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GEGENWIND/462: Muttersprache - Fariba Ayazi aus dem Iran


Gegenwind Nr. 269 - Februar 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Fariba Ayazi aus dem Iran:
"Meine Muttersprache ist Kurdisch"

Interview von Reinhard Pohl


GEGENWIND: Was ist Deine Muttersprache?

FARIBA AYAZI: Meine Muttersprache ist Kurdisch. Aber wir haben in der Schule und mit Verwandten Persisch, also Farsi gesprochen.

GEGENWIND: Hast Du beide Sprachen gleichzeitig gelernt?

FARIBA AYAZI: Das kann man so sagen. Meine Mutter hat mit uns Kindern Kurdisch gesprochen und kurdisch geschimpft. Mein Vater nicht, der hat Farsi gesprochen, ebenso meine Cousinen und andere Kinder. Wir hatten viel Kontakt mit Landsleuten, mit denen haben wir Kurdisch gesprochen, aber in der Schule und im Studium konnten wir nur Farsi sprechen. So ist Kurdisch für mich fast zur Zweitsprache geworden.

GEGENWIND: Wie geht der Iran mit den Sprachen um? Ist es möglich, überall Kurdisch zu sprechen, auch in der Öffentlichkeit?

FARIBA AYAZI: Nein, nicht überall. Unsere Hauptsprache ist Teheranisch, also ungefähr "Hoch-Persisch". Nur wer das spricht, wird überall willkommen geheißen. Die kurdischen Gebiete im Westen sind in den Staat toleriert, aber sobald man sich bewirbt und der Geburtsort Kirmashah oder ein anderer Ort in Kurdistan ist, wird es mit der Einstellung problematisch. Menschen mit guten Herzen diskriminieren natürlich nicht, für die gilt der Mensch und was er denkt, aber für das Studium oder den Beruf ist eine kurdische Herkunft im Iran nicht einfach.

GEGENWIND: Welche anderen Muttersprachen gibt es im Iran?

FARIBA AYAZI: Außer Kurdisch gibt es im Nordwesten Türkisch oder Aserbaidschanisch, im Norden Gilaki und Masandrani, im Süden Bandry, Abadani mit arabischem Akzent oder Einwirkung, im Osten gibt es Mashhadi, Bluchi mit Neigung zur afghanische Sprache. Viele haben auch im Persischen einen Akzent, so dass man hört, woher sie kommen. Meine Mutter ist Kurdin aus Kermashah, aber während des Krieges haben wir in Teheran gelebt. Dort hatten wir zum Beispiel einen kurdischen Hausmeister, und meine Mutter hat mit ihm Kurdisch gesprochen. Aber sie haben das schnell aufgegeben, sie haben sich auf persisch unterhalten. Das Kurdische hat zu viele Zweige oder Dialekte, drei Hauptzweige. Man kann sich zwar ungefähr verstehen, aber nicht intensiver unterhalten.

GEGENWIND: Gibt es im Iran Einrichtungen, in denen Kurdisch unterrichtet wird oder die kurdische Sprache gepflegt wird?

FARIBA AYAZI: Nein, von der Regierung wird Kurdisch ignoriert. Es gab früher mal Initiativen für das Sorani, also einen Zweig des Kurdischen, man hat die Kleidung gefördert und auch versucht, kurdische Studiengänge einzurichten. Mein Großonkel konnte auch Kurdisch schreiben und hat Gedichte auf Kurdisch veröffentlicht. In meiner Generation gab es das im Iran nicht mehr, das war von der Regierung nicht gewollt. Es gab in meinem Familienkreis immer Kurdinnen und Kurden, ich gehörte dazu, [wir wollten] versuchen das Kurdische wieder zu erwecken, aber mein Vater und andere haben uns abgeraten. "Warum wollt Ihr eine tote Sprache lernen?" Uns wurde geraten, lieber Englisch zu lernen, das wäre wichtiger als Kurdisch.

GEGENWIND: Gibt es im Iran nur persische Schulen?

