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DAS BLÄTTCHEN/977: Nachttalk mit Bombe


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 13/2009 - 22. Juni 2009

Nachttalk mit Bombe

Von Thomas Dudek


Ein mysteriöser Bombenanschlag am 25. Mai auf den oppositionellen TV-Sender Maestro TV sorgte nicht nur in Georgien für Schlagzeilen. 3 Uhr morgens. Für den georgischen Fernsehsender Maestro TV kein Grund, auf ein anspruchvolles Live-Programm zu verzichten: Zelle Nr. 5, eine vom Sänger Giorgi Gatschetschiladse moderierte politische Talkshow, gibt es seit Januar und wird immer spät ausgestrahlt. Auch in dieser Nacht wurde die Sendung in den Studios des Privatsenders produziert, obwohl der eigentliche Moderator sie gar nicht führte. Der Bruder des Oppositionspolitikers Lewan Gatschetschiladse, Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr, reiste durch das kaukasische Land, um für die Opposition, die seit April Anti-Saakaschwili Proteste in der georgischen Hauptstadt organisiert, zu werben.

Doch nicht nur das Fehlen des eigentlichen Moderators Giorgi Gatschetschiladse machte die Sendung außergewöhnlich. Gegen 3 Uhr, als sich gerade der Aushilfsmoderator mit einem per Telefon zugeschalteten Zuschauer unterhielt, erschütterte ein Knall das Studiogebäude. Kurz darauf waren nur noch die Schreie einer TV-Mitarbeiterin zu vernehmen. Nach den ersten Schreckmomenten setzte der Moderator das Telefongespräch fort. Im Eingangsbereich des regierungskritischen Senders war ein Sprengsatz detoniert.

Wer hinter diesem terroristischen Akt steckt, ist - zumindest für die Opposition - klar: Die ehemalige Parlamentspräsidentin und heutige Saakaschwili-Gegnerin Nino Burdschanadse machte sofort Michail Saakaschwili und seine Regierung für den Sprengsatz verantwortlich. Als Beweis für ihre Behauptung dient ihr das lasche Vorgehen der Polizei. Sie soll erst fünfzig Minuten nach der Explosion am Tatort erschienen sein, die Kriminalpolizei samt Spurensicherung brauchte gar neunzig Minuten. Weil das Innenministerium den Anschlag nicht als terroristischen Akt einstufte, weigert sich Maestro TV mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Doch eine Zusammenarbeit scheint bei den Regierungsstellen auch nicht besonders erwünscht zu sein. Der Parlamentspräsident Davit Bakradse bezweifelte noch am Tag der Bombenexplosion, daß ein politisches Motiv hinter der Tat stecke und kündigte im Gegenzug an, die Ermittlungen persönlich zu kontrollieren. Ein Motiv oder gar Verdächtige konnte der Parlamentspräsident aber bis heute nicht benennen.

Für die Regierung von Michail Saakaschwili ist eine Bombenexplosion in einem TV-Sender wie Maestro TV tatsächlich nicht von Nachteil - und dies aus mehrerlei Hinsicht. Seit Beginn der Proteste in Tiflis finden in Georgien immer wieder Ereignisse statt, die den Focus der Öffentlichkeit von den Demonstrationen nicht nur ablenken sollen, sondern die auch die Diskreditierung der Oppositionsparteien zum Ziel haben. Gleich nach Beginn der Proteste warf Saakaschwili der Opposition vor, von russischen Oligarchen finanziert zu werden. Am 16. April, quasi zur Bestätigung der Anschuldigungen, wurde der Naschi-Aktivist Alexander Kusnezow wegen angeblicher Provokationen an der südossetisch-georgischen Grenze verhaftet.

Am 5. Mai, ein Tag bevor das umstrittene NATO-Manöver "Cooperative Longbow 09/Cooperative Lancer 09" in Georgien begann, wurde angeblich in der Kaserne von Muchrowani ein Militärputsch niedergeschlagen. Ein Militärputsch, der nach Angaben der georgischen Regierung von Rußland initiiert wurde und der nicht nur die Annäherung des kaukasischen Staates an die NATO und die EU verhindern sollte, sondern auch die Ermordung der georgischen Regierungsmitglieder zum Ziel habe. Folge dieses angeblichen Putsches war eine Verhaftungswelle im Land. Zig Menschen wurden bisher wegen angeblicher Spionagetätigkeit für Rußland verhaftet.

Ein Anschlag auf Maestro TV ist für das Regime von Micheil Saakaschwili aber nicht nur von Interesse, wenn es darum geht, die Proteste der Opposition in einem unpatriotischen Licht erstrahlen zu lassen. Von einer Störung des Senderbetriebs hätte nämlich auch Saakaschwili profitiert. Im November vorigen Jahres erhielt der Sender die Lizenz, neben Unterhaltungssendungen auch politische Formate ins Programm aufzunehmen. Eine Gelegenheit, die der Sender sofort nutzte und sich dabei auch politisch klar positionierte. Maestro TV ist eine der wenigen TV-Anstalten, auf die die Regierung Saakaschwili noch keinen Einfluß hat. Zudem hatte es bei Maestro TV noch eine weitere Veränderung gegeben: Seit mehreren Wochen ist der Sender nicht nur in Tiflis zu empfangen, sondern auch in einigen anderen Städten des Landes.

Dadurch war der Sender zu einem wichtigen Faktor in der georgischen Medienlandschaft geworden.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 13, 12. Jg., 22. Juni 2009, S. 13-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2009