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ARBEITERSTIMME/186: Der Metallabschluß - Kein fauler Kompromiß


Arbeiterstimme Nr. 162 - Winter 2009
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Der Metallabschluss - Kein fauler Kompromiss


Es war eine komplizierte Ausgangslage, unter der die IG Metall in ihrer wichtigsten Branche "Maschinenbau- und Elektrotechnik" zu ihrem Abschluss kam. Ein zweifellos schlechter Abschluss, der zu nicht wenig Empörung und Frust bei vielen Mitgliedern führte und der von Teilen der politischen Linken sehr oberflächlich analysiert und entsprechend kommentiert wird.

Gefordert worden war eine Entgelterhöhung von 8 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung bis zur Forderungsaufstellung eine moderate Forderung, die sich an der unteren Grenze dessen bewegte, was in den einzelnen Tarifkommissionen, Verwaltungsstellen und Betrieben diskutiert und gefordert wurde. Vor allem in den gut organisierten Betrieben bestand eine außergewöhnlich hohe Erwartungshaltung der Werktätigen an die Tarifrunde. In nicht wenigen Fällen wurden dort sogar Forderungen in zweistelliger Prozent-Höhe aufgestellt. Es war Dampf in den Betrieben. Auch in der Metall- und Elektroindustrie war die negative Entgeltentwicklung der zurückliegenden Jahre spürbar. Natürlich nahmen die Beschäftigten auch zur Kenntnis, dass sich die Schere zwischen den Profiten und den Löhnen immer weiter öffnete. In den letzten vier Jahren stiegen die Nettoprofite um 220 Prozent, die Entgelte dagegen nur um 16 Prozent. Die Wirtschaft "brummte". Die Manager hatten deshalb auch keinerlei Hemmungen sich mit üppigen Gehaltserhöhungen zu bedienen, während den Beschäftigten, bedingt durch Lohnstagnation und massive Preissteigerungen, das Geld zum Leben hinten und vorne nicht reicht. Und das bei immer schlechteren und stressreicheren Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Die IG Metall traf deshalb mit ihrer Agitation die Stimmungslage der Werktätigen genau. In einem zentralen Tarif-Flugblatt der Frankfurter Zentrale wird die Frage aufgeworfen: "Bonus für die Manager - Verzicht für uns. Ist das gerecht?".

Unterstützung für eine kräftige Entgelterhöhung bekam die Gewerkschaft sowohl von Wirtschaftswissenschaftlern als auch von der Politik. So meinte der Würzburger Ökonom und Mitglied im Sachverständigenrat, Peter Bofinger im Tagesspiegel (24.6.2008), "Angesichts des starken Aufschwungs seit Anfang 2006 sind die Löhne bislang erbärmlich wenig gestiegen". Und er meinte besorgt, dass damit die Wirtschaft eine ohnehin schwindende Zustimmung für das System der sozialen Marktwirtschaft verlieren würde. "Das wäre ein Pyrrhussieg für die Unternehmen, wenn sie zwar ihre Gewinne steigerten, aber die Menschen immer unzufriedener würden", so der Herr Bofinger. Nicht zuletzt aus dieser Befürchtung heraus gab es formale Unterstützung sogar aus dem Regierungslager. So stellte sich die Sozialdemokratie, verantwortlich für die Verschlechterung der Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung, demonstrativ an die Seite der Gewerkschaften. "Es ist jetzt Zeit für ordentliche Lohnsteigerungen, die Menschen haben sich das verdient", vermeldete Bundesarbeitsminister Olaf Scholz am Rande einer SPD-Vorstandsklausur im Januar in Hannover. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mahnte ebenfalls deutliche Gehaltszuwächse an. "Die Arbeitnehmer haben es verdient, dass sie 2008 mit deutlichen Lohnerhöhungen ihren fairen Anteil am Aufschwung erhalten", schrieb er in einem Strategiepapier für die selbige Klausur (FTD Januar 08).


Veränderte Rahmenbedingungen

Mit dem offenen Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise änderten sich die Bedingungen für die Tarifrunde vollständig.

Allerdings zeichnete sich die Abschwächung der Konjunktur bereits vor dem offenen Ausbruch der Krise ab. So stellte die Bundesbank in ihrem Monatsbericht im August fest, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal des Jahres, verglichen mit dem ersten Vierteljahr um 0,5 Prozent zurückgegangen und damit das erste Mal seit vier Jahren geschrumpft war. Auch im dritten Quartal sank das BIP um 0,5 Prozent und damit zum zweiten Mal in Folge. Nach gängiger Definition ist die deutsche Konjunktur damit in der Rezession. Insbesondere die Autobauer merkten das recht früh und kündigten entsprechende Produktionsdrosselungen an.

