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DA/428: Interview mit dem Mitbegründer der polnischen Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza


DA - Direkte Aktion Nr. 196, November/Dezember 2009
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)

"Der Kampf lohnt sich"

Interview mit Jarek Urbanski, Mitglied der Inicjatywa Pracownicza (IP)


In den letzten Ausgaben der DA haben wir mehrere der größeren (anarcho)syndikalistischen Gewerkschaften vorgestellt. Die polnische Basisgewerkschaft IP kann nicht wie die spanische CNT, die italienische USI, die schwedische SAC oder die IWW auf eine jahrzehntelange Geschichte verweisen. Trotzdem ist sie in den letzten Jahren stark gewachsen, hat zahlreiche Arbeitskämpfe geführt und Verbesserungen für ihre Mitglieder erkämpft. Wir haben mit Jarek, der die Gewerkschaft mitgegründet hat, über die Arbeit der IP, ihre Kämpfe und Perspektiven gesprochen.


FRAGE: Die IP hat schon einiges erreicht, obwohl sie erst seit wenigen Jahren existiert. Wie kam es zu ihrer Gründung?

JAREK URBANSKI: 2001, im Jahr der globalen Wirtschaftskrise, kam es in Polen zu einem drastischen Anstieg der Erwerbslosenquote, die 2002 auf 20 % anstieg. Es kam in ganz Polen zu einer Welle von Demonstrationen, die allerdings nicht von den Gewerkschaften initiiert wurden, sondern von verschiedenen anderen Gruppen und Initiativen. Bei den Protesten ging es unter anderem darum, eine Lockerung des Arbeitsrechts zu verhindern. Dabei fand sich auch eine kleine Gruppe von Leuten aus verschiedenen Teilen Polens zusammen, die sich als ArbeiterInneninitiative innerhalb der 1989 gegründeten Anarchistischen Föderation (Federacja Anarchistyczna - Inicjatywa Pracownicza, FA-IP) konstituierte und an der Organisation dieser Demonstrationen beteiligte. Eine Gewerkschaft war die ArbeiterInneninitiative zu dieser Zeit noch nicht, das war anfänglich auch gar nicht unbedingt die Absicht gewesen. Die Initiative zu einer Gewerkschaftsgründung kam erst 2004 und ging von ArbeiterInnen aus den Motoren- und Maschinenbauwerken H.Cegielski in Poznan aus. Dort hatten Mitglieder der damaligen IP die ArbeiterInnen schon seit längerem in ihren Protesten gegen Massenentlassungen unterstützt. So kam es zur Gründung der IP unter der Bezeichnung Gesamtpolnische Gewerkschaft ArbeiterInneninitiative (Ogólnopolski Zwiazek Zawodowy Inicjatywa Pracownicza, OZZIP).

FRAGE: Wie viele Mitglieder habt ihr denn aktuell?

JAREK URBANSKI: Es sind jetzt ca. 850 in ganz Polen. Es gibt aber auch viele informelle Mitglieder und SympathisantInnen, die sich an Aktionen beteiligen, aber nicht offizielle Mitglieder sind. Neue Leute kommen oft stoßweise in Krisenzeiten.

FRAGE: Und was für Leute organisieren sich in der IP?

JAREK URBANSKI: Das sind ArbeiterInnen aus den verschiedensten Branchen: MetallarbeiterInnen, wie die Leute aus dem Cegielski-Werk, aber auch KrankenpflegerInnen, oder Menschen, die in den riesigen Supermärkten arbeiten, die hier überall aus dem Boden gestampft werden. Wir haben auch gerade einen Konflikt in der Holzindustrie, in einem Werk, das Fußbodenbeläge herstellt. Dort arbeiten nur Frauen, die härteste Arbeit verrichten, und das ohne den geringsten Arbeitsschutz. Da muss man um die grundlegendsten Dinge kämpfen.

FRAGE: In Polen wird derzeit aber auch um Lohnerhöhungen gekämpft. Wie würdest du die Tendenz eurer aktuellen Kämpfe beschreiben?

