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AUFBAU/379: Spionage - Die Snowden-Leaks


aufbau Nr. 76, märz / april 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

SPIONAGE
Die Snowden-Leaks

Ein Überblick über das Leben und die Enthüllungen Edward Snowdens.



(rabs) "Am Ende fürchtet sich die Obama-Administration nicht vor Whistleblowern wie mir, Bradley Manning oder Thomas Drake. Wir sind staatenlos, eingesperrt und machtlos. Nein, die Obama-Administration fürchtet sich vor euch. Sie hat Angst vor einer informierten, wütenden Öffentlichkeit [...] - und sie soll Angst haben". Mit diesen Worten wandte sich Edward Snowden acht Tage nach seiner Ankunft in Moskau schriftlich an die Öffentlichkeit. Doch beginnen wir von vorne.

Im Jahr 2003 begann die staatliche Karriere von Snowden: Er trat in eine Spezialeinheit der US Army-Reserve ein, konnte aber das Training aufgrund eines Unfalls nicht abschliessen. Nach einem Job als Wächter einer verdeckten National Security Agency (NSA)-Installation begann er als Informatik-Sicherheitsexperte bei der CIA zu arbeiten. Während seiner Zeit bei der CIA war er unter anderem in Genf stationiert, wo er für die Netzwerksicherheit verantwortlich war. Aus dieser Zeit stammt eine Anekdote, in der ein Banker gedrängt wurde, betrunken Auto zu fahren. Später half ihm ein CIA-Agent nach der Verhaftung, um so erfolgreich das Vertrauen des Bankers zu gewinnen und ihn anzuwerben. Snowden dazu: "Vieles, was ich in Genf sah, zerstörte meine Illusion über meine Regierungs-Funktionen und wie sie die Welt beeinflussen". Während dieser Zeit spielte er erstmals mit dem Gedanken, Regierungsgeheimnisse zu veröffentlichen. Zwei Dinge hielten ihn davon ab: Die CIA-Geheimnisse waren meist personeller Natur, und er wollte keine Personen in Gefahr bringen. Ebenfalls hoffte er, dass sich durch die Wahl Obamas die US-Geheimdienstwelt zum Positiven verändern würde, und so mögliche Veröffentlichungen unnötig würden.

Im Jahr 2009 verliess er die CIA, und begann für Dell zu arbeiten, die als Dienstleisterin Arbeiten im Auftrag der NSA ausführte. Während dieser Zeit war er auf einer US-Militärbasis in Japan stationiert, und konnte beobachten, wie die Richtlinien, von denen er hoffte, dass sie abgeschafft würden, durch die Obama-Administration verschärft wurden. In den nächsten drei Jahren lernte er das Verhalten der NSA kennen, das er als "das Bestreben, jede Konversation und jede Form von Verhalten auf der Welt zu kennen" beschreibt. Als er erkannte, dass das Überwachungsnetzwerk der NSA bald unumgänglich wäre, entschied er sich zu handeln. Er selbst beschreibt sein Handeln nicht als Heldentum, sondern sieht es als Selbstinteresse: "Ich will nicht in einer Welt leben, in der es keine Privatsphäre gibt, und entsprechend keinen Raum für intellektuelle Forschungen und Kreativität". Im Februar 2013 begann er für Booz Allen Hamilton zu arbeiten, die als Dienstleisterin für die NSA tätig war. Diesen Job nahm er an, um an weitere Daten über die NSA zu kommen. Seine Aufgabe bestand nach eigener Beschreibung darin, neue Wege zu finden, um Datenverkehr und Telefongespräche auf der Welt abzuhören. Bereits im Jahr 2012 angebahnt, kam während dieser Zeit der Kontakt zum Guardian-Journalist Glenn Greenwald zustande, dem er geheime Informationen übergab. Am 20. Mai flog Snowden nach Hongkong, wo er sich aufhielt, während die ersten Artikel über die von ihm offen gelegten Dokumente erschienen. Am 23. Juni landete Snowden auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo, wo ihm der Weiterflug nach Ecuador verweigert wurde, da die USA inzwischen seinen Pass annulliert hatten. Nachdem er 39 Tage in der internationalen Zone des Flughafen fest sass, wurde ihm in Russland für ein Jahr temporäres Asyl gewährt.


Enthüllungen

Durch Snowdens Enthüllungen kamen einige bisher unbekannte Programme von verschiedenen Geheimdiensten ans Licht. Die Bekanntesten darunter sind PRISM und Boundless Informant der NSA, sowie Tempora vom GCHQ (Government Communications Headquarters, der Abhördienst der Briten). Ebenfalls ins Zentrum gerückt wurde die Zusammenarbeit verschiedener Geheimdienste, speziell die "Five Eyes"-Zusammenarbeit zwischen Australien, Kanada, Grossbritannien, den USA und Neuseeland.

In diesem Abschnitt werden die genannten Programme grob beschrieben, um einerseits einen Überblick über das Ausmass der Überwachung zu geben, andererseits um als Orientierungshilfe für den technischen Teil der - leider nur auf niedrigem Niveau laufenden - Debatte über Überwachung zu dienen.

