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DAS BLÄTTCHEN/1368: Wer Ohren hat zu hören...


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 4 | 17. Februar 2014

Wer Ohren hat zu hören...

von Fritz E. Gericke



Die Rede von Joachim Gauck, die dieser am 31.01.2014 vor den Delegierten der 50. Münchner Sicherheitskonferenz hielt, stellt eine Zäsur in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik dar. Es war das erste Mal, dass ein deutscher Bundespräsident eine dieser Konferenzen eröffnete, und er tat es mit einem Paukenschlag. Schon nach wenigen Sätzen war klar, diese Rede galt nicht nur den Delegierten, sie war weit mehr der deutschen Öffentlichkeit gewidmet. Der Bundespräsident forderte die Deutschen auf, sich künftig international deutlich stärker zu engagieren. Mit einem einzigen Satz wischte er die bisherige Außen- und Sicherheitspolitik bei Seite: "Die Beschwörung des Altbekannten wird künftig nicht mehr ausreichen." Deutschland müsse endlich mehr tun für jene Sicherheit, die ihm über Jahrzehnte gewährt worden sei.

Das klingt einleuchtend, erzeugt aber gleichzeitig so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Käme diese Äußerung nicht ausgerechnet vom obersten Repräsentanten des deutschen Volkes, ich wäre geneigt zu sagen: "Du altes Schlitzohr!" Aber damit würde ich der Bedeutung dieser Worte nicht gerecht. Es stimmt, dass die USA und die Westmächte, vereint in der NATO, der Bundesrepublik einen Schutzschild boten, unter dem sie vor allem wirtschaftlich und politisch prosperieren konnte. Es geschah aber nicht aus Freundschaft oder gar Liebe zu uns oder um unserer schönen blauen Augen willen, denn genauso erging es der DDR, die den Schutz des Warschauer Pakts und vorrangig der Sowjetmacht genoss. Dabei ging es aber auf beiden Seiten in erster Linie um die Macht- und Sicherheitsinteressen der Schutz gewährenden Staaten selbst. Wäre es zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Blöcken gekommen, wären beide deutsche Staaten als erste der totalen Vernichtung preisgegeben worden. Beide Seiten hätten nicht gezögert, in dem in ihrem Einflussgebiet gelegenen Teil Deutschlands Atomwaffen einzusetzen.

Seit dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik unterliegt nunmehr auch dieses Gebiet dem am 23. Mai 1949 beschlossenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In Artikel 87 a, Absatz 1 dieses Gesetzes heißt es einleitend: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Da waren gerade einmal vier Jahre seit dem Ende des bis dahin blutigsten Krieges vergangen. Den Menschen klangen noch die Worte von Franz Josef Strauß in den Ohren: Wer noch einmal nach einer Waffe greife, dem soll die Hand abfaulen. Und genau dieser Mann wurde bald darauf Verteidigungsminister. Mit der Einführung der Wehrpflicht kam es zu den ersten Massendemonstrationen in der Bundesrepublik. Beschlossen wurde sie trotzdem. Trost finden konnte, wer wollte, in den Worten "zur Verteidigung", wer allerdings weiter las, dem sollte dieser Trost versagt bleiben, denn schon in Absatz 2 heißt es: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit es dieses Grundgesetz zulässt." Und da war und ist sie schon - die Ausnahme von der Regel. Dennoch bleibt zu vermerken, dass der Absatz 1 über weite Strecken hinweg gehalten hat, was er verspricht. Allerdings wurde seit den 1990er Jahren der Begriff "Verteidigungsfall" mit Taschenspielertricks zunehmend dehnbarer gemacht. Und so stehen heute rund 5.000 deutsche Soldaten nicht nur am Hindukusch, um "unsere Freiheit", sprich: unsere wirtschaftlichen Interessen und die unserer Verbündeten zu verteidigen. Dennoch wirft der Bundespräsident jenen, die im Rückblick auf die deutsche Vergangenheit jedes stärkere militärische Engagement ablehnen, Bequemlichkeit und Weltabgewandtheit vor. Was dies aussagt, ohne ausgesprochen zu werden, ist, dass sentimentale Greise und andere Zeitgenossen, die die Bilder des Schreckens der Vergangenheit nicht aus ihrem Kopf bekommen, nicht länger die Jugend daran hindern sollen, nun ihrerseits Opfermut zu zeigen. Oder wie sonst sollen diese schon fast zynisch wirkenden Worte des Bundespräsidenten zu verstehen sein?

