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ARBEITERSTIMME/247: 40 Jahre Berufsverbote oder der deutsche Sonderweg


Arbeiterstimme, Frühjahr 2012, Nr. 175
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

40 Jahre Berufsverbote

oder der deutsche Sonderweg



Der "Radikalenerlass" der sozial-liberalen Koalition von 1972 wurde dieses Jahr 40 Jahre alt. Der "Radikalenerlass" hatte zur Folge, dass tausende Linke Berufsverbote erhielten, weshalb sich dafür auch die Bezeichnung "Berufsverbot" eingebürgert hat.

Die Berufsverbote sind ein Sonderweg der deutschen Bourgeoisie im Klassenkampf - abgesehen von den USA in der McCarthy-Ära dürfte es in keinem bürgerlichen Staat zu solchen Exzessen gekommen sein. Doch die Berufsverbote sind nicht lediglich ein Ergebnis des kalten Krieges in der früheren BRD gewesen; sie haben in der deutschen Geschichte eine lange Tradition und sind von einem wütenden Antikommunismus und Hass gegen die Arbeiterbewegung gekennzeichnet. Während des deutschen Faschismus wurden Berufsverbote gegen die politischen Gegner, aber auch gegen Menschen jüdischen Glaubens, bzw. wen die Nazis dafür hielten, verhängt.

Deshalb fand der schöne deutsche Begriff "Berufsverbot" Eingang in andere Sprachen.

Im Januar 1972 beschloss die sozial-liberale Koalition unter dem "Mehr Demokratie wagen"-Kanzler Willy Brandt, wer im öffentlichen Dienst eingestellt werden durfte, nämlich "(...) wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung (...)" eintritt. Der Erlass war gegen die seit den späten 60er Jahren erstarkenden linken Bewegungen und Parteien gerichtet, in erster Linie gegen die DKP. Bis in die 80er Jahre wurden mehrere Millionen Menschen mit Hilfe der "Regelanfrage" bei den Verfassungsschutzämtern überprüft, Tausenden wurde die Einstellung im öffentlichen Dienst verweigert bzw. verloren ihren Arbeitsplatz. Betroffen von dieser Repression waren nicht nur die Mitglieder der kommunistischen Partei, sondern auch Mitglieder von Organisationen wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.


Berufsverbote im Kaiserreich

Damit reihte sich die damalige SPD/FDP Regierung in eine unsägliche deutsche Tradition, die kurz nach der Reichsgründung mit dem bismarckschen "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", kurz "Sozialistengesetz", angefangen hat.

In dem Gesetz vom 21. Oktober 1878 ("Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.") wurde verordnet:

"§ 1: [1] Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, sind zu verbieten. (...)

§ 23: Unter den im § 22 Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen kann gegen Gastwirthe, Schankwirthe, mit Branntwein oder Spiritus Kleinhandel treibende Personen, Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare und Inhaber von Lesekabinetten neben der Freiheitsstrafe auf Untersagung ihres Gewerbebetriebes erkannt werden."

Dieses Gesetz hatte zur Folge, dass tausende Genossinnen und Genossen ihre Arbeit verloren, verfolgt wurden, in die Zuchthäuser geworfen wurden oder aber ins Exil gehen mussten. Die Sozialistengesetze wurden 1890‍ ‍nicht mehr verlängert, aber auch danach waren die Mitglieder der SPD und der Gewerkschaften die Aussätzigen im Kaiserreich.

Das änderte sich scheinbar für einige hochgestellte Mitglieder der Arbeiterorganisationen nach der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten im Reichstag 1914. Für andere, die mit der deutschen Bourgeoisie und dem Militarismus ihren Frieden nicht geschlossen hatten, sah es anders aus: wer im Betrieb oder auf der Straße gegen den Krieg agitierte, wurde an die Front geschickt, sehr oft mit Zustimmung bzw. durch Denunziation der gewendeten SPD-Funktionäre.


Berufsverbote im Nationalsozialismus

Das Beamtentum in der Weimarer Republik war extrem reaktionär, antisemitisch und monarchistisch, was kein Wunder ist angesichts der gescheiterten Revolution und der damit ungebrochenen Kontinuität. Doch gab es zumindest formal keine Einschränkung der Berufsauswahl für politisch Missliebige. Das änderte sich mit der Machtübernahme der Nazis und dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933.

