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CORREOS/220: Der Kampf der Latino-MigrantInnen in den USA


Correos de las Américas - Nr. 190, 25. Februar 2018

«Damit es kein Politiker mehr wagt, uns zu kriminalisieren»

Dieter Drüssel interviewt Angela Sanbrano


Angela Sanbrano berichtet vom aktuellen Kampf der Latino-MigrantInnen in den USA. Sie ist US-mexikanische Doppelbürgerin und war schon früh in den Kämpfen der Chicanos/ as engagiert. In den 80-er Jahren leitete sie die US-Solidaritätsorganisation CISPES gegen den US-Krieg in El Savador. Das FBI versuchte damals, CISPES fertig zu machen. Angela arbeitet heute in CARECEN mit, einer grossen Selbsthilfeorganisation zentralamerikanischer MigrantInnen. Mit anderen 50 Organisationen und 100.000 Haushalten kämpft CARECEN im Zusammenschluss Alianza Americas gegen die rassistische Regierungspolitik.

Dieter Drüssel: Wie stehen die Chancen, dass der US-Kongress Hand bietet für die Legalisierung der Dreamers?

Angela Sanbrano: Die Frage ist brandaktuell, generell in Sachen Migration, aber speziell für die Dreamers (s. unten). Die Zukunft der Dreamers wird ein Licht auf jene der Tepesianos (s. unten) werfen, denn ihre Situation ist vergleichbar.

Dieter Drüssel: Was man hier mitbekommt, ist, dass Initiativen im Kongress zwar eine Lösung für die Dreamers ansteuern, diese aber mit einer Verschärfung des Migrationsregimes verknüpfen ... Wie siehst du das?

Angela Sanbrano: Erst mal ist es wichtig, das Narrativ von Präsident Trump zu kennen, denn es zeigt, wie sie die MigrantInnen sehen. In seiner State-of-the-Union-Botschaft stellte Trump klar, dass er keine Lösung akzeptieren werde, die nicht mindestens 23 Mrd. Dollars für die Mauer beinhalte. Denn die MigrantInnen, die kommen, seien Kriminelle, Mitglieder von Gangs, der Mara Salvatrucha. Er argumentierte, deshalb sei es wichtig, die Grenzen dicht zu machen und grundsätzlich die Kriminellen, die ohne Aufenthaltsbewilligung hier sind, zu deportieren.

Dieter Drüssel: Von wie vielen Undokumentierten reden wir?

Angela Sanbrano: Von 11 Millionen. Davon sind ungefähr 2 Millionen Dreamers. Trump meint, diese Jungen, die Dreamers, seien nicht so gefährlich, denn sie seien als Kinder gekommen und nicht verantwortlich dafür, dass ihre Eltern sie ohne Bewilligung gebracht hätten.

Das betrifft eine wichtige Sache: Was passiert mit den Eltern, sollten die Dreamers einst legalisiert werden?

Dieter Drüssel: Ah, klar!

Angela Sanbrano: Die Dreamers sagen: «Wir akzeptieren nichts, was unsere Eltern kriminalisiert und sie in die Gefahr bringt, deportiert zu werden.»

Dieter Drüssel: Und sie sind organisiert?

Angela Sanbrano: Ja, sie haben Organisationen, sehr, sehr starke. Sie sind jetzt die Avantgarde der Bewegung für die Legalisierung der MigrantInnen. Sie sind sich im Klaren darüber, dass, was immer im Zusammenhang mit ihrer Legalisierung durchkommt, das Schicksal aller 11 Millionen Undokumentierter beeinflussen wird. Und sie sind nicht bereit, ihre Eltern und die 11 Millionen zu opfern.

Dieter Drüssel: Also ein frontaler Kampf...

Angela Sanbrano: Genau. Die Dreamers haben sich politisiert, denn man hat ihnen so oft versprochen, sie zu legalisieren, das Gesetz stehe praktisch schon, sie müssten sich nicht sorgen ... Versprechen nach Versprechen nach Versprechen, aber nichts Konkretes. Sie sehen, wie sowohl die demokratische als auch die republikanische Partei mit ihrem Leben spielen, mit ihrer Zukunft, sie als Bauern in ihren Schachspielen benutzen. Und sie haben die Schnauze gestrichen voll davon, als Kanonenfutter missbraucht werden. Sie sind jung, sie sind nicht risikoscheu... Denn sie gingen ein Risiko ein, als sie sich in DACA (s. Kasten) einschrieben. Sie hatten diskutiert, ob es sich lohne, aufzutauchen, sich erfassen zu lassen im Tausch für einen temporären Status. Und diese Debatte führte die Mehrheit dazu, das Risiko einzugehen. Und deshalb kam es wegen dr Abschaffung von DACA zu einer Klage gegen die Administration Trump vor einem Gericht des 9th Circuit. Denn sie haben sich eingeschrieben, weil ihnen versprochen wurde, sie nicht zu deportieren. Das Gericht urteilte zugunsten der Dreamers und die Regierung legte Rekurs ein, immer noch auf der Ebene des 9th Circuit. Bis es zu einem endgültigen Urteil kommt, können sich alle Dreamers wieder einschreiben. Sie haben einen temporären Rechtsschutz. Die Klage kommt möglicherweise bis vor den Supreme Court.

Dieter Drüssel: Der sie ja wohl ablehnen wird!

Angela Sanbrano: Mit diesem Kongress, mit diesem Supreme Court! Aber bis dann... Im Kongress kontrollieren die Republikaner beide Kammern, das Repräsentantenhaus und den Senat. Sie orientieren sich an dem, was Trump verlangt. Sie argumentieren, dass es ein Zeitverlust wäre, an einem Gesetz zu arbeiten, das Trump dann ablehnen würde. Also basieren sie ihre Vorschläge auf seinen vier Punkten. Er will angeblich 1.8 Millionen Dreamers eine Legalisierungsperspektive verschaffen - wir wissen, dass es 2 oder 2.5 Millionen sind. Aber sie könnten die Staatsbürgerschaft erst nach 10 oder 12 Jahren beantragen. Dafür will er 23 Mrd. für die Mauer. Und er sagt weiterhin, Mexiko werde für die Mauer in der einen oder anderen Weise bezahlen müssen. Wir wissen nicht wie, aber Hauptsache, er kann weiter lügen. Der dritte Punkt betrifft die über Lotterie vergebenen Green Cards, also reguläre Aufenthaltsbewilligungen. Es handelt sich um 50.000 Green Cards für Leute aus Ländern, die für die US-Migrationspolitik nicht prioritär sind. Diese Lotterie soll abgeschafft werden. Der nächste Pfeiler in Trumps Migrationspolitik hat mit dem zu tun, was sie «Ketteneinwanderung» nennen, also dem Familiennachzug. Er ist ein Grundelement der US-Migrationspolitik. Legalisiert sich eine Person in den USA, kann sie ihren Mann, ihre Eltern, ihre Kinder usw. ins Land holen. Damit ist jetzt Schluss. Neu kannst du nur noch den Mann und Kinder unter 21 Jahren holen.

Das ist ein radikaler Wechsel! Und Trump verlangt weitere Milliarden für die interne und die Grenzsicherheit. Zusätzlich zu den 23. Mrd. für die Mauer! Diese sollen einzig in Reparaturen gehen, in elektronische Überwachung entlang der Grenze usw. Aber die zusätzlichen Milliarden sollen die Kapazität von ICE, der Migrationsbehörde, stärken, um Betten statt für 32.000 gefangene MigrantInnen wie bisher neu für 52.000 zu schaffen.

Dieter Drüssel: Scheisse!

Angela Sanbrano: Kurz, wir sind in einem Sicherheitsstaat. Es herrscht Krieg gegen die MigrantInnen. Nun, 80% der öffentlichen Meinung, sowohl auf Seiten der Demokraten wie der Republikaner, unterstützen das mit den Dreamers... Die kamen ja als Kinder, seien eigentlich fast Amerikaner, heisst es. Denn sie kennen ja kein anderes Land, haben an amerikanischen Universitäten studiert... sie sind die Besten der Besten. Man sieht sie als besser an als die anderen MigrantInnen, ob illegal oder legal eingewandert. Deshalb haben die Dreamers eine grosse Verantwortung. Wir denken, ihnen ist das bewusst. In der Bewegung für Gerechtigkeit für die MigrantInnen denken wir, dass sie einen umfassenden, entscheidenden Kampf führen. Sie sind entschlossen, weder ihre Eltern noch andere MigrantInnen in Gefahr zu bringen, um für sich etwas rausholen zu können. Das ist sehr, sehr positiv.