FARIBA AYAZI: So weit ich weiß, gibt es keine Schulen in anderen Sprachen, nur persische Schulen, nur für einige Minderheiten wie die Armenier gibt es eigene Schulen.

GEGENWIND: Wie war es denn, als Du nach Deutschland kamst? Hattest Du Vorteile dadurch, dass Du andere Sprachen konntest?

FARIBA AYAZI: Ich hatte dann ja Englisch gelernt, schon in der Schule im Iran, dadurch konnte ich auch einfacher und schneller Deutsch lernen. Das war schon ein Vorteil.

GEGENWIND: Deine Mutter hat mit Dir Kurdisch gesprochen. Welche Sprache hast Du mit Deinen Kindern gesprochen?

FARIBA AYAZI: Farsi.

GEGENWIND: Du hast also Deine Muttersprache gewechselt. Hast Du das bewusst getan? Oder war es einfach praktischer?

FARIBA AYAZI: Es kam einfach so. Ich konnte Kurdisch besser verstehen als selbst sprechen. Einfache Sachen kann ich auf Kurdisch sagen, aber Diskussionen mit Erwachsenen kann ich auf Kurdisch nicht führen. Ich habe auf Farsi Abitur gemacht und studiert.

GEGENWIND: Können Deine Kinder Kurdisch?

FARIBA AYAZI: Nein, nur im Spaß, einzelne Wörter.

GEGENWIND: Für Deine Kinder ist also Farsi die Muttersprache?

FARIBA AYAZI: Ja.

GEGENWIND: Was sprechen sie miteinander?

FARIBA AYAZI: Manchmal persisch, manchmal deutsch. Aber immer wenn es komplizierter wird, bei einer tieferen Diskussion, können sie nur deutsch. Und ich spreche dann auch oft Farsi, aber sobald ich merke, es ist meine Sprache und verständlich, werde ich Deutsch sprechen. Mit Farsi kommen meine Kinder oft nicht weiter, nur bei einfachen Dingen sprechen sie Persisch.

GEGENWIND: Hast Du Dich hier in Deutschland mal informiert, wie hier der Umgang mit anderen Muttersprachen ist?

FARIBA AYAZI: Ich kenne nur aus Flensburg oder Eckernförde Plattdeutsch, und wir können hier eben frei organisieren, was wir wollen. Hier in Kiel gibt es eine kleine Gruppe, in denen Kinder Persisch beigebracht wird. Das ist aber kein Fachunterricht, sondern eine Gruppe, in denen Kinder etwas lernen.

GEGENWIND: Fändest Du es sinnvoll, wenn der Iran sich stärker um Muttersprachen kümmern würde, zum Beispiel Kurdisch oder Aserbaidschanisch auch in der Schule unterrichten würde?

FARIBA AYAZI: Ich bin einfach für Demokratie. Die Menschen müssen das selbst entscheiden dürfen, die Entscheidungen dürfen nicht einfach von oben kommen. Die Schule soll es gerne anbieten. Für Kurden würde das bedeuten, dass sie Selbstbewusstsein gewinnen und sich nicht mehr ungerecht behandelt fühlen. Aber wenn Du das Internet ansiehst, wie Informationen auf der Welt verbreitet werden, dann werden einige Sprachen einfach aussterben. Oft werden Entscheidungen, eine andere Sprache zu benutzen, nicht unter Zwang getroffen, sondern freiwillig. Einige Sprachen sind mächtig, die können überleben, die können sich an eine neue Situation anpassen, andere sterben aus. So ist das Leben.

GEGENWIND: Gibt es hier einen Zusammenhalt unter Kurden, die sich zum Beispiel treffen? Oder hast Du eher Kontakte zu anderen Iranern?

FARIBA AYAZI: Ich habe eher mit Iranern zu tun. Unter Kurden gibt es auch Zusammenhänge, ich habe schon Einladungen bekommen, aber ich orientiere mich mehr an Iranern als an Kurden.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 269 - Februar 2011, Seite 56-57
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011