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GEGENWIND/539: Fairer Start ins Leben - für alle


Gegenwind Nr. 293 - Februar 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Fairer Start ins Leben - für alle

Medibüro Kiel startet Kampagne

von Medibüro



Es ist unvorstellbar aber leider Realität. Mitten in Deutschland, mitten unter uns gibt es werdende Mütter, die aus Angst vor Abschiebung oder den Behandlungskosten, keine medizinischen Leistungen in Anspruch nehmen.


"Zugegeben, ich habe es als Hebamme selbst erlebt, dass sogar Frauen mit Krankenversicherung ihre Schwangerschaft solange nicht wahrhaben wollen, bis die Wehen einsetzen", sagt Germaine Adelt. "Allerdings kam dies äußerst selten vor und es war letztlich allein die Entscheidung der Frau. Mit dem großen Unterschied, dass diese Frauen dann die optimale medizinische Versorgung für sich und das Kind erhielten. Ohne Wenn und Aber. Ohne Angst vor Abschiebung oder davor, die Kosten der medizinischen Versorgung nicht zahlen zu können."

Betroffen von unzureichender medizinischer Versorgung sind auch die Mitbürgerinnen aus den neuen EU Ländern, die sich zwar legal in Deutschland aufhalten (Freizügigkeitsgesetz), aber oftmals keine entsprechende Arbeitserlaubnis haben und somit nicht sozialversichert sind.

"Die Geburt ist an sich ein natürlicher Vorgang", so Adelt weiter, "dennoch kann es durchaus zu Komplikationen kommen, ob nun für Mutter oder Kind. Und es kann einfach nicht sein, dass aus Kostengründen, in unserer heutigen Zeit, Säuglings- und Müttersterblichkeit riskiert wird."

Von daher hat sich das Kieler Medibüro das Ziel gesetzt, dies zu ändern.

"Das Problem ist nur politisch zu lösen", so Surya Stülpe, "und so haben wir vor der anstehenden Kommunalwahl die Kampagne ins Leben gerufen."

Das Kieler Medibüro betreut seit über drei Jahren ehrenamtlich Menschen ohne Papiere, die medizinische Hilfe benötigen. Nun hat das Medibüro diese Kampagne gestartet, in der eine kommunale Kostenübernahme für Schwangerenbetreuung, Entbindungen und öffentlich empfohlene Impfungen für Kleinkinder gefordert wird.

"Manchmal fühle ich mich zurück katapultiert in eine Zeit, die ich nur aus medizinisch-historischen Büchern kenne", erklärt Till Koch, "längst vergangene Infektionskrankheiten, eingedämmt durch Schutzimpfungen, könnten eine traurige Renaissance erleben. Staatlich empfohlene Impfungen werden bei den betroffenen Kleinkindern nicht durchgeführt, oft allein deshalb, da die Eltern die Kosten nicht tragen können."

Das sieht Sebastian Leuschner genauso: "Es wird unterschätzt, dass die unterlassenen Impfungen auch Kontaktpersonen gefährden können, die unter Umständen nicht mehr über einen ausreichenden Impfschutz verfügen."

Unhaltbare Zustände, die zudem gegen den Artikel 25 der UN-Menschenrechtskonvention verstoßen ("Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung") und somit schlichtweg unwürdig sind.

"Es ist ein Irrglaube," sagt Surya Stülpe, "dass nun horrende Kosten auf die Stadt zukommen und von daher von Anfang an eine Kostenübernahme gar nicht erst in Erwägung gezogen wird. Etwa fünfzehn Schwangere kommen pro Jahr zu uns ins Kieler Medibüro. Viele Frauen aber verzichten auf Vorsorgeuntersuchungen und warten bis zur Geburt. Oder schlimmer noch, warten bis es zum Notfall wird. Es stellt sich die Frage, ob Vorsorgeuntersuchungen, betreute Geburten und Schutzimpfungen letztlich nicht kostengünstiger sind als Komplikationen."

Argumentationen, denen sich auch ErstunterzeichnerInnen (namhafte Frauen- und KinderärztInnen, die Frauen- und Kinderkliniken der Universität und des Städtischen Krankenhauses Kiel, die Landesvorsitzende der GynäkologInnen im Norden und das Geburtshaus Kiel) anschließen und die Kampagne "Fairer Start ins Leben" unterstützen.

"Es muss sich dringend etwas ändern", sagt Sebastian Leuschner. "Und bis es soweit ist, werden wir an unserer Kampagne festhalten, da im 21. Jahrhundert, mitten in Europa, einfach nicht sein kann, was hier stattfindet."

Informationen zur Arbeit des Kieler Medibüros und der Kampagne "Fairer Start ins Leben" unter: www.fairerstart.de

Medibüro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 293 - Februar 2013, Seite 19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2013