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DAS BLÄTTCHEN/1981: Modi zwischen Größenwahn und Dilemma


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
23. Jahrgang | Nummer 6 | 16. März 2020

Modi zwischen Größenwahn und Dilemma

von Edgar Benkwitz


Der indische Premierminister Narendra Modi verkündete während des Besuchs von US-Präsident Donald Trump Ende Februar den Beginn einer "globalen strategischen Partnerschaft" zwischen Indien und den USA - zur gleichen Stunde tobten in der indischen Hauptstadt Straßenkämpfe und Gewaltexzesse, die über 40 Todesopfer forderten. Beide Ereignisse beschäftigten nicht nur die indische Öffentlichkeit, sie fanden auch weltweit Beachtung, werfen sie doch einen Blick sowohl auf die angespannte innenpolitische Lage des Landes als auch auf die Gestaltung seiner Außenpolitik.

Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, dass Narendra Modi mit seiner hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) in überzeugender Manier die Parlamentswahlen gewann und seine zweite Amtszeit antrat. Die großen Erwartungen der Wählerschaft wurden von Modi zusätzlich mit Versprechungen im Hinblick auf Reformen und soziale Harmonie unterfüttert. Doch bereits die Zusammensetzung seines neuen Kabinetts, insbesondere die Ernennung des bisherigen Parteipräsidenten Amit Shah zum Innenminister, deutete darauf hin, dass der Hindunationalismus künftig eine noch größere Rolle spielen würde. Unermüdlich hatte Shah in den letzten fünf Jahren dafür gesorgt, dass seine Partei zur stärksten politischen Kraft des Landes wurde, die scheinbar unbegrenzt das politische System des Landes beherrschte. Überzogener Nationalismus, der teilweise in Chauvinismus ausartete und sich gegen Andersgläubige und -denkende richtete, war Teil dieses Prozesses. Diese Ideologie stützt sich zwar auf Religion und Lebensweise des Hinduismus, findet aber in der eingeengten und intoleranten Form des Hindutva (Hindutum) eine ideologisch-politische Plattform, mit der letztendlich das Land in einen Hindustaat umgewandelt werden soll.

Wichtige politische Maßnahmen der letzten Zeit, wie die Annullierung des Autonomiestatus von Jammu und Kaschmir sowie die Ergänzung des Staatsbürgerschaftsgesetzes, die ohne dringende Notwendigkeit durchgesetzt wurden, müssen unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden.

Zweifelsohne bedarf die Kaschmir-Problematik seit Jahrzehnten einer Lösung, allerdings zeigt sich jetzt, dass Zeitpunkt und Vorgehensweise die politische Entscheidung vom 4. August 2019 fragwürdig erscheinen lassen.

Auch die Ergänzung des Staatsbürgerschaftsgesetzes ist zum großen Problem geworden. Es soll der illegalen Einwanderung einen Riegel vorschieben und die Zahl der Staatenlosen vermindern. Doch die Regelung schließt muslimische Flüchtlinge aus. Die in Indien ohnehin bestehenden Vorbehalte gegen diese Religionsgemeinschaft werden so gefestigt. Zusammen mit weiteren Vorhaben für die Erfassung und Verwaltung der Milliardenbevölkerung des Landes befürchten die 200 indischen Millionen Muslime, auch rechtlich als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. So verwundert es nicht, dass die neue Regelung auf Protest und Widerstand der unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten trifft. Die Regierungen von elf Bundesstaaten haben angekündigt, sie teils aus verfassungsmäßigen, teils humanitären Gründen nicht umzusetzen.

Zusätzlich hat sich eine landesweite Protestbewegung formiert. Es sind vor allem muslimische Frauen und Jugendliche - oft von Hindus unterstützt -, die um ihre Zukunft fürchten. Sie wollen als geachtete und gleichberechtigte Bürger behandelt werden. Interessanterweise hat sich diese Bewegung von der religiösen Muslimführung abgekoppelt, die bisher zu den Protesten schweigt. Deren Mantra, wir sind zuerst Muslime, danach Inder, wurde von den Demonstranten umgekehrt: wir sind zuerst Inder, danach Muslime. Diese Botschaft wurde durch Mitführen der indischen Nationalflagge, Auftragen der Landesfarben im Gesicht, Singen der Nationalhymne sowie Zitieren von Verfassungsparagraphen begleitet. Doch anstatt dieses neue, patriotische Herangehen aufzugreifen, setzte die Staatsmacht massiv Polizeigewalt ein, zusätzlich schlugen organisierte Trupps die Demonstranten zusammen. Führende BJP-Funktionäre heizten mit Hassreden die Stimmung an. Zu all dem schwieg Premierminister Modi. Er hatte Wichtigeres zu tun, denn er musste sich um den "epochemachenden Staatsbesuch" von US-Präsident Trump in Indien kümmern.

