Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/599: Die Europawahl - Außerparlamentarische Bewegungen und regionale Perspektiven


Gegenwind Nr. 310 - Juli 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Die Europawahl
Außerparlamentarische Bewegungen und regionale Perspektiven

von Klaus Peters



Trotz einer etwas höheren Wahlbeteiligung, trotz einer Auswahl von 24 Parteien und in einigen Bundesländern parallel stattfindenden Kommunalwahlen ist nicht gelungen, eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten für die Wahl zum Europäischen Parlament zu interessieren. Die deutschen Bürger, die sich an der Wahl beteiligten, entschieden sich mehrheitlich wie bisher. Im Europäischen Parlament haben die Abgeordneten, die der Europäischen Volkspartei (EVP) zuzurechnen sind und die Allianz der Sozialisten & Demokraten (S&D) mit zusammen über 400 Mandaten die Mehrheit.


KASTEN

Die Wahlbeteiligung stieg in der BRD von 43,3 auf 48,1 %, EU-weit gab es lediglich eine Veränderung von 43,0 auf 43,1%. In der Slowakei sind lediglich 13 %, in Polen 22,7 % Wahlbeteiligung erreicht worden. Die höchste Wahlbeteiligung erreichte Belgien mit 90 %. Bei den Kommunalwahlen lag die Beteiligung in Hamburg bei 41 %, in Rheinland-Pfalz mit 55,5 % am höchsten.

In Italien konnte die regierende Partito Democratico (PD) mit 40,8 % den größten Stimmenanteil erringen, in Griechenland siegte die linke Syriza mit 26,6 %, in Frankreich der Front National mit 25,0 % und in Spanien die regierende konservative Partido Popular (PP) trotz hoher Verluste mit 26,6 %. Die sozialdemokratische Partido Sozialista Obrero Espanol (PSOE) erreichte mit fast ebenso hohen Verlusten 23 %. Neu im EU-Parlament ist die erst Anfang 2014 gegründete linksgerichtete spanische Partei Podemos (Wir können). In Großbritannien erreichte die euroskeptische rechtsgerichtete United Kingdom Independence Party (UKIP) mit 27,5 % überraschend die meisten Stimmen und Mandate, die regierenden Konservativen konnten nur drittstärkste Partei werden.

KASTEN-ENDE


Das Besondere der Europawahl 2014 war aus deutscher Sicht der auch erwartete Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) und der Einzug von 7 weiteren kleinen Parteien in das Europaparlament, die allerdings schon länger existieren und sich bereits an anderen Wahlen beteiligten. Die Erringung von je einem Mandat war aufgrund der bisherigen Wahlergebnisse prinzipiell aber ebenfalls erwartet, worden. Überraschend das lediglich schwache Abschneiden der Piratenpartei und die Ergebnisse etwa der DKP und der MLPD. Die Zugewinne der SPD, von einem niedrigen Niveau ausgehend, sind wahrscheinlich auf den sehr präsenten Spitzenkandidaten und möglicherweise auch schon auf die jüngsten Entscheidungen zur Rentenpolitik zurückzuführen.

Trends für einen grundlegenden Politikwechsel sind nicht klar zu erkennen. Verschiedene neue Ansätze sind bei früheren Wahlen erprobt worden, Aufbruchsstimmung konnte jedoch nur kurz aufflackern. Erst waren es die Sorgen um die Umwelt, dann die zunehmende soziale Ungerechtigkeit. Die Sorge um die Umwelt wurde dem Profitwahn untergeordnet (Green Ökonomie bis hin zu "Greenwashing"), soziale Gerechtigkeit ist zumindest vorübergehend von den Folgen der Banken- und Finanzkrise verdrängt worden.

Gute Programme und systematische Kleinarbeit oder interessante Spitzenkandidaten allein sind keine Erfolgsgarantie. Das gesamte Spektrum der politischen Aktivitäten ist auf die zeitlich sich verändernden Herausforderungen zu optimieren, bleibt eine ständige Aufgabe. An erster Stelle steht genauso selbstverständlich eine kritische Analyse der letzten Wahlen.


Versuch einer Analyse der Wahlstrategie der Partei Die Linke

Für einen Vergleich besonders interessant sind Linkspartei und AfD. Die AfD hatte der Linkspartei bei den Bundestagswahlen mehrere Hunderttausend Stimmen abgenommen. Bei der Europawahl waren es weniger, aber immer noch über Einhunderttausend. Allein durch den Parteinamen und durch die Gründung als neue Protestpartei hat die AfD viel Aufmerksamkeit in verschiedenen Lagern erreicht. Bei der Kritik an der EU konnten viele Wähler trotz ernsthafter Versuche der Akteure der Linkspartei offensichtlich nicht genau genug erkennen, wo die Unterschiede liegen.

