaut in die Ferne, im Hintergrund sieht man eine Landkarte, die den südlichen Teil Englands und den nördlichen Teil Frankreichs in unmittelbarer Nähe zueinander zeigt - Foto: Maria Thrun

unsigniert
Boys Come over here you're wanted, 1915
Farblithographie, 101,5 x 127,5 cm
Druck: David Allen & Sons, London
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Maria Thrun

SB: Wie wichtig war Ihnen der Aspekt der Gegenbewegung?

DC: Inhaltlich gesehen geht es uns darum zu sagen, dass die Propaganda anfänglich eine Möglichkeit bot, diese kritischen Stimmen zu nivellieren. Man wollte es nicht so weit kommen lassen, dass der Kriegsgrund oder auch die Kriegsbereitschaft in irgendeiner Form hinterfragt beziehungsweise unterminiert werden. Dementsprechend haben wir uns primär damit beschäftigt, wie es sein kann, dass diese Bilder nur so einseitig existieren. Es war uns wichtig diese Diskrepanz zu zeigen, dass es in der Wahrnehmung so wirkt, als hätte es alles, was Bild wird, in der berichterstatterischen Mentalität der Geschichtsschreibung gegeben, und das, was keine offizielle Ebene findet, gar nicht stattgefunden.

SB: Momentan gibt es in den Medien und in der Geschichtswissenschaft neue Thesen über den oder die Verursacher des Ersten Weltkriegs, dabei wird Deutschland nicht oder nicht mehr die alleinige Verantwortung gegeben. Könnte diese Relativierung aus Ihrer Sicht auch im Zusammenhang damit stehen, dass Deutschland statt "Nie wieder Krieg!" sich zunehmend an militärischen Auslandseinsätzen beteiligt?

DC: Was ich dazu sagen kann, ist, dass wir uns an der historischen Debatte über die Kriegsgründe hier ganz bewusst nicht beteiligen wollen, weil wir den Krieg in der Ausstellung nicht als historisches Ereignis erfassen. Man hätte sonst ganz andere Dinge aufgreifen müssen, die natürlich aus einer historiographischen Sicht wichtig gewesen wären. Uns geht es hier wirklich primär um die propagandistischen Strategien und da muss man sagen, dass die Kriegsgrunddebatte in der Propaganda kaum eine Rolle gespielt hat. Selbstverständlich gab es sie auf der alliierten Seite, wo argumentiert wurde, die Deutschen seien machthungrig und wollten sich alles einverleiben. Die Deutschen haben dem dann die These des Verteidigungskriegs entgegengesetzt. Das ist eine unfassbar komplexe Thematik, zu der es unglaublich viele Quellenmaterialien gibt, die unterschiedlich ausgelegt werden. Ein aktuelles Beispiel ist das Buch "Die Schlafwandler" von Christopher Clark, der wiederum eine andere Sichtweise vertritt. Das ist einfach nicht unser Beritt. Es geht um die Methoden und wenn die Kriegsgrundfrage da ein Movens gewesen wäre, um Propaganda zu machen, hätten wir sie uns genauer angeschaut, aber dem war nicht so, deshalb spielt sie in unserer Ausstellung keine herausragende Rolle.

Das Titelbild einer französischen Zeitschrift zeigt einen sarkastisch gezeichneten, 'preußischen' Totenschädel mit Pickelhaube, schwarzem Schnurrbart und Blut am Gebiss - Foto: Maria Thrun

Paul Iribe
La Danse Macabre, aus: La Baïonette, Nr. 41, 13. April 1916
Farbstrichätzung, 31,2 x 23,8 cm
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Maria Thrun

SB: Lassen sich aus dem hier ausgestellten Material detailliertere Schlüsse über eine unterschiedliche propagandistische Aggressivität schließen, mit der die kriegführenden Parteien des Ersten Weltkriegs vorgegangen sind?

DC: Erkennbar ist, dass es eben nicht nur eine militärische Auseinandersetzung gewesen ist, sondern auch ein Kampf um Meinungen. Man kämpft mit der Darstellung der eigenen Rolle in diesem Krieg sehr stark um die Sympathien in den neutralen Ländern, indem man sagt, 'wir sind gar keine Barbaren, also helft uns', die andere Seite sagt, 'das sind doch Barbaren, also schließt euch uns an'. Diese Mechanismen, mit denen man Menschen dazu animiert, Partei zu ergreifen, funktionieren gestern wie heute. Es geht in der Ausstellung weniger darum zu sagen, die einen sind die Guten und die anderen sind die Bösen, sondern eher darum zu zeigen, welche unterschiedlichen Handlungsweisen es gibt und dass die einen besonders gut und effektiv vorgehen und die anderen ein bisschen unbeholfen sind. Wenn man die Objekte betrachtet, sich die Lieder anhört und die Filme anschaut, ist das Verblüffende, dass diese Medien heute teilweise noch genauso wirken. Beschäftigt man sich zum Beispiel aus der heutigen Perspektive mit den Plakaten, kann man sich ja auch fragen, 'würde mich das ansprechen?', und oft kann man, wenn man einigermaßen empathisch ist, gut nachvollziehen, warum die Menschen sich damals aufgefordert fühlten. Wenn ich gesagt bekomme, 'der Vater deines besten Freundes ist im Krieg, wenn du jetzt fünf Mark stiftest, kommt er vielleicht lebendig zurück', da wäre ich doch der Letzte, der sagen würde, 'das ist mir egal'. So funktioniert schließlich der gesellschaftliche Druck, der damit aufgebaut wird.

SB: Ist Ihre These, dass die propagandistisch Unbeholfenen die Deutschen waren?

DC: Es ist ihnen zumindest sehr schwer gefallen, attraktive und emotionalisierende Bilder zu wählen. Man hat da offensichtlich eine Tradition gehabt, die stärker am Faktischen zu verorten ist. Das ist der Bereich der Faktenpropaganda. Man versucht über Dokumente zu beweisen, dass man eigentlich gar keine Kriegsverbrechen begangen hat. Statistisch gestaltete Plakate sollten zum Beispiel zeigen, 'wir Deutschen können gar keine Barbaren sein, denn wir haben 20 Nobelpreisträger und England hat nur drei'. Das ist eine ganz unbeholfene Argumentation, wohingegen die Engländer sich zur gleichen Zeit auf die Kriegsgräuel der Deutschen an Zivilisten in Belgien bezogen. Wenn man das gegeneinander stellte, dann begriff man, 'auch wenn ihr ganz schön viele Nobelpreisträger habt, dürft ihr doch trotzdem keine Zivilisten umbringen'. Dieses Gegeneinander der unterschiedlichen Propagandamethoden versuchen wir hier aufzuzeigen.

SB: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.


Anmerkung:

Siehe auch Bericht und Interview zur Ausstellung unter
Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT:
BERICHT/042: Krieg und Propaganda 14/18 - Die unsichtbare Naht des Widerspruchs (SB)
INTERVIEW/028: Krieg und Propaganda 14/18 - Stimmung, Zeitgeist und Versagen, Prof. Dr. Sabine Schulze im Gespräch (SB)

1. Juli 2014