Durch die Finanzmarktkrise wird dieser Trend jetzt massiv verstärkt, wobei es nicht unwahrscheinlich ist, dass sich die abzeichnende Weltwirtschaftskrise zur Depression entwickelt.

Die ersten Opfer der Krise sind in den Betrieben die Leiharbeitskräfte. Von ihnen entledigen sich die Kapitalisten zurzeit in vielen Betrieben. Außerdem sind Produktionsstopps in vielen Betrieben der Automobil- und Zulieferindustrie nach Weihnachten und im neuen Jahr geplant. Die Finanzmarktkrise ist also im wichtigsten Organisationssektor der IG Metall angekommen. Dieser Fakt wurde lange von der Gewerkschaftsführung ignoriert. Mitte Oktober äußerte sich Huber in einem Spiegel-Interview noch: "Ich sehe keine Krise". Am 6. November klang es dann schon anders. In der Stuttgarter Zeitung konnte man da lesen: "Wer in einem Abschwung der Weltwirtschaft die Binnenkonjunktur durch eine Reallohnsenkung abwürgen [wolle], hat wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank".


Das Dilemma der IG Metall

Die Gewerkschaftsführung befand sich durch die aufwallende Krise in einem großen Dilemma.

Die Zeit arbeitete eindeutig gegen sie. Einen Erzwingungsstreik konnte sie jetzt nicht mehr riskieren. In der Automobilindustrie wäre er den dortigen Unternehmern zu Pass gekommen; die IG Metall wäre ins offene Messer gelaufen. Und im Maschinenbau? Dort lief und läuft die Konjunktur noch immer hervorragend. Aber bei dieser Branche handelt es sich überwiegend um mittelständische Betriebe und es ist unwahrscheinlich, dass sich die Metallarbeitgeberverbände durch Streiks im Maschinenbau in die Knie hätten zwingen lassen. Bestimmend in den Verbänden sind die Autoindustrie und die großen Zulieferer.

Das Dilemma der Führung bestand des Weiteren darin, dass die Kampfbereitschaft der Mitglieder unzweifelhaft vorhanden war. Das zeigte sich nicht zuletzt an der Warnstreikbeteiligung. In nur einer Woche beteiligten sich mehr als 600.000 MetallerInnen an Aktionen.

Trotz der aufkommenden Krise wollten die Werktätigen einen Ausgleich für die ständig steigenden Lebenshaltungskosten und waren dafür bereit zu kämpfen.

Das jetzt vorliegende Tarifergebnis, wird der Erwartungshaltung sehr vieler Belegschaften in keiner Weise gerecht. In der "metallzeitung" vom Dezember stellt Huber fest: "Die IG Metall hat eine Tariferhöhung von 4,2 Prozent und eine Einmalzahlung von 510 Euro durchgesetzt". Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt nicht 12 Monate, wie gefordert, sondern 18. Die ersten 2,1 Prozent sind dann bis zum Februar 2009 fällig, eine weitere Erhöhung um 2,1 Prozent soll es ab Mai geben, mit der Option dass diese durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung (das heißt, es geht nur mit der Zustimmung des Betriebsrats) auf den November 2009 verschoben werden kann. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass nicht wenige Unternehmer diese Option ziehen werden. Und die Betriebsräte werden mitmachen. Sie werden zur Zustimmung erpresst. Was dann im November geschieht steht in den Sternen. Bis dahin wird sich die konjunkturelle Lage weiter verdüstern und die Forderung der Kapitalisten wird dann sein, diese Erhöhung ganz auszusetzen. Und die IG Metall wird mitmachen. Das zeigt sich ja bereits jetzt bei Opel. Die Forderung der Geschäftsführung nach einer Nullrunde im Anschluss an das Tarifergebnis, wird von dem Frankfurter Bezirksleiter Armin Schill zurückgewiesen. In einer Presseerklärung äußert er aber dann: "Die IG Metall sagt nicht, es gäbe keine Probleme. Wir sagen aber, wir bieten Lösungen".


Ein fauler Kompromiss?

