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AUFBAU/206: Indien - Städtische Zentren im Visier der "Naxalbari"


aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Städtische Zentren im Visier der "Naxalbari"


Indien - Die CPI(Maoist) ist wohl eine der bedeutendsten revolutionären Kräfte weltweit. Die indische Bourgeoisie tut alles, um sie zu bekämpfen. Polizeiliche Sondereinheiten werden geschaffen und Bürgerwehren aufgebaut. Trotzdem ist die maoistische Bewegung nicht aufzuhalten und verbreitet sich kontinuierlich auch in den Städten.


(agkk) Gemäss dem Konzept des langandauernden Volkskrieges in einem bäuerlich und halbfeudal dominierten Land, operiert die CPI(Maoist) (1) vorwiegend auf dem Land. Die Städte sollen vom Land her eingekreist werden. Ziel ist die Neue Demokratische Revolution (2) in einem ersten, der Aufbau des Sozialismus in einem weiteren Schritt. Doch durch die sich objektiv verändernden Bedingungen, das Erstarken der proletarischen Bevölkerung, das Anwachsen der Städte und ihrer ökonomischen Bedeutung, richtet die Partei ihr Augenmerk vermehrt auch auf die städtische Politik. Der neue Rahmen für diese Politik sind auch "Sonderwirtschaftszonen" (SEZ) und die Umwandlung von Ackerland in Industriezonen. Nicht weniger als 250 Vorschläge für SEZs in 21 indischen Staaten liegen der Regierung zur Genehmigung vor. Dagegen existieren allerdings grosse Massenbewegungen, denn minimale ArbeiterInnenrechte werden ausgeschaltet, keine oder minimale Steuern für die Kapital-EigentümerInnen erhoben.

In ihrem Papier CPI(Maoist) Urban Perspective (3) erläutert die Partei die Veränderungen auf objektiver und subjektiver Ebene, kritisiert ihre vergangenen Fehler und stellt ein korrigiertes Konzept für die urbanen Gebiete vor. Die Partei leistet damit eine originäre Antwort auf die konkrete Situation des heutigen Indiens.

Die MaoistInnen operieren primär im Osten des Landes, wo sich eine befreite "rote" Zone von der nepalesischen Grenze im Norden quer durch das Land bis in den Süden in den Bundesstaat Karnataka zieht. In diesen ärmsten, ländlich geprägten Regionen, in denen die in Stämmen lebenden Ureinwohner beheimatet sind, hat die maoistische Bewegung den bürgerlichen Staat vertrieben und ihre eigenen Räte und Volkskomitees eingesetzt.


Auch Schweizer Kapital profitiert

Dieses Jahr feiern Indien und die Schweiz ihren 60-jährigen Freundschaftsvertrag, der v.a. auf wirtschaftlichen Interessen beruht. Zu den schweizer Pionierfirmen gehörten die Maschinenfabrik Oerlikon-Bührle, die Eisenbahnwaggon-Produzenten Schlieren und Schindler sowie die Textilindustrie-Firmen Sulzer und Rieter. Der Pharmakonzern Ciba richtete Ende der 1950er Jahre in Bombay das grösste Forschungslaboratorium Asiens ein. Bereits während der Kolonialzeit waren Nestlé, Geigy und Brown Boveri da und bauten ihre Präsenz ständig weiter aus. Die Swissair war das erste Luftfahrtunternehmen, welches einen Teil seiner Buchhaltung und seiner Reservations-Systeme nach Bombay auslagerte. 2007 exportierte die Schweiz Waren im Wert von 2,3 Milliarden Franken nach Indien, 22,3% mehr als 2006. Mit dem geplanten Freihandelsabkommen könnten es bald viel mehr sein. Rieter beschäftigt heute 650 Angestellte in reinen Rieter-Firmen und 450 Leute in Joint-Venture-Unternehmen. "Das Land ist einer unserer Schlüsselmärkte, meint der Chef von Rieter Indien, Michael Enderle.



