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CORREOS/210: Handelsabkommen und die Globalisierung von Faschismus


Correos de las Américas - Nr. 185, 1. September 2016

Handelsabkommen und die Globalisierung von Faschismus

von Franklin Frederik (übersetzt von Natalie Benelli)


«In den letzten Jahren gab es einen Trend hin zu Demokratie und Marktwirtschaften. Dadurch verloren Regierungen an Bedeutung. Unternehmer tendieren dazu, diese Entwicklung gutzuheissen. Auf der anderen Seite bedeutet dies jedoch, dass jemand an die Stelle von Regierungen treten muss. Mir scheint logisch, dass dieser jemand die Konzerne sein müssen.» David Rockefeller

«Auch in demokratischen Ländern sind wir weit mehr durch einen totalitären Bewusstseinszustand vergiftet, also wir denken.» Jean Guéhenno, Journal 1937


Von der Schweiz aus muss man sowohl ost- als auch westwärts mindestens den halben Globus durchqueren, bevor man den Pazifik erreicht. Schon alleine aufgrund dieser Distanz ist es also ziemlich unwahrscheinlich, dass sich die Schweiz in der Pazifik-Allianz (PA) oder der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) engagiert. Und doch: Das in der Schweiz ansässige transnationale Unternehmen Nestlé ist sehr stark in die PA und ihre Ziele involviert. Nestlé scheint zudem mächtigen Einfluss auf die Aussenpolitik der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu haben, ist es dem Unternehmen doch gelungen, die Schweizer Regierung dazu zu bringen, sich der PA anzunähern. Darauf deutet zumindest das «First Youth Meeting of the Pacific Alliance» hin, das am 19. Mai 2016 in Peru stattfand. Folgendes kann man der Webseite der Veranstaltung entnehmen: «Am von der PA und Nestlé organisierten Treffen kamen neben hochrangigen Vertretern und Vertreterinnen der Arbeits- und Bildungsministerien Chiles, Kolumbiens, Mexikos und Perus der Staatssekretär für Bildung, Forschung und Innovation der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Mauro Dell'Ambrogio, führende Geschäftsleute, Delegationen von Jungunternehmerinnen und -unternehmern sowie Studierende aus den vier Mitgliedsstaaten zusammen

Die PA entstand als Reaktion und als «Schutzmauer». Ihre Mitgliedsstaaten - Kolumbien, Chile, Peru und Mexiko - teilen die Ideologie der Marktderegulierung. Sie brauchten eine Schranke, um sich gegen die Politik der sozialen Inklusion, Marktregulierung und Verwendung natürlicher Ressourcen für die Entwicklung des eigenen Landes zu schützen, wie sie von den fortschrittlichen Regierungen Lateinamerikas vorangetrieben wird. Oberstes Ziel der PA ist der Abschluss von TPP.

Aber worum geht es bei TPP und all den anderen Handelsabkommen, die zurzeit verhandelt werden (TTIP, TISA und CETA), WIRKLICH? Sie alle haben vieles gemeinsam, so auch die Geheimniskrämerei um ihre Verhandlungen. Was wir wissen, verdanken wir vor allem der Arbeit von NGOs wie Greenpeace, Wikileaks und anderen, die Informationen zu den Abkommen öffentlich gemacht haben.

Im Falle von TPP haben nur sechs von dreissig Kapiteln etwas mit Handel zu tun. In den restlichen Kapiteln geht es vor allem darum, Investorenrechte und Unternehmen davor zu bewahren, öffentlich Rechenschaft über ihre Tätigkeiten ablegen zu müssen. Wir können mit grosser Sicherheit davon ausgehen, dass TPP die Vorlage für die anderen Handelsverträge liefert. Noam Chomsky nennt sie zurecht «Investorenrechtsabkommen». Sogar der frühere britische Staatssekretär für Handel und Industrie, Peter Liley - den man kaum als Linken bezeichnen kann - äusserte seine Bedenken zu TTIP wie folgt: «Meine drei Hauptbedenken betreffen das Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren ISDS). Dieses schafft ein System von Schiedsstellen - speziell geschaffenen Gerichten - vor denen ausländische Grosskonzerne gegen Regierungen klagen können (ohne, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhen würde), deren Politik ihre Investitionen gefährden. US-Firmen könnten gegen die britische Regierung klagen, sollte diese privat erbrachte Dienstleistungen im Bereiche der NHS (Gesundheitsversorgung), der Bildung und so weiter wieder in den öffentlichen Sektor integrieren wollen. (...) Diese Schiedsgerichte bieten ausländischen Multis eine eigens auf ihre Interessen ausgerichtete Rechtsordnung, unerschwinglich für kleinere ausländische Firmen (die durchschnittlichen Kosten pro Fall belaufen sich auf $8 Millionen US-Dollars). Britische Unternehmen sind von ihr ausgeschlossen. Dazu kommt, dass es sich bei den «Richtern» um Wirtschaftsanwälte handelt, die, wenn sie nicht für ein Gericht tätig sind, für Grosskonzerne arbeiten und deren Interessen vertreten. Die Anhörung der Fälle finden meistens im Geheimen statt...»