Dieter Drüssel: Wie erfahren gewöhnliche Leute von ihrem Kampf, von ihrer Haltung?

Angela Sanbrano: Nun, da war es während drei Tagen zum Government Shutdown gekommen, die Demokraten verweigerten ihre Zustimmung zum Budget. Denn sie wollten das Thema der Dreamers in der Budgetdebatte fest klopfen. Da sagten natürlich alle: «Wir können doch die Regierung nicht für diese Dreamers opfern. Wir können die Armee, den Lohn der Bundesangestellten nicht finanzieren. Das ist inakzeptabel.» Aber dies verschaffte den Dreamers viel Aufmerksamkeit; sie besetzten in dieser Zeit die Büros von Mitgliedern des Senats und des Abgeordnetenhauses. Sie besetzten einen beträchtlichen Teil des Kongresses, waren vor dem Weissen Haus, blockierten Strassen... Die Medien interviewten sie natürlich. «Was wollt ihr denn?» Und sie beharrten darauf, dass die Budgetdebatte ihr Thema aufnehme, denn dies war die Chance für eine neue Gesetzgebung. Denn jetzt haben wir Versprechen, aber die Versprechen verweht der Wind.

Dieter Drüssel: Aber es gelang nicht?

Angela Sanbrano: Nein, denn die Demokraten rückten von ihrer Forderung ab, die Dreamers ins Budget aufzunehmen. McConnell, der republikanische Senatsleader, versprach dem demokratischen Fraktionschef Schumer, dass sofort nach Annahme des Budgets die gesetzgeberische Dreamer-Debatte beginnen werde. Das Gleiche lief im Abgeordnetenhaus. Die Demokraten beendeten darauf die Auseinandersetzung. Trump unterzeichnete das Budget und versprach, dass diese Woche, genau heute, die Kongressarbeit zu den Dreamers beginne. Nur: Die Republikaner kontrollieren das Parlament und halten sich an die vier Eckpunkte von Trump, also fünf mit der inneren Sicherheit zusammen. Das ist mies, das wird den migrantischen Familien nicht helfen.

Aber die Dreamers sind sehr stark. Sie akzeptieren den Vorschlag von Präsident Trump nicht und sie sind den Demokraten gegenüber sehr kritisch. Denn im Prinzip haben die sie geopfert, verkauft. Die Dreamers und ihre Verbündeten in den Kirchen, an den Unis und in den rund 300 Sanctuary Cities (Zufluchtsstädten) machen landesweit mobil.

Dieter Drüssel: Und diese Sanctuary Cities können den Leuten realen Schutz geben?

Angela Sanbrano: Ja, einen gewissen Schutz im Sinne, dass die lokalen Polizeien bei ICE-Verhaftungen nicht mitmachen, dass ICE Schulen, Gerichte oder öffentliche Gebäude nur mit einer richterlichen Anordnung betreten darf. Das macht die Sache für sie zeitraubender und bürokratischer. So musst du im Antrag für einen richterlichen Beschluss konkrete Angaben machen: Wen willst du verhaften, warum?

Wie du siehst, alles in allem eine sehr komplexe Sache, nicht nur für die Dreamers, sondern allgemein für die MigrantInnen. Und das gilt auch für die Tepesianos. Es sind Leute aus El Salvador, Honduras, Haiti, Nicaragua - was passiert mit ihnen? Für die SalvadorianerInnen beispielsweise läuft die Frist im September nächstes Jahr aus. Es zirkulieren fünf Vorschläge im Kongress, aber niemand widmet ihnen gross Aufmerksamkeit, da alle auf die Sache mit den Dreamers schauen. Es gibt eine Gruppe von Senatoren, die Gang of Six, die Bande der Sechs, von beiden Parteien, die einen Vorschlag für die Dreamers formuliert haben, der auch die Tepesianos einbezieht. Als sie diesen Vorschlag bei Trump vortrugen und auf den Punkt zu sprechen kamen, dass die Lotterie-Visa auf die Tepesianos übertragen werden sollten, war es, dass Präsident Trump sagte: «Warum wollen wir, dass all diese Leute von Scheissloch-Länder reinkommen?» In Wirklichkeit ist dies der freundlichste Vorschlag, weil er z. B. das Recht auf Familienzusammenführung nicht abschafft. Aber Senatsführer McConnell und Ryan, der republikanische Chef des Repräsentantenhauses, lehnen ihn ab. Es gibt also ein Gezerre zwischen dem Vorschlag von Trump und jenem der Sechser-Gruppe.

