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GEGENWIND/445: Veranstaltungsreihe zur Abschiebehaft


Gegenwind Nr. 266 - November 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

ABSCHIEBEHAFT
Landesarbeitsgemeinschaft Migration der LINKEN Schleswig-Holstein:

Veranstaltungsreihe zur Abschiebehaft


Mit mehreren Veranstaltungen informierte die "Landesarbeitsgemeinschaft Migration" der Linken Schleswig-Holstein über Abschiebehaft und das Abschiebegefängnis in Rendsburg. Hier eine Übersicht:

Aus dem Flugblatt der LAG Migration:

Freiheitsentzug ist in Deutschland die härteste Sanktion zur Bestrafung überführter Straftäter. Wer in einem Knast einsitzt, ist gemeinhin ein Krimineller.

Das gilt nicht für Menschen in Abschiebungshaft. Bei ihnen hegt der Staat nur den Verdacht, dass sie sich der Verwaltungsmaßnahme "Abschiebung" entziehen könnten, und dieser Verdacht reicht zur härtesten verfügbaren Sanktion. Die Betroffenen können dagegen juristisch kaum vorgehen. Für Flüchtlinge gibt es keinen Pflichtverteidiger oder Prozesskostenhilfe. Wer kein Geld hat, kriegt selten professionelle Hilfe. Und bei der Festnahme wird das Geld dieser Menschen eingezogen und verrechnet: 119 Euro stellt man ihnen für jeden Knasttag in Rechnung.

Abschiebungshaft macht krank. Nach seriösen Schätzungen sind bis zu 40 % aller Flüchtlinge durch Krieg und Verfolgung im Heimatland und Erfahrungen bei der Flucht bereits schwer traumatisiert. Der Europarat fordert, diesen Menschen adäquat zu helfen. Der Gefängnisaufenthalt aber verschlimmert ihren Zustand nur noch zusätzlich.

Abschiebungshaft belastet die Psyche der Betroffenen enorm. Oft verstehen sie schon aus sprachlichen Gründen nicht, warum sie überhaupt monatelang inhaftiert werden. Viele leiden zusätzlich unter großer Angst, weil ihnen die Abschiebung in Länder droht, in denen sie verfolgt werden, nicht selten von den staatlichen Autoritäten, die sie am Flughafen in Empfang nehmen werden.

Immer wieder werden auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge inhaftiert, obwohl sie nach Jugendschutzrecht von Jugendämtern in geeigneten Jugendeinrichtungen "in Obhut" zu nehmen sind, ihnen ist ein Vormund oder Rechtsbeistand zur Seite zu stellen.

Die Landesregierung will die Abschiebungshafteinrichtung (AHE) Rendsburg bis zum Jahr 2020 schließen, aus Kostengründen. Die AHE soll durch eine mehrere Bundesländer übergreifende Einrichtung in Mecklenburg-Vorpommern ersetzt werden. Fluchtursachen sind die derzeitige Weltwirtschaftsordnung, Gewalt und Kriege, befördert durch Rüstungsexporte, eine weltweit extrem anwachsende Umweltzerstörung und politische, religiöse, rassistische und geschlechtsbedingte Verfolgung. Außerdem fördert der Handel mit Diktaturen, auf den sich auch unser Wohlstand zum Teil stützt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit in vielen Teilen unserer Erde. Diese Ursachen müssen bekämpft werden, nicht die Menschen, die deshalb fliehen!

Die "Landesarbeitsgemeinschaft Migration" der Linken SH lehnt die aktuell betriebene Asyl- und Migrationspolitik strikt ab. Wer wegen Krieg, politischem Engagement, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sexueller Orientierung, Zerstörung seiner Lebensgrundlagen, oder anderer individueller Gründe Bedrohungen und Diskriminierungen ausgesetzt ist und fliehen muss, dem hat ein offenes Europa Schutz und Aufnahme gewähren.

Wir fordern ausdrücklich die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerung und Desertion als Asylgründe und besonderen Schutz und sichere Bleiberechte für Kinder in Not!

