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ARBEITERSTIMME/376: Die zionistische Kampagne gegen Corbyn


Arbeiterstimme Nr. 201 - Herbst 2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die zionistische Kampagne gegen Corbyn


Die zionistische Kampagne gegen Jeremy Corbyn, die nicht lange, nachdem er zum Parteichef von Labour gewählt werden war, begann, ist in diesem Sommer intensiviert worden. Fast jeden Tag brachten die Medien eine Geschichte oder anderes über Corbyns angeblichen Antisemitismus. Diejenigen, die deren Falschheit aufzeigen wollten, bekamen wenig oder keinen Platz, um die wahren Fakten zu bringen. Der Fokus lag auf der Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Association) von Antisemitismus.

Das Nationale Exekutivkommittee von Labour übernahm die Definition der IHRA, nicht aber einige ihrer Beispiele, die entweder Kritik am Staat Israel verhindern oder eine solche Kritik als antisemitisch definieren. Die Definition wurde von Kenneth Stern entworfen, der 2017 vor dem US-Kongreß sprach, wo er erklärte, dass die Definition nur dafür gedacht war, um Daten zu sammeln, nicht um zu bestimmen, ob ein bestimmter Kommentar antisemitisch ist. Er fügte hinzu, dass sie benutzt worden war, um Gespräche an Universitäten zu verhindern, als israelische Diplomaten eingriffen, um solche Gespräche abzulehnen.

Liberty, die Menschenrechtskampagnengruppe, warnte vor der Definition der IHRA, da sie benutzt werde, um die freie Rede zu verhindern. Sie sei nicht hilfreich bei der Bekämpfung des Antisemitismus, da sie Kritik am Staat Israel als antisemitisch zu definieren scheine. Viele nicht-zionistische Gruppen hier und anderswo lehnen sie ab.

Sie wurde von rechten jüdischen Kräften benutzt, von Zionisten in der Labour Party und von rechten Labour-Abgeordneten, um Corbyn anzugreifen und um Labour als von Antisemiten überschwemmt darzustellen. Die meisten Abgeordneten von Labour haben sicher keinerlei Erfahrung mit Antisemitismus innerhalb der Partei gemacht. Das eigentliche Ziel ist, Corbyn abzulösen oder eine Regierung zu stoppen, die nach den Wahlen von ihm geführt würde.

Im Juli nannte ihn Margaret Hodge, die Tochter eines millionenschweren Bankers, der vor den Nazis geflohen war und seine Familie im Holocaust verloren hatte, eine rechte Labour-Abgeordnete, die in London gewählt wurde, und die Corbyn fast ihr ganzes Leben lang kennt und ihn daher als einen lebenslangen Kämpfer gegen Rassismus kennt, einen "verdammten Antisemiten und Rassisten", während sie im Parlament hinter dem Stuhl des Präsidenten stand. Als ich das in den Nachrichten hörte, dachte ich, sie muß wohl zu lange in der Bar gewesen sein. Ein anderer Abgeordneter beschwerte sich über ihr Benehmen. Das Ganze war offensichtlich ein Public-Relations-Trick, um den Druck auf Corbyn in den Medien zu erhöhen. In der Annahme, sie ruhigstellen zu können, ließ die Labour Party eine Untersuchung über ihr Benehmen fallen - das funktionierte nicht.

Ebenfalls im Juni, am selben Tag, brachten drei jüdische Zeitungen die Schlagzeile, dass eine Labour-Regierung eine "existentielle Bedrohung" für die jüdische Gemeinschaft in Großbritannien darstelle. Glauben die wirklich, dass Corbyn einen Plan hat, sie in irgendeiner Weise auszulöschen? Ihr Leitartikel kritisierte Labour, weil diese unterscheidet zwischen rassischem Antisemitismus, der falsch ist, und politischem Antisemitismus, der Israel kritisiert, welchen Labour akzeptiert. Die Herausgeber sehen kein Problem bei dem Gesetz, das vor kurzem in Israel verabschiedet wurde, welches jüdischen Bürgern eine gesetzliche Überlegenheit gibt, während es Araber zu Bürgern zweiter Klasse macht; das Gleiche gilt im Bezug auf die hebräische und die arabische Sprache. Das scheint die Beschuldigung zu rechtfertigen, Israel sei ein Apartheid-Staat.

Der nächste Trick war es, Corbyn anzuklagen, weil er ein Treffen im Parlament mit dem Holocaust-Überlebenden Hajo Meyer veranstaltet hatte, der Vergleiche gezogen hatte zwischen dem Holocaust der Nazis und den Verbrechen, die Israel an den Palästinensern begeht. Natürlich sind letztere, so schlimm sie auch sein mögen, nicht mit den Verbrechen der Nazis zu vergleichen. Wenn man die Geschehnisse in Gaza oder im Libanon in der Vergangenheit betrachtet, sieht man unmenschliche Brutalität und ist an die Nazis erinnert. Ich erinnere mich an ähnliche Gedanken in Bezug auf Aktionen der USA in Vietnam in den 60er und 70er Jahren.

Dem oben genannte Vorfall aus dem Jahr 2010 folgten Photos von Corbyn aus dem Jahr 2014, wo er in Tunis war. Er wurde beschuldigt, dort einen Kranz auf den Gräbern der Leute vom Schwarzen September niedergelegt zu haben, die die israelischen Sportler 1972 in München ermordet hatten. Zwei von deren Witwen wurden mobilisiert, um Corbyn zu denunzieren. Die Wahrheit war aber, dass Corbyn an einer Friedenskonferenz für den Nahen Osten in Tunis teilgenommen hatte. Er gedachte, zusammen mit anderen Teilnehmern, der 47 PLO-Mitglieder, die 1985 bei einem Luftschlag der Israelis getötet wurden. Die Leute vom Schwarzen September, die in Paris getötet wurden, sind in Libyen begraben. Es stellte sich heraus, dass ein Mitglied des Oberhauses, ein Liberaler, bei den Ereignissen in Tunis dabei war, ebenso wie der Tory Lord Sheik. Sheik wurde von zwei pro-israelischen Tory-Abgeordneten angegriffen. Einer von ihnen, Zac Goldstein, hatte in seinem Wahlkampf um Posten des Bürgermeisters 2016 in London Rassismus gegen seinen Widersacher Sadiq Khan von Labour eingesetzt - Khan gewann. Sogar Netanyahu versuchte, Corbyn mit einer Ehrung der Mörder vom Schwarzen September in Verbindung zu bringen.

Dann brandmarkte bei der Versammlung des Nationalen Exekutivkommittees von Labour Pete Willsman, jahrzehntelang eine führende Figur beim Kampf für die Demokratisierung Labours von oben nach unten und bei der Förderung des Sozialismus, während einer Diskussion über die antisemitische Verunglimpfung bestimmte Führer der jüdischen Gemeinschaft als "Trump-Fanatiker" (einige hatten Trump zu seiner Wahl gratuliert). Ein Feind von Corbyn im Exekutivkommittee hatte Petes Zornesausbruch aufgenommen und steckte das den Medien. Eine Kampagne gegen Willsman begann, wegen seines "Antisemitismus". Momentum, die Pro-Corbyn-Gruppierung in Labour, entfernte daraufhin Pete von ihrer Vorschlagsliste der Kandidaten für die Wahl 2018 zum Exekutivkommittee. Ihre Führung hat die Mitglieder nicht befragt. Es fehlt an einer demokratischen Struktur. Vielleicht wurde Pete auch als Rivale angesehen; einige von den Leuten um Corbyn warten darauf, ihn zu ersetzen, sollte er gehen.

Wie es auch sei, Walter Wolfgang verteidigte Pete als lebenslangen Antirassisten, der seine Stimme erhalten werde. Walter Wolfgang, der als linker Jude in den 30er Jahren aus Nazi-Deutschland geflohen war, war bekannt geworden, als er 2005 auf dem Parteitag von Labour physisch hinausgeworfen wurde, weil er den damaligen Außenminister Jack Stra während seiner Rede zum Irak "einen Lügner" genannt hatte, wonach er regulär in das Exekutivkommittee gewählt wurde. (Willsman wurde zusammen mit den anderen acht Mitgliedern von der Parteibasis in das Exekutivkommittee gewählt.)

Dann tauchte ein Video-Filmclip von einem Treffen in Palästina auf, das von einem Zionisten gemacht werden war, der regelmäßig solche Treffen filmt. Dort hatte Corbyn im Scherz geäußert: "Britische Zionisten verstehen den englischen Humor nicht." (Hier [in GB] sagt man, dass Amerikaner Humor nicht verstehen.) Die Passage, wo Corbyn seine Bewunderung für die lange Beteiligung der Juden an der Arbeiterbewegung ausdrückte, wurde nicht gezeigt. Wieder wurde Corbyns Scherz von der zionistischen Lobby als Beweis für "Antisemitismus" angeprangert.

Linke jüdische Organisationen haben versucht, der zionistischen Kampagne entgegenzutreten, aber ihnen fehlt die Unterstützung der Mächtigen und ihrer Medien. Einige, darunter Moshe Machover, hatten an den Generalsekretär von Labour geschrieben, um die israelische Einmischung in der Partei untersuchen zu lassen. Die vierteilige Dokumentation von Al-Jazeera, die im Januar 2017 gezeigt werden war, entlarvte den israelischen "Diplomaten" Shai Masot, wie er intrigierte, um israel-kritische Labour- und Tory-Abgeordnete fertig zu machen. Er arbeitete eng mit dem Jewish Labour Movement zusammen, das an die Labour Party angegliedert ist, und den Labour Friends of Israel. Er hatte einen großen Geldbetrag von der israelischen Regierung zur Verfügung. Nach seiner Entlarvung verließ Masot das Land. Mark Regev, der früher Ariel Sharons Mann für die Öffentlichkeitsarbeit gewesen war, kam hier als israelischer Botschafter an, unter anderem mit der Aufgabe, die BDS (Boycott, Disinvestment & Sanctions)-Kampagne zu bekämpfen, die im Anwachsen begriffen war. Ich habe lange geglaubt, dass die Kampagne gegen Corbyn wegen Antisemitismus ihren Ursprung in der Botschaft hatte.

Corbyn erfuhr beim Treffen des Labour-Exekutivkommittees am 4. September einen Rückschlag, als dieses beschloß, alle Beispiele der IHRA-Definition zu übernehmen. Obwohl Corbyn die Mehrheit hat, ließen ihn genug seiner Verbündeten im Stich. Sie dachten, dass dieser Schachzug die Antisemitismus-Behauptungen beenden werde. Corbyn versuchte, eine Formulierung hinzu zu fügen, um die freie Rede über Israel und das Recht, Kritik zu üben, zu schützen. Das scheiterte aber.

Die Labour-Rechten wollen versuchen, Corbyn auf dem Parteitag in diesem Monat abzusetzen. Eine Gruppe von Blair-Anhängern hat sich dem Führer der Liberalen, Vince Cable, und mit Brexit-Gegnern von den Tories getroffen, um über eine neue "Zentrumspartei" zu diskutieren. Heute (7.9.18) sagte Blair im Radio, dass eine Regierung von Corbyn eine "existentielle Bedrohung" für die Labour Party sein würde - der Mann, der sie liquidieren und zu den Liberalen führen wollte!

m.j.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 201 - Herbst 2018, Seite 31 bis 32
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2018

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