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CORREOS/075: Beschlossene ökonomische Maßnahmen in Venezuela


Correos des las Américas - Nr. 158, 10. August 2009

Über die beschlossenen ökonomischen Massnahmen in Venezuela

Von César Villalona


Diesen Ende April verfassten Artikel erhielten wir zu spät für den letzten Correos. Seine Aussagen sind aber immer noch relevant. Und enttäuschend für jene, die hechelnd dem Zusammenbruch der venezolanischen Wirtschaft entgegen fiebern - und sich damit ein Ende des "Spuks" des Sozialismus des 21. Jahrhunderts versprechen.

1. Die weltweite Krise und ihre möglichen Auswirkungen in Venezuela

Die grossen Industrienationen durchlaufen eine tief greifende Wirtschaftskrise, die sich im Zusammenbruch von vielen Unternehmen, in der Abnahme des Konsums, im Rückgang der Produktion und in zunehmender Arbeitslosigkeit manifestiert.

Die Krise brach in den USA aus, als die Banken viele Kredite für den Kauf von Liegenschaften nicht mehr decken konnten. Wegen der in den Jahren zuvor angehäuften Schulden und der Erhöhung der Darlehenszinsen konnten Millionen von Familien ihre Häuser nicht mehr abzahlen. Viele Banken brachen zusammen und Bauunternehmen stoppten Wohnbauprojekte. Der Ausfall des Konsums zog die ganze Wirtschaft in Mitleidenschaft. In der Autoindustrie, im Liegenschaftenmarkt und im Lebensmittelsektor gingen die Umsätze zurück, Unternehmen häuften Schulden an und entliessen MitarbeiterInnen. Zwischen Dezember 2007 und März 2009 verloren in etwa 5 Millionen Personen ihre Arbeit. Die Arbeitslosigkeit stieg von 2% im Jahr 2007 auf 8.5% im März 2009. Obwohl die Regierung der USA eine enorme Summe für die Rettung zusammenbrechender Unternehmen zur Verfügung stellte, erholt sich die Wirtschaft dieses Landes nicht. Die Produktivität sinkt und die Arbeitslosigkeit steigt weiterhin.

Die Krise in den USA sprang auf Europa, Japan und andere Länder über, denn viele Banken der genannten Länder liehen den USA Geld, welches sie nicht mehr zurückerhielten. In Europa brachen Banken zusammen, die Arbeitslosigkeit stieg, der Konsum fiel zusammen und die Verkaufszahlen der Unternehmen sanken. Dasselbe geschieht in Japan und in anderen Industrienationen. Es wird geschätzt, dass in der bis anhin 18 Monaten dauernden Krise die kumulierten Verluste weltweit 4.1 Billionen Dollar betragen.

In Venezuela, wo die Wirtschaft stark vom Ölexport an die Industrienationen abhängig ist (50% in die USA), hinterlässt die Krise bereits Auswirkungen. Weil die Produktion der industrialisierten Länder nachlässt, sinken Nachfrage und Ölpreis. Dieser stand 2008 im Mittel bei 87 Dollar und sank 2009 auf 40 Dollar.

Betrachten wir, wie sich Fall des Ölpreises in Venezuela auswirkt:

a) Im Jahr 2008 exportierte Venezuela Öl für 87 Millarden Dollar zu einem Preis von 87 Dollar das Barrel. Das heisst, dass an jedem Dollar Preiszerfall das Land 1 Milliarde Dollar verliert. Bleibt das Mittel des Preises bei 40 Dollar, wird der Export im Jahr 2009 um 47 Milliarden zurückgehen. Der Rückgang ist sogar ein wenig grösser, wenn die von der OPEC beschlossene Drosselung der Produktion aufrechterhalten wird.

b) Im Haushaltsbudget des Jahres 2009 veranschlagte die Regierung Ausgaben von 167 Milliarden Bolívares Fuertes (Bf, starke Bolívares, 2.15Bf = 1USD). Dieses Geld würde aus 3 Einnahmequellen stammen: 78 Milliarden aus dem Ölgeschäft, 77 Milliarden aus ölunabhängigen Geschäften und 12 Milliarden aus Darlehen (Finanzierungen). Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft wurden zu einem Barrelpreis von 60 Dollar errechnet. Heute geht die Regierung von einem mittleren Barrelpreis von 40 Dollar aus. Das heisst, dass die Steuereinnahmen aus dem Ölgeschäft um 33.3% oder 26 Milliarden Bf sinken werden. Ebenfalls werden die Einnahmen aus ölunabhängigen Quellen sinken, z.B. aus der Mehrwertsteuer, Pachtzinsen und Zöllen. Generell wird die Wirtschaftsdynamik rückläufig sein. Diese Einnahmen wurden mit 77 Milliarden Bolívares veranschlagt - 9 Milliarden werden wahrscheinlich fehlen. Folglich heisst das für den Staat, dass er mit einem Ölpreis von 40 Dollar 35 Milliarden Bf weniger einnehmen wird als vorangeschlagen.