CPI(Maoist) Urban Perspective

In ihrem Text beleuchtet die Partei die objektive Situation: So leben heute in Indien bereits 27.5% der Bevölkerung in Städten. Während 1950 noch 56% der Produktion auf die Landwirtschaft fiel, sind es heute weniger als 25%. Innerhalb der Städte findet ein Prozess der De-Industrialisierung statt. Es entstehen neue Banken, IT- (4) und andere Dienstleistungsbetriebe: Entlassene FabrikarbeiterInnen werden arbeitslos oder werden gezwungen, unsichere, temporäre Jobs anzunehmen. Auch junge Leute arbeiten meist temporär und die Frauen werden zu tieferen Löhnen angestellt. Als Folge der Prekarisierung der Lebenssituationen kommt es nicht selten zu militanten Strassenkämpfen. Zu ihrer erhöhten Konzentration auf die Städte meint die CPI(Maoist): "Wir sollten nicht die Wichtigkeit der Tatsache unterschätzen, dass die Städte starke Zentren des Feindes sind. Das Aufbauen einer starken revolutionären Bewegung heisst, dass unsere Partei ein Netzwerk aufbauen sollte, welches fähig ist, fortwährend unseren Kampf zu führen bis der fortgeschrittene Volkskrieg die Ebene der strategischen Offensive erreicht. Aufgrund dieser langfristigen Perspektive sollten wir eine geheime Partei, eine geeinte Front und bewaffnete Teile des Volkes entwickeln, den Klassenkampf in den urbanen Gebieten intensivieren und die Unterstützung Millionen städtischer Massen für den Volkskrieg mobilisieren."

Die Partei sieht es als Aufgabe, das Proletariat in den Städten als führende Kraft aufzubauen. Von dort werden Kader aufs Land geschickt, um die Verbindung zwischen Proletariat und bäuerlichen Massen zu gewährleisten. Sie verweist auf ein dialektisches Verhältnis zwischen der Entwicklung der städtischen Bewegung und der Entwicklung des Volkskrieges auf dem Land.

Die CPI(Maoist) ist sich bewusst, dass sie in den Städten eine schwache Position hat. Sie arbeitet jedoch darauf hin, die Kräfte der Partei zu bewahren und weiter aufzubauen und gleichzeitig die urbanen Massen auf den revolutionären bewaffneten Kampf vorzubereiten. Ein Mittel für diese Arbeit sind verschiedene Massenorganisationen mit unterschiedlichem Charakter:

• verdeckte revolutionäre Massenorganisationen, die nur im Untergrund operieren und die Linie der Partei propagieren. Diese rekrutieren ihre Kräfte hauptsächlich aus der Jugend, den StudentInnen und ArbeiterInnen. Neben Plakaten, Broschüren, etc. werden auch militante Aktionen als Teil der Propaganda verstanden;
• offene und halboffene revolutionären Massenorganisationen, die die Politik der Neuen Demokratischen Revolution offen propagieren und die Bevölkerung auf den bewaffneten Kampf vorbereiten. Sie benutzen legale Möglichkeiten in Situationen, wo die Repression noch nicht allzu stark ist. Die führenden Kräfte werden jedoch verdeckt gehalten;
• offene legale Massenorganisationen, die keine direkte Verbindung zur Partei haben. Hier wird entweder Fraktionsarbeit geleistet, oder eigene Organisationen aufgebaut, wo keine solchen bestehen, zu Themen wie Frauendiskriminierung, Anti-Imperialismus oder das Kastensystem. Es ist der Beginn einer Kampagne der CPI(Maoist) zur urbanen Perspektive.


Vom Feind bestätigt

Gemäss einer Analyse des Institute for Defence Studies & Analyses (IDSA) (5) gelang es der CPI(Maoist den Volkskrieg in ganz Indien vorwärts zu bringen. Die People's Liberation Army (PLA), der militärische Arm der Partei, sei gestärkt und über die militanten Massenbewegungen gegen Globalisierung und Privatisierung seien neue Kader gewonnen worden. Die "NaxalitInnen" sind heute in 18 der 28 Bundesstaaten aktiv. Das Papier stellt fest, dass am 9. Kongress der Partei 2007 über 100 maoistische Führungspersonen aus 16 indischen Bundesstaaten und einzelne AktivistInnen aus Nepal, Bangladesch und den Philippinen teilnahmen. Dort wurde entschieden, den bewaffneten Kampf Auf städtische industrialisierte Gebiete auszudehnen. Trotz massiver staatlicher Sicherheitsvorkehrungen an der Jharkand-Orissa-Grenze habe der Kongress erfolgreich abgehalten werden können, und die Aufstandsbekämpfung der Regierung und deren Intelligenz seien in Frage zu stellen.