Paragraph 3 besagte: "Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen (...)". Weiter bestimmte dieses Gesetz: "Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden." Natürlich ging es nicht nur um Beamte: "auf Angestellte und Arbeiter finden die Vorschriften über Beamte sinngemäße Anwendung." Diese Nazi-Paragraphen, so schlimm sie auch waren, waren wie wir wissen nicht der Höhepunkt des faschistischen Terrors: Zehntausende Menschen, vor allem aus der Arbeiterbewegung waren mit der Machtübernahme der Nazis gezwungen, in die Illegalität oder ins Exil zu gehen, ebenso viele waren schon verhaftet beziehungsweise in "Schutzhaft". Schon vor der Verabschiedung dieses Gesetzes war das KZ-Dachau errichtet worden um politische Gegner, vor allem Mitglieder der Arbeiterparteien und -organisationen auch ohne "rechtmäßige" Verurteilung aus dem Weg zu schaffen.

1935‍ ‍wurde mit den Nürnberger Rassengesetzen die Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens oder Herkunft gesetzlich sanktioniert, ab dem 1. Januar 1939 verboten die Nazis Juden den Handel und das Handwerk. Standen diese Menschen schon vorher unter dem enormen Druck, ihre Betriebe zu verkaufen, hatten sie nun mit dieser Maßnahme keine andere Möglichkeit mehr.

Nach den organisierten Pogromen am 9./10. November 1938 folgten zwei Verordnungen, die die verbliebenen jüdischen Kaufleute und Handwerker endgültig zwangen aufzugeben. Jüdischen Beschäftigten wurde gekündigt, die Selbstständigen unterlagen einem weitgehenden Berufsverbot.


Willkommen in der Demokratie

Knapp ein Jahr nach Gründung der BRD, im September 1950, beschloss die Bundesregierung unter Konrad Adenauer einen Erlass "zur Verfassungstreue der öffentlich Bediensteten". Ziel war erneut, Kommunistinnen und Kommunisten und Antifaschistinnen und Antifaschisten aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Nicht einmal ein Jahr später, am 26. Juni 1951, verbot die Bundesregierung die Freie Deutsche Jugend und stellte im November desselben Jahres den Verbotsantrag gegen die KPD beim Bundesverfassungsgericht. Damit war nur fünf Jahre nach dem Ende des Terrors des deutschen Faschismus die Verfolgung von AntifaschistInnen und KommunistInnen wieder Alltag: Hunderttausende Ermittlungsverfahren wurden eröffnet, Zehntausende wurden entlassen, in Gefängnisse geworfen - meist von denselben Richtern, die bereits unter den Nazis die Genossinnen und Genossen verurteilt hatten. Von der Verfolgung waren auch Menschen betroffen, die "nur" aufrechte Demokratinnen und Demokraten waren: Alle, die sich nach Meinung der Herrschenden nicht genügend von der DDR, KPD, FDJ usw. distanzierten, waren suspekt und mussten mit Repressalien rechnen.

Betroffenen von Ermittlungsverfahren und Verurteilungen waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik vor allem Gegnerinnen und Gegner der Wiederaufrüstung und KommunistInnen. In der Zeit von 1950 bis 1968 gab es über 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 10.000 Verurteilungen wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.

Dabei sollten wir uns die "demokratische Verfasstheit" der BRD in diesen Jahren vor Augen führen: Gerade die Mitglieder der Beamtenkaste, Unternehmer, Ärzteschaft, die Juristen usw., die willfährigen Täter, kamen gänzlich ungeschoren davon. Zwar gab es "Entnazifizierungsmaßnahmen", sie wurden aber angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion immer großzügiger ausgelegt. Trotzdem, obwohl auch die Besatzungsmächte etliche für sie "brauchbare" Nazis vor der Strafverfolgung geschützt und in ihre Dienste genommen hatten, waren viele im Rahmen der "Entnazifizierungsmaßnahmen" ihren alten Job los oder sogar, was seltener vorkam, im Gefängnis.

Bereits nach der Gründung der BRD versuchten deshalb die Verantwortlichen die Begnadigung der verurteilten NS-Verbrecher zu erreichen, die FDP stellte schon Anfang 1950, knapp fünf Jahre nach Ende des deutschen Faschismus den Antrag auf Beendigung aller Entnazifizierungsmaßnahmen. Endlich wurde im Juli 1954 im Bundestag ein "Straffreiheitsgesetz" beschlossen, ein Amnestiegesetz für die NS-Täter. Damit war offiziell auch für die verurteilten Nazis der Weg in alle Ämter offen. Nazis, die vorher "nur" als Spitzel für das Bundesamt für Verfassungsschutz usw. arbeiteten, konnten jetzt mit Sicherheit damit rechnen verbeamtet zu werden.

