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GEGENWIND/360: Neues Schulgesetz in Schleswig-Holstein - Bestandsaufnahme


Gegenwind Nr. 245 - Februar 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Neues Schulgesetz in Schleswig-Holstein - Bestandsaufnahme

Von Kerstin Mock-Hofeditz und Monika Obieray


"Neues Schulgesetz gescheitert?" lautete eine Überschrift im Gegenwind 236 (Mai 2008). Seit mehr als einem Jahr ist die Schullandschaft Schleswig-Holsteins im Umbruch. Die Hauptschule wird abgeschafft, danach die Gesamtschulen. Neu entstehen sollen Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen, intern "CDU-Schulen" und "SPD-Schulen" genannt. Zwar konnte die CDU als größerer Koalitionspartner durchsetzen, dass die Regionalschule die Regelschule wird, während die Gemeinschaftsschule "nur" Angebotsschule sein soll - vielerorts konnten die Eltern aber durchsetzen, dass es nur Gemeinschaftsschulen gibt. In einigen Kreisen wurde die Planung durch die Kommunalwahl im Mai 2008 noch einmal durcheinander gewirbelt. Neue Mehrheiten in Kreistagen und Gemeinden änderten hier und da die Planungen. Wir wollen versuchen, mit den folgenden Beiträgen eine Übersicht über die aktuelle Situation und die Diskussionen zugeben. Die Übersicht wird im nächsten Gegenwind fortgesetzt.

Die Redaktion


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Die Situation in Nordfriesland

Wie steht es mit der Umwandlung zu Gemeinschaftsschulen und Regionalschulen?

Regional ist die Entwicklung im Kreis sehr unterschiedlich. Es gibt zwei Regionalschulen, in Mildstedt und in Niebüll, und etliche Gemeinschaftsschulen.

Im südlichen Kreisgebiet ist in den Städten Tönning, Husum und in Mildstedt die Umwandlung im Gange und funktioniert offenbar einigermaßen gut.

Friedrichstadt hingegen will sich gerne mit einer Gemeinschaftsschule anhängen, hat aber noch keine Genehmigung. Im westlichen Eiderstedt kommt man mit dem unmöglichen Konstrukt 'Gymnasium mit angeschlossener Regionalschule an drei Standorten' nicht so richtig voran.

Die Viöler Realschule mit Grund- und Hauptschulteil wird eine Gemeinschaftsschule mit Grundschulteil. Die Haupt- und Grundschule in Ohrstedt wird integriert in die Viöler Gemeinschaftsschule, bleibt aber als Außenstelle erhalten. Die Haselunder Grundschule bleibt vorerst erhalten.

Im Norden ist in Niebüll eine Regionalschule entstanden, dadurch hat die Stadt höhere Mittelaufwendungen für diese Schule (z.B. durch Übernahme v. Schülern der geschlossenen Hauptschule in Risum-Lindholm). Es besteht ein erhöhter Raumbedarf, der noch nicht vollständig ermittelt ist. Die Trägerschaft liegt bei der Stadt Niebüll, angrenzende Gemeinden wollen nur Gastschulbeiträge zahlen.

Die Situation auf Föhr ist so, dass die bisherige Realschule mit Hauptschulteil zur Regionalschule wird. Im fünften Jahrgang gibt es dort bereits keine differenzierten Klassen mehr. In 2010 wird es eine "Organisatorische Verbindung" geben zwischen Regionalschule und Gymnasium, wobei wir Grünen sehr unglücklich darüber sind, dass das Bildungsministerium auf der diskriminierenden Bezeichnung beharrt: "Gymnasium mit Regionalschulteil". Wir wünschen hier alle "Gymnasium und Regionalschule". Die Verwaltung und die Lehrerschaft werden also verschmolzen, die Schüler laufen aber weiter zweigleisig.

Insgesamt stochern die Beteiligten wohl ziemlich im Nebel und fühlen sich von Kiel überwiegend hängen gelassen.


Ist die Ausstattung auch bei Gymnasien ausreichend? Oder sind die Proteste berechtigt?

Der Fortschritt bei der Anpassung von Räumen und Ausstattung an die neuen Konzepte (dazu kommen ja noch Profiloberstufe und G8) lässt sehr zu wünschen übrig und wird ohne einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel in Bezug auf Hoffnung, dass zeitnah doch noch ein paar Gelder rüberwachsen, die Schlimmstes verhindern könnten, wird in das Konjunkturpaket II gesetzt, was aber natürlich keine längerfristig strukturelle Veränderung der Bildungsfinanzierung mit sich brächte.

Im Detail fehlt es an Vielem:

1. Lehrerstellenzuweisung: Die Klassen, besonders in der Oberstufe, sind viel zu groß. Sowohl schwache als auch starke SchülerInnen können nicht angemessen gefördert werden. Somit ist eine der Hauptaspekte der Schulreform (individuelle Förderung) in der Praxis gar nicht durchzusetzen.

2. Zumal es gar keine freien Räumlichkeiten gibt, um Klassen in individuelle Lerngruppen aufzuteilen. Auch wünschenswerte Doppelbesetzungen von Lehrerinnen in einer Stunde (an Grundschulen durchaus üblich), gibt es an Gymnasien gar nicht. Die Gebäudesubstanz ist z.T. marode. So regnet es beispielsweise im Schulzentrum auf Föhr seit vielen Jahren rein (Flachdach) und aus Kostengründen wird alljährlich ein neuer Flickversuch unternommen.

