Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

DA/553: Lizenz zum Senden - Pressefreiheit auf argentinisch


DA - Direkte Aktion Nr. 215 - Januar/Februar 2013
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)

Lizenz zum Senden
Pressefreiheit auf argentinisch

Interview und Übersetzung von Robert Ortmann



In Argentinien wurde 2009 ein neues Mediengesetz verabschiedet. Es sieht vor, dass jedes Unternehmen nur noch maximal 24 Radio- und Fernsehlizenzen halten darf. Es legt außerdem fest, dass jeweils ein Drittel der Lizenzen für private, staatliche und gemeinnützige Anbieter reserviert wird. Der Medienkonzern Clarín hält bislang allerdings noch 237 dieser Lizenzen. Durch das Gesetz wurde seine Monopolstellung erstmals in Frage gestellt. Der Konzern vertritt die Position, Teile des Gesetzes seien verfassungswidrig, da es die Pressefreiheit und das Recht auf Privateigentum einschränke. 2010 gelang es Clarín, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, bis über diese Frage juristisch entschieden werde. Danach passierte nicht mehr viel, bis das Oberste Gericht im Mai 2012 entschied, dass die einstweilige Verfügung nur bis zum 7. Dezember 2012 gültig sei, da sie ansonsten nahezu die Wirkung einer endgültigen Entscheidung habe. Die Regierung lancierte daraufhin eine Kampagne gegen Clarín, die auf den "7D" ausgerichtet wurde. Sie betonte, dass "D" stehe sowohl für "Dezember", als auch für "Demokratie" und "Diversität" in der argentinischen Medienlandschaft. In der Frage, ob die beanstandeten Artikel des Mediengesetzes wirklich verfassungswidrig sind, entschied die erste Instanz am 14. Dezember zu Gunsten der Regierung. Clarín hat Berufung gegen diese Entscheidung eingelegt.

Die Medienkooperative lavaca wurde 2001 im Kontext der argentinischen Wirtschaftskrise gegründet, als viele zuvor geschlossene Betriebe besetzt und durch ihre ehemaligen ArbeiterInnen wieder in Gang gesetzt wurden. Die Gründungsmitglieder der Kooperative sind MedienarbeiterInnen, die vor 2001 für kommerzielle Medien tätig waren. Zunächst gab es nur die Homepage, lavaca.org. Heute geben sie eine monatliche Zeitschrift mit dem Namen "Mu" heraus und produzieren Radiosendungen. Außerdem verlegen sie Bücher. Das erste Buch, welches das Kollektiv veröffentlichte, behandelt die Erfahrungen der reaktivierten Betriebe. Es heißt Sin Patrón (Ohne Chef) und wurde bislang ins Englische und ins Italienische übersetzt. Zusätzlich betreibt die Kooperative eine Bar im Zentrum vom Buenos Aires, in welcher sich auch ein Laden befindet, wo Produkte von anderen Kooperativen und selbstverwalteten Projekten erworben werden können. Die DA sprach mit dem Mitglied der Kooperative Franco Ciancaglini über das Mediengesetz und seine Auswirkungen auf die alternativen Medien in Argentinien.

Frage: Die Diskussion rund um das Mediengesetz und der Machtkampf zwischen der Regierung und Clarín hat in den letzten Wochen die Schlagzeilen der argentinischen Medienlandschaft dominiert. Welche Position vertritt lavaca in diesem Zusammenhang?

Franco Ciancaglini: Das Mediengesetz sieht zweifelsohne einige sehr grundlegende und wichtige Änderungen vor. Die Konzentration von Medienmacht soll durch eine Vielseitigkeit in der Medienlandschaft ersetzt werden. Damit wurden seitens der Regierung langjährige Forderungen von gemeinnützigen Medienschaffenden und sozialen Bewegungen erfüllt. Das dies auch wirklich umgesetzt wird, muss allerdings gewährleistet werden. Soll heißen, es ist nicht garantiert, dass dieser Prozess der Pluralisierung auch wirklich stattfinden wird. Die ganze Diskussion fokussiert sich schon sehr lange sehr stark auf den Streit zwischen Clarín und der Regierung. Ich denke, das ist ein realer Konflikt, aber es ist auch sehr viel Symbolik darin, wenn die Regierung eine ökonomisch starke Gruppe in die Mangel nimmt. Die realen Effekte dieser Pluralisierung wird man erst sehr viel später feststellen können, oder eben nicht.