Zusammengefasst bedeutet das, dass wegen dem Ölpreis von 40 Dollar pro Barrel die venezolanischen Exporte um 47 Milliarden Dollar zurückgehen und dass der Regierung Steuereinnahmen aus dem Ölgeschäft und aus anderen Quellen 35 Milliarden Bf fehlen werden. Das sind die wichtigsten Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Venezuela.

Im Unterschied zu anderen Ländern wird die Krise in Bezug auf den Rückgang des Tourismus und der Rimessen in Venezuela keine Auswirkungen haben. Denn über diese Wege fliessen fast keine Dollar ins Land. Ganz anders sieht es zum Beispiel im Fall von Mexiko aus. Einnahmen von Devisen über den Tourismus und die Rimessen sind sehr wichtig für die Wirtschaft. In Venezuela werden die Rimessen sogar steigen, vor allem weil Millionen KolumbianerInnen ihren Familien Geld schicken werden.

Ebenfalls wird Venezuela vom Exportrückgang der ölunabhängigen Produkte nicht stark betroffen sein. Denn dieser Sektor beläuft sich nur auf 7% des gesamten Exports - der Ölexport auf 93%. Zudem macht der Anteil des staatlichen Exports 96% und jener des privaten Exports 4% des gesamten Exportvolumens aus. Ein Zusammenbruch der wenigen privaten Exportunternehmen ist unwahrscheinlich. Die venezolanischen Unternehmen sind vorwiegend an den Binnenmarkt gebunden und exportieren kaum.


2. Die von der Regierung verabschiedeten Massnahmen

Um den Auswirkungen der Krise zu begegnen, veranschlagte die Regierung ihre Einnahmen neu - ausgehend von einer Schätzung des Ölpreises von 40 Dollar das Barrel. Auf der Basis dieser Schätzung beschloss sie Massnahmen zum Ausgleich des Einnahmenrückgangs. Diese Massnahmen wurden am 1. April eingeführt und bestehen aus:

a) Erhöhung der Mehrwertsteuer um 33% - von 9% auf 12%.

b) Darlehensanträge in der Höhe von 22 Milliarden Bf bei inländischen Privatbanken.

c) Kürzung von 6.7% der laufenden Regierungsausgaben, die für 128 Milliarden Bf verabschiedet wurden.

d) Erhöhung des Mindestlohns um 20%.

Mit der Mehrwertsteuer von 9% nimmt die Regierung monatlich ca. 2.9 Milliarden Bf ein. Mit der Erhöhung des Zinssatzes auf 12% oder um 33% belaufen sich die zusätzlichen Monatseinnahmen auf 960 Millionen Bf. Neun Monate nach der Einführung der Massnahme (von April bis Dezember) würden die zusätzlichen Gesamteinnahmen 8.6 Milliarden betragen.

Addiert man zu den über die Mehrwertsteuer eingenommen 8.6 Milliarden die 22 Milliarden Darlehen, erhält die Regierung 30.6 Milliarden Bf. Um die benötigten 35 Milliarden Bf zu erreichen, fehlen noch 4.4 Milliarden. Mit der Kürzung von 6.7% der laufenden Ausgaben werden 8.5 Milliarden Bf gespart. Somit kann der jetzt entstandene Überschuss von 4 Milliarden Bf für die Finanzierung der Lohnerhöhung verwendet werden.

Die Massnahmen der Regierung sind kohärent mit ihrem Geldbedarf und tangieren die vorgesehenen Investitionen in Kapitalgüter und in sozialen Bereichen nicht. Denn die Kürzungen der laufenden Kosten betreffen nicht-essentielle Bereiche der öffentlichen Institutionen wie Reise- und Materialspesen, Benzinkosten etc.

Im Fall der Mehrwertsteuer wird ihre Erhöhung, auch wenn es sich um eine inflationäre Steuer handelt, keine Auswirkungen auf die Preise der Grundlebensmittel haben, weil zum Beispiel Mais, Reis, Milch und Fleisch steuerbefreit sind. Mit der Erhöhung des Minimallohns wird die Bevölkerung mit kleinem Budget geschützt.