3. Räume für Stillarbeit für SchülerInnen und LehrerInnen: Beide Gruppen werden durch G8 immer mehr Zeit an der Schule verbringen und Arbeit, die sonst zu Hause geleistet worden wäre, muss in der Schule geleistet werden. Dazu fehlt es an ruhigen Arbeitsplätzen.

4. Entlastungsstunden: Ein großer Teil der Umsetzung der Schulreform hängt an den einzelnen Schulen. Dafür muss sehr viel unbezahlte Mehrarbeit geleistet werden.

5. Die vom Ministerium geforderten und unterstützten Fördermittel (für die wir alle Stunden abgeben mussten) sind viel zu klein, um die Schwierigkeiten, die eine Umstellung auf G8 für viele Schüler bedeutet, aufzufangen.

Kerstin Mock-Hofeditz
Bündnis 90 / Die Grünen, Kreistagsfraktion Nordfriesland


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Schulstrukturreform in Ostholstein

Der ländlich-konservativ strukturierte Kreis Ostholstein tut sich traditionell schwer mit Schulreformen. Anfang der 90-er Jahre gab es immerhin eine rot-grüne Mehrheit im ostholsteinischen Kreistag. Diese setzte die Gründung einer Gesamtschule in der Gemeinde Ratekau durch, die nördlich an Lübeck angrenzt. Es folgten aber mehr als zehn Jahre erbitterten Streites, bis die Schule endlich politisch akzeptiert wurde. Erst 2008 bekam sie ihr festes Gebäude und einen Namen! Dazu trugen ganz entscheidend die Eltern bei, die ihre Kinder trotz widriger Provisoriumsbedingungen jedes Jahr neu in großer Zahl anmeldeten - bis es nach vier Schuljahren auch den konservativsten Politiker/innen dämmerte, dass diese Schule von den Eltern wirklich gewollt ist.

Die neue Schulreform hat es leichter; denn rückläufige Schülerzahlen zwingen zum Handeln. Der demografische Wandel erlaubt in dünner besiedelten Regionen nicht mehr die Aufrechterhaltung des dreigliedrigen Schulsystems. Für die Zweigliedrigkeit bietet die schwarz-rote Landesregierung zwei Modelle an: die Regionalschule und die Gemeinschaftsschule. Logischerweise hat jede Seite ihr politisches Lieblingskind, aber die Eltern können endlich wählen.

Plötzlich gibt es kaum noch Streit um die Schulstruktur, weil es nämlich eher darum gebt, wie die Gemeinden sich überhaupt ein attraktives schulisches Angebot erhalten können. Deshalb hat Ostholstein ganz schnell in Pönitz (Gemeinde Scharbeutz) ohne große Diskussionen eine Gemeinschaftsschule bekommen, um die Abwanderung von Schülerinnen und Schülern an Schulstandorte mit Gymnasien zu verhindern. Auch die bei Eutin gelegene Gemeinde Malente hat sich unter anderem zur Sicherung des eigenen Schulstandorts für eine Gemeinschaftsschule entschieden. In Eutin selber setzte sich die CDU mit dem Hinweis, dass es vor Ort zwei allgemeinbildende Gymnasien und ein Fachgymnasium an der Kreisberufsschule gibt, für eine Regionalschule ein. Erst die veränderten Mehrheiten nach der Kommunalwahl im Mai 2008 ermöglichten den Beschluss pro Gemeinschaftsschule, die in der Kreisstadt erst in 2010 eingeführt werden soll.

In dünn besiedelten Regionen insbesondere im Norden Ostholsteins verläuft die Entwicklung schwieriger, weil viele Schulen die Mindestgröße für eine Gemeinschaftsschule unterschreiten. Dort bleibt dann nur die Regionalschule, für deren Gründung eine geringere Hürde bei der Zahl der Schülerinnen und Schüler gesetzt worden ist.

Dafür ist es ganz im Norden des Kreises, in Fehmarn, als erstem Standort in Schleswig-Holstein gelungen, eine Gemeinschaftsschule aus Gymnasium, Real- und Hauptschule zu gründen. Damit konnte sich Fehmarn alle Bildungsgänge bis zum Abitur nach neun Jahren sichern. Zwar hat letztlich dieser Sachzwang die Gründung der Gemeinschaftsschule trotz der großen Skepsis bei vielen Betroffenen möglich gemacht. Dennoch verdienen die Stadt Fehmarn und die mutigen Lehrkräfte großes Lob und viel Unterstützung für den Umstellungsprozess, der noch eine ganze Weile dauern wird.

Die nächste Landesregierung wird 2010 endgültig entscheiden müssen, ob die Regionalschule auch gegen den Elternwillen durchgesetzt werden soll oder ob auch in Ostholstein der Weg zu einem zweigleisigen Schulsystem von Gemeinschaftsschule und Gymnasium geebnet wird. Dies wäre das Maximum an Erfolg, was in Ostholstein derzeit erreichbar wäre. Die gemeinsame Schule für alle bis mindestens Klasse 9 bleibt hier noch lange eine Wunschvorstellung.

Monika Obieray
Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag von Ostholstein


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Quelle:
Gegenwind Nr. 245 - Februar 2009, Seite 25-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2009