Auch wenn der Abschluss von Huber jetzt schöngeredet wird: "Ordentliches Ergebnis in historisch schwieriger Lage", so wird er damit nicht besser. Es ist ein Fakt: Der Abschluss setzt die Umverteilung von unten nach oben fort. So berichtet der "Spiegel", dass Südwestmetall ihren Mitgliedsfirmen vorrechne, dass der neue Tarifvertrag im kommenden Jahr zwischen 1,24 und 2,85 Prozent koste.

Inzwischen rumort es in den Betrieben. Bei den Bezirksleitungen gehen Proteste und Resolutionen gegen den Abschluss ein. So schreibt die "Stuttgarter Zeitung" am 21. November: "Gestern übergaben Vertrauensleute von Daimler Untertürkheim und Mahle Unterschriftenlisten an den Bezirksleiter mit denen sie gegen den Abschluss protestieren. Nicht nur die kurzfristig gestoppte Eskalationsstrategie wird moniert, sondern auch das Ergebnis selbst."  ... "Der Abschluss ist ein fauler Kompromiss". Dieser Einschätzung folgen auch verschiedene linke Presseorgane mehr oder weniger. Von der "jungen Welt", über die "Rote Fahne", bis zur "UZ". Doch ist die Frage genauer zu untersuchen: Handelt es sich bei dem Tarifabschluss tatsächlich um einen faulen Kompromiss? Eine Einschätzung bot dazu das "Handelsblatt" aus Kapitalistensicht am 13. November: "... Zwar war absehbar, dass die IG Metall mit einem Arbeitskampf in ihren angestammten Domänen der Autoindustrie angesichts ohnehin geplanter Produktionsstopps wenig wirtschaftlichen Druck hätte aufbauen können. Doch die Zeiten sind nicht so, dass man sich deswegen ein Experiment wünschen wollte. ... Insofern geht es in Ordnung, dass die Arbeitgeberseite nicht noch härter verhandelt hat".

Das ist eine klare Sprache, die besagt, dass man zwar die Chance gesehen hat, der IG Metall eine vergleichbare Niederlage beizubringen, wie 2003 im Osten. Denn hätte man "härter verhandelt", wäre die IG Metall in den Streik gezwungen worden, in dem sie "wenig wirtschaftlichen Druck hätte aufbauen können". Doch dieses "Experiment" wünschte man sich (jetzt noch) nicht.

Aber sicher ist eines: wäre man auf das "Experiment" eingegangen und hätte die IG Metall in einen Streik gezwungen, dann wäre er von der Kapitalseite mit aller Konsequenz geführt worden. Das Ziel hätte dann geheißen: Niederlage und noch schlimmeres für die Gewerkschaft. Bei allen gewerkschaftsseitig überlegten Streikstrategien die kalte Aussperrung zu minimieren, darf nicht übersehen werden, dass die Kapitalisten sehr wohl in der Lage sind eine Auseinandersetzung eskalieren zu lassen. Das haben sie 1984 mit den Mitteln der Aussperrung und kalten Aussperrung bewiesen. Fast 300.000 MetallerInnen haben sie damals auf die Straße gesetzt. Die Mehrzahl bekam weder Streikunterstützung noch Kurzarbeitergeld. Der Unterschied zu Heute aber ist, dass die IG Metall mit dem Streik 1984 sehr starken wirtschaftlichen Druck auf die Unternehmer ausgeübt hat, was schließlich zu einer Tarifeinigung führte. Das ist heute nicht der Fall. Denn wie schreibt das "Handelsblatt": "... [die IGM hätte] wenig wirtschaftlichen Druck ... aufbauen können". Man kann davon ausgehen, dass unter dieser Voraussetzung der Kampfwillen bei einer wochenlangen Auseinandersetzung erlahmt. Auf der anderen Seite entwickelt ein jeder Streik seine eigene Dynamik, die zu einer Radikalisierung hätte führen können. Und diese Seite der Medaille ist wohl der Grund, dass die Kapitalseite das "Experiment" nicht wagte. Es lag also mitnichten an der "staatsbürgerlichen Verantwortung" der Kapitalisten, die unsere Gewerkschaftsführungen in so überreichlichem Maße haben, sondern an dem möglichen Risiko eines solchen Streiks. Nochmal das "Handelblatt" dazu: "... Dass ein großer Metallerstreik in diesen Tagen leicht in ein Debakel geführt und ebendieses System in seinen Grundfesten beschädigt hätte".