Bei der Präsentation durch Plakate konzentrierte sich die AfD auf größere Formate ohne wirklichkeitsfremde Aussagen, wie "Waffenexporte verbieten" (ein Vokabular, das übrigens auch von den "neuen Montagsmahnwachen" verwendet wird). Die eigene Identität durch weiße statt rote Plakate zu verdecken, ist ein ebenso fragwürdiger Ansatz der Linkspartei. Inzwischen dürfte sich zudem herumgesprochen haben, dass längere Wahlprogramme für Aktive in den Parteien, sonst aber bestenfalls von einigen Journalisten und von Mitarbeiter der Wettbewerber vollständig gelesen werden, um mögliche Schwachstellen zu finden. Die Ausarbeitung eines guten Programms bleibt zwar unentbehrlich, vor Ort sind allerdings eigentlich nur Kurzprogramme mit exponierten Aussagen zu den programmatischen Schwerpunkten und mit einem guten Layout wirkungsvoll einsetzbar.


Politik im Dialog mit den NROs

Die programmatischen Ansätze der Linkspartei ergeben sich aus dem wissenschaftlichen Sozialismus und im Dialog mit Nichtregierungsorganisationen einschließlich der Gewerkschaften. Dieser Dialog findet im direkten Gespräche, in den linken Medien oder auf Veranstaltungen statt.

Die diesbezüglich vorhandenen Potentiale sind nur unzureichend genutzt worden.

Größere Veranstaltungen sind relativ aufwendig, werden gern nur mit eigenen Spitzenpolitikern durchgeführt. Externe Fachreferenten können aber mehr als nur Parteimitglieder und Sympathisanten interessieren. In den Kommunen und Regionen können direkte Dialoge mit den NROs und einer guten Presseresonanz eine gute Grundlage für inner- und außerparlamentarische Arbeit bilden. Die nachhaltige Entwicklung in den Regionen wäre ein zentrales Themenfeld mit vielen Variationsmöglichkeiten, Darstellungsformen und dialektischen Ansätzen. Dialektische Ansätze werden immer wieder vernachlässigt, Beispiele: Energiepolitik (Energieeffizienz, Ernährung, Mobilität), Verkehrspolitik (Energie, Gesundheit, Sicherheit), Wohnungspolitik (gegensätzliche Entwicklung in Städten und ländlichen Regionen), Wirtschaftspolitik (Globalisierung, Regionalentwicklung, soziale und ökologische Mindeststandards).

Widersprüchliche Entscheidungen und Entwicklungen, an denen deutlich wird, dass ganzheitliche Dimension der Nachhaltigkeit nicht erkannt worden oder bewusst grob gegen sie verstoßen wurden, sind überall zu finden, so dass sie schon als selbstverständlich und unausweichlich hingenommen werden. Einige Beispiele hierzu:

Förderung des massiven Ausbaus von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, ohne Berücksichtigung von Speichermöglichkeiten und ausreichender Kapazitäten vorhandener Netze. Kostensteigerungen für Verbraucher wurden unterschätzt, verschwiegen oder bewusst falsch prognostiziert. Gleiches gilt für Beeinträchtigungen von Natur- und Landschaft, insbesondere durch Großwindenergieanlagen, Hochspannungsleitungen und Monokulturen. Auch im Nordwesten des Landes Schleswig-Holstein sind inzwischen Stromüberkapazitäten geschaffen worden. Die Bahnstromleitungen enden allerdings an den Grenzen der Region (Lübeck/Itzehoe). Anwohner und Reisende werden weiter krebserregenden Abgasen ausgesetzt. Ein ICE-Anschluss wird trotz Messestandort Husum und der Bedeutung des Tourismus für die Westküsten-Region nicht einmal ernsthaft diskutiert.

Im Bereich Mobilität hat der Straßenverkehr generell weiter Vorrang vor dem Bahnverkehr, obgleich der Bahnverkehr insgesamt deutlich umweltfreundlicher und vor allem auch sicherer ist. Massive Investitionen erfolgen in Großprojekte wie Hauptbahnhof und Flughafen Berlin, Fehmarnbelt-Querung oder Stuttgart 21.

In den ländlichen Räumen stehen zunehmend Gebäude leer, die Lebensqualität verschlechtert sich, in den Städten herrscht Wohnungsknappheit. Die Politik reagiert mit massivem Zubau von Wohnraum in den Städten.

Umweltschädigende, tierethisch nicht verantwortbare und gesundheitlich problematische industrielle Landwirtschaft wird massiv gefördert, so dass die ökologische Landwirtschaft trotz zusätzlicher Förderung keine reellen Chancen hat.

Weil die Baukultur auf Denkmalschutz und wenige exponierte historische Bauwerke konzentriert wird, findet Baukultur in der Bauleitplanung schon lange nicht mehr statt. Neue Siedlungen, ja ganze Orte sind nicht als kulturelles Erbe konzipiert, werden oft schnell zu trostlosen Wohnstätten, ältere Gebäude und ehemalige Dorfzentren sind vom Verfall bedroht.