Die Regierung hätte die Mehrwertsteuer auf dem alten Zinssatz belassen und die Unternehmenssteuern erhöhen können. Aber vielleicht rechnete sie damit, dass eine solche Massnahme in vielen Unternehmen zu Arbeitslosigkeit hätte führen können, da die Auftragslage der Unternehmen eher rückläufig ist. Die Regierung verfügt über mehr als 40 Milliarden Dollar, die nicht als Währungsreserven unter der Verfügungsgewalt der venezolanischen Zentralbank stehen, sondern einnahmen aus ausserordentlichen Steuern auf den Ölexport entstammen, als der Preis des Barrel die 70 Dollar überschritten hat. Um den Einnahmenrückgang zu kompensieren, hätte die Regierung einen Teil dieses Geldes verwenden können. Sie zog es vor dies nicht zu tun, denn diese Mittel sind bereits für die Schaffung neuer öffentlicher Unternehmen vorgesehen.

Anderseits setzte die Regierung bereits einige wichtige Massnahmen um, um dem Sinken der Dollareinnahmen zu entgegnen. Aber bevor wir darauf eingehen, müssen wir festhalten, dass im letzten Jahr die Menge der Dollar, die in die Wirtschaft flossen, jene für Ausgaben um 9.275 Milliarden überstiegen haben. Somit belaufen sich die notwendigen Devisen für Importe, Schuldzahlungen und Finanzierungen anderer Transaktionen ins Ausland auf knapp 36 Milliarden und nicht auf 45 Milliarden Dollar. Mit dieser letzten Zahl kann der gleiche Überschuss wie im letzten Jahr verbucht werden.

Um den verminderten Dollarzufluss zu kompensieren, reduziert die Regierung den Umlauf von Devisen, mit dem Ziel, die Importe um 15 Milliarden zu verringern. Falls dies gelingt, würden nicht 36 Milliarden, sondern 21 Milliarden zusätzliche Devisen benötigt werden.

Die Verringerung der Importe von Luxusgütern beeinflusst den Verlauf der Wirtschaft nicht. Werden jedoch die Importe von Rohstoffen, Maschinen, Ausrüstungen und andere Kapitalgüter, welche die Unternehmen für die Produktion benötigen, reduziert, würde dies negative Auswirkungen auf die nationale Produktion haben. Darum wird die diesjährige Wachstumsrate nicht 4.9% wie letztes Jahr erreichen, sondern, nach einer Schätzung der Regierung, nur 2.5%. Es ist eine tiefe Wachstumsrate, die jedoch nicht wie in anderen Länder ins Negative fallen wird.

Ein anderer Vorstoss der Regierung ist die Förderung der ausländischen Investitionen. Ziel ist die Entwicklung wirtschaftlicher und sozialer Strukturen und der Zugang zu Dollar. Die Vereinbarungen mit den Regierungen Chinas, Japans und anderen Ländern über die Schaffung von Investmentfonds zielen in diese Richtung. Die entsprechenden Beträge im 2009 könnten gegen 8 Milliarden gehen. Sollte dies erreicht werden, wäre der Finanzierungsbedarf in Dollar bei 13 Milliarden, die aus den Reserven der venezolanischen Zentralbank fliessen müssten. Die Reserven betrugen im letzten März 42 Milliarden Dollar.

Daraus ist abzuleiten, dass die Geldreserven im Jahr 2009 abnehmen werden. Wie auch immer, da die Reserven für die Finanzierung von 11 Monaten Importe ausreichen (viel mehr als die von den internationalen Finanzinstituten empfohlenen 3 Monate), stellt ihre Reduktion keine Gefahr für die Stabilität der Wirtschaft dar.

Mit einem Ölpreis von 40 Dollar wird die venezolanische Wirtschaft im Jahr 2009 keinen grossen Schwierigkeiten ausgesetzt sein. Die Dynamik wird abnehmen, aber die Umsätze, die Produktion und der Arbeitsmarkt werden stabil bleiben. Sollte sich die Weltwirtschaftskrise im 2010 verschärfen, wären die Auswirkungen auf das Land stärker.

Letztlich, sollte der durchschnittliche Ölpreis die 40-Dollarmarke übersteigen (nehmen wir an, dass er auf 50 Dollar steigt), würde der Bedarf an Devisen und der Finanzierungsbedarf der Regierung wesentlich sinken. Dieses Szenario kann angenommen werden, wenn sich die internationale Wirtschaftskrise nicht verschlechtert.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 158, 10. August 2009, S. 32-33
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2009