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ANALYSE & KRITIK/344: Schwarz-Gelb schleift Programme gegen Rechts


ak - analyse & kritik - Ausgabe 544, 20.11.2009

Extremismusbekämpfungsprogramme
Schwarz-Gelb schleift Programme gegen Rechts

Von Gerd Wiegel


Was die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten anbelangt, sind die Ergebnisse der Koalitionsvereinbarung zwischen Union und FDP katastrophal. Wie aus den Wahlprogrammen und auch dem Agieren der Koalitionspartner in den letzten Jahren absehbar, wird dieser Punkt von der neuen Regierung unter dem ideologisch bestimmten Blickwinkel der Auseinandersetzung mit dem "Extremismus" geführt. Die Gleichsetzung von rechtem und linkem "Extremismus" ist der Hintergrund für politische Festlegungen, die sich negativ auf die Programme auswirken werden, die sich bisher mit staatlicher Unterstützung gegen die extreme Rechte richteten.

Die seit 2001 vom Bund geförderten Programme gegen Rechtsextremismus sollen in "Extremismusbekämpfungsprogramme" umgewandelt werden, die sich gleichermaßen gegen rechten und linken "Extremismus" so wie gegen Islamismus richten sollen. Im gleichen Sinne soll das vom Innenministerium geförderte Bündnis für Demokratie und Toleranz einen stärkeren Schwerpunkt im Bereich "Linksextremismus" bilden, die bisherigen Aussteigerprogramme Rechtsextremismus zu Aussteigerprogrammen Extremismus und schließlich der Fonds für Opfer rechtsextremer Gewalt zu einem Fond für Opfer des Extremismus werden.

Diese inhaltliche Verschiebung geht nicht von einer realen Gefahrenanalyse aus, sondern ist rein ideologisch motiviert. Nach wie vor wird niemand begründet bestreiten können, dass die extreme Rechte in zahlreichen Regionen des Landes eine reale und alltägliche Bedrohung für zahlreiche Menschen darstellt. 140 Tote und ungezählte Verletzte durch rechte Gewalt seit 1990 sprechen eine deutliche Sprache. Während die Gewalt von rechts vor allem auf Minderheiten und schwache Gruppen zielt, richtet sich die Militanz von links fast immer gegen Nazistrukturen oder gegen staatliche Strukturen.

Geradezu grotesk wird die extremismustheoretische Sichtweise des Koalitionsvertrages dort, wo die Bundesprogramme gegen "Extremismus" als Maßnahmen gegen die unterstellte "Verklärung der SED-Diktatur" ausgegeben werden. Links = rechts = SED = NS - diese Logik des Kalten Krieges führt anscheinend immer noch zu Kurzschlüssen, wie sie auch den Koalitionsvertrag zieren. Eingerichtet werden soll ein "Arbeitsschwerpunkt 'Aufarbeitung der SED-Diktatur' bei der Bundeszentrale für politische Bildung", eine "Jugend- und Begegnungsstätte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" und ein "Jahresbericht der Bundesregierung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur."


Extremismusansatz als Hintergrund

Der den Aussagen im Koalitionsvertrag zugrundeliegende Extremismusansatz ist inzwischen im Alltagsverständnis der Bundesrepublik hegemonial geworden. Die reflexhafte Gleichsetzung von linkem und rechtem "Extremismus" ist Ausdruck einer Form der Entpolitisierung. Sie fragt nicht mehr nach den Inhalten politischer Richtungen, sondern verweist einzig auf ihre vermeintlich gleiche Ausdrucksform (Frage der Gewalt und Frage des positiven Bezugs auf den Verfassungsstaat) - was im Übrigen bei genauerer Betrachtung falsch ist.

Der primäre politische Gegensatz wird von den AnhängerInnen dieses Ansatzes in der Frage des positiven Bezugs auf den formal definierten Verfassungsstaat bundesdeutscher Prägung oder eben die fundamentale Kritik an diesem gesehen. ExtremistIn und damit Verfassungsfeind ist, wer sich gegen den angeblichen Basiskonsens der politischen Mitte wendet, der als Boden der Verfassung definiert wird.

Die Definitionsmacht darüber, was zum Basiskonsens der Gesellschaft zählt und was nicht, nimmt die politische Mitte für sich in Anspruch. So erscheinen reale Verfassungsbrüche und Anschläge auf verbriefte Rechte (Beispiele: Sicherheitsgesetze, "Antiterrorkampf") niemals als Extremismus, die Forderung nach unbedingter Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes oder nach einem anderen Wirtschaftssystem dagegen als Formen des "Linksextremismus".

Eckhard Jesse und Uwe Backes als seit Jahren rührige "wissenschaftliche" Propagandisten des Extremismusansatzes sind die wichtigsten Stichwortgeber des konservativen Lagers. Gerade in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten haben sie immer wieder vor Bündnissen und Zusammenarbeit mit "Linksextremisten" bis hin zur Partei DIE LINKE gewarnt. Die 2001 von Rot-Grün initiierten Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus galten ihnen und ihren Verbündeten immer schon als Einfallstore des Linksextremismus. Diese Tore sollen jetzt ein für alle Mal geschlossen werden.


Mögliche konkrete Auswirkungen

Faktisch bedeuten die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag mehr als eine Halbierung der Mittel im Kampf gegen die extreme Rechte. Wenn mit den gleichen Mitteln (bisher 24. Mio. Euro für die zwei Bundesprogramme "Vielfalt tut gut" und "Kompetent für Demokratie", ca. 1 Mio. Euro für das Bündnis für Demokratie und Toleranz, ca. 300.000 Euro Opferfonds) jetzt Projekte im gesamten Bereich "Extremismus" gefördert werden sollen, handelt es sich in jedem Fall um eine massive Kürzung für den Bereich der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.

Abzuwarten bleibt, was die Vereinbarungen konkret für die Programme bedeuten werden, ob es etwa neue Richtlinien gibt, die eine Schwerpunktverlagerung fordern. Bei den Beratungsprojekten (Mobile Beratung und Opferberatung) könnte es zu einer weiteren Differenzierung zwischen Ost und West kommen. Da im Osten seit Langem feste Strukturen bestehen und die extreme Rechte deutlich präsent ist, könnte der Schwerpunkt Rechtsextremismus hier erhalten bleiben. Im Westen dagegen sind viele neue Beratungsstrukturen sehr eng an staatliche Strukturen angebunden (LKA, Landesjugendring etc.). Hier könnte sehr viel schneller eine Umorientierung auf "Extremismus" allgemein erfolgen. Zudem wird es in allen Ländern auf die Haltung der Landesregierungen ankommen, die eine Kofinanzierung leisten.

Für den Bereich des großen Bundesprogramms und die damit finanzierten Lokalen Aktionspläne (LAPs) sind die Auswirkungen noch nicht absehbar. In Ostdeutschland dürfte es schwierig werden (vor allem im ländlichen Bereich), "sinnvolle" Projekte gegen Islamismus und/oder Linksextremismus zu initiieren. Aber auch hier wird es stark auf die Vorgaben aus Berlin und die konkrete Umsetzung vor Ort ankommen.

Für die regionale Auseinandersetzung mit der extremen Rechten - die vor dem Hintergrund der Kommunalwahlergebnisse der NPD und der regionalen Nazistrukturen die entscheidende Ebene bleiben wird - wird es darauf ankommen, vorhandene Projekte, Initiativen etc. die sich mit der extremen Rechten auseinandersetzen, in ihrem inhaltlichen Bestand zu schützen.


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 544, 20.11.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2009