Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


AUFBAU/502: Lohnarbeit im Haushalt


aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Lohnarbeit im Haushalt


GESCHICHTE Dienstpersonal war im 19. Jahrhundert nicht nur in Basel allgegenwärtig. Bis weit in die ArbeiterInnenklasse hinein wurden Mägde im Haushalt beschäftigt. Ein überraschend grosser Teil der Lohnabhängigen arbeitete. in solchen Verhältnissen.


(agbs) Reproduktionsarbeit ist eine menschliche Notwendigkeit. Im Kapitalismus gilt diese Arbeit wenig, weil sie keinen Mehrwert produziert. Trotzdem wurde und wird diese Arbeit monetarisiert. Heute denken wir dabei an Putzfrauen oder an den per App bestellbaren Butler. Reproduktion ist zwar Privatsache, wird aber durch solche Auslagerungen wieder aus dem Privaten heraus gerissen. Arbeitende in dieser Branche sind vereinzelt und oft von Sozialleistungen abgeschnitten.

Dieser Artikel widmet sich ArbeiterInnen, die im 19. Jahrhundert in privaten Haushalten tätig waren. Zur damaligen Zeit wurden solche Leute Mägde und Knechte genannt. Sie und ihre Arbeitsverhältnisse werden in der ländlichen Gesellschaft verortet, sie seien ein Überbleibsel feudaler Strukturen, das von allein verschwinden würde. Ein Blick auf Quellen aus den Städten des 19. Jahrhunderts zeigt, dass das nicht so war. Besonders im (Klein-)Gewerbe, aber auch von Arbeiterfamilien wurden Menschen, meist Frauen, angestellt, um die Reproduktionsarbeit zu bewältigen.

Grosser Teil der Lohnabhängigen

Das 19. Jahrhundert weckt Assoziationen von Industrialisierung, von Arbeit in Fabriken und von der bürgerlichen Gesellschaft. Doch rund zwei Drittel der weiblichen Lohnabhängigen arbeiteten um die Mitte des Jahrhunderts im häuslichen Dienst. Diese Mägde erledigten hauptsächlich Hausarbeit. Sie standen der Herrschaft rund um die Uhr zur Verfügung.

Im Basel des 19. Jahrhunderts arbeiteten meist junge Frauen in solchen Verhältnissen. Die meisten von ihnen kamen vom Land, sehr häufig aus dem grenznahen Badischen und aus Württemberg. Für junge Städterinnen war Lohnarbeit in der Fabrik trotz der miserablen Bedingungen attraktiver, weil unabhängiger. Umgekehrt galten bei den städtischen Haushalten junge Frauen vom Land als zuverlässig und wenig aufmüpfig. Die Arbeit im Dienst sei die ideale Vorbereitung auf das spätere Leben als Hausfrau und Mutter, wurde postuliert. Für viele Frauen war der häusliche Dienst denn auch eine Phase in ihrem Leben, die mit einer Heirat und/oder Rückkehr in den Herkunftsort endete. Die wenigsten Menschen, gerade aus dem Proletariat, übten ihr Leben lang oder schon nur über mehrere Jahre dieselbe Tätigkeit aus. Dieselbe Person konnte mal als Magd, dann als Näherin oder Tagelöhnerin arbeiten.

Gesetzlich geregelt

Dienstboten, damit waren auch Frauen gemeint, unterstanden einer eigenen Gesetzgebung. Schon im Mittelalter gab es eigene Kleiderordnungen, und die Arbeitsverhältnisse zwischen DienstbotInnen und Herrschaften waren gesetzlich geregelt. In Basel war das die Gesinde-Ordnung, ab 1851 die ausführlichere Dienstboten-Ordnung.