PRISM ist ein Abhörprogramm, das mit Hilfe grosser Internetkonzerne auf die Daten der BenutzerInnen zugreifen kann. Bemerkenswerte Partner in diesem Programm sind Microsoft (Skype, Hotmail), Google (Gmail, Google+, Youtube), Facebook, Apple und Yahoo. Mittels PRISM wurden im Moment der Veröffentlichung durch Snowden rund 100.000 Ziele überwacht (wobei nicht klar ist, ob unter einem Ziel ein Konto bei einem Dienst oder eine Person zu verstehen ist). Dies bedeutet, dass jegliche Kommunikation, die über die betreffenden Konten geführt wird, über einen der genannten Internetkonzerne direkt zur NSA weitergeleitet und ausgewertet wird. Mittels PRISM kann auch unbeschränkt auf bei den Anbietern gespeicherte Kommunikation zugegriffen werden, so dass auch alte Informationen durchsuchbar sind. Die beteiligten Internetkonzerne streiten ihr Mitwirken bei PRISM ab, lassen aber teilweise durchblicken, dass sie eine Beteiligung nicht bestätigen dürfen.

Boundless Informant ist ein gross angelegtes Informationssystem, durch das alle gesammelten Kommunikationsranddaten (also Daten wie Zeitpunkt, Telefonnummern oder Emailadressen und Dauer) zentral auswertbar sind. MitarbeiterInnen der NSA können dabei sowohl direkt auf die gespeicherten Daten zugreifen, als auch diverse Statistiken auswerten. Mittels dieses Systems können auch soziale Beziehungsnetze nachgezeichnet werden, um interessante Zielpersonen zu finden, also z.B. zentrale Personen einer Organisation oder Verbindungsleute zwischen Organisationen. Boundless Informant übernimmt hierbei auch den Teil, das Puzzle zusammenzusetzen: Daten aus verschiedenen Quellen (NSA-Eigene sowie Quellen von Partnerdiensten) werden miteinander in Verbindung gebracht, um eine bessere Übersicht und ein detaillierteres Bild zu bieten. Tempora ist ein Programm des britischen Geheimdienst GCHQ, das auf das weltweite Abfangen von Daten, die über Unterseekabel und andere zentrale Kommunikationsleitungen übertragen werden, spezialisiert ist. Die Daten werden auch der NSA zur Verfügung gestellt. Dieses Programm ist das bisher grösste bekannte Abhörsystem: Pro Tag werden rund 600 Millionen Telefongespräche abgefangen, die über die 200 abgehörten Glasfaserkabel laufen. Ebenfalls abgefangen wird die Internetkommunikation. Im Mai 2013 waren 550 AnalystInnen ausschliesslich damit beschäftigt, die Datenflut zu bewältigen, während alleine durch die NSA 850.000 weitere Personen Zugang zu den Daten haben. Der Inhalt der Kommunikation wird für drei Tage gespeichert, die Verbindungsdaten für 30. Falls für die Dienste interessante Informationen abgefangen werden, werden sie zur längeren Speicherung auf andere Systeme kopiert.


Die Qualität in der Masse finden

Bei den aufgedeckten Programmen handelt es sich grob um zwei verschiedene Typen: Einerseits werden immer mehr Daten gesammelt, gespeichert und ausgewertet, andererseits stehen die Geheimdienste vor dem Problem, in riesigen Datenbergen verwertbare Informationen finden zu müssen. Zu diesem Zweck werden vor allem bekannte Schlüsselfiguren überwacht. Mittels der Analyse von sozialen Beziehungsnetzen sollen primär neue Schlüsselpersonen gefunden werden, die dann überwacht werden, sowie einen Überblick über Organisationsstrukturen geschaffen werden. Die NSA gab in einer Anhörung an, in einem Beziehungsnetzwerk bis zu drei Ebenen von Kontakten analysieren zu dürfen - also Personen, die eine Person kennen, die eine Person kennt, die eine Zielperson kennt. Bei einem durchschnittlichen Facebook-Account sind dies bis zu fünf Millionen Leute [1]. Ebenfalls existieren Programme, die die Kommunikation automatisiert auf Verdachtsmomente überprüfen und entsprechend Leute zum Ziel einer manuellen Überwachung oder gar zur Schlüsselperson machen.

Allgemein bestätigt sich durch die Enthüllungen die weit verbreitete Annahme, dass jegliche Kommunikation über öffentliche Kanäle als überwacht gelten muss. Als Konsequenz daraus muss ein bewusster Umgang mit der Kommunikation gefunden werden: Was kann unverschlüsselt übertragen werden, was verschlüsselt und was gar nicht? Wie soll mit der Auswertung von Kommunikationsdaten zur Analyse sozialer Beziehungsnetze umgegangen werden? Wie soll mit den im Internet zur Verfügung gestellten sozialen Netzwerken wie Facebook umgegangen werden? [2] Wie weit soll und kann versucht werden, in der Masse der uninteressanten Kommunikation unterzugehen? Ab welcher Intensität wirkt das Verhindern der Überwachung verdächtig? Diese Fragen können nicht generell beantwortet werden, sondern müssen im Kontext der betreffenden Kommunikation und unter Einbezug neuer technischer Möglichkeiten stets von Neuem betrachtet werden.


Anmerkungen
1 http://www.theguardian.com/worId/interactive/2013/oct/28/nsa-files-decoded-hops

2 Für eine Kritik an Facebook und Co. siehe
http://www.nadir.org/news/Plötzlich_plappern_Anna_und_Arthur.html

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 76, märz / april 2014, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2014