Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT


INTERVIEW/043: bauhaus imaginista - der Blick über den Tellerrand ...    Hans-Joachim Keller im Gespräch (SB)


Vom 15. März bis 10. Juni wurde im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin die Ausstellung bauhaus imaginista [1] gezeigt. Hans-Joachim Keller, der seit über 40 Jahren in Kulturpolitik und Kunstbetrieb aktiv ist, Leiter des Institutes für Publizistik und Kunst war und diverse Positionen im Rahmen gewerkschaftlicher Kulturarbeit innehatte, erklärte gegenüber dem Schattenblick anläßlich eines Besuches der Ausstellung, was ihm an dem dabei Gesehenen und Erlebten aufgefallen ist.


Im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) - Foto: © 2019 by Schattenblick

Hans-Joachim Keller
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Bei der Absage des Auftrittes der Band Feine Sahne Fischfilet im Bauhaus Dessau im November 2018 hat die zuständige Bauhausdirektorin diese Entscheidung mit der politischen Neutralität des Bauhauses begründet. Die Ausstellung hier im HKW allerdings vermittelt nicht den Eindruck, das historische Bauhaus habe nicht auch politisch Position bezogen.

Hans-Joachim Keller (HJK): Es ging da nur indirekt um Feine Sahne Fischfilet, sondern darum, daß die AfD gegen den Auftritt protestiert hatte. Daraufhin wurde so getan, als ob Bauhaus sich nur auf eine bestimmte Form, von mir aus auf einen Thonet-Stuhl oder auf Gropius mit irgendeinem Gebäude, reduzieren läßt. Das ist meiner Ansicht nach total falsch, weil das Bauhaus nichts mit der Reduzierung auf Form zu tun hat. Man kam damals nach dem Ersten Weltkrieg in Weimar zusammen. Weil die Räterepublik und andere Dinge nicht funktioniert hatten, kam die Idee auf, daß man durch gestalterische Kompetenz und Veränderung der Lebensumstände eine neue Form von Gesellschaft gründen könne. Und das ging dann in die Bauhaus-Idee ein, das heißt, das Bauhaus war eigentlich ein sehr umfassendes Konzept.

Die Feste, die sie gefeiert haben, was mit Musik gemacht wurde, was Oskar Schlemmer zum Beispiel mit dem Tanz gemacht hat, das war ja letztendlich eine Veränderung des Lebensumfelds. Und dieses Lebensumfeld zu verändern ging in eine progressive Richtung. Dafür stand zum Beispiel der zweite Bauhausdirektor Hannes Meyer, der, nachdem er zurücktreten mußte, in die Sowjetunion ging, wo er Siedlungen baute. Da gab es eine Hochschule, die von der Designstruktur und von dem, was in ihr entwickelt wurde, eigentlich in eine Richtung ging, die versucht hat, Gesellschaft neu zu definieren.

SB: Können Sie ein praktisches Beispiel dafür schildern?

HJK: Hier werden zum Beispiel Architekten gezeigt, die in Marokko Hotels gebaut haben, wobei es eigentlich darum ging, welches Lebensgefühl ich habe, wenn ich in einem umbauten Raum bin, wie ist die Raumhöhe, wie ist das Verhältnis von Sichtachsen zu meiner Situation in dem Raum. Es ging schon darum, daß die Architektur auch was anderes bieten soll. So fällt bei den Meisterhäusern in Dessau auf, daß über die Ecke gebaut worden ist mit Fenstern, damit der Blick praktisch ins Freie geht. Zwischen Innenraum und Außenraum ist plötzlich keine Differenz mehr da. Das ist schon noch eine andere philosophische Herangehensweise an das, was umbauter Raum sein soll.

SB: Wie verhält sich Design als Warenform zu den Ansätzen, die mit dem Bauhaus ursprünglich in die Welt kamen?

HJK: Ich denke, daß man das nicht nur auf die Warenform reduzieren kann. Wenn ich Design entsprechend betrachte, dann sehe ich die Warenform auch als einen Ausdruck von, wie soll man sagen, steinernen oder metallenen Verhältnissen von Gesellschaft an. Das heißt, eine Form sagt auch etwas über gesellschaftliche Zustände aus, für was sie und für wen sie gebaut wurde oder für wen sie produziert oder für wen sie nutzbar wird. Das heißt, ich kann Design nicht nur als die reine ästhetische Form des Produktionsmittels begreifen. Der berühmte Spruch "Die Form folgt der Funktion" alleine sagt ja nichts aus. Wenn man zum Beispiel die alten Freischwinger in ihrer Entwicklung anschaut, sieht man, daß die erste Version dieses Stuhls einfach nur aus Wasserrohren bestand, die zusammengeschraubt wurden. Heute ist das ein Stuhl, der nicht mehr bezahlbar ist und eigentlich dem widerspricht, was damals gedacht wurde. Es sollten industriell gefertigte Teile sein, die eine wunderbare Form haben und für den Alltagsgebrauch nützlich, aber auch bezahlbar sind. Ein Bauhaus-Möbel oder ein Bauhaus-Teil ist heute für die Oberschicht. Ich betrachte es als Problem, dies jeglicher gesellschaftlichen Funktion zu berauben, indem man so tut, als ob damit nicht auch beabsichtigt war, einer anderen Lebensform Ausdruck zu verleihen.