Darin wurde genaue definiert, wer als Dienstbote diesem Gesetz unterstand. Selbständige wie Näherinnen, Wäscherinnen oder Tagelöhner gehörten nicht mehr dazu. Ebensowenig Lehrlinge oder Gesellen, die auch oft im selben Haushalt wohnten. Diese Gruppe durfte keine Aufgaben im Haushalt mehr erhalten, zugleich durften DienstbotInnen nicht mehr im Gewerbebetrieb arbeiten.

Kündigungsfristen wurden beidseitig auf 14 Tage festgelegt, in der Probezeit weniger. Das Personal hatte sich loyal, "willig" und diskret zu verhalten, Klatsch war verboten. DienstbotInnen mussten im Haushalt der Herrschaft wohnen und verpflegt werden, durften ausserhalb auch kein Eigentum aufbewahren. Stellenwechsel waren nur auf Einwilligung der vorherigen Herrschaft erlaubt.

Auch die Herrschaften hatten gewisse Pflichten. Sie durften ihre Angestellten nicht vom Kirchenbesuch abhalten und hatten diesen zu fördern. (Das kam noch am nächsten an "Freizeit" heran.) Im Fall einer Krankheit mussten Herrschaften für Verpflegung und Pflege aufkommen, zumindest wenn die Krankheit nicht länger als 14 Tage andauerte. In Basel war ein Richter mit der Umsetzung dieser Gesetze beauftragt. In den allermeisten Fällen klagten die Angestellten. Der Richter bot ihnen eine Möglichkeit, die eigenen Interessen durchzusetzen. Die Fälle drehten sich meist um Geld, um einen nicht, zu wenig oder zu spät ausgezahlten Lohn. Dieser konnte gekürzt werden, wenn Eigentum der Herrschaft bei der Arbeit zu Bruch ging.

Häusliches Personal war mehrheitlich weiblich. Dies war wohl ein Faktor, warum der Dienstbotenrichter geschaffen wurde. Frauen waren im 19. Jahrhundert keine Rechtssubjekte. Die meist zugewanderten Mägde hatten aber keine männlichen Verwandten in der Nähe, die ihre rechtliche Vertretung hätten übernehmen können; Vor dem Dienstbotenrichter konnten Frauen ihre in der Dienstbotenordnung zugesicherten Rechte einfordern. Neben der Weiblichkeit verhinderte auch Abhängigkeit, dass Menschen als Rechtssubjekte anerkannt wurden. Auch nach der Französischen Revolution blieb nicht nur Frauen, sondern auch Dienstboten das Wahlrecht verwehrt.

Lohnarbeit?

Die Arbeitsverhältnisse von Mägden lassen sich an einem konkreten Fall besonders schön aufzeigen. In den Protokollen des Dienstbotenrichters, die im Basler Staatsarchiv zugänglich sind, wurde die Klage einer Frau gegen einen Fabrikarbeiter festgehalten. Sie verlangte ihren Lohn, nachdem sie über mehrere Monate bei ihm gelebt und gearbeitet hatte. Er habe ihr versprochen, sie heiraten zu wollen. Diese Pläne hatten sich zerschlagen. In den Augen der Frau war ihre Arbeit nun nicht mehr im Verhältnis einer (zukünftigen) Ehefrau verrichtet worden, sondern im Rahmen eines (Lohn-)Arbeitsverhältnis. Der Richter sprach ihr den geforderten Lohn von einem Franken pro Woche zu.

Ein Franken Lohn pro Woche war der übliche Betrag. Zum Vergleich: Um 1850 lag der Tageslohn eines (männlichen) Textilarbeiters um Fr. 1.30, billiges Schwarzbrot kostete 45 Rappen pro Kilo, Bohnen 16 Rappen und Kartoffeln 9 Rappen. Eine vierköpfige Arbeiterfamilie musste im Jahr rund 80.- Franken für den Hauszins veranschlagen. Hausangestellte verdienten also wesentlich weniger als andere ArbeiterInnen Im Gegensatz zu diesen mussten sie aber nicht finanziell für Unterkunft und Verpflegung aufkommen.

*

Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

*

Quelle:
aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017, Seite 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang