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AUFBAU/297: Buchbesprechung - "Die Grünen" von Jutta Ditfurth


aufbau Nr. Nr. 66, September/Oktober 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

PARTEIEN
Ein Motor des neokonservativen Rollbacks

Die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung und Der Grünen in Deutschland ist die Geschichte des militanten Widerstandes, der imperialistischen Kriege und der Politik der Armut.


(az) In den 70er Jahren organisierten sich ca. 20.000 AKW GegnerInnen in Bürgerinitiativen und ihre "politische Kritik wurde grundsätzlicher und systemkritischer", erzählt die Journalistin und Politikerin Jutta Ditfurth in ihrem neuen Buch über die Geschichte der Grünen. Damals wollten sie das Atomprogramm der Regierung unbedingt und vollständig beenden. Jutta Ditfurth war selber Teil dieser Bewegung: "Wir vertrauten uns selbst, waren durch keinen 'Dialog', keinen 'runden Tisch', kein Mediationsverfahren und keine Mediation zu befrieden. Wir galten, als "politikunfähig", wie Systemoppositionelle stets genannt werden, weil sie sich nicht anpassen wollen, weil sie wissen, dass sie nur so diese Gesellschaft verändern können" (S. 49). Sie waren militant und kämpften gegen alle Arten von Atomanlagen, ob AKW oder Atommülldeponie oder Schnelle Brüter, wo auch immer, auf der Strasse, auf den Anlagen, an Veranstaltungen und in internationalen Konferenzen. Jutta Ditfurth beschreibt die Bewegung und ihre Erfolge, aber auch die systematische Staatsgewalt gegen jede Art von "politikunfähigen" Widerstand und den ideologisch und technisch hochgerüsteten sozialdemokratischen "Sicherheitsstaat", der eine kaum fassbare Repressionswelle lostrat.


Die Wahlfrage

Einige, so Ditfurth, verloren ob der staatlichen Gewalt den Mut und zogen sich zurück. Andere stellten die Frage der Aufnahme des bewaffneten Kampfes und eine dritte Gruppe, zu der Ditfurth gehörte, konfrontierte sich mit der so genannten Wahlfrage. Es ging vorerst nicht um die Gründung einer Partei, sondern um die Frage der Wahlbeteiligung von "bunten, grünen und alternativen Listen", "als zusätzliche Option zu unseren ausserparlamentarischen Aktivitäten, denn die waren unser Standbein, die Basis" (S. 60). Aber: "Wir bestreiten nicht, dass diejenigen langfristig recht haben könnten, die uns vor den Mechanismen der Integration warnten, weil parlamentarische Arbeit die an ihr Teilnehmenden vielfältigen Anpassungsmechanismen aussetzt" (S. 60).

Im Januar 1980 wurde die Partei Die Grünen gegründet, wo "wir noch politisch unendlich viel verändern wollten: Alle Atomanlagen sofort stilllegen. Die Stationierung neuer Raketen verhindern, raus aus der NATO. Quantitatives Wirtschaftswachstum begrenzen. Humanere Wohnungen. Kürzere Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Den Paragrafen 218 abschaffen. Schutz von Minderheiten. Eine andere Weltwirtschaftsordnung" (S.66).


Die Kriegspartei

Es kam anders. Hatte die (ausserparlamentarische) Anti-AKW - Bewegung nicht wenige AKW's verhindert und tief in die Gesellschaft hineingewirkt (S. 47), liest sich die Geschichte der Grünen ab Ende der achtziger Jahre als die Geschichte des Paktierens mit der Atommafia und der Verhinderung eines Atomausstiegs und ab Ende der neunziger Jahre als die Geschichte einer Partei, der es wie keiner anderen Partei in Deutschland gelang, einen "skeptischen, ökologisch angehauchten und sozial noch nicht vollends skrupellosen Teil der Mittelschicht in die herrschende Politik einzubinden und mitzuziehen: heim ins Reich, notfalls in den Krieg" (S. 147 und konkret 4/1 995). Am 24. März 1999, 54 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, beteiligte sich Deutschland mit seinem frisch gewählten grünen Aussenminister zu ersten Mal wieder an einen Krieg, gegen Jugoslawien. Er meinte, "wir führen keinen Krieg, wir leisten Widerstand, verteidigen Menschenrechte, Freiheit und Demokratie" (S. 177). Seine Wähler waren ihm für diesen Kampf um Worte in Zeiten des Krieges dankbar. Diesem und seinen politischen und wirtschaftlichen Hintergründen widmet Ditfurth das längste Kapitel in ihrem Buch, das für sich allein politisch hoch interessant ist.

Jutta Ditfurth war bis zur Spaltung der Partei und ihrem Austritt im Jahre 1991 Bundesvorsitzende der Partei. Sie analysiert scharfsinnig die Entwicklung von der antikapitalistischen militanten Anti-AKW-Bewegung bis zu der reaktionären Partei, wie Die Grünen sich heute präsentieren - als eine von Kapitalinteressen und Sachzwängen des Machterhaltes gefesselte Partei, die zum Motor "des neokonservativen Rollbacks" wurde. Ihre Analyse ist ein politisches Lehrstück. Es lohnt sich, sich darin zu vertiefen.


Jutta Ditfurth, Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen, Rotbuch Verlag, Berlin, 1. Auflage 2011.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich Jagj)


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Quelle:
aufbau Nr. 66, September/Oktober 2011, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2011