Dies gilt auch für TTP, TISA und CETA. So weit wir wissen, sehen alle diese Abkommen ein ISDS vor. Der frühere Stellvertretende US-Finanzminister und Mitherausgeber des Wall Street Journal, Paul Craig Roberts schrieb im Artikel «Trans-Atlantic and Trans-Pacific Partnerships Complete Corporate World Takeover» mit Bezug auf diese Eigenjustiz: «Der wichtigste Mechanismus dieser Immunität besteht im Recht der Konzerne, gegen Regierungen und deren Behörden zu klagen, aus deren Gesetzen und Bestimmungen ihnen Gewinneinbussen erwachsen können. (...) Die «Partnerschaften» schaffen «Gerichte», deren Mitarbeitende von den Konzernen selber eingesetzt werden und die ausserhalb des Gerichtswesens einer souveränen Regierung stehen. Die Gerichtsverfahren finden vor diesen Konzerngerichten statt. (...) Die «Partnerschaften» setzen geheime Regierungen ein, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden können

In der Tat ist es so, dass TPP, TTIP, TISA und CETA absichtlich als Instrumente zur Umgehung gewählter Regierungen konzipiert wurden. Sollten sie abgeschlossen und umgesetzt werden, würde dies das Ende der Demokratie und die vollständige Kontrolle über fast die ganze Welt durch Grosskonzerne bedeuten. Angesichts dieser Tatsache ist kaum erstaunlich, dass ein Multi wie Nestlé TTP unterstützt, wird er doch direkt davon profitieren. Umso bedenklicher ist, dass ein Land wie die Schweiz, das stolz auf seine demokratische Tradition ist, Seite an Seite mit Nestlé TTP unterstützt. Ganz zu schweigen von der Beteiligung der Schweiz an TISA, das eine Bedrohung des bestens ausgebauten öffentlichen Dienstes der Schweiz darstellt.

Was in diesem Zusammenhang dringendst öffentlich diskutiert werden muss, ist die Tatsache, dass die Kontrolle über die Welt durch Grosskonzerne dem faschistischen Projekt entspricht. Für Mussolini waren Grosskonzerne effizienter als Regierungen. Die Art und Weise, wie er für Privatisierungen einstand, deckt sich mit den Zielen heutiger Handelsabkommen und neoliberaler Ideologie allgemein. Der Ökonom Germà Bel schrieb in einem Artikel im Cambridge Journal of Economics: «Privatisierung war 1922-1925 in Italien ein wichtiges Instrument. Die faschistische Regierung stand in den 1920er Jahren mit der Übergabe staatlichen Eigentums und Dienstleistungen an private Firmen alleine da. Kein anderes Land der Welt sonst wendete eine solche Politik an, bevor sie von Nazideutschland zwischen 1934 und 1937 umgesetzt wurde.»

Keiner schrieb fachkundiger über dieses Thema als der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi, Autor des Klassikers «The Great Transformation». In einem Essay mit dem Titel «Marxism Redefined» schrieb Polanyi: «Faschismus entsteht aus der Unvereinbarkeit von Demokratie und Kapitalismus in einer vollständig entwickelten Industriegesellschaft. - Demokratie neigt dazu, zum Instrument der Einflussnahme durch die Arbeiterklasse zu werden. Kapitalismus bleibt der Bereich, in der Produktion unter der ausschliesslichen Kontrolle der Eigentümer ist. Dies führt unausweichlich in eine Sackgasse. - Entweder der Kapitalismus oder die Demokratie muss deshalb verschwinden. Faschismus ist die Lösung aus der Sackgasse. Er erlaubt dem Kapitalismus weiterzubestehen. - Die andere Lösung ist Sozialismus. Der Kapitalismus verschwindet, die Demokratie besteht weiter.»