Doch schon im Vorfeld war klar, dass es sich bei dem Besuch um eine gigantische PR-Veranstaltung handeln würde. Sie diente vor allem dem US-Präsidenten, der - innenpolitisch arg gebeutelt - seinen Anhängern zu Hause vorführen konnte, wie er im Ausland geachtet und verehrt wird. Und Modi verstand es, eine große Show aufzuziehen, in die er sich neben dem "mächtigsten Mann der Welt" wirkungsvoll präsentieren konnte.

Der 36-Stunden-Aufenthalt Trumps wurde von allen indischen Fernsehstationen live übertragen. Während es an Umarmungen der beiden Repräsentanten nicht mangelte, sind die Ergebnisse für die bilateralen Beziehungen jedoch als äußerst mager einzuschätzen. Trump konnte zwar für drei Milliarden Dollar Militärhubschrauber an Indien verkaufen, auf dem Gebiet des Handels und der Wirtschaft gab es jedoch keine messbaren Ergebnisse. Die gegenseitigen Forderungen - auch auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen - sind zurzeit nicht kompatibel, so dass Trump ohne seine geliebten Deals wieder abreisen musste.

Die Botschaft von einer starken Partnerschaft, die vom Treffen Trump-Modi ausgehen sollte, kollidierte im Übrigen wiederholt mit der bestehenden Realität. Viele echte Probleme Indiens wurden nicht angesprochen. Trump selbst erlebte die enorme Luftverschmutzung in Nordindien, doch erneuerbare Energien, an denen Indien so interessiert ist, fanden keine Erwähnung. Stattdessen werden die USA verstärkt fossile Brennstoffe wie Gas und Öl um die halbe Welt nach Indien schiffen.

Zwar wurde das Thema Sicherheit im Indischen Ozean, einschließlich der zukünftigen Rolle der von den USA, Japan, Australien und Indien gebildeten Quadrilateralen Strategischen Allianz (Quad) von Trump vehement vorgebracht und auch Indien ist an diesen Fragen interessiert, doch die von den USA befeuerte Lage im Persischen Golf und um den Iran läuft den strategischen Interessen Indiens zuwider. Mit Sorge blickt Indien nicht zuletzt auf Afghanistan. Es befürchtet Belastungen der eigenen Beziehungen zu Kabul durch die Abmachungen der USA mit den Taliban sowie damit einhergehend eine Stärkung Pakistans. Indien hat Milliarden in Projekte in Afghanistan investiert, eine Rückkehr der Taliban, die seit jeher antiindisch eingestellt sind, könnte das Ende des indischen Engagements nach sich ziehen. Darüber hinaus ist Indien besorgt, dass der harte, terroristische Kern der Taliban sowie IS-Terroristen ihr neues Zielgebiet in Indien suchen könnten. Und China? Trump rechnet damit, dass in Zukunft ein Zusammengehen der USA mit Indien gegen China möglich ist. Doch Indien wird sich genau überlegen, wie weit es gehen kann, zu viel steht im Verhältnis zu dem großen Nachbarland auf dem Spiel.

Erstaunlich viele indische Kommentatoren setzten sich kritisch mit der Großveranstaltung Modi - Trump auseinander. Sie warnen vor einer ungleichen Partnerschaft und einer erdrückenden und fordernden Freundschaft seitens Washingtons, wie sie viele Staaten dieser Welt schon erlebt haben und erleben. Letztendlich ginge es den USA nur darum, ihre globale Herrschaft zu erhalten, hieß es beispielsweise in der Times of India. Premierminister Modi wurde gar vorgehalten, das Land durch das immer umfangreichere Netz von Abmachungen und Verträgen auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung in eine Catch-22 Situation, eine Zwickmühle, zu bringen - in eine Lage, aus der man nicht mehr heraus kommt.

Die zweite Amtszeit von Premierminister Modi steht bisher unter keinem günstigen Stern. Eine Reihe von Regionalwahlen - darunter in Delhi - gingen für ihn verloren, der ersehnte wirtschaftliche Aufschwung kommt nicht in Gang, Unruhen im ganzen Land nehmen zu. Doch Narendra Modi verkündet unverdrossen, dass Indien im Jahr 2025 eine Fünf-Billionen-Dollar-Wirtschaft und damit die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt sein werde. Es scheint, dass Größenwahn und Dilemma neuerdings auch in Indien eng beieinander liegen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 6/2020 vom 16. März 2020, Online-Ausgabe
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Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2020

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