Sie fürchten also im Moment die gesellschaftliche Stimmung, in der die Akzeptanz zur kapitalistischen Marktwirtschaft schwindet. Eventuell hätte diese Stimmung durch einen Streik verstärkt werden können. Aber eben nur eventuell. Wahrscheinlicher wäre die Niederlage gewesen. Diese aber musste unter allen Umständen vermieden werden. Die Niederlage 2003 in Ostdeutschland zeigt, was eine Niederlage bedeuten kann. Dort bekommt die Gewerkschaft heute kaum noch den Fuß auf den Boden. Deshalb handelt es sich bei dem Tarifabschluss auch um keinen "faulen Kompromiss" sondern um das Machbare, das auch nur deshalb Zustande kam, weil eine massive Warnstreikwelle den erforderlichen Druck erzeugte und die Kapitalisten von Abenteuern abhielt.

Dass die Kapitalisten in der Tarifrunde nicht "härter verhandelt" haben ist also alleine taktischen Überlegungen geschuldet. Bei den Gewerkschaftsführungen scheint man das aber nicht erkannt zu haben. Die "Stuttgarter Zeitung" berichtet, dass im Bezirk sehr klagevoll diskutiert wird. So erhebt der Bezirksleiter Hofman den Vorwurf, es sei unfair verhandelt worden. Von Wortbruch und Trickserei ist die Rede, von Heimtücke. Ähnliche Töne sind von Huber und anderen zu hören, die sich jetzt beleidigt geben. Offensichtlich verstehen sie die Welt nicht mehr. Sie scheinen vergessen zu haben, dass auch Tariffragen Machtfragen sind und nichts anderes. Nur wer in der Ideologie der Sozialpartnerschaft gefangen ist, kann von dem Verhalten des Kapitals überrascht sein und prangert seine Vertreter mit moralischen Argumenten an. Aber das ist nicht nur das Problem der Führung, sondern das ist auch das Problem der aufgebrachten Mitgliedschaft. Auch sie kann nicht über ihren Schatten springen. Trotz vieler negativer Erfahrungen kann sie sich noch nicht eine Alternative zum kapitalistischen System vorstellen. Sie ist nur eine Klasse an sich. Um aber den Kapitalismus zu überwinden muss sie zur Klasse für sich werden, sie muss sich ihrer Rolle und Aufgabe bewusst werden.

Wenn deshalb jetzt die politische Linke und die Gewerkschaftslinke in linkssektiererischer Weise auftreten und von faulem Kompromiss und von Verrat sprechen, tun sie sich selbst keinen Gefallen. Mit dieser Haltung tragen sie dazu bei, dass sich der Frust bei kämpferischen KollegInnen erhöht und damit zukünftige Kämpfe erschwert. Wichtiger wäre jetzt in die emotional geführte Diskussion einzugreifen und über Klasseninteressen und Klassengegensätze aufzuklären.

Gesagt werden muss, dass die Kapitalisten sich rücksichtslos an ihren eigenen Interessen orientieren und an sonst nichts. Gesagt werden muss deshalb, dass der Abschluss zwar schlecht ist, aber trotzdem angenommen werden muss um auch in der Weltwirtschaftskrise noch einigermaßen handlungsfähig zu sein. Gesagt werden muss, dass die Kapitalisten die Krise benutzen werden, um die sozialen Standards verstärkt zurückzudrehen. So wie das beispielsweise bereits jetzt in der Branche Textile Dienstleistungen geschieht, wo die Unternehmer die 40-Stundenwoche verlangen und im Osten sogar die 43-Stundenwoche wollen. Natürlich ohne Lohnausgleich. Und gesagt werden muss, dass es zu Abwehrkämpfen kommen wird, auf die man sich jetzt vorbereiten muss und bei denen man mit einem Gegner konfrontiert sein wird, dem buchstäblich alles zuzutrauen ist. Und gesagt werden muss auch, dass sie sich in die Gewerkschaftspolitik stärker einzumischen haben. Denn die eigenen Angelegenheiten darf man nicht stellvertretend in fremde Hände legen.

Das alles müsste jetzt gesagt und auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die IG Metallführung wird es von sich aus nicht tun. Bleibt deshalb abzuwarten und zu hoffen, dass bei den wenigen klassenbewussten KollegInnen Vernunft einkehrt und sie bereit sind die zurückliegende Auseinandersetzung realistisch zu analysieren und entsprechende Rückschlüsse daraus zu ziehen.

Anfang Dezember 2008


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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 162, Winter 2009, Seite 12 bis 14
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2009