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AUFBAU/217: Baru - Der zeichnende Sportlehrer


aufbau Nr. 56, März/April 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Der zeichnende Sportlehrer

BARU - Dem französischen Comic-Schreiber Baru gelingt es, proletarische Figuren aberwitzige Geschichten erleben zu lassen. Mitreissend und klar: Comics von unten.


(az) Für den Sohn eines italienischen Fabrikarbeiters im industriellen Norden Frankreichs war schon die Ausbildung zum Sportlehrer eine steile Karriere, dass Baru, der damals noch Hervé Baruléa hiess, später auch noch Erfolg als Comickünstler hatte, übertraf das noch bei weitem und bildet eine äusserst seltene Ausnahme. Er zeichnet vorzugsweise, was er kennt, wobei er drastisch überzeichnet und typisiert. Die Alten sind Arbeiter, organisiert und jetzt arbeitslos. Die Jungen sind Machos, perspektivlos und individualisiert. Es sind meistens junge Männer aus der Banlieu, Immigrantenkinder aus Nordafrika, Polen oder sonstwo, die nicht nur sympathisch erscheinen. Doch sie geniessen spürbar die Sympathie des Autors. Frauen allerdings sind nicht seine Sache. Dabei muss man ihm zu Gute halten, dass er sich dessen bewusst zu sein scheint und sich ziemlich konsequent in einer Männerwelt bewegt an deren Rändern manchmal eine Frau auftaucht. Baru ist parteiisch. Er idealisiert oder beschönigt seine Figuren nicht, gibt ihnen Ecken und Kanten, bisweilen auch reaktionäre Züge. Aber Reaktionäres bleibt nie unwidersprochen. Und das entspannende an seinen Geschichten ist, dass es weder um Moral noch um den Kampf zwischen Gut und Böse geht. In fetzige Abenteuerromane eingebettet zeichnet Baru alltägliche Machtverhältnisse.

Am klarsten wird das in "Der Champion", der Geschichte über Said Boudiaf, der im von Frankreich besetzten Algerien davon träumt, in den USA Box-Weltmeister zu werden. Er weigert sich beharrlich, politisch Stellung zu beziehen, will nur Sportler sein, doch die politische Situation lässt dies objektiv nicht zu. Je erfolgreicher er ist, desto mehr instrumentalisieren ihn die Machthaber als französisches Aushängeschild, und umso kategorischer verlangt der algerische Widerstand seine Parteinahme. Die ganze Geschichte hindurch bemüht er sich krampfhaft wegzusehen und boxt sich unter französischer Flagge zum Europameister empor, bis zum 17. Oktober 1961.


Boxen, Sinnbild des Kampfs

In dieser Nacht erschiesst die französische Polizei in Paris unzählige algerische DemonstrantInnen vor Saids Haustür und er verschwindet, spurlos. Ist er unter den Toten? Ist er in den Untergrund gegangen? Baru überlässt die Antwort der Legendenbildung. Seine Bildergeschichten enden ohnehin bemerkenswert, denn er schafft es jeweils, den schlechten Gang der Dinge mit viel Optimismus abzuschliessen. Zwar ist die Situation schwierig, aber nicht auswegslos und da seine Figuren ProletarierInnen mit Galgenhumor sind oder einfach schon ziemlich vieles gewohnt, tragen sie das jeweils mit Fassung.

Die umfassendste Erzählung Barus, "Autoroute du soleil", nimmt ihren Ausgang in der Sprengung eines Stahlwerks. Hochofen 18 widersteht, weigert sich zwei Tage lang zu fallen. Die alten Arbeiter jubeln, die Ingenieure schäumen. Das deprimierende Ende kommt aber natürlich dennoch, der Stahlriese fällt schliesslich. In angemessener Distanz beobachten zwei junge Männer das Spektakel unbeteiligt, sie sind die Hauptfiguren einer sehr unwahrscheinlichen, aber spannenden und rassistisch aufgeladenen Erzählung. Karim interessiert sich ausschliesslich für Kleider, seine Frisur, Autos und Frauen - vorzugsweise verheiratete Frauen - und der jugendliche, unerfahrene Alex vergöttert ihn. Aus Nachlässigkeit und Pech geraten die beiden ins Visier des komplett durchgeknallten lokalen Führers der Faschisten und es folgen 300 Seiten Mord und Todschlag - Barus Comics können nicht als jugendfrei bezeichnet werden. Aber was in einem Film unausstehlich wäre, kann in einem Comic amüsant und fesselnd sein. Hier braucht die Geschichte nicht realistisch zu sein und sogar die Gewaltexzesse bleiben in gezeichneter Form explizit und gleichzeitig abstrakt.


Räuber und Poli in echt

Eine unbeschwerte Abwechslung in seinem Werk ist die vierhändige Erzählung über "seine" Kindheit in einem Fabrikdorf in Lothringen, wobei Baru nie preis gegeben hat, wie viel davon reine Fiktion ist und was autobiographisch. Es ist auch egal, denn gerade so hätte er sich seine Kindheit gewünscht und das sagt viel aus über ihn. "Die Sputnikjahre" sind seine einzigen Kindercomics, die aber besonders für Erwachsene sehr lesenswert sind. Fussball, Schule und Kinderkram sind das Thema, doch betten sie sich in eine hochpolitisierte Zeit ein, in welcher der antikommunistische Pfaffe von der Kanzel hetzt und die kommunistische Partei selbstbewusst das Dorf mit dem Sputnik-Signal beschallt und den Sieg über den Kapitalismus verkündet. Die Jungs erklären sich zu Kommunisten-Indianern - beides rot, passt aus ihrer Sicht bestens - und spielen weiter, was von der KPF zwar nicht gewürdigt wird, dem Klassenkampf aber keinen Abbruch tut. Das turbulente Ende gipfelt im Streik und der Besetzung der Fabrik und darin, dass die Kommunisten-Indianer beschliessen, ihren Vätern im Kampf beizustehen und die Sondereinheiten der Polizei angreifen, mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Das führt zum totalen Chaos, gleichzeitig aber auch zum Sieg. Allerdings wird sich der Sieg als kurzfristig erweisen, die Fabrik wird doch noch geschlossen und die Familie zieht weiter ins nächste Fabrikdorf.

Nach einer langen Pause - Baru gehört zu jenen Comic-Autoren, die nicht sehr häufig publizieren - ist 2008 ein neuer Comic erschienen: "Pauvres Zhéros", was übersetzt wohl "Arme Nullhelden" hiesse, aber erst auf Französisch vorliegt. Es handelt sich hierbei um die Adaptation eines Buches von Pierre Pelot und die Erzählung ist im Gegensatz zum restlichen Werk Barus melancholisch und endet tragisch. Ein schönes Buch, voller Sympathie, aber ohne Ausweg. Es bleibt zu hoffen, dass er nicht seinen Mut verloren hat.


Zitierte Bücher von Baru:

Autoroute du soleil, Edition Moderne, 2000 (vergriffen). Neuauflage bei Carlsen Comics, 2007.

Die Sputnikjahre: 1-4, alle bei Carlsen Comics erschienen, 2002-2004. Bd. 1 "Der Elfmeter", Bd. 2 "Ich bin der Anführer", Bd. 3 "Biep-Biep!" Bd. 4 "Wumm! Wumm! Haut sie alle um!"

Der Champion, Carlsen Comics 2002.

Pauvres Zhéros, Casterman, 2008.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 56, März/April 2009, Seite 16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2009