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AUFBAU/390: Man glaubt es - oder man glaubt es nicht


aufbau Nr. 77, mai / juni 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Man glaubt es - oder man glaubt es nicht

GOTT HÖCHSTSELBST - In einem Comic ist Gott auf der Erde gelandet und spaltet die Gemüter und das noch mehr als in Abwesenheit. Ein erhellendes Gedankenspiel zur Frage der Existenz Gottes.



(az) Existiert Gott? Diese Frage treibt viele um und das seit Langem. Im Prinzip müsste sie AtheistInnen nicht beschäftigen. Es ist unsinnig von uns zu verlangen, die "Nicht-Existenz" zu beweisen, wissenschaftlich betrachtet steht die andere Seite in der Beweisschuld. Und deshalb wäre es eigentlich ganz einfach: Solange uns die Existenz Gottes nicht sehr handfest und nachweisbar dargelegt werden kann, ist dieser "Gott" nicht mehr als eine Arbeitshypothese der Gläubigen, eine äusserst gewagte Annahme, die bis zum Beweis des Gegenteils zu verwerfen ist.

Aber die gesellschaftliche und historische Realität nötigt uns immer wieder zur Auseinandersetzung mit der Frage. Marc-Antoine Mathieu hat sich ihr gestellt und das konsequent durchgezogen. In seinem Comic existiert Gott und zwar hier, vor Ort, greifbar, sichtbar, beweisbar. Schliesslich müsste ein allmächtiger Gott fähig sein, sich auf der Welt zu materialisieren. Die gesellschaftliche Realität verändert sich damit aber fundamental. Die Auseinandersetzung wird konkret, wird vom Distanz- zum Nahkampf.


Höchstselbst vor Ort

Im Comic "Gott höchstselbst" tritt Gott also höchstselbst in einer unbestimmten Stadt und zu einem unbestimmten Zeitpunkt in Erscheinung. Wie bei Jesus beginnt die Geschichte wieder damit, dass sich alle persönlich im Einwohnerkontrollamt zur Registrierung melden müssen. Die ersten Worte des Comics werden vom Beamten gesprochen: "Ach, das ist ja interessant. Sie haben weder Personenkennziffer, noch Sozialversicherungsnummer, noch Herkunftsnachweis, noch Wohnsitz, noch Identitätspapiere... Man könnte meinen, Sie existieren gar nicht!" und Gott antwortet darauf: "Existieren? Na ja, äh... wie soll ich sagen... es kommt darauf an. Ja und nein, es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht." Aber diese Antwort erweist sich in diesem veränderten Kontext schnell als falsch. Denn der anwesende Gott ist im Gegensatz zum abwesenden durchaus beweisbar. Und so passiert es dann auch: Gott wird allen Experimenten und Tests unterzogen, die sich Wissenschaftler ausdenken können und: Er ist es! Er weiss alles, selbst die schwierigsten Fragen sind für ihn ein Kinderspiel. Die Welt akzeptiert deshalb, dass es sich hier tatsächlich um Gott handelt. Was aber neben sehr viel Begeisterung auch ganz viele neue Fragen aufs Tapet bringt. Ist ja logisch, man muss sich das vergegenwärtigen: Wenn es ihn wirklich gibt, wieso macht er dann nichts? Wieso hat er zugelassen, dass die Welt und die Menschheit in diesem Zustand ist? Ist er nicht verantwortlich für das Elend der Welt? Hermann Bilge, ein Raumpfleger, der gegen Gott in den Zeugenstand tritt, fasst es in einfache Worte: "Eine Schöpfung, aber ohne technischen Support. Das ist gegen meine Überzeugung." Die Begeisterung ist bei vielen der Empörung gewichen und es kommt zum Mega-Prozess.


