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AUFBAU/414: Stadtentwicklung - Vergessene Quartiere rücken ins Zentrum


aufbau Nr. 80, märz / april 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Vergessene Quartiere rücken ins Zentrum


STADTENTWICKLUNG Nicht nur die grösseren Schweizer Städte verändern sich schnell. Auch in Luzern gibt es den Prozess der Stadtaufwertung.


(agj) Gentrification, Gentrifizierung, Aufwertung oder wie man es auch immer nennen will: Der Begriff ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Ob international oder hier in der Schweiz, kaum eine grössere Stadt bleibt beim Alten. Über bekanntere Beispiele wie die Europaallee und den Kreis 4 in Zürich oder das Projekt "Rheinhattan" in Basel wurde schon einiges geflucht, geschrieben und umgesetzt. Mit dem Beispiel der Stadt Luzern wird ein weiteres Mal aufgezeigt, dass die Stadtaufwertung immer im Interesses der Herrschenden und des Kapitals liegt und niemals im Interesse der betroffenen AnwohnerInnen.


Wenn aus dem alten Quartier neue Überbauungen entstehen...

Ein Beispiel für die Aufwertung in Luzern ist das Tribschenquartier. Das ehemalige Industriequartier war bekannt für günstigen Wohnraum, man konnte es sich auch ohne überdurchschnittliches Einkommen leisten, hier zu wohnen. Weiter konnten KünstlerInnen Räume für ihre Arbeit nutzen und es gab unkommerzielle Bars und Treffpunkte wie den Wärkhof, die Boa, das La Fourmi und noch einiges mehr. Doch Kapitalrendite wurde auch hier, im für Investoren und Stadtentwickler bisher mässig spannenden Stadtteil, erkannt: Aus dem Tribschenquartier wurde die "Tribschenstadt", was zuvor das Quartier prägte, wurde abgerissen und die BewohnerInnen verdrängt. Den Forderungen der ehemaligen AnwohnerInnen, den Strassenstrich zu verlegen, wurde nun plötzlich ganz schnell nachgegangen und zusätzlich mit einem Nachtfahrverbot ergänzt. Ziel der Stadt war es, laut Bundesamt für Wohnungswesen BWO, auf dem Areal eine stark verdichtete, städtebaulich, architektonisch und ökologisch, gute Überbauung entstehen zu lassen, welche südöstlich des Bahnhofs eine eigentliche Quartierbildung auslöse. Dabei war die Krankenkasse CSS als Investor ganz vorne mit dabei. Im Gegensatz zur Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern, welche 5.345 m² der Nutzungsfläche mietet, kaufte die Versicherung CSS gleich 7.538 m² für die Realisierung eines Hauptsitzes, Wohnungen und Geschäftsräumen.


...ist auch die SBB Immobilien gerne mit von der Partie

Dass Aufwertung Verdrängung heisst, spürt man in Luzern nicht nur im Tribschenquartier, auch im Hirschmatt-, dem Neustadt- oder dem Bruchquartier werden anstelle von günstigen Altbauwohnungen chicke Lofts und teure Neubauten aus dem Erdboden gestampft. Und wenn sich das Stadtbild verändert, die Bodenpreise steigen, auf allen möglichen Flächen geplant und gebaut und der Raum knapp wird, dann stehen die Schweizerischen Bundesbahnen als lachende Profiteure da. Allein in der Deutschschweiz besitzt der Bundesbetrieb über 300.000 m² Nutzfläche, die meisten davon an prominenter Lage rund um die Hauptbahnhöfe. Auch in Luzern baut die SBB als Grundeigentümerin in Zusammenarbeit mit der Stadt auf dem Areal Rösslimatt ein Wohn- und Geschäftsquartier. Oder genauer: Ein weiteres Wirtschaftszentrum à la Europaallee und Konsorten. Ein Grund für diese Entwicklung ist einerseits die wachsende Nachfrage nach dem Leben und Arbeiten in urbanen Räumen, andererseits auch, dass die aktuelle, 2007 ausgebrochene Krise des Kapitalismus noch längst nicht ausgestanden ist. In diesen Zeiten sucht das Kapital noch intensiver nach lukrativen Möglichkeiten der profitträchtigen Investition. Dass Immobilien in Städten ein solches Investitionsfeld sind, ist bekannt. Es ist kein Zufall, dass sich die Baubranche schweizweit krisenresistent zeigt und auch der Luzerner Stadtpräsiden Stefan Rohr sieht in der Immobilienbranche Möglichkeiten, denn "der Bedarf an Dienstleistungs- und Wohnflächen in der Stadt Luzern ist gross - insbesondere an gut erschlossener Lage."


Saubere Städte für saubere Bürger?

Die Aufwertung von oben zeigt sich auch in diesen Quartieren nicht nur im privaten Bereich, sondern auch im öffentlichen Raum. Dieser wird für die neuen, wohlhabenden BewohnerInnen und den Tourismus auf blitzblank gereinigt und durch Kameras überwacht. Es wäre ja auch eine Zumutung, müssten sie durch Strassen gehen, die noch aussehen wie früher, als für die bisherigen AnwohnerInnen nichts getan wurde. Und weil der Snob viel lieber durch sein neues Quartier flaniert, ohne dabei auf Graffiti, Lärm, SexarbeiterInnen oder Demonstrationen, wie die in Luzern, in der vergangenen Silvesternacht stattgefundene "Reclaim the Streets" zu stossen, kann er auf die Hilfe vom Staat zählen. Denn im Wissen um die erhöhte Polizeipräsenz lässt es sich um einiges bequemer entspannen, ohne mit den tagtäglichen Widersprüchen des Kapitalismus konfrontiert zu werden.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 80, märz / april 2015, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2015

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