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DAS BLÄTTCHEN/998: Neues vom Störtebeker


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 19/2009 - 14. September 2009

Neues vom Störtebeker

Von Wolfgang Brauer


Am 4. Juli 2009 wurde der Piratenweltrekord gebrochen. Nein, nicht vor der somalischen Küste. Im zumeist friedlichen Ostfriesland versammelten sich an jenem wunderschönen Sommertag Punkt 16 Uhr auf dem Marktplatz der Gemeinde Marienhafe 1878 Piraten. Das war Weltrekord, auch wenn die Teilnahmevoraussetzung nur darin bestand, "eigenhändig seinen Namen schreiben zu können" und irgendwie wie ein Pirat auszusehen. Nötigenfalls konnte man Schwert, Kopftuch und Augenklappe als "Set" für 2,50 Euro vor Ort käuflich erwerben. Marienhafe ist ein verträumtes Nest an der Straße von Aurich nach Norddeich.

Norddeich hat eine Seehundrettungsstation mit lebendigen Heulern, einen fein gepflasterten Strand und den Fähranleger nach Juist und Norderney. Marienhafe hat nichts davon, aber hatte dafür ab 1396 für knappe fünf Jahre den Piraten Klaus Störtebeker in seinen Mauern. Dann fiel er den Hamburgern in die Hände. Wahrscheinlich jedenfalls, denn verbürgt ist fast nichts.

Er soll 1401 oder 1402, selbst das Jahr ist unklar, auf dem Hamburger Grasbrook, einer damals öden Elbinsel, enthauptet worden sein. Beweisbar ist auch das nicht. Im Museum für Hamburgische Geschichte werden immerhin zwei auf Pflöcken aufgenagelte Schädel gezeigt, von denen einer der Störtebekers sein soll. Sagt man. Und in Hamburg wurde 1982 ein Störtebeker-Denkmal auf dem Grasbrook aufgestellt. Es stammt vom Bildhauer Hansjörg Wagner aus München. Finanziert wurde es durch Spenden. Die Stadt richtete das Spendenkonto ein, gezahlt hat sie nichts.

Anders Marienhafe, seit 1992 steht auf dem dortigen Marktplatz auch ein Störtebeker-Denkmal, hier zahlte die Gemeinde. "Kritische Stimmen gab es derzeit nur vereinzelt, Spenden aber ebensowenig." Der Frust der Kommunalpolitiker über die Knauserigkeit der friesischen Landeskinder ist noch heute auf der Internet-Seite Marienhafes ablesbar. Dafür stammt das Standbild von einem hiesigen Bildhauer, dem Leeraner Karl-Ludwig Böke. Es zeigt den Freibeuter mit geschultertem Enterbeil locker die Schiffsplanken heraufstiefeln. Die Hamburger ließen ihn gefesselt darstellen. Daß er dieser Stadt die Kehrseite zeigt, nutzt ihm gar nichts. Der Grasbrook gehört inzwischen zur noblen Hafen-City.

Marienhafe dagegen hat - wie die ganze Gegend um Krummhörn und Brookmerland - seinen wohl berühmtesten "Wintergast" (im Winterhalbjahr ruhten auf West- und Ostsee die Handelsschiffahrt und damit auch die Seeräuberei) nicht nur wieder "heimgeholt", sondern auch angenommen. Der Kirchturm der Marienhafer Marienkirche heißt "Störtebeker-Turm". In ihm soll Störtebeker Quartier genommen, zumindest aber einen Teil seiner Beute deponiert haben. Er hatte 1396 in Marienhafe auf Einladung des Friesenhäuptlings Keno tom Brok Ankerplatz und Unterkunft gefunden.

Klaus Störtebeker und die Likedeeler wurden zum Mythos. Mythen sind mangels rationaler Beweise auslegbar. Für die offizielle Geschichtsschreibung der Hansestädte waren es Mordbrenner zur See. Ganz unberechtigt ist diese Sicht nicht. Wer ihnen in die Hände fiel und kein Lösegeld versprach, der ging meist über Bord. Das waren in der Regel die einfachen Seeleute. Für die Volkssage wurden Störtebekers Mannen zu aufrechten Burschen, die die Pfeffersäcke in ihre Schranken wiesen und dem Volke Gutes taten.

Auch da ist was dran, aber Sozialrebellen waren es mitnichten. Die machten erst die Literaten aus ihnen. Ehm Welks "Gewitter über Gotland" (1927 von Piscator an der Berliner Volksbühne inszeniert) und Willi Bredels "Die Vitalienbrüder" (1940 geschrieben) ragen da nur qualitativ aus einer wahren Flut von Likedeeler-Literatur hervor. Natürlich eignet sich der Stoff exzellent für diverse Natur- und sonstige Freilichtbühnen, zumal am Wasser. 1950 ließ der Dichter KuBa erstmals seine Störtebeker-Ballade in Ralswiek über die Bühne gehen. Seitdem sind Ralswiek und Störtebeker zumindest im Osten eins. Nach der Wende sollte es am Jasmunder Bodden erst richtig losgehen: Mit Beginn der 17. Spielzeit am 22. Juni 2009 unter Intendant Peter Hick gabs die 1000. Vorstellung vor inzwischen 4,5 Millionen Zuschauern. Und Tiere spielen neben den Koggen, die aus Kostengründen nicht mehr abgefackelt werden, eine ganz wichtige Rolle. "Mit bis zu 160 Stundenkilometer stürmt ... Falke 'Fritz' der Beute hinterher", vermeldete ein Rezensent. Ein anderer teilt mit, daß "mit 'Vulcano' ein wunderschöner Friesenhengst als Partner in Störtebekers Leben getreten" sei. Weil, wie wir alle wüßten, im Mittelalter das Pferd das wichtigste Verkehrsmittel gewesen sei.

Piraterie gibt es immer noch auf der Welt. Darum dümpelt jetzt die "Brandenburg" vom 2. Fregattengeschwader der Bundesmarine durch die Gewässer am Horn von Afrika. Doch das Übel Piraterie damit an der Wurzel zu packen, funktioniert nicht. Nun wird den Reedern die Fahrt in geschützten Konvois nahegelegt, das praktizierte schon im Mittelalter die Hanse. Aber nur jedes vierte Schiff, war zu lesen, meldet sich für einen solch geschützten Konvoi an. Wie zu Störtebekers Zeiten geht dem Kaufmann der kalkulierte Gewinn vor die Sicherheit der Besatzungen. Aber anders als zu Störtebekers Zeiten ist er nur sehr selten mit an Bord.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 19, 12. Jg., 14. September 2009, S. 14-16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2009