Die Verfolgung und Repression gegen Kommunistinnen und Kommunisten dauerte bis in die späten 60er Jahre. Ein paar Jahre ließ die Verfolgung etwas nach, eben bis Januar 1972, bis zu den neuen Berufsverboten. Erstaunlich ist der Vergleich des Wortlautes des "Radikalenerlasses" von Willy Brand mit dem des Nazigesetzes. Nur einzelne Textbausteine der Nazis wurden ausgetauscht, "brauchbares" wurde einfach in den "Radikalenerlass" übernommen. Auch das zeugt von der enormen "antifaschistischen Gesinnung" der Regierenden.


Und heute?

Die "Radikalenerlasse" sind überall bis auf Bayern aufgehoben. Die "Regelanfrage" beim Inlandsgeheimdienst "Amt für Verfassungsschutz" ist einer "Bedarfsanfrage" gewichen, die bei "verdächtigen" Bewerberinnen und Bewerbern aber weiterhin in allen Bundesländern und im Bund durchgeführt wird. Das letzte große Berufsverbotsverfahren, das bundesweit von der Linken wie auch von den staatlichen Stellen aufmerksam beobachtet wurde, ist der Fall Michael Csaszkóczy (siehe unten).

Nur die Bayerische Regierung ist noch richtig auf der Wacht und schützt Land und Leute vor den Umstürzlern. Wer sich in Bayern für den öffentlichen Dienst bewerben möchte, und sei es nur ein studentischer Aushilfsjob in der Uni oder bei der Kommune, muss eine Erklärung zur "Verfassungstreue im öffentlichen Dienst" abgeben und kann in einer angehängten Liste ankreuzen bei welchen "extremistischen oder extremistisch beeinflussten Organisationen" er/sie Mitglied ist oder war, in welchen Zeiträumen und in welcher Funktion. Und wenn die eigene "extremistische Organisation" nicht aufgeführt ist? Auch dafür ist gesorgt: dann kreuzt man "sonstige" an und trägt die Bezeichnung der Gruppe/Organisation ein. Selbstverständlich ist, wie auch bei den Nazis und dem "Radikalenerlass" von 1972, der Passus vorhanden, dass "für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (...) entsprechend den jeweiligen tariflichen Bestimmungen dieselben Grundsätze (gelten)."

Auch die Beschäftigten freier Träger müssen in Bayern ihre "Verfassungstreue" kundtun wenn sie zum Beispiel im Rahmen der Schulsozialarbeit in staatlichen oder städtischen Schulen eingesetzt werden sollen. Aber in der Öffentlichkeit wird diese Einschränkung der freien Berufswahl noch nicht als Berufsverbot wahrgenommen.


Der Fall Michael Csaszkóczy

Anfang 2004 wurde unter der heutigen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) dem Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy aus politischen Gründen die Einstellung in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg verweigert. Als Grund wurde sein Engagement in der "Antifaschistischen Initiative Heidelberg" angegeben. Im Jahr 2006 schloss sich das Bundesland Hessen an und verweigerte dem Genossen Csaszkóczy ebenfalls aus politischen Gründen die Einstellung.

Dieses Berufsverbot wurde anfänglich von den zuständigen Verwaltungsgerichten abgenickt bis es im Urteil vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim im April 2007 für unrechtmäßig erklärt wurde. Im September desselben Jahres musste Baden-Württemberg Micha als Lehrer einstellen. Schließlich stellte das Landgericht Karlsruhe am 28. April fest, dass das Land Baden-Württemberg schuldhaft gehandelt hat und Michael Csaszkóczy Schadenersatz zusteht.

Der Ausgang dieses langen Kampfes ist als Erfolg zu bewerten nicht nur für Micha, sondern für alle Genossinnen und Genossen, die von Berufsverboten oder Betriebsrepression betroffen oder bedroht sind. Ausschlaggebend für diesen Erfolg war, dass Michael sich in keiner Weise von seinen politischen Ansichten distanziert hat, eine breite Unterstützung aus seinem politischen Umfeld, von ehemals Betroffenen des Berufsverbots, von der Roten Hilfe e.V., von seiner Gewerkschaft GEW und von vielen anderen Organisationen und Einzelpersonen erhalten hat.

Aber damit ist es nicht getan: Ziel ist die Rehabilitierung und Entschädigung aller Betroffenen aus den 50er, 60er und 70er Jahren, die Verbannung der gesetzlichen Grundlagen für die Berufsverbote aus den Gesetzbüchern und natürlich die Abschaffung jeglicher Geheimdienste in der BRD.

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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 175, Frühjahr 2012, S. 25-27
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2012