JAREK URBANSKI: Gekämpft wird manchmal um ganz schlichte Dinge, beispielsweise die Einhaltung des Arbeitsschutzes, wie in der Bodenbelagsfabrik, andererseits aber auch um Lohnerhöhungen und Lohnanpassungen an die signifikant steigenden Lebenshaltungskosten. Bei Cegielski zum Beispiel konnten nach harten Verhandlungen und einer Welle wilder Streiks Lohnerhöhungen in Höhe von 700 Zloty (rund 170 EUR) durchgesetzt werden. Diese Kämpfe sind von der Tendenz her offensiv. Es gibt aber auch defensive Kämpfe gegen Entlassungen oder gar Werksschließungen, wie z. B. 2003 in Lodz, wo die Bekleidungsfirma Uniontex Insolvenz angemeldet hatte und das Werk abgewickelt werden sollte. Hier hat die IP versucht, die gegen die Werksschließung kämpfende Belegschaft zu unterstützen. Uniontex wurde schließlich in eine Anteilseignergesellschaft [2] umgewandelt, an der zumindest ein Teil der Belegschaft beteiligt wurde. Die IP-Miglieder gründeten daraufhin eine betriebliche Organisation im Werk [3]. Allerdings wurde den IP-Mitgliedern nach einem Jahr rechtswidrig gekündigt. Das Werk wurde später aufgrund finanzieller Schwierigkeiten endgültig abgewickelt und geschlossen.

Eine zentrale Strategie, die wir verfolgen, um solche Entwicklungen zu vermeiden, ist der Aufbau kollektiver Strukturen anstatt der weiteren Privatisierung. So kämpfen beispielsweise MitarbeiterInnen der Psychiatrie in Bielsko-Biala um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und verbinden diesen Kampf mit dem Ziel, den Betrieb zu kollektivieren. Wichtig ist es vor allem, dass man nicht reaktiv, sondern initiativ vorgeht.

FRAGE: Was heißt das konkret? Wie kämpft ihr um eure Forderungen?

JAREK URBANSKI: Die Art, wie gekämpft wird, bestimmen die Kämpfenden selbst. Sie gehen z.B. in einer kleinen Gruppe zur Geschäftsführung oder einem/einer zuständigen städtischen Abgeordneten und verlangen das Gespräch. Je nach Verlauf kommt man dann natürlich wieder vorbei, diesmal schon mit ein paar mehr Leuten, und so kann sich das hochschaukeln. Die Presse zeigt sich hier in Polen sehr interessiert, und es hat sich als gut erwiesen, dass wir nicht mit schicken Fahnen herumstehen. Das würde die Presse dazu verleiten, schnell ein paar gute Bilder zu machen und wieder zu verschwinden. So aber ist sie gezwungen, sich mit den Leuten zu unterhalten, was zu einem viel nachhaltigeren Verständnis der Situation in der Öffentlichkeit führt. Neben dem Gespräch und der offensiven Öffentlichkeit sind aber natürlich auch Streiks ein wichtiges Arbeitskampfmittel. 2006 kam es in den Cegielski-Werken zu einer von der IP initiierten Urabstimmung über einen Streik für Lohnerhöhungen, die jedoch wegen zu geringer Beteiligung (42%) ungültig war, obwohl in absoluten Zahlen 640 von 1600 Beschäftigten für Streik stimmten. Nachdem fast ein Jahr später dann hinter verschlossenen Türen ein Abkommen über eine Lohnerhöhung von 140 Zloty ausgehandelt wurde, haben wir uns geweigert, dies anzunehmen und haben zu offenen Verhandlungen auch mit der Basis aufgerufen. Zwischen März 2007 und April 2008 kam es dann zu mehreren wilden Streiks in Form von Kurzniederlegungen der Arbeit zwischen 20 Minuten und drei Stunden und einem kollektiv genommenen "Urlaubstag", an dem sich fast 90% der Belegschaft beteiligte. Die Leute kamen dann statt zur Arbeit zu einer großen Kundgebung vor dem Büro der Geschäftsführung. Auf diesem Weg konnten schließlich Lohnerhöhungen um 700 Zloty durchgesetzt werden. Aber der Kampf ist hier leider nicht beendet, denn auch im Falle der Cegielski-Werke wird schon längst über die Privatisierung verhandelt. Natürlich hinter dem Rücken der ArbeiterInnen. Auch hier ist es das Ziel unserer Aktivitäten, eine für die ArbeiterInnen gute Form der Vergesellschaftung des Werkes zu erreichen. Wir prüfen derzeit die Möglichkeit, eine Genossenschaft zu bilden.