SB: Ein Galerist aus Berlin sagte in einer TV-Dokumentation, als er ein historisches Möbelstück aus dem Bauhaus präsentierte, das mehrere zehntausend Euro kosten sollte: Ich handle mit gescheiterten Utopien.

HJK: Ich finde, das sind keine gescheiterten Utopien, sondern die Utopie ist immer noch lebendig. Das sieht man hier allein daran, wie das Bauhaus international rezipiert wurde. Im Mief der Adenauer-Ära wurde das Bauhaus bei uns im Westen kaputtgemacht. Hätte ich während meines Studiums erzählt, ein begeisterter Freund des Bauhauses zu sein, dann wäre ich sofort abgestempelt worden, da war das nicht toll. Jetzt, nach 100 Jahren ist das auf einmal toll, aber damals in den 60er, 70er, 80er Jahren war das Bauhaus irgendwie igitt! Das war links, das war ganz furchtbar.

Ganz viele Designstrukturen in der DDR kommen aus dem Bauhaus. Karl Clauss Dietl, der den Trabbi entwickelt hat, fühlte sich dem Bauhaus verpflichtet. Das klingt blöde, aber wenn man sich den Trabbi anguckt, dann ist das eigentlich das beste Beispiel dafür, wie man Autos anders konstruieren kann, weil das von dem aus, der drinsitzt und fährt, konstruiert wurde. Deshalb ist der Platz innendrin ganz anders als in dem damals vergleichbaren Goggomobil. Der ist von außen konstruiert. Der Trabbi jedoch wurde von innen konstruiert, vom Fahrer aus. Da steckte eine ganz andere Struktur drin. Oder wenn man sich die Möbelwerkstätten Hellerau anguckt, das sind eindeutig Bauhausmöbel. In Eisenhüttenstadt im Museum zur Alltagskultur der DDR gibt es eine wunderbare Ausstellung, in der viele Momente sichtbar werden, anhand derer man die Spuren des Bauhauses im DDR-Design nachvollziehen kann. Die sind in der DDR zum Teil auch nicht richtig gewürdigt worden, aber diese Glassachen, die da konstruiert und dann auch umgesetzt wurden, sind doch wunderbar.

SB: Könnten Sie noch einmal begründen, warum Sie die Ausstellung bauhaus imaginista für gelungen halten?

HJK: Ja, weil die Ausstellung eine der wenigen ist, die im Rahmen der Veranstaltungen zu 100 Jahre Bauhaus versucht nachzuweisen, inwieweit das mit Lebensphilosophie zu tun hat, und zwar in dem Moment, wo es sich auch weltweit darstellt. Es gibt zum Beispiel wunderbare Arbeiten, bei denen Alltagsgegenstände für Schmuck benutzt wurden. In Algerien hat eine Frau Schmuck aus dem französischen Franc hergestellt. Allein diese zehnminütige Videoarbeit ist wunderbar.

Oder wenn man sich andere Arbeiten hier anschaut, mit denen der Zusammenhang hergestellt wird zwischen der Bedeutung, die die jeweiligen Werke für die Leute haben, und wie sich dadurch ihr Leben verändert hat. Es ist eben keine Ausstellung, die sich darauf reduziert, ob der Breuer-Stuhl mit Leder bezogen ist oder nicht oder in der es um eine reine Funktionsdebatte geht.

SB: Oder ob der iPod vom Baushaus inspiriert wurde.

HJK: Ja, da findet man hier auch so ein paar Momente, aber das wesentlich Wichtigere ist für mich, daß das Gefühl rüberkommt: Was hat man sich damals vorgestellt, wenn man sagte, Bauhaus ist das Alltagsleben?

SB: Die 20er Jahre waren ja auch eine Zeit der Lebensexperimente und des Versuchs, einen emanzipatorischen Neuanfang hinzubekommen.

HJK: Das gilt auch für die Sachen aus der Weberei, die hier ausgestellt sind. Ich kann eine Gender-Debatte, die nach 100 Jahren bei uns geführt wird, nicht rückwirkend projizieren und den Schluß ziehen, das Bauhaus sei furchtbar, weil seine Gründer ihre Ideologie nicht eingelöst hätten, weil die Frauen grundsätzlich in die Weberei mußten. Es gibt ja Beispiele dafür, daß Frauen auch etwas anderes machen wollten und innenarchitektonische Entwürfe vorgelegt haben, die von den Männern, die den Auftrag erteilt hatten, gar nicht akzeptiert wurden. Damals ging es bei einer Auseinandersetzung zwischen Gropius und einigen Schülerinnen um das Problem, daß sie mit einer Ausbildung nichts anfangen können, wenn sie nachher keine Aufträge bekommen. Also müssen wir doch gucken, wie man anders damit umgeht. Wenn man so eine Debatte im nachhinein aus heutiger Sicht führt, müßte ich mich umgekehrt fragen, warum es bis jetzt noch nicht erreicht worden ist, Frauen zumindest den gleichen Lohn zuzugestehen.

Ich finde, daß es der Ausstellung ganz gut gelingt, eine historische Einordnung vorzunehmen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, unter welchen Bedingungen man damals gelebt hat und was die Menschen überhaupt wollten.

SB: Herr Keller, viele Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/kurb0062.html


6. Juli 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang