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GEGENWIND/414: Abschiebehaft 2009 - Sitzen ohne Grund


Gegenwind Nr. 260 - Mai 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

ABSCHIEBUNG
Abschiebehaft 2009:
Sitzen ohne Grund

Von Reinhard Pohl


Dreiundsechzig Personen wurden im Jahre 2009 auf Antrag von schleswig-holsteinischen Ausländerbehörden verhaftet und in Abschiebehaft gebracht - eine Frau nach Brandenburg, 62 Männer nach Rendsburg. Sie blieben durchschnittlich einen Monat in Haft, bevor sie abgeschoben oder in seltenen Fällen wieder entlassen wurden.


Eigentlich ist das Abschiebegefängnis mit 54 Plätzen damit viel zu groß. Wenn da nicht die Bundespolizei wäre: Sie nahm im letzten Jahr 277 Ausländer fest, die sie in Abschiebehaft brachte. 54 wurden wieder entlassen, die übrigen abgeschoben - zu rund zwei Dritteln allerdings nicht in ihr Herkunftsland, sondern in ein anderes europäisches Land, das für sie "zuständig" ist. Nach dem Dublin-II-Abkommen ist nur ein europäisches Land für ein Asylverfahren zuständig, nämlich das, das ein Visum erteilt hat oder ersten Aufenthaltsland war.

Die meisten hier Verhafteten waren entweder auf dem Weg zu Verwandten, besuchsweise oder um dort einen zweiten Asylantrag zu stellen. Wenige waren auf der Flucht vor einer drohenden Abschiebung durch ein anderes Land, das ihren Asylantrag bereits abgelehnt hatte.

Die meisten Insassen kamen aus Afghanistan, Irak oder Iran, Albanien, Kosovo oder Algerien.


Kinder in Haft

Stark gestiegen ist die Zahl der Häftlinge, die noch nicht volljährig war: 17 Häftlinge waren 2009 Kinder. Die Landesregierung spricht gerne von "Jugendlichen", um zu verdecken, dass die UN-Kinderkonvention die Inhaftierung von Kindern verbietet und alle Menschen unter 18 Jahren als Kinder definiert. Von den 17 Kindern, die meisten aus Afghanistan, wurden zwei ins Herkunftsland abgeschoben, zwölf in andere europäische Länder zurückgeschoben und drei entlassen.

Die Kinder waren im Durchschnitt rund 50 Tage in Haft, sehr viel länger also als Erwachsene mit rund 30 Tagen.


Durchschnitt?

Die durchschnittliche Haftdauer von einem Monat (Kinder fast zwei Monate) bedeutet allerdings auch, dass Einzelne sehr viel länger in Haft waren. Drei Häftlinge blieben 131, 132 und 133 Tage in Abschiebehaft.

Nach Auskunft der Bundespolizei und des Beirates des Abschiebegefängnisses liegen die langen Haftzeiten vor allem daran, dass die Rückschiebungen in andere europäische Länder einen hohen Aufwand zur Vorbereitung brauchen, weil sehr viele Behörden in verschiedenen Ländern beteiligt werden müssen.


Beirat: "Keine politische Legitimation"

Da das Abschiebegefängnis nur noch zu 20 Prozent von Abschiebehäftlingen aus schleswig-holsteinischen Bezirken von Ausländerbehörden da ist und nur noch 20 Prozent der Häftlinge wirklich ins Herkunftsland abgeschoben werden, hält der Beirat es für politisch nicht (mehr) legitimiert. Die Abschiebehaftanstalt ist zu einem rein innereuropäischen Verteilzentrum geworden, dafür sei Haft (Freiheitsentziehung) aber unverhältnismäßig.

Insbesondere kritisiert der Beirat die steigende Inhaftierung von Kindern. Nach der Kinderrechts-Konvention der UNO dürfen Kinder eigentlich überhaupt nicht inhaftiert werden - wenn es doch geschieht, muss der Staat ihnen einen Rechtsanwalt zur Seite stellen. Gegen diese eindeutige Bestimmung verstößt das Justizministerium in Kiel regelmäßig, ohne das zu begründen. Die Rechte werden einfach verweigert. Im Jahre 2009 ist das Diakonische Werk mit rund 3500 Euro aus Spendensammlungen eingesprungen und hat Rechtsanwälte finanziert, die teilweise auch die Freilassung der Kinder erreichen konnten.

Der Beirat kritisierte ebenfalls die Inhaftierung von Traumatisierten, denen meistens eine Behandlung verweigert wird.


Der aktuelle Jahresbericht und eine Stellungnahme dazu ist auch auf der Seite des Flüchtlingsrates SH zu finden: www.frsh.de


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Quelle:
Gegenwind Nr. 260 - Mai 2010, Seite 54
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2010