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DAS BLÄTTCHEN/1324: Anmerkungen zu Syrien


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 19 | 16. September 2013

Anmerkungen zu Syrien

von Erhard Crome



Nachdem US-Präsident Barack Obama den syrischen Krieg des Westens zunächst abgeblasen hat, titelte taz.die tageszeitung am 11. September: "In der Syrien-Falle". Gemeint ist, die USA seien in der Falle, weil sie den Krieg nicht sofort und unverzüglich führen wollten. Oben auf der Zeitungsseite prangt ein Bild, auf dem sich Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin die Hand reichen. Darunter ein Pro- und ein Kontra-Artikel. Der Pro-Text ist überschrieben: "Raum für Verhandlungen", der für das Kontra: "Das Töten geht weiter". Hier heißt es: "Die Annäherung zwischen den USA und Russland wird das Assad-Regime nicht vom Morden abhalten. Anders als viele Schlagzeilen jetzt vermuten lassen, war und ist das vorrangige Problem in Syrien ja nicht, dass 1.400 Menschen in einer Nacht mit Giftgas ermordet wurden. Sondern dass seit zweieinhalb Jahren konventionelle, also international akzeptierte Waffen gegen SyrerInnen eingesetzt werden, und zwar täglich." Eine solche Argumentation ignoriert den seit Jahrzehnten geführten Kampf um das Verbot und die Abschaffung von Massenvernichtungswaffen. Es war ein großer Erfolg, dass zumindest die biologischen und chemischen Waffen geächtet wurden - in Sachen Atomwaffen steht das noch aus.

Zugleich unterstellt dies, dass das Giftgas-Argument in der Kriegsdrohung der USA, Großbritanniens und Frankreichs nicht ernst gemeint, sondern rein instrumentell gedacht war, um einen Militäreinsatz für die Bevölkerungen plausibel zu machen, der - wie in Libyen - am Ende doch auf den "Systemwechsel" zielt, die Beseitigung der Assad-Regierung. Der Text argumentiert für den Krieg und kritisiert von diesem Standpunkt aus das Einschwenken der US-Regierung auf diplomatische Mittel. Es ist schon bemerkenswert, dass ein Teil des linksbürgerlichen Publikums in Deutschland in der Tradition des einstigen Außenministers Joseph Fischer, Auschwitz zu benutzen, um Deutschland in den ersten völkerrechtswidrigen Krieg seit 1945 zu bugsieren, dazu neigt, im Namen des für das Gute Erklärten Kriege zu führen. Selbst wenn sie sich über das Völkerrecht hinwegsetzen. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass dies in Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung steht, die derlei Kriegstreiben ablehnt. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass eine Bundesregierung unter Beteiligung solcher Leute die Gefahr erhöht, dass Deutschland wieder zur Kriegsmacht wird.

An dieser Stelle ist noch einmal innezuhalten und zu rekapitulieren, worum es in der Sache geht. Nach dem Sturz der früheren, dem Westen eng verbundenen Despoten in Tunesien und Ägypten Anfang 2011 begann das, was allgemein als "Arabischer Frühling" bezeichnet wurde. In vielen arabischen Ländern keimten Hoffnungen auf Demokratie und bürgerliche Freiheiten. In Bahrein, Jemen, Libyen und Syrien ließen die Regierungen schießen. In Bahrein und Jemen ließ der Westen Saudi-Arabien - nun wahrlich kein Hort von Freiheit und Demokratie - die Dinge regeln, ohne dass irgendetwas von Menschenrechten verlautete. In Libyen und Syrien dagegen, die dem Westen ohnehin schon lange missliebig waren und die der frühere US-Präsident George W. Bush auf die Liste der zu bekämpfenden "Schurkenstaaten" gesetzt hatte, wurde mit dem Menschrechtsargument hantiert. Gegen Libyen führte der Westen Krieg, flog Luftangriffe gegen die Regierungstruppen und bewaffnete Gegenkräfte, die am Boden den Regimewechsel durchkämpften. An die Stelle des alten Regimes trat jedoch ein fragiles Staatswesen, weit entfernt von Sicherheit für seine Bewohner und von politischer und gesellschaftlicher Stabilität.

In Syrien tobt seit über zwei Jahren ein Bürgerkrieg. Staatschef Baschar al-Assad lässt auf die Bevölkerung schießen. Es werden schwere Waffen, Flugzeuge und Raketenwaffen eingesetzt. Durch die reaktionären Golfstaaten und westliche Regierungen werden auch hier bewaffnete Gegenkräfte finanziert, ausgerüstet und logistisch unterstützt. Sie stehen den Regierungstruppen in Sachen Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung inzwischen in nichts nach, hier insbesondere auch gegen christliche Gemeinden und kurdische Gemeinschaften. Der Bürgerkrieg forderte bisher mindestens 100.000 Tote.

Eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates, die zu einer äußeren Intervention gegen die Regierungskräfte wie im Falle Libyens ermächtigt hätte, haben Russland und China bisher verhindert. Sie gehen davon aus, dass sie in Sachen Libyen über den Tisch gezogen wurden. Das sollte nicht noch einmal geschehen. Hinzu kommt, dass die russische Marine in Syrien einen Militärstützpunkt unterhält, den einzigen im Mittelmeerraum; nach russischen Angaben befinden sich nach wie vor etwa 30.000 russische Staatsangehörige im Lande. Russland unterstützt die syrische Regierung auch weiterhin mit Waffen und militärischen Ausrüstungen. Entgegen westlichen Erwartungen haben die Regierungstruppen in den vergangenen Monaten die Gegenkräfte wieder zurückgedrängt und Terrain zurückerobert.

Es ist dies die Situation, in der am 21. August der verbrecherische Giftgaseinsatz in der Nähe von Damaskus erfolgte. Wer die Verantwortung dafür trägt - Regierung oder Oppositionskräfte, die beide über Chemiewaffen verfügen - ist bis heute ungeklärt. Aber der Westen machte sofort Assad verantwortlich und begann, einen Militärschlag vorzubereiten. Es wäre dies dann ein vergleichbares Szenario wie im Jugoslawien- oder Libyen-Krieg gewesen: die NATO bzw. die USA und ihre Willigen agieren als die Luftstreitkräfte der vorgeblich pro-westlichen Streitkräfte am Boden.

Das aber ist eines der augenscheinlichen Probleme des Westens: innerhalb der syrischen Gegenkräfte hat sich das Gewicht zugunsten von Kräften verschoben, die direkt oder indirekt mit dem al-Kaida-Netzwerk verbunden sind. Damit würde der Westen in Syrien jene Kräfte unterstützen, die er in Afghanistan, Pakistan und Mali angeblich oder tatsächlich bekämpft. Davor warnten auch die geheimen Dienste der USA den Präsidenten. Dann kam die Idee auf, einen kurzen Militärschlag gegen Damaskus zu führen, ohne Assad von der Macht zu bomben. Deren Sinnhaftigkeit wiederum bezweifelten führende Militärs in den USA. Hinzu kommt, dass nach den zwölf Jahren Krieg der USA in Afghanistan und Irak die Mehrheit der Bevölkerung den Krieg satt hat und keinen weiteren will.

Nachdem der britische Premier David Cameron, der zunächst der lauteste Schreier in Sachen Syrien-Krieg war, einlenkte und das britische Parlament befragte und dieses gar eine britische Kriegsteilnahme ablehnte, erklärte auch Obama, den Kongress befragen zu wollen. Hier zeichnete sich am 9. September ebenfalls ab, dass an die 230 der derzeit 433 Mitglieder des Repräsentantenhauses der USA ihre Zustimmung zum Krieg verweigern wollten.

Hinzu kam ein Problem, das im Westen in seiner Tragweite zumeist nicht klar genug ausgesprochen wurde, weil man Russland nach dem Ende der Sowjetunion vielfach weiter als eine gegenüber den USA zweitrangige Macht ansieht. Putin hatte bereits Anfang 2013 einen größeren Flottenverband in das östliche Mittelmeer geschickt, der sich auf Dauer dort aufhält. Dazu wurde in Moskau schon bei der Entsendung mitgeteilt, man gehe davon aus, dass der Westen ohne UN-Mandat Syrien nicht angreifen werde, solange die russischen Verbände dort sind. Nun hatte der russische Außenminister Lawrow zu Beginn der August-Krise zwar betont, dass Russland nicht die Absicht habe, in den Krieg zu ziehen. Gleichzeitig aber wurde in der russischen Öffentlichkeit diskutiert, dass Russland bei einem westlichen Angriff auf Syrien seine Staatsbürger schützen müsse. Auf die Frage, was Russland denn im Falle eines westlichen Angriffs tun würde, hatte Putin geantwortet, Assad zu helfen, zunächst Waffen (was hieße, auch modernste Flugabwehrsysteme) zu liefern.

Insofern hat der Kompromiss, tatsächlich über die syrischen Chemiewaffen zu verhandeln und darüber die Drohung des US-Militärschlages auszusetzen, nicht nur die Funktion, dass Obama bei seinem Rückzieher das Gesicht wahren und sich als Friedensfürst präsentieren kann. Es wurde auch die Gefahr einer militärischen Konfrontation US-amerikanischer und russischer Kräfte ausgeräumt, die auch das Risiko einer Eskalation barg.

Ein Schelm, wer in Bezug auf die Frage an US-Außenminister Kerry, was denn Syrien tun könne, und seine Antwort, die Chemiewaffen abzuschaffen, an einen diplomatischen Zufall glaubt. Zugleich ist damit die Tür zu ernsthaften Friedensverhandlungen in Sachen Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien weiter geöffnet.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 19/2013 vom 16. September 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2013