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AUFBAU/487: Streifzug durch die linke Buchmesse


aufbau Nr. 87, Januar/Februar 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Streifzug durch die linke Buchmesse


LITERATUR Vom 4. bis zum 6. November 2016 fand in Nürnberg die 21. Linke Literaturmesse statt. Zahlreiche Verlage stellten ihre Werke vor und manche Bücher wurden im Rahmen von Veranstaltungen präsentiert. Wir wollen die Gelegenheit nutzen, einige Bücher näher vorstellen.


(az) Die Linke Literaturmesse vermittelt mitunter einen Eindruck, wo die ausserparlamentarische deutsche Linke heute steht. Es ist lehrreich zu verstehen, mit welchen Fragen und Widersprüchen sie sich befasst, welche Themen und Theorien Eingang in die Bewegung finden und welche aussenvor bleiben. Zwei Aspekte wollen wir aber vorneweg nehmen: Arbeitskämpfe und grosse Streiks wurden dieses Jahr vor allem aus historischer Sicht behandelt. Und uns interessierten ganz besonders die konkreten Erfahrungen aus den Bewegungen in Deutschland wie auch international, wenngleich die Auswahl etwas allzu sehr europäisch ausgefallen ist. Von diesen praktischen Erfahrungen zu lernen hilft, die Bewegung auch hier voranzutreiben. Ein Besuch in der fränkischen Stadt lohnt sich auf jeden Fall, und vermutlich auch nächstes Jahr.


"Proleten - Pöbel - Parasiten, warum die Linken die Arbeiter verachten"
Christian Baron, Verlag das neue Berlin

Der junge Autor stammt aus einer Hilfsarbeiterfamilie aus Kaiserslautern und schaffte den sozialen Aufstieg durch den Sprung an die Universität. Während seiner Politisierung stellte er immer wieder die tiefen kulturellen Gräben fest, welche ihn als Arbeiterkind von den akademisch geprägten Linken trennten.

Als Buchautor gelingt es ihm, seine persönlichen Erfahrungen mit der Ebene einer Gesellschaftskritik sowie der Kritik an den deutschen, tendenziell studierten AktivistInnen zu verbinden. "Klassenhass ist überall" besagt das erste Kapitel; und was Thilo Sarrazin in offen sozialdarwinistischer Form zu Papier brachte, reproduzieren die bildungsbürgerlichen Mittelstands-Linken in unbewusster Form weiter. Christian Baron plädiert letztlich für einen "linken Populismus" und für eine politische Sprache, die potenziell alle verstehen können. Er versteht sein Buch nicht als Abrechnung mit der politischen Linken, auch da er dieser selber angehört. Dafür spricht er sich eindringlich dafür aus, die Interessen und Nöte der ArbeiterInnen in politischen Debatten und Kämpfen endlich ernst zu nehmen und diese höher zu gewichten als Debatten über politisch korrekten Konsum und ähnliches.


"Kunst und Kampf"
Bernd Langer, Unrast Verlag

Ende der Siebzigerjahre politisiert sich Bernd Langer in der autonomen Szene Westdeutschlands. Das Buch "Kunst und Kampf" thematisiert die Gründe für die massenhafte Politisierung dieser Generation und die Frage, wie sich die Ästhetik des Widerstands in dieser Phase entwickelte. Doch dieses Buch ist vor allem autobiographisch, denn Bernd Langer war Mitinitiant der Gruppe "KuK" (Kunst und Kampf) und hat Unmengen von Agitprop mitentwickelt. Den Stil der autonomen Antifa war während den Neunzigerjahren massgeblich von der Gruppe "KuK" geprägt. Alleine aus diesem Grund lohnt sich ein Blick in das Buch.

Die kontroverse Frage nach antifaschistischer Bündnispolitik nimmt aber auch Platz ein: Bernd Langer sprach sich für eine solche aus und polarisierte damit. Bern Langer stellt mit seinem Buch letztlich eine Gesamtbetrachtung über vierzig Jahre antifaschistische Kunst in der Bundesrepublik dar. Das Buch sei allen empfohlen, die, sich für revolutionäre Ästhetik und Antifaschismus interessieren.


"Der kurze griechische Frühling - Das Scheitern der Syriza und seine Konsequenzen"
Andreas Wehr, Papyrossa Verlag

Die Syriza stellte sich mit ihrem Wahlsieg im Januar 2015 als grosse Hoffnungsträgerin der verarmten griechischen Bevölkerung und auch der europäischen Linken dar. Letztlich tat sie aber nichts anderes, als die Krise für die herrschende Klasse abzuwickeln und auf den Rücken der arbeitenden Klasse zu verlagern. Die neuen, unter der Syriza entstandenen Bedingungen sind noch viel härter als die vorangegangenen. Somit ist der Niedergang der Syriza in Griechenland eine empfindliche Niederlage für das Referenzprojekt der reformistischen Linken in Europa. Denn es sind heute wieder rechtsbürgerliche Kräfte denen es gelingt, etwa RentnerInnen gegen die Syriza auf die Strasse zu mobilisieren. Das kann nicht ohne Konsequenzen für linke Strategien in Europa sein, meint Andreas Wehr.

