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GEGENWIND/493: Netzausbau durch neue Hoch- und Höchstspannungsleitungstrassen


Gegenwind Nr. 279 - Dezember 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Netzausbau durch neue Hoch- und Höchstspannungsleitungstrassen

Von Klaus Peters


Der auf der Grundlage des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) vorgesehene Neubau von voraussichtlich zwei 380 kV-Leitungen und diverser 110 kV-Leitungen betrifft in Schleswig-Holstein vor allem die Bürger in Nordfriesland, Dithmarschen und Ostholstein. Gestützt werden die deutschen Ausbaupläne, von insgesamt 3.600 km wird ausgegangen, formal durch die Merseburger Beschlüsse der Bundesregierung, durch den Beschluss zum Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie bis 2022 und durch zwei Studien der Deutschen Energie-Agentur (dena).


Auch das Gesetzgebungsverfahren für das Netzausbaubeschleunigungsgesetz war beschleunigt worden, es kam innerhalb weniger Monate zustande. Kurz nach der Verabschiedung lagen die ersten Ausbaupläne vor. Die Region Nordfriesland/Dithmarschen ist als Pilotregion bestimmt worden. Die ersten Veranstaltungen zur Information der Öffentlichkeit fanden in Nordfriesland am 3. November in Husum und am 10. November in Bredstedt statt. Auf diesen Veranstaltungen zeigte sich aber auch, dass die Informationspolitik des in Schleswig-Holstein federführenden Wirtschaftsministeriums des Landes völlig unzureichend ist. Die Informationen bezogen sich nur auf drei ausgewählte Trassen, die Grundlagen der Planungen wurden nicht thematisiert. Auch die schriftlichen Unterlagen bezogen sich prinzipiell nur auf die Trassenplanungen. Für normale Bürger waren die vielen Detailinformationen zur Trassenplanung wiederum nur schwer nachvollziehbar.

Offensichtlich sind Wirtschaftsministerium und Kreis, trotz der Ankündigung weitere Informationsveranstaltungen durchzuführen, an einem möglichst reibungslosen Durchziehen der Planungen interessiert. Der Ablauf des gesamten, gegenüber früheren Vorgaben neuen Verfahrens, blieb ebenso unklar wie die energiepolitischen Randbedingungen und Alternativen. Auf den zusammen mit den Planern der zuständigen Konzerne durchgeführten Veranstaltungen blieben deshalb etliche Fragen offen. Das hohe Tempo des Verfahrens verunsichert, die meisten Bürger können die Hintergründe und Zusammenhänge des Netzausbaus nicht durchschauen. Die Verantwortlichen dürften daran auch nicht besonders interessiert sein. Sie werden sich auf diejenigen konzentrieren, die durch die Nachbarschaft zu Leitungen und Masten direkt betroffen sein werden. Möglicherweise stehen auch noch Enteignungsverfahren bevor. Diese Art der Informationspolitik führt wie so häufig zu Resignation und Spaltung der Bürger in Betroffene und nicht Betroffene. Eine dritte Gruppe, vergleichsweise wenige Profiteure, sind nicht zu vergessen.


Gravierende Mängel des Vorhabens:

- Eine umfassende mit den Nachbarländern abgestimmte Energiekonzeption liegt nicht vor.

- Energiesparkonzepte von Bund, Land, der Städte und Kreise oder von Industrie und Gewerbe liegen ebenfalls nicht oder nur in Ausnahmefällen vor.

- Möglichkeiten und Standorte von Stromspeicherverfahren sind ungeklärt.

- An der Westküste ist keine Verbindung mit dem dänischen Stromnetz in der konkreten Planung.

- Die auch wirtschaftlich sinnvolle Einbindung der Bahnstromversorgung in die Planungen und damit der Anschluss an das ICE-Netz werden von Kreis und Land abgelehnt, obgleich das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht.

- Die vorgestellten Trassenverläufe der 380 kV-Leitungen müssen als höchst problematisch eingestuft werden, da sie Schutzgebiete durchschneiden würden und den Vogelzug beeinträchtigen. Das Landschaftsbild, die historischen Kulturlandschaften haben in Nordfriesland, nicht zuletzt für den Tourismus, eine herausragende Bedeutung und sind jetzt erneut gefährdet, ja teilweise schon nicht unerheblich beeinträchtigt.

- Die Kosten der gesamten Planungen werden praktisch vollständig überwiegend auf die privaten Verbraucher übertragen. Kommunen über deren Gebiet Trassen verlaufen, werden einmalig entschädigt. Über Entschädigungszahlungen an Anlieger ist nichts bekannt.

- Im Rahmen der formalen Verfahren können erstmalig private Projektmanager eingesetzt werden.

- Die Abläufe des verschiedenen Verfahrens sind nicht transparent, da z.B. schematische Darstellungen mit Angaben zu den Zuständigkeiten (Bundesnetzagentur, Wirtschaftsministerium des Landes, Kreise) mit konkreten Zeit- und Ortsangaben fehlen.

- Eine 380 kV-Leitung an der Westküste kann im Bereich der Eiderüberquerung wegen der Naturschutz- und Landschaftsschutzbelange (Natura 2000-Gebiete) nicht akzeptiert werden. Nördlich der Eider und der Halbinsel Eiderstedt sollte deshalb eine Einbindung der 110 kV-Trassen in die vorhandene 380 kV-Leitung, die etwa in der Mitte des Landes verläuft, und eine Einbindung in das dänische Stromnetz erfolgen.

In der Regel werden Anregungen und Bedenken weggewogen, entweder durch sogenannte Ausgleichsmaßnahmen, oder sie werden von vornherein als nicht relevant für das Verfahren aussortiert. Es bleibt für anerkannte Verbände und Betroffene prinzipiell der Rechtsweg, doch dieser Weg ist nicht umsonst und natürlich mit Risiken behaftet. Den Antragstellern wird zudem oft ein vorzeitiger Beginn der Maßnahmen zugebilligt, der eine rechtliche Bewertung belastet. Es muss davon ausgegangen werden, dass das Netzbeschleunigungsgesetz ein solches Vorgehen tendenziell forciert.

Der Netzausbau wird zu neuen Konflikten mit der Natur, dem Tourismus und den Menschen führen. Die Konflikte sind eine weitere enorme Belastung, sie verschärfen die vielfältigen bereits vorhandenen Konflikte durch weitere Ausweisung von Windeignungsflächen, noch höhere Großwindenergieanlagen, Maismonokulturen (Maiswüsten), Massentierhaltung, CCS, örtlich einseitige Abhängigkeit vom Tourismus und Verdrängungseffekte durch den Tourismus. Die Folgen dieser Entwicklung sind darüber hinaus steigende Grundstücks- und Pachtpreise, steigende Lebensmittel und Strompreise, schließlich weiterer Landschaftsverbrauch und weiterer Artenschwund.


KASTEN

Daten und Fakten

Erste Regionalkonferenz am 26.09.2011 in Eutin, 1,5% der Landesfläche sind als Windeignungsfläche ausgewiesen, bis 2010 ca. 0,8%.

Prognose: Bis 2015 sollen ca. 9000 MW überwiegend aus Windenergie installiert sein. Weitere 3000 MW aus Offshore Anlagen werden erwartet. 2010 lag die Leistung aus erneuerbaren Energien bei ca. 4000 MW.

Es sind drei Akteure für den Netzausbau zuständig:

- Schleswig-Holstein Netz AG (Mittelspannung)

- EON Netz (Hochspannung)

- Tennet (Höchstspannung 220kV/380 kV).

Tennet ist ein holländisches Staatsunternehmen, an das das bestehende Höchstspannungsnetz von den großen deutschen Stromerzeugern verkauft worden ist.

Es sollen 110 kV- und 380 kV-Leitungen installiert werden, es ist vorgesehen 110 kV-Leitungen auch als Erdkabel zu verlegen. Für die Verlegung von Erdkabeln gilt eine Wirtschaftlichkeitsklausel. (Technisch möglich ist auch eine Erdverkabelung von 380 kV-Leitungen.)

Die Masten der 380 KV-Leitungen haben einen Abstand von ca. 400 Meter und sind 50 bis 60 Meter hoch.

Bislang sind drei Ausbauvarianten untersucht worden:

- 110 kV zur Mitte des Landes
- 380 kV zur Mitte des Landes
- 380 kV-Übertragungsleitung an der Westküste.

Es werden jeweils mehrere Transformatorenstationen erforderlich. Die Westküstenvariante ist nach Angaben der Betreiber die wirtschaftlich günstigste Variante. Die Länge der Höchstspannungsleitungen liegt zwischen 150 und 330 km. Insgesamt sollen in Schleswig-Holstein bis zu 700 km installiert werden, in Deutschland bis zu 3600 km.

Die für die Höchstspannungsnetze verantwortliche oberste Behörde ist die Bundesnetzagentur. Dort sollen 240 zusätzliche überwiegend wissenschaftlich ausgebildete Fachkräfte zusätzlich eingesetzt werden. Kosten: 25 Mio. Euro pro Jahr. Die Investitionskosten von einem Kilometer 380 kV-Freileitung betragen 750.000 Euro. Die Anbindung von 1000 MW Offshore-Windenergieanlagen kostet 1 Mrd. Euro.

Es gilt keine Mindestabstandregelung zum Schutz der Anwohner sondern nur eine Grenzwertfestlegung zum Schutz vor elektromagnetischen Strahlungen.

Es ist ein Bundesfachplanungsbeirat vorgesehen, an dem aber keine Vertreter von Umweltverbänden beteiligt sind.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 279 - Dezember 2011, Seite 39-40
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2011