Achim Weinrich und Gabi Gschwind-Wiese für die LAG Migration


"Na denn, gute Reise!"

Die LAG Migration und Integration der Partei DIE LINKE zeigten zusammen mit dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. den Film "Na dann, gute Reise!" im Kommunalen Kino der Pumpe. Die Landesarbeitsgemeinschaft Migration und Integration der LINKEN hat im Oktober zusammen mit dem Flüchtlingsrat als Auftakt zu Aktionen gegen Abschiebungshaft zur filmischen Information über diese eingeladen. Gezeigt wurde von Ulrich Seile "Na dann, gute Reise..." aus dem Jahr 2003. Ein Film, der immer noch hohe Aktualität genießt und direkt aus der schleswig-holsteinischen Haft berichtet. Ein Großteil des Films wurde in Rendsburg gedreht. Besonders betroffen zeigten sich die Zuschauer des Films einerseits von der Ohnmacht der Protestaktivisten und der Häftlinge, der die kühle Sachlichkeit der Verantwortlichen gegenüber steht, weil sie nicht zu begreifen scheinen, welch Unrecht hier als Normalität propagiert wird.

Im Anschluss gab es eine Diskussionsrunde, zu der Teilnehmer geladen waren, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln über das Thema berichten sollten. Der Landeszuwanderungsbeauftragte, Wulf Jöhnk sprach sich in seinem Grußwort ausdrücklich gegen Abschiebehaft aus und proklamierte, dass es auch aus "konservativer" Sicht nicht mehr zu vertreten sei, Menschen die zum Teil nicht einmal in Deutschland bleiben wollten, gegen ihren Willen festzuhalten. Ulrich Sehe, der Regisseur des Filmes erzählte von den damaligen Protestbewegungen und seinen Eindrücken während der Dreharbeiten. Als weitere Diskussionsteilnehmer berichtete Danny Jozez als ehemaliger Abschiebehäftling aus dem Leben in der Haftanstalt und den Schikanen seitens der Vollzugsbeamten. Silke Nissen vom Diakonieverein Rendsburg betreut wöchentlich in der Abschiebehaft Häftlinge die rechtliche Hilfe benötigen. Sie erzählte über die Veränderungen von der Zeit als der Film gedreht wurde, zur heutigen Situation. Ihrer Meinung nach hat sich einiges verschlechtert, es gibt weniger Freizeitmöglichkeiten für die Häftlinge, es sind mehr Häftlinge geworden und die Einschlusszeiten werden heute strenger gehandhabt.

Mit einer Diskussion über verschiedene parteipolitische Blickwinkel auf das Thema, endete der Abend. Eine Woche später wurde im Landtag über den Antrag der Fraktion DIE LINKE zur Abschaffung der Abschiebehaft debattiert. Der Antrag wurde abgeschmettert, da nach Meinung der Landtagsmehrheit die Abschaffung der Abschiebungshaft eine zu hohe Forderung sei. Ein ähnlicher Antrag der Grünen, wurde in den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen.


Abgeordnete im Knast

Zu Beginn des Sommers hat sich in der schleswig-holsteinischen LINKEN eine Landesarbeitsgemeinschaft AG für Migration und Integration gegründet, deren Mitglieder sich besonders gegen das Thema Abschiebung engagieren. Auf mehreren Planungstreffen haben die Mitglieder in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat Veranstaltungen und eine Aktion entwickelt, welche am 2. Oktober in Rendsburg vor der Abschiebungshafteinrichtung stattgefunden hat. Teil dieser Aktion war die Einbeziehung der LINKEN Landtagsfraktion, deren Abgeordnete durch die Mitgliedschaft im Landtag das Recht haben, Zugang zur Justizvollzugsanstalt gewährt zu bekommen, um den Inhaftierten einen Besuch abzustatten.

Mit Dolmetschern für jede Sprache und einem Team aus Mitarbeitern und Abgeordneten wurde die Fraktion freundlich in der Haftanstalt empfangen. Das Angebot eines kleinen Vortrages zur Haftanstalt lehnten wir dank Vorwarnungen ab. Dies hätte unsere auf eine Stunde begrenzte Zeit des Kontaktes zu den Häftlingen deutlich verkürzt.

