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CORREOS/060: El Salvador - Vor der Wahl


Correos des las Américas - Nr. 157, 27. April 2009

EL SALVADOR
Vor der Wahl

Von Dieter Drüssel


Am Tag vor der Märzwahl - Anspannung, Betrugsszenarien und neue Töne von der US-Botschaft. Ein mit Betrug verhinderter Wahlsieg des FMLN kann dramatische Folgen haben.

http://zas-correos.blogspot.com


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(San Salvador, 14.3.09) Es geht morgen um viel mehr als um die Frage, welcher Mann - Mauricio Funes für die frühere Guerilla FMLN oder Rodrigo Ávila für die seit 20 Jahren regierende extrem rechte Partei ARENA - in die Casa Presidencial einziehen wird. Es geht um eine Wahl zwischen zwei gegensätzlichen Projekten - dem kapitalistischen von ARENA und dem emanzipatorischen des FMLN. Insofern führen die Berichte, welche auf dem "moderaten" Profil des FMLN-Kandidaten insistieren, in die Irre. Zwar äussert sich Funes tatsächlich wie ein gemässigter Sozialdemokrat im Stil der Präsidenten von Brasilien oder Uruguay. Sich davon aber über Gebühr beeindrucken zu lassen, wäre ein Fehler - die Rechte hier verfällt ihm nicht. Sie weiss, dass ein Sieg des FMLN mit diesem Kandidaten die Tür für grundsätzliche, wenn auch nur langsam erfolgende Veränderungen auftun wird. Ob diese Schwelle dann überschritten wird, hängt von den sozialen Bewegungen und dem FMLN ab. Ihr entgeht auch nicht die soziale Kraft, die sich in der FMLN-Schlusskundgebung vom 7. März gezeigt hat. Nach plausiblen Berechnungen waren es ca. 300.000 Menschen (bei einer Gesamtbevölkerung von unter 6 Millionen). Übereinstimmenden Aussagen von langjährigen BeobachterInnen zufolge gab es im Land nur 1972 eine vergleichbar grosse Mobilisierung.

Legte man einer Prognose des Wahlausgangs jedoch rein rechnerisch die Resultate der Parlamentswahlen vom 18. Januar 2009 zugrunde, wäre das Ergebnis klar: ARENA gewinnt. Der FMLN hat rund 42% der Stimmen gemacht (und ist damit stärkste Partei), ARENA 38%. Die restlichen Stimmen teilten sich vor allem die zwei Rechtsparteien PCN und PDC, die nun ihren jeweiligen Kandidaten zugunsten einer Allianz mit ARENA aus dem Rennen nahmen. Doch so einfach lässt sich nicht rechnen: Im gleichen Masse, wie ARENA mit der neoliberalen Verelendung der vergangenen Jahre identifiziert wird, die auch traditionell rechte Segmente betroffen hat, sind territoriale Strukturen rechter Parteien nicht mehr bereit, in allen Fragen ihrer Führung zu folgen. Dies zeigt sich zum Beispiel in der offen zur Schau gestellten Unterstützung mancher PCN- und PDC-Bürgermeister für Mauricio Funes.

Auf grossen urbanen Märkten ist dieser Tage eine neue Diskussionskultur zu beobachten. VerkäuferInnen und KundInnen stecken die Köpfe zusammen, versuchen sich ein Bild von der Situation zu machen - ist es denn wahr, ist es Unsinn, dass bei einem FMLN-Sieg der Chávez hier regieren wird? Stimmt es, ist es Propagandalüge, dass eine FMLN-Regierung die Hälfte eines jeden Kleingeschäfts verstaatlichen will? Ist der FMLN gewalttätig oder ARENA? Das Hinterfragen wichtigster Propagandainhalte der Rechten, an der Basis gemeinsam betrieben von FMLN- und ARENA-AnhängerInnen, ist ein gutes Zeichen.

Diese Woche haben die Medien Äusserungen von rund 40 rechtsrepublikanischen US-Kongressabgeordneten in Grossaufmachung wiedergegeben, wonach im Falle eines FMLN-Sieges die Aufenthaltsberechtigung der legal in die USA Emigrierten "überprüft" und die Geldüberweisungen an die Angehörigen in El Salvador "erschwert" würden. Dies, da eine FMLN-Regierung zwangsläufig ins antiterroristische Visier gelange, wegen der Verbindungen mit Teheran, dem "Diktator" in Caracas und den "Narkoterroristen" der FARC. Es handelt sich dabei um den Versuch, an das Erfolgsrezept von 2004 anzuknüpfen, als ARENA nicht zuletzt mit Verweis auf die Gefährdung der Rimessen viele Stimmen einheimste. Doch bereits zwei Tagen nach der Medienhetze betonte die US-Botschaft, sie werde mit jeder gewählten Regierung zusammenarbeiten. Kurz darauf liess Tom Shannon, verantwortlich im State-Department für Lateinamerika, das Gleiche verlauten. Damit war diese Kampagne schlagartig beendet.

Für morgen zirkulieren im FMLN hauptsächlich zwei mögliche Betrugszenarien: a) ARENA gewinnt dank Betrug an den Urnen; b) ARENA verliert trotz Betrug an den Urnen und das Wahlgericht TSE frisiert die Ergebnisse solange, bis sie "stimmen". Sollte für den FMLN aufgrund seiner Akten der eigene Sieg aber klar sein, kann und wird er das nicht akzeptieren. Was dies in einer polarisierten Situation bedeutet, die schon vor den Wahlen zu Toten geführt hat, malen wir uns lieber nicht aus.

Es mag eigenartig klingen, was uns mehrere FMLN-Kader gesagt haben, aber es kam von Herzen: Sie, die den jahrelangen blutigen Krieg erlebt haben, wünschen ausdrücklicher als alle anderen, dass er nicht wieder aufflamme. Sie hoffen deshalb, dass ARENA einen allfälligen FMLN-Sieg anerkenne. Auch wenn sie wissen, dass eine FMLN-Regierung in Zeiten der grössten Krise antreten muss. Um auf diese gigantische Krise auch nur erste soziale Antworten geben zu können, brauche es bescheiden beginnende, aber ehrlich durchgeführte Reformen.

Die 'kritische' Betonung, was für ein "potabler" Kandidat dieser Funes doch sei, so gar kein Radikaler, ein Unternehmerfreund gar, verschleiert die enorme und dramatische Dimension, um die es jetzt geht. Diese 'Kritik' reflektiert nur eine weitere Facette des Angriffs auf den der zunehmend verarmenden Bevölkerungsmehrheit verpflichteten FMLN. Wer den noch so versteckten Antagonismus leugnet, ist nicht 'kritisch' oder neutral, sondern beschönigt den Angriff von oben. Da haben, mit Verlaub, die Leute hier vielmehr begriffen, die mit dieser wahnsinnigen Hoffnung auf ein neues Morgen gegen den Zynismus der Mächtigen angehen - und sei es mit dem Stimmzettel in der Hand.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 157, 27. April 2009, S. 4
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2009