Gott vor Gericht

Bei Eröffnung des Prozesses sagt einer der 158 Verteidiger Gottes: "... und wir werden den Geschworenen beweisen, dass zwar nicht mehr die Existenz, wohl aber die Verantwortlichkeit unseres Mandaten infrage steht." Der Kampf ist eröffnet. Wie bei einer Sportveranstaltung sitzen zwei Radiomoderatoren im Saal und berichten. Die Ausgangslage der Verteidigung beschreibt der Moderator folgendermassen: "Den Anwälten bleibt nicht viel Spielraum, denn wenn sie auf "nicht schuldig" plädieren, sind sie gezwungen, die Rolle Gottes so weit wie möglich herunterzuspielen. Eine ungewöhnliche Verteidigung: Zur Abwertung Gottes verdammt, um zu gewinnen... Wird sie so weit gehen, seine Existenz in Frage zu stellen?" Sein Kollege ergänzt die Strategie der Gegenseite: "Dagegen wird die Anklage darauf abzielen, mit zahllosen Argumenten die Existenz und somit die möglichst grosse Verantwortlichkeit Gottes nachzuweisen."

Obwohl also in diesem Comic die Frage nach der Existenz Gottes ganz klar mit Ja beantwortet wird, wird sich auch hier wieder alles nur um die gleiche Frage drehen. Im Verlauf des Prozesses wird einer der Ankläger beispielsweise fragen: "Wie soll man im Fall unseres Beklagten nicht auf die Untrennbarkeit von Sein und Handeln schliessen?" und der Strafverteidiger wird lapidar antworten: "Indem man Fantasie beweist... Im Grunde wird unserem Mandanten schlicht vorgeworfen, dass er existiert. Das ist etwas dünn."

Und so ist es auch, jemanden anzuklagen, weil er existiert, wäre dünn - ausser eben, es handelte sich dabei um "Gott höchstselbst". Marc-Antoine Mathieu hat die Frage nach der Existenz Gottes auf die Erde geholt und wir können uns darüber freuen. Das absurde Gedankenspiel legt Wunden offen. Ist es nicht tatsächlich so, dass einzig seine Abwesenheit den Gläubigen den eklatanten Widerspruch erträglich macht? Für jene aber, die Gott als äusserst bösartige Erfindung erkennen, ist die Geschichte erheiternd. Gespickt mit pseudo-philosophischen Floskeln, wie man es vom Thema nicht anders erwarten würde, aber materialistisch in der Grundaussage. Wenn die Gegenseite die Existenz Gottes beweisen könnte, würde das ihre Argumentationsgrundlage nicht stärken, sondern schwächen. Der Comic zeigt zwischen den Zeilen, aber spürbar, dass sich die Diskussion nur dank der Nicht-Beweisbarkeit seit Jahrhunderten wiederholt.


Absurdes erhellt

Marc-Antoine Mathieu ist ein begnadeter Comic-Künstler, normalerweise überzeugt er durch Reflektion über die Kunst selbst. So reizt er die stilistischen Möglichkeiten der gezeichneten Erzählung aus, spielt mit Formen, Farben und Perspektivwechseln. Doch in diesem Band hat er sich für eine inhaltsstarke Geschichte entschieden. Die Idee ist simpel und eigentlich naheliegend, dennoch wurde sie noch kaum erzählt. So kommt es, dass Mathieu damit einen Geniestreich landet. Der Comic ist erheiternd und erhellend, aber keineswegs beruhigend. Wenn wir uns der aufgeworfenen Frage wirklich stellen, müssen wir zugeben, dass wir in einer Sackgasse stecken. Egal was wir beweisen oder nicht, der Gottes-Gedanke ist in der Anlage immun. Ein beweisbarer Gott wäre ein Naturphänomen, das einfach in den Lehrplan der Schulen einfliessen würde, er könnte niemals die Fantasie so beflügeln wie die gegebene Gottesfigur. Unbewiesen und abwesend ist er eine Projektionsfläche. Der kreativen Eigenleistung der Gläubigen sind keine Grenzen gesetzt. Wer vom Irrationalen ausgeht, kann nicht durch Vernunft überzeugt werden. Und deshalb würde jeder Ansatz von Vernunft das Gebilde sofort zum Zusammenbruch führen. Und wäre dieser Funke Vernunft bloss, dass dieser "Gott" einmal "höchstselbst" auf der Erde erscheinen würde. Konsequenterweise endet der Comic auch damit, dass sich "Gott höchstselbst" wieder aus dem Staub macht und behauptet, es sei alles nur eine Inszenierung einer PR-Firma gewesen. War das wirklich der Fall oder ist das nur eine Ausrede? Hier sind wir zurück am Ausgangspunkt: Man glaubt es, oder man glaubt es eben nicht.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 77, mai / juni 2014, Seite 16
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2014