Den MaoistInnen wird attestiert, dass sie mit flexibler Taktik auf die Besonderheiten verschiedener Regionen reagieren. Es werde nicht etwa abrupt der bewaffnete Kampf aufgenommen, sondern Schritt für Schritt graduelle Konsolidierungen vorgenommen und die revolutionäre Gewalt den Gegebenheiten angepasst. Die lokalen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen sowie die Schwächen des Feindes würden sorgfältig analysiert. In ungünstigen Bedingungen bevorzugten die MaoistInnen ein niedriges Profil, beschränkten die Bewegungen auf politische Mobilisierungen und thematisierten lokale Probleme durch die Front-Organisationen.


Solidarität ist eine Waffe

Uns überzeugt die Analyse der CPI(Maoist), da sie die veränderten Bedingungen in Indien mit einbezieht. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Papier werden wir weiter im aufbau darüber berichten. Längerer Artikel auf www.aufbau. org. Wer sich für die maoistische Bewegung und ihren Kampf interessiert, kann mit uns Kontakt aufnehmen. Wir sind gerne bereit, Informations-Veranstaltungen zu organisieren und Solidaritätsaktionen zu unterstützen. Des Weiteren vertreiben wir eine Broschüre zur Situation in Indien mit einem Film zum Volkskrieg.



Demoralisierte Elite-Einheiten

Um die Bewegung zu zerschlagen, rüstet die indische Bourgeoisie Bürgerwehren wie die berüchtigte Salwa Juddum sowie "Anti-Rebellen"-Sondereinheiten konsequent auf. Salwa Juddum betreibt die Politik der verbrannten Dörfer. Vergewaltigte Frauen und Erschiessungen sind an der Tagesordnung. Allein im Distrikt Chhattisgarh sind bereits 644 Dörfer verlassen. Die polizeilichen Elite-Truppen allerdings erleiden vermehrt empfindliche Schläge durch die PLA. So wurde beispielsweise nachts das Haus eines ranghohen BJP-Politikers (6) angegriffen. Als eine Sondereinheit ausrückte, um die GenossInnen aufzureiben, wurde sie aus einem Hinterhalt erschossen. Ein ähnlich kühner Angriff auf ein Polizei-Motorboot forderte 35 tote sowie dutzende verletzte Polizisten. Die erfolgreichen Angriffe führen zu einer Demoralisierung der Polizeikräfte. Viele weigern sich weiter zu kämpfen oder müssen mit Sonderprämien bei der Stange gehalten werden.

Mit Blockaden von Strassen und Eisenbahnlinien und dem Vertreiben der Polizei schreckt die Bewegung auch potentielle Investoren ab, die sich diese ärmsten Regionen Indiens unter den Nagel reissen wollen, da sie reich an Kohle und Eisen sind. (7)


Anmerkungen:

(1) Kommunistische Partei Indien (Maoistisch) 

(2) Die "neudemokratische" Revolution wurde von Mao Tse-Tung für halbkoloniale, halbfeudale Länder entwickelt, da die Bedingungen für eine proletarische Revolution fehlen. Ihr Ziel ist die Verjagung der imperialistischen Mächte, die Zerstörung des Grossgrundbesitzes und Verteilung des Bodens an die BäuerInnen sowie die Enteignung des Grosskapitals.

(3) www.resistanceindia.wordpress.com/2007/10/30/cpi-maoist-urban-perspective/

(4) Informations-Technologie

(5) www.idsa.in/publications/stratcomments/NiharNa-yak060307.html

(6) Bharatiya Janatha Party (Hindu-faschistische Partei) 

(7) www.naxalrevolution.blogspot.com/2006/09/blazing-trail-journey-through-indian.html


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion
(kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008, S. 10
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2009