FRAGE: Inzwischen habt ihr bei Cegielski ja auch mit Marcel Szary einen IP-Genossen in der Geschäftsführung [1]. Wie verhält sich das zu eurem anarchosyndikalistischen Selbstverständnis?

JAREK URBANSKI: Die IP ist eine Gewerkschaft, die sich entschieden als Basisgewerkschaft versteht. Dass Marcel Szary, der sich schon seit langem schon für die Belange der WerksarbeiterInnen bei Cegielski einsetzt und nach einigen Gewerkschaftswechseln schließlich bei der IP gelandet ist, als Vertreter der Belegschaft in der Geschäftsführung sitzt, ist unter anarchosyndikalistischem Gesichtspunkt natürlich sehr streitbar. Es ist aber eine Entscheidung, die für uns tragbar ist.

Auch was das Auftreten nach außen angeht, verhalten wir uns nicht so eindeutig, was vielleicht auch irritiert: wir tragen nämlich bewusst keine rot-schwarze Symbolik vor uns her, da wir wollen, dass die Leute selbst herausfinden, wie sie kämpfen wollen - wir unterstützen sie darin. Es geht also nicht darum, irgendein Wiedererkennungszeichen an möglichst vielen Stellen und Kontexten zu platzieren, sondern um die alltägliche Solidarität mit den ArbeiterInnen. Und das läuft sehr gut. Die Leute kommen auf uns zu, wenn sie Probleme auf der Arbeit haben. Und dann wird überlegt, was man tun kann. Oft spricht sich so ein Arbeitskampf in der Familie oder im Bekanntenkreis herum, und die Verwandten und Freunde kommen dann auch.

FRAGE: International hat euch ja unter anderem der Streik der PostbotInnen 2006 bekannt gemacht, mit dem ihr oft in Verbindung gebracht worden seid, obwohl der nicht von der IP initiiert wurde...

JAREK URBANSKI: Wir unterstützen auch Streiks oder Initiativen, die nicht aus der IP heraus organisiert werden. Ein solcher Fall war der wilde Streik der Postboten an Weihnachten 2006. Hier kam der Initiator zwar aus dem Umfeld der IP, die landesweite Streikwelle, die überall Postämter erfasste, ging allein von den Post-Beschäftigten aus: sie war ebenso spontan wie unkontrollierbar - für alle Beteiligten. Die IP hat versucht, Kontakte zwischen den Streikenden herzustellen und ein gemeinsames Treffen der Poststreik-Aktivistinnen organisiert. Schließlich hatte die Solidarnosc die Verhandlungen mit der Generaldirektion aufgenommen. Die Forderungen nach höheren Löhnen und geregelten Arbeitszeiten sind nicht erfüllt worden [4].

FRAGE: Ein spezifisch polnisches Problem ist bekanntlich auch, dass viele unter sehr prekären Bedingungen im Ausland arbeiten, gerade in der Saisonarbeit [5]. Seid ihr auch international aktiv?

JAREK URBANSKI: In unserer Gründungsphase haben wir eine Infokampagne für polnische Saisonarbeiter im europäischen Ausland gestartet. Die wurde jedoch sehr unterschiedlich aufgenommen: In Deutschland ist überhaupt nichts passiert, in Irland dagegen kam es zu einem Arbeitskampf eines Zeitarbeiters bei der Supermarktkette Tesco [6]. Insgesamt liegt unser Arbeitsschwerpunkt aber, mit Ausnahme der damaligen Kampagne für die Rechte der SaisonarbeiterInnen, auf der Situation in Polen. Wir können nicht alles gleichzeitig stemmen und müssen Prioritäten setzten.

FRAGE: Polen hat ja im Vergleich zur BRD eine wesentlich vielfältigere Gewerkschaftslandschaft. Ist das für eure Kämpfe vorteilhaft?

JAREK URBANSKI: Ja, es gibt in Polen die durchaus auch vorteilhafte Situation, dass es sehr viele gewerkschaftliche Vereinigungen gibt, wie z.B. die sehr kämpferische Sierpien 80 (August 80, dazu siehe auch DA 190, S. 10) und die ebenfalls anarchosyndikalistische ZSP. Diese Organisationen beginnen auch Kampagnen und Kämpfe, die wir im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen, und anders herum. Natürlich wird das auch kontrovers diskutiert, aber grundsätzlich bewerten wir diese Vielfalt, anders als das z.B. in Deutschland der Fall ist, eher als positiv. Trotzdem gibt es auch in Polen Probleme mit den großen staatsnahen Gewerkschaften, denen die zunehmende Stärke und Agilität der Kleinen nicht gefällt, und die ganz im Sinne der Aufrechterhaltung des Status quo versuchen, die Macht der kleinen Gewerkschaften nicht wachsen zu lassen.

FRAGE: Wie schätzt du die aktuelle Situation der IP ein? - wie geht es weiter?

JAREK URBANSKI: Wichtig und schön ist, dass wir, selbst wenn nicht alle Auseinandersetzungen gewonnen werden können, ständig Erfahrung sammeln. Leute, die Arbeitskämpfe initiiert haben und deshalb ihren Job verlieren, finden häufig einen neuen, manchmal sogar besseren Arbeitsplatz und scheuen sich nicht, wieder zu uns zu kommen und zu kämpfen, wenn dort erneut Probleme auftauchen. Das ist ein ganz wichtiger Lernprozess: Es lohnt sich zu kämpfen; und wirklich verlieren kann man nichts, außer den ohnehin miesen Arbeitsplatz. Generell ist es natürlich sehr wichtig, dass versucht wird, die Leute in gerichtlichen Auseinandersetzungen oder in Phasen der Erwerbslosigkeit solidarisch zu unterstützen. Das ist zwar nicht ganz einfach und auch nicht immer möglich, aber eine wichtige Aufgabe, welche die Gewerkschaft übernehmen muss.

Perspektivisch wünsche ich mir, dass wir die Projekte, die wir angefangen haben, weiter voranbringen. Dazu gehört unter anderem die Übernahme von Betrieben durch die Beschäftigten. Das forcieren wir ja bereits, allerdings haben wie es noch lange nicht erreicht. Ich glaube, dass es in den nächsten Jahren einen weiteren Anstieg von Arbeitskämpfen Aktivitäten geben wird. Da gibt es zumindest in Polen eine gewisse Regelmäßigkeit in Zehnjahreszyklen. Ich sehe unseren zukünftigen Kämpfen also mit Neugierde entgegen.


Interview: Linde Müller


Anmerkungen

[1] In Polen gilt in staatseigenen Betrieben wie Cegielski ein Mitbestimmungsmodell, das den Beschäftigten einen Sitz in der Geschäftsführung zugesteht. Marcel Szary wurde bereits 2006 mit 62% der Stimmen der Belegschaft in das Amt gewählt, im März 2009 kam er auf 72% der Stimmen. Im Sommer 2009 wurde er wegen Aufruf zu wilden Streiks verurteilt.

[2] Laut dem polnischen Privatisierungsgesetz von 1996 hat die Belegschaft bei bestimmten Privatisierungen einen Anspruch auf 15% der Firmenanteile. Problematisch bei Uniontex war, dass nur eine relativ kleine Gruppe von vor dem Konkurs Beschäftigten Anteilseigner wurde, während andere keine Anteile bekamen.

[3] In Polen wird generell von einer "betrieblichen Organisation" gesprochen, welche formal vergleichbar mit einer Betriebsgruppe ist. Gewerkschaften sind in Polen, juristisch gesehen, betriebliche Organisationen, die sich zu landesweiten Verbänden zusammenschließen.

[4] Zum Streik bei der polnischen Post siehe: http://www.wildcat-www.de/wildcat/78/w78_polen.htm

[5] Siehe auch Sklavenhandel 2.0 in der Direkten Aktion 193.

[6] Zum Arbeitskampf bei Tesco siehe: http://www.wildcat-www.de/wildcat/74/w74_picking.htm


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Quelle:
DA - Direkte Aktion Nr. 196, November/Dezember 2009, Seite 10
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010