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AUFBAU/363: Vom Volkshaus zum Konsumtempel


aufbau nr. 74, sept/okt 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Vom Volkshaus zum Konsumtempel



STADTENTWICKLUNG Die Gentrifizierung macht auch vor Winterthur keinen Halt. Auf den Abriss des Volkshauses folgt das Prestigeobjekt "die Archhöfe".


(raw) Das Archareal in Winterthur hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Das heute an bester Lage direkt am Bahnhof vorzufindende Areal, lag Anfang des 19. Jahrhunderts noch weit am westlichen Stadtrand. Mit steigender Bedeutung des Zugverkehrs entstand jedoch bald ein eigentlicher Stadtplatz. Die Eulach musste in einem Grossprojekt in den Untergrund weichen und die Industriebetriebe verschoben ihren Standort. Somit wurde zum ersten Mal Platz frei für eine Neunutzung des Areals.

Hier kommt die Winterthurer ArbeiterInnenbewegung zum Zuge. Diese suchten nach einem identitätstiftenden Volkshaus. Man schaute dabei wohl auch etwas neidisch auf das Zürcher Volkshaus, das bereits im Jahr 1910 eröffnet wurde. In Zeiten steigender sozialer Spannungen, kurz vor dem zweiten Weltkrieg, konkretisierten sich die Pläne zum Bau. So entstand 1937/1938 der markante Bau auf dem Archareal. Das Haus bot von nun an Versammlungssäle, Räume für die Gewerkschaften, Hotelzimmer und eine Gartenwirtschaft. Die Arbeiterzeitung schrieb damals in einer Sonderbeilage: "Das ist ein ganz besonderer Freudentag und ein Markstein in der Geschichte der Arbeiterbewegung des Platzes Winterthur." In der folgenden Zeit wurde das Volkshaus intensiv genutzt, einerseits für politische Veranstaltungen, andererseits auch für kulturelle Unterhaltung.

Die Geschichte des Volkshauses lässt sich nicht erzählen, ohne das direkt daneben stehende Archparkhaus zu erwähnen. Die boomenden Autozeiten der 60er Jahre verlockten auch Winterthur dazu, direkt am Bahnhof und nahe der Altstadt ein Parkhaus zu bauen. Die Stadt trat das Land an eine Ladenvereinigung ab, die für 1.2 Millionen Franken Unterstellplätze für 400 Autos baute. In der folgenden Zeit warf das, eigentlich nur als Provisorium für zehn Jahre geplante, Gebäude guten Gewinn ab. Die Aktionäre freuten sich über ihre Dividenden und die Stadt erhielt Steuern und Gewinnbeteiligung.


Gegenwart

Was nun seit dem Dezember 2004, dem Monat des Abbruchs des Volkshauses, auf dem Archareal geschehen ist, lässt sich nahtlos in die aktuelle - im übrigen sozialdemokratische - Standortaufwertungspolitik der Stadt Winterthur einreihen. Zu deren Opfern sich bereits das Sulzerareal zählen lässt, das in Loftwüsten und einen Konsumtempel namens Lokwerk und Kesselhaus umgebaut wurde.

Die Stadt Winterthur beugt sich, wie alle Städte in der Schweiz, der Vermarktungslogik des Kapitals und beauftragt das Generalunternehmen Halter AG, Investoren für eine Mehrzwecküberbauung auf dem Archareal zu suchen. Der Investor wird nach längerer Suche gefunden: Die BVK Personalvorsorge des Kantons Zürich, die schon mit der Investition in die SIDI-Überbauung für im Hochpreissegment angesiedelten Wohnraum sorgte.

In einer Medienmitteilung des Regierungsrates zur Unterzeichnung der Verträge zwischen Halter AG und BVK Personalvorsorge lässt sich die unverblümte Absicht dieses Bauvorhabens erkennen. Der Regierungsrat sei überzeugt, eine nachhaltige Lösung gefunden zu haben, die das Stadtzentrum Winterthurs an diesem Ort sichtbar aufwerten wird. Er ist zuversichtlich, dass sich die Wohnungen gut vermieten lassen. Zielpublikum sind gut verdienende Singles und Paare ohne Kinder sowie Paare in der Nachfamilienphase.

Angesichts dessen, dass bezahlbarer Wohnraum immer rarer wird und das Konsumangebot in Winterthur schon mehr als gesättigt ist, scheint diese neue Überbauung nur ein schlechter Witz zu sein. Leider könnte es aber realer kaum sein. 3.5-Zimmer Wohnungen für Fr. 5579.- gehören auf dem Archareal schon jetzt zum Alltag.

Die Archhöfe bringen aber nicht nur extrem teure Wohnungen und die gesteigerte Dekadenz des Konsumterrors in Winterthur mit sich. Sie fördern auch die bereits existierenden negativen Folgen, welche die Gentrifizierung im öffentlichen Raum mit sich bringt. Alles was das konstruierte Stadtbild stört, wird verdrängt. Seien es Drogensüchtige und Obdachlose, die aus dem Stadtpark vertrieben, Flüchtlinge, die vermehrt durch die Polizei kontrolliert und schikaniert werden (Aktion Sahara) oder PartygängerInnen, die nicht um 22.00 Uhr ins Bett gehen wollen, um die wohlhabenden AltstadtbewohnerInnen in ihren überteuerten Wohnungen schlafen zu lassen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau nr. 74, sept/okt 2013, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Basel@aufbau.ch
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2013