Unzureichend thematisiert wird die Frage, wie sehr die Regierungsbeteiligung der Syriza auch die politische Bewegung und den Druck der Strasse ausbremste. Und diese Frage wäre wichtig, stellt sich doch in Spanien mit der Partei "Podemos" zeitlich etwas verschoben die fast identische Frage.


"Krisenprotest in Spanien - Zwischen Selbstorganisation und Überfall auf die Institutionen"
Nikolai Huke, Edition assemblage

Das Buch gibt einen detaillierten Einblick in die Entwicklung sozialer Protestbewegungen in Spanien im Zusammenhang mit der Eurokrise. Was Andreas Wehr mit dem Buch über den kurzen griechischen Frühling verpasst, schafft Nikolai Huke besser: Die Widersprüchlichkeiten der politischen Kräfteverhältnisse auf den Strassen, ihre Chancen, Grenzen und reformistischen Gefahren zu erkennen und offen darzulegen.

Aufgrund der autoritären Austeritätspolitik entwickeln sich in Spanien neue Formen der radikaldemokratischen Selbstorganisation und des kollektiven Ungehorsams, etwa gegen Zwangsräumungen von Wohnungen in den Stadtquartieren. Die Kämpfe sind verblüffend: Sie haben eine riesige Akzeptanz in grossen Teilen der Bevölkerung, Frauen und MigrantInnen spielen darin ganz zentrale Rollen. Die politische Rechte wurde mit dieser Bewegung zunächst stark zurückgedrängt. Und die Bewegung orientiert sich stark an praktischen Alltagsfragen, hingegen ist sie nicht sehr ideologisch gefestigt. Das ist gleichzeitig eine Chance und auch eine Gefahr: Denn gleich wie in Griechenland droht das Problem, dass mit der neuen Partei "Podemos" die politische Bewegung der Strasse institutionalisiert, aufs parlamentarische Parkett kanalisiert und damit geschwächt wird. Das Buch macht neue politische Erfahrungen sichtbar, welche in den ganz konkreten Alltagskämpfen gesammelt werden.


"Die grosse Flucht - Ursachen, Hintergründe, Konsequenzen"
Conrad Schuhler, Papyrossa Verlag

Immer lauter wird in Europa die Forderung: "Grenzen zu und schneller abschieben". Die herrschenden Klassen setzen spätestens seit den Anschlägen in Europa zunächst auf Abschottung. Doch die Situation ist äusserst widersprüchlich. Es sind die imperialistischen Kräfte selber, welche Krieg, Destabilisierung und Umweltkatastrophen auf der ganzen Welt zu verantworten haben. Und ausserdem ist eine "industrielle Reservenarmee" für das Kapital notwendig, um Arbeitskräfte in Europa unter Druck zu setzen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Willkommenskultur und rassistische Migrationspolitik sind also nichts als zwei Seiten der gleichen Medaille.

Conrad Schuhler plädiert für einen Klassenkampf, in dem die Flüchtlinge als Teil davon begriffen werden. "Solidarität statt Austerität" könnte dabei eine Parole sein, um die Kämpfe der verschiedenen Bevölkerungsgruppen bei allen Widersprüchlichkeiten zu verbinden. Denn es geht auch darum, die politische Rechte zurückzudrängen und gemeinsame Perspektiven aufzubauen. Und dies, ohne sich von der zwischenzeitlich von der Bundesregierung ausgerufenen "Willkommenskultur" blenden zu lassen.


"Tschikweiber haums uns g'nennt"
Ingrid Bauer, Verlag die Buchmacherei

Die österreichische Historikerin Ingrid Bauer hatte in den Achtzigerjahren die Gelegenheit wahrnehmen können, ausführliche lebensgeschichtliche Gespräche mit den "Tschik-Weibern" zu führen. Die "Tschik-Weiber" waren die Zigarettendreherinnen aus Hallein, einer ländlichen und patriarchisch geprägten Kleinstadt in der Nähe von Salzburg. Die "Tschick-Weiber" spielten in der lokalen ArbeiterInnenbewegung der Zwischenkriegszeit eine zentrale Rolle, weil es ihnen Dank selbstbewusster Organisierung gelang, sich gegen Vorarbeiter und Ehemänner zu behaupten. So erkämpften sie sich das durchschnittlich höhere Salär als die meistens männlichen Arbeiter im benachbarten Salzwerk, was in Zeiten grassierender Angst und Arbeitslosigkeit sowie einer ausgesprochen patriarchalen Gesellschaftsstruktur aussergewöhnlich ist.

Als Betriebsrätin fungierte Agnes Primocic. Die Interviews mit ihr sind Bestandteil dieses Buches. Sie erzählt, wie ihr Bewusstsein ab 1921 massgeblich durch die Fabrikarbeit geprägt wurde und wie sie während der Arbeit ihren KollegInnen aus Büchern vorgelesen hat: Etwa über die Rechte am Arbeitsplatz oder "wie das ist mit dem Orgasmus". Gegen Ende des Austrofaschismus gelang es ihr, lokale KZ-Häftlinge mit einem Trick zu befreien. Agnes Primocic verstarb 2007 im Alter von 102 Jahren in Hallein.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 87, Januar/Februar 2017, Seite 15
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2017

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