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GEGENWIND/622: Neue Perspektiven für Naturschutz, Landwirtschaft und ländliche Räume?


Gegenwind Nr. Gegenwind 316, Januar 2015
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Neue Perspektiven für Naturschutz, Landwirtschaft und ländliche Räume?
Die EU-Agrarpolitik für den Zeitraum 2015 bis 2020

von Klaus Peters



Der bevorstehende Beginn der neuen Förderperiode der EU-Agrarpolitik war für die Deutsche Vernetzungsstelle, Netzwerk Ländliche Räume, (DVS), Bonn, und den Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVI), Ansbach, wieder Anlass für Bestandsaufnahmen und Ausblicke. Auf einer zweitägigen Veranstaltung in Gotha/Thüringen trafen sich Mitte November Experten aus Verwaltungen, Verbänden und aus den Bereichen Wissenschaft und Praxis.


Auf der Konferenz in Gotha waren Teilnehmer und Referenten aus fast allen Bundesländern vertreten