Das Schlimme an diesen Worten ist, dass sie nicht der Ausrutscher eines Einzelnen, wenn auch eines Prominenten, sind. Auf der gleichen Konferenz stellte Ursula von der Leyen, die neue deutsche Verteidigungsministerin, - "in fließendem Englisch", wie die Presse lobend zu verzeichnen wusste, - haargenau die gleiche Forderung auf. "Germans to the front."

Begreife es, wer es wolle oder kann: Wir ziehen unsere Truppen aus Afghanistan ab, wo wir bisher "unserer Freiheit" verteidigt haben, und wo wir aus humanitären Gründen selbstverständlich auch die Bevölkerung vor jenen talibanischen Mördern zu schützen suchten, die von den USA Jahre zuvor noch selbst ausgebildet und finanziert worden waren. Was aus den Menschen vor Ort, insbesondere den Frauen, wird, wenn wir weg sind, ist nun wahrlich nicht mehr unser Problem. Wir können schließlich nicht ewig dort bleiben und unsere Niederlage, die zwar uneingestandene, aber offenbare, beliebig verlängern. Trotzdem: Auf ein Neues! Jetzt in Mali, fast vor unserer Haustür. Und künftig vielleicht in der Ukraine ... Die Einlassungen Gaucks und von der Leyens in München waren jedenfalls nach vorn offen.

Und da aller guten Dinge drei sind, meldete sich in der gleichen Tonlage der alte und neue Außenminister zu Wort. Frank-Walter Steinmeier verkündete den Abschied von der alten Außenpolitik: Deutschland sei zu groß, um das Weltgeschehen nur vom Rande aus zu beobachten und zu kommentieren.

Selbstverständlich erklärten alle drei, dass auf jeden Fall Verhandlungen in jedem Fall den Vorrang hätten.

Warum beruhigt mich das nicht? Weil Beschwichtigungen dieser Art, ob sie nun ernst gemeint sind oder nur einer längerfristig angelegten gegenteiligen Strategie dienen, ein Jahrtausende altes Verfahren sind. Nicht nur Machiavelli sah in seinem Buch "Der Fürst" in einer von allen Skrupeln befreiten Machtpolitik die beste Möglichkeit zur Durchsetzung politischen Strebens. Schon Chanakya (etwa 340-283 vor Christus), bekannt auch unter dem Namen Kautylia, politischer Berater und Ministerpräsident von Kaiser Chandragupta (Afghanistan) schrieb: "Was sind Verträge anderes als Schreibübungen! Macht bedeutet alles, Klugheit bedeutet mehr, und Klugheit bedeutet zu nehmen, was man nehmen kann." Er riet im Übrigen auch den zukünftigen Feind wie einen Freund auf den Schultern zu tragen, um ihm dann bei nächster Gelegenheit den Schädel zu zerschmettern.

Natürlich hat keiner der vorgenannten einheimischen Politpromis Ähnliches im Sinn, aber schönreden können sie alle. Und ich glaube denen auch, dass Sie Verhandlungen den Vorrang geben. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass sie in München einem Wechsel von einer bisher militärisch eher zurückhaltenden zu einer mehr handlungsorientierten und damit im Zweifelsfalle auch aggressiveren Sicherheitspolitik, mit wesentlich höherem Kriegsrisiko, das Wort geredet haben.

Wer also Ohren hat zu hören, der höre, und er bedenke zugleich: Wer nicht hören will, muss fühlen!
Wehret den Anfängen!

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 4/2014 vom 17. Februar 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2014