Dieter Drüssel: Eine Frage noch zu den Tepesianos, insbesondere den SalvadorianerInnen, bevor uns die Zeit davonläuft. Ich habe den Eindruck, dass ziemlich viel Leute versuchen, viele von den FMLN-Komitees, aber nicht nur, etwas zu organisieren. Wie steht es da?

Angela Sanbrano: Wie gesagt, es hat fünf Vorschläge im Kongress, einige spezifisch zu TPS. Und das erklärt sich mit der Organisierung der Tepesianos. Die SalvadorianerInnen stehen da im Zentrum. Es existiert eine Organisation, die Alianza Nacional de los Tepesianos. Sie ist in mehr als zwanzig Staaten präsent, mit Schwergewicht in Los Angeles, Washington D. C., New York, Houston und Boston, dort, wo die meisten Tepesianos leben. Gerade letzte Woche waren sie in Washington und die Dreamers haben mit ihnen gearbeitet und sie unterstützt. Sie lassen sie nicht allein. Es gibt ein Bündnis zwischen Dreamers und Tepesianos. Eine Schwierigkeit ist, dass die Sache mit den Tepesianos in der Bevölkerung nicht sehr bekannt ist. Es sind zwischen 300.000 und 350.000, nicht so viele.

Dieter Drüssel: Und es gab in den letzten Jahren nicht diese Bewegung wie bei den Dreamers...

Angela Sanbrano: Nein, gab es nicht. Den TPS gibt es ja seit 16 Jahren, er wurde regelmässig erneuert, und die Leute sagten: «Er wird erneuert und wir haben Ruhe.» Aber du musst wissen, viele Tepesianos haben Kinder, die hier geboren wurden und deshalb die Staatsbürgerschaft haben, und die kämpfen für ihre Eltern. Sie gehen zum Kongress, geben Erklärungen, dass sie nicht wollen, dass ihre Eltern deportiert werden.

Dieter Drüssel: Schön!

Angela Sanbrano: Sehr schön! Dies macht uns Hoffnung und weist uns den Weg. Denn wir kämpfen weiter, egal, was im Kongress und mit Trump läuft. Denn wir wissen, das Einzige, was sie interessiert, ist, die Dreamers und die Tepesianos zu benutzen, um an Geld für die Mauer und die innere Sicherheit zu kommen.

Dieter Drüssel: Ein sehr harter Kampf, den ihr da führt. Aber es gibt ja auch die Perspektive, die Bündnisse auszuweiten, mit den afroamerikanischen Communities, den Gewerkschaften ... oder?

Angela Sanbrano: Oh ja, und zum Beispiel auch in den Sanctuary Cities. Wir kämpfen weiter, denn das Ziel ist, die Kapazität zu stärken, Einfluss auf die Entscheidungen auszuüben.


Dreamers: Sie sind als Kinder mit ihren Eltern illegal in die USA gekommen. Sie führten einen jahrelangen Kampf für ihre Legalisierung, der im republikanisch dominierten Kongress nicht durchkam. 2012 erliess Obama die DACA-Regulierung - Deferred Action for Childhood Arrival - welche den Dreamers eine erneuerbare, jeweils zwei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsbewilligung ermöglichte. Trump beendete DACA im September 2017.

Tepesianos: Bezieht sich auf MigrantInnen mit TPS-Status, Temporary Protection Status. TPS ist die Möglichkeit für Leute aus einigen Ländern, die z. B. schwere Umweltkatastrophen hatten, legal in den USA zu leben und zu arbeiten. Nach dem Wirbelsturm Mitch 1998 trat es für Nicaragua und Honduras in Kraft und wurde danach auf El Salvador, Haiti, Jemen, Syrien u.a. Länder ausgeweitet. Die Erneuerung des TPS-Status alle zwei Jahre war unter den verschiedenen Administrationen weitgehend eine Formsache, bis Trump um die letzte Jahreswende herum den TPS für die meisten Länder abschaffte. Von den über 300.000 Tepesianos sind die meisten Latinos, 190.000 sind SalvadorianerInnen. Für diese läuft ohne eine neue Kongressregelung die letzte Frist Ende September 2019 aus.

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 190, 25. Februar 2018, S. 14-16
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2018

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