Es kommt darauf an, mutig Fehlentwicklungen zu benennen. Parteien sind dazu oft nicht in der Lage, weil es ihnen vorrangig um Wählerstimmen und den Erhalt ihrer Privilegien geht. Deshalb ist das Engagement von unabhängigen Bürgern und Bürgerinitiativen permanent notwendig. Bürger und Initiativen müssen sich bei ihrem Engagement allerdings ständig vor strategischer Einbindung in Acht nehmen. Die Mainstream-Medien sind nur sehr bedingt für wirkliche Aufklärungsarbeit zu interessieren. Als geeignetes Instrument zur aufklärenden Information und zur Mobilisierung hat sich das Internet erwiesen (Newsletter, Online-Petitionen, Aufruf zu Kundgebungen und Demonstrationen), "klassische" Instrumente, wie Leserbriefe und Unterschriftensammlungen zur Unterstützung von Eingaben oder Bürgerentscheiden behalten ihren Stellenwert, ebenso wie Briefaktionen an die zuständigen Abgeordneten oder Institutionen.

NROs und Einzelpersonen müssen sich, das ist auch nicht neu, vernetzen, um mehr Erfolg zu erzielen. Sie müssen unabhängig bleiben und sich nur mit denen verbünden, die eine von Ausbeutung und Unterdrückung freie, eine gerechte Gesellschaft wollen. Nachhaltige Erfolge werden nur möglich sein, wenn grundlegende systemische Veränderungen stattfinden, wenn die Menschen solidarisch denken und handeln.


Wachsamkeit gegenüber den EU-Einrichtungen und ihren Akteuren

Die EU hat sich, durch Verträge weitgehend abgesichert, zuletzt durch den Lissabon-Vertrag, immer mehr Macht verschafft. Diese Macht, von der Mehrheit des Parlaments auch gestützt, wirkt politisch, wirtschaftlich und auch militärisch nach außen. Für unabhängige Drittstaaten führt dies zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Problemen, wie das Beispiel Ukraine zeigt. Nach innen sind durch die überstürzten Beitritte und nicht zuletzt durch die Einführung des Euro ohne Harmonisierung der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, ebenfalls erhebliche Probleme entstanden. In den achtziger und neunziger Jahren hatte die von der EU eingeleitete Umweltpolitik (Immissionsschutzrichtlinien, Richtlinie zur Sicherheit von Industrieanlagen "Seveso-Richtlinie", Vogelschutzrichtlinie, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, Energieeffizienzrichtlinie, Wasserrahmenrichtlinie (die Umsetzung erfolgte und erfolgt teilweise mit erheblichen Verzögerungen.) noch einige positive Impulse ausgelöst, zumal die nationalen Aktivitäten gerade in der BRD zurückgefahren worden waren. (Die vom Europarat beschlossene Europäische Landschaftskonvention ist weder von der EU noch von der BRD ratifiziert worden.) Gleichzeitig sind die bisherigen Bemühungen um den Natur- und Umweltschutz allerdings durch die verfehlte EU-Agrarpolitik trotz einiger Reformen konterkariert worden. Im Bereich der Energie- und Klimapolitik ist es ebenfalls zu keinen umfassenden, nachhaltigen Ergebnissen gekommen Gerade wird darüber diskutiert, zukünftig keine langfristigen Gaslieferverträge mehr mit Russland abzuschließen. Der Abschluss eines Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada (Wirtschafts-NATO) wird weiter vorangetrieben.

Im Bereich der Regionalpolitik und der Politik für die ländlichen Räume hat die EU durch die Landwirtschafts-, Regional- und Sozialfonds Mittel zur Verfügung gestellt, die allerdings durch nationale Mittel ergänzt werden müssen. Dies ist durchaus nachvollziehbar, denn zunächst sind die Mitgliedsländer doch auch für Regionen selbst verantwortlich. Allerdings muss die jeweilige Finanzkraft der Mitgliedsländer angemessen berücksichtigt werden. In Schleswig-Holstein ist von den insgesamt zur Verfügung gestellten die Mittel ein Teil zuletzt in Programme der sogenannten "Aktivregionen", geflossen. Diese Programme sollten überarbeitet und fortgesetzt werden. Diese Mittel sind jedoch sehr begrenzt, im Vergleich zur Förderung konventioneller Agrarwirtschaft sogar gering, so dass prinzipiell nur Einzelprojekte gefördert werden. Immerhin sind als Voraussetzung einer Förderung von den regionalen Akteuren oder in deren Auftrag Konzepte zu erstellen. Die Mitwirkung der Bürger beschränkt sich im Wesentlichen auf die Einbeziehung der Kommunalpolitik und Vertreter etablierter Vereine. Es kommt also darauf an, mit der Unterstützung der Abgeordneten des EU-Parlaments und ihrer Mitarbeiter, die Prozesse zu verfolgen, Transparenz zu erwirken und mögliche Fehlentscheidungen bzw. die Bevorzugung einiger Weniger zu verhindern.


Für Die Linke jetzt Fabio de Masi

Für die norddeutschen Länder ist der mit deutsch-italienischen Eltern aufgewachsene und in Hamburg lebende Fabio de Masi der potentielle Ansprechpartner und Vertreter im Europaparlament. Der studierte Volkswirt Fabio de Masi war zuletzt Mitarbeiter von Sarah Wagenknecht im Bundestag und wird das Büro der vorherigen Hamburger Europaabgeordneten Sabine Wils übernehmen, die in die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt zurückkehrt.

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 310 - Juli 2014, Seite 13-15
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info
 
Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2014