Frage: Wie soll diese nun gesetzlich festgeschriebene Pluralisierung aussehen?

Franco Ciancaglini: Genau das ist noch nicht wirklich klar. Am 7. Dezember sollten nur zwei Artikel des Gesetzes wieder in Kraft treten, die unter anderem eine Entmonopolisierung vorsehen. Diese wurden 2010 durch die einstweilige Verfügung außer Kraft gesetzt. Abgesehen davon, bleiben aber sehr viele Fragen offen. Das Mediengesetz wurde nicht erst mit dem 7. Dezember wirksam, wie sie suggerieren, sondern es gilt eigentlich, mit Ausnahme dieser zwei Artikel, schon seit 2009. Kommunale Fernsehprojekte beklagen schon seit längerem, dass ihnen der Zugang zu den Lizenzen erschwert wird. Seit das Gesetz 2009 verabschiedet wurde, hat sich zum Beispiel niemand darum gekümmert die Interessenten für die Lizenzen zu erfassen. Die Fernsehprojekte sollen sich in eine Ausschreibung einkaufen. Dafür wurde ein Preis von einigen zehntausend Peso (mehrere tausend Euro) festgesetzt. Das ist eine sehr hohe Summe für unabhängige Projekte, die sich im Rahmen von Selbstverwaltung finanzieren. Damit ist der Erwerb der Lizenz aber immer noch nicht garantiert. Das erlaubt dir nur die Teilnahme an der Ausschreibung. Viele Medienprojekte fordern eine Senkung der Gebühr und endlich die Erfassung der Interessenten. Es bleiben sehr viele Fragen offen. Wem werden sie letztendlich die Lizenzen geben? Wann? Wie soll diese Pluralität tatsächlich garantiert werden?

Frage: Kannst du ein Beispiel für die Bedeutung der eigenen Medien für die sozialen Bewegungen nennen?

Franco Ciancaglini: Die sozialen Bewegungen haben schon lange gegen die Medienmonopole gekämpft. Lange bevor sich die Nationalregierung gegen Clarín und die anderen Monopolgruppen gestellt hat. Wir waren vor kurzem in Formosa, das ist eine der ärmsten Provinzen Argentiniens, wo wir Menschen aus Gemeinden der indigenen Gruppe der Qom getroffen haben. Einige von ihnen hatten 2010 vier Monate hier in Buenos Aires auf der Avenida 9 de Julio gecampt. Sie traten dort in einen Hungerstreik. Sie möchten frei über ihr Land verfügen können, an dessen kommerzieller Verwertung die Agrarkonzerne und auch die verschiedenen Regierungen interessiert sind. Außerdem fordern sie, dass die Bürgerrechte auch für sie gelten und eine Versorgung mit Trinkwasser und eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Sie sind mit einer starken Repression konfrontiert. Ein Gemeindemitglied wurde 2010 durch die Polizei ermordet, während sie von ihrem Land vertrieben wurden. Erst vor wenigen Wochen, gab es einen erneuten Mordanschlag, bei dem eine Frau und ihre kleine Enkelin ums Leben kamen. Die Qom blicken auf eine lange Geschichte des Widerstandes und der Repression zurück.

Seit Februar 2012 verfügen sie über ein eigenes Radio, mit einer Reichweite von 60 km. Sie haben solange Druck auf die Nationalregierung ausgeübt, bis sie ihnen die Lizenz gab. Die Provinzregierung, zu der sie eine sehr schlechte Beziehung haben, wäre dabei sicherlich nicht behilflich gewesen. Alleine mit der Lizenz konnte das Radio allerdings noch nicht auf Sendung gehen. Es fehlte noch die technische Ausrüstung, außerdem mussten die RadiomacherInnen ausgebildet werden. All dies wurde Schritt für Schritt mit Unterstützung der sozialen Bewegungen erkämpft. Nun haben sie ihr Radio. Du kannst ihre Stimme hören. Allerdings gilt dies nur für diese Gemeinden in Formosa. Sie haben jetzt zwar ein eigenes Radio, aber immer noch keinen Wasseranschluss. Einen Stromanschluss haben sie erst seit 6 Monaten.