Im Gespräch mit Flüchtlingen informierten wir uns über die Haftbedingungen und den bürokratischen Stand im persönlichen Kampf um Freilassung oder Aufenthaltserlaubnis Einzelner. Die Gespräche waren sehr aufschlussreich. Dazu bleiben wir in Kontakt mit Flüchtlingsinitiativen und Vereinen, die sich gegen Abschiebehaft einsetzen.

Bezüglich der Haftbedingungen sind uns Klagen über die Sauberkeit der Kleidung und das einseitige Essen übermittelt worden. Weiterhin aufgefallen sind uns eine starke Verzweiflung und die grundsätzliche Suche nach Gründen für die Haft. Teilweise wollten die Inhaftierten gar nicht in Deutschland bleiben und wurden nur auf der Durchreise verhaftet. Sie begreifen nicht, warum der Staat sie einsperrt. Manchen ist wegen der Sprachschwierigkeiten nicht einmal klar, dass sie im Haus die Rechtsberatung der Diakonie in Anspruch nehmen können.

Alles in allem hat es uns sehr getroffen, nach einer Stunde ohne helfen zu können, wieder gehen zu müssen. Wir hoffen, dass unsere parlamentarischen Anträge und die Resonanz in der Presse ihr jeweiliges beitragen werden, diesem Terror so schnell wie möglich ein Ende zu bereiten. Bisher bleibt uns nur der Gedanke, dass wir den Häftlingen gezeigt haben, dass in Deutschland nicht alle gegen sie sind, sie unschuldig und subjektiv gesehen, unrechtmäßig festgehalten werden und dass wir weiter für sie kämpfen werden. Wir hoffen, die Menschen so in ihrem täglichen psychischen Kampf ein wenig ermutigt zu haben.

Zum Ende der Gespräche überreichten die Abgeordneten Telefonkarten an die Häftlinge, damit sie Kontakt zu Ihren Angehörigen halten können. Da uns von der Anstaltsleitung aus Persönlichkeitsschutzgründen verboten worden ist, die Häftlinge von vorn zu fotografieren und auch nach ausdrücklicher Erlaubnis seitens der Häftlinge selbst, uns mit der Entwendung der Kamera gedroht wurde, werden hier (Seite 36) nur Bilder mit "Rückenansicht" veröffentlicht.

Ramona Hall, Fraktionsmitarbeiterin


Demonstration

LAG Die LINKE demonstriert und mobilisiert vor dem Rendsburger Abschiebungsgefängnis gegen die europäische Abschiebepolitik

Einen Tag nach dem Abgeordnetenbesuch im Abschiebegefängnis war Tag der Aktion in der Rendsburger Innenstadt und vor dem Abschiebegefängnis.

Die LAG protestierte mit Transparenten, sammelte Unterschriften gegen die Abschiebehaft und verständigte sich mittels Megaphon mit den Insassen der Anstalt. Sie standen an den Fenstern, um zu verstehen, was vor ihrem Gefängnis passiert. Viele Bürger interessierten sich für die Aktivitäten der LINKEN und waren bestürzt, da sie nichts von den Insassen des vermeintlichen Gefängnisses wussten. Sie ließen sich gerne informieren und prangerten die unmenschliche Inhaftnahme an. Eine kleine darauffolgende Spontandemonstration mit Sympathisanten wurde auf dem Marktplatz von der Polizei aufgelöst. Die Landesarbeitsgemeinschaft ist allgemein zufrieden mit ihrer ersten Aktion und wird sich weiter für die Verbreitung der Problematik in der Öffentlichkeit einsetzten. Für Youtube ist eine Dokumentation der Aktion geplant und es sollen Gedächtnisprotokolle entstehen, damit die menschenunwürdigen Behandlungen für die Zukunft dokumentiert sind und nicht in Vergessenheit geraten können.

LAG Migration


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Quelle:
Gegenwind Nr. 266 - November 2010, Seite 35 - 37
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2010