In «The essence of fascism» schrieb Karl Polanyi: «Grundsätzlich gibt es folgende Alternative: Ausweitung des Demokratieprinzips von der Politik auf die Wirtschaft oder schlicht und einfach Abschaffung der «demokratischen» Politik.» Wie Polanyi es ausdrücken würde: Solche Handelsabkommen sind nichts weniger als die Übernahme der Politik durch die Wirtschaft, wie es Rockefeller im Zitat am Anfang dieses Artikels beschrieben hat. Das WIRKLICHE Ziel all derer, die diese Handelsabkommen unterstützen, ist die Umwandlung der GANZEN Gesellschaft in einen einzigen Markt, in dem Demokratie und gewählte Regierungen keine Bedeutung mehr haben. Polanyi analysierte: «Nach der Abschaffung des demokratisch-politischen Bereichs bleibt nur das Wirtschaftsleben. Kapitalismus, so wie er in den verschiedenen Industriesektoren organisiert ist, wird zur ganzen Gesellschaft. Das ist die faschistische Lösung.»

Als Gesellschaft sind wir heute auf dem Weg hin zu einer «faschistischen Lösung». Die Konzentration von Reichtum und die daraus sich ergebende Ungleichheit haben ein noch nie dagewesenes Ausmass erreicht. Laut einer OXFAM-Studie besitzt ein Prozent der Weltbevölkerung schon heute mehr Reichtum als die restlichen 99 Prozent zusammen. Aus Sicht Polanyis würde Demokratie vor diesem Hintergrund automatisch zu einer gleichmässigeren Verteilung des Reichtums dieser Welt führen. Aber die «faschistische Lösung», der Krieg des 1-Prozent gegen die Demokratie, hat bereits einen Grossteil des politischen Diskurses in der westlichen Welt eingenommen und verhindert, dass Demokratie weiterhin funktioniert. Unzählige Beispiele zeugen davon. Es ist zum Beispiel wichtig daran zu erinnern, wie die EU und der Grossteil der Mainstreampresse reagierten, als Griechenlands Bevölkerung in einer demokratischen Abstimmung «Nein» zu den von der Troika verhängten Sparmassnahmen sagte. Gleichermassen aufschlussreich ist die Art und Weise, wie die Mainstreampresse und der Grossteil der westlichen Welt auf Regierungen reagieren, die ihre Politik - ihre Demokratie - gegen die Übernahme durch Grosskonzerne/die Wirtschaft verteidigen. Länder wie Venezuela, Kuba, Bolivien - alles Länder, die NICHT an den Handelsabkommen beteiligt sind - werden als weniger demokratisch oder sogar als diktatorisch bezeichnet. Der aktuell von den Grosskonzernen, den Vertretern und Vertreterinnen des 1 Prozent, gegen die Demokratie geführte Krieg kann sehr effizient sein. Das zeigt der Fall Brasiliens, dessen gewählte Regierung sich stur aus den Handelsabkommen raushielt und entschieden war, seine natürlichen Ressourcen - hauptsächlich Öl - für seine eigenen Zwecke zu verwenden. Diese Regierung wurde durch einen «sanften» Putsch entmachtet. Die neue Regierung kündigte postwendend die Freigabe der kommerziellen Ausbeutung der Ölreserven für ausländische Konzerne an.

Wir müssen uns der Bedeutung dessen, was hier passiert, bewusst sein. Ein solches Ausmass an wirtschaftlicher Ungleichheit und Demokratieabbau - das faschistische Projekt - kann nicht ohne Gewalt und Krieg durchgesetzt werden. In Lateinamerika sind die Putsche in Honduras, Paraguay und Brasilien Beispiele eines faschistischen Krieges gegen die Demokratie, ein gewalttätiger Versuch der Wirtschaft, die endgültige Kontrolle über die Politik zu übernehmen. Wieder einmal erkannte Polanyi die grundlegende Entwicklung: «Die Geschichte der Gesellschaft unserer Zeit ist das Ergebnis einer doppelten Entwicklung: Eine Entwicklung beruht auf dem Prinzip des Wirtschaftsliberalismus, mit dem Ziel der Einsetzung eines sich selber regulierenden Marktes. Die andere Entwicklung beruht auf dem Prinzip der sozialen Sicherung, mit dem Ziel der Erhaltung der Menschheit und der Natur sowie einer produktiven Organisation der Gesellschaft...»

Diese doppelte Entwicklung hat ihren Höhepunkt erreicht. Die Mehrheit der weltweit am höchsten entwickelten Volkswirtschaften erhalten mit diesen Handelsabkommen eine globale Reichweite und jeder einzelne Staat auf dem Globus wird davon betroffen sein. Die Umsetzung dieser Abkommen führt zu nichts weniger als der Globalisierung von Faschismus. Schweigen oder Gleichgültigkeit können wir uns angesichts dieser Tatsache nicht leisten.

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 185, 1. September 2016, S. 6-7
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
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Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2016

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