Frage: Welche Rolle spielt das Radio nun im Alltag der Qom?

Franco Ciancaglini: Das Radio hat für die Gemeinde eine zentrale Bedeutung. Sie spielen dort die Musik, die ihnen gefällt, die sie repräsentiert, von indigener Musik bis Cumbia. Sie reden über ihr Land, zu dem sie eine sehr intensive Beziehung haben. Sie thematisieren die Ermordung des Gemeindemitglieds Roberto López durch die Polizei. Sie kritisieren die Politiker. Wird ein Krankenwagen benötigt, wird er über das Radio gerufen. Sie sagen, dies sei effektiver, als ein Handy zu benutzen. Das Radio ist für sie ein Kommunikationsmedium in einem sehr grundsätzlichen Sinne.

Die Mainstreammedien betrachten hingegen eine andere Welt, die nicht die ihrige ist. Dies gilt im Besonderen für indigene Menschen, aber auch für alle die Bewohner des Landes, die nicht in Buenos Aires leben. Der Fokus der großen Medien liegt fast ausschließlich auf der Hauptstadt. Wenn du in Feuerland lebst, musst du nur den Fernseher einschalten, um zu erfahren wie das Wetter momentan im 3000 km entfernten Buenos Aires ist. Wie es morgen bei dir vor der Haustür aussehen wird, erfährst du hingegen nicht.

Frage: Wie positioniert sich die Regierung gegenüber den indigenen Gemeinden?

Franco Ciancaglini: Die Nationalregierung nutzt das Thema, um sich in einem guten Licht darzustellen. Aktuell insbesondere im Zusammenhang mit dem Streit um das Mediengesetz. Für die Qom war das letztendlich nützlich. In Argentinien hängt es von deiner Lobby ab, ob die Gesetze für dich gelten. In einem positiven, wie in einem negativen Sinn. In diesem Fall war dies von Vorteil, denn die Nationalregierung konnte ihren progressiven Diskurs unterfüttern, indem sie die Qom unterstützte.

In der öffentlichen Debatte wird immer wieder hervorgehoben, dass der eigentliche Effekt des Gesetzes sei, dass ein staatliches Monopol entsteht. Das letztendlich nur noch die Stimmen zu hören sein werden, die der Regierung genehm sind. Was denkst du aus einer unabhängigen Perspektive darüber?

Ich glaube, ob dies so sein wird oder nicht, hängt von der Kraft und dem Einfluss der unabhängigen sozialen Bewegungen und Medienprojekte ab. Inwiefern sie in der Lage sind den Satelliten des Staates Raum abzutrotzen. Ich denke, man muss sehr genau darauf achten, dass diese Regierung oder irgendeine andere Regierung kein Monopol errichtet, wie es Clarín bislang inne hatte. Wenn du dich, wie es die Nationalregierung tut, für ein Ideal von Dekonzentration, Diversität und Pluralität stark machst, dann ist es offensichtlich sehr widersprüchlich, wenn du danach das gleiche machst, was du zuvor kritisiert hast. Es ist auch unsere Aufgabe als Zivilgesellschaft die Umsetzung der Gesetze zu gewährleisten. Es ist unsere Aufgabe den Geist der Demokratisierung, von dem hier alle die ganze Zeit reden, zum Leben zu erwecken. Was uns dabei inspiriert, sind solche Projekte, wie die der Qom, die ihre eigenen Medien erkämpft haben.

*

Quelle:
DA - Direkte Aktion Nr. 215 - Januar/Februar 2013, Seite 9
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)
Herausgeber: Direkte Aktion, c/o FAU München
Schwanthaler Str. 139 Rgb, 80339 München
Schlußredaktion: da-schlussredaktion@fau.org
Internet: http://www.direkteaktion.org
 
Die "DA" erscheint alle zwei Monate.
Abonnement: E-Mail: da-abo@fau.org
Einzelausgabe: 1,50 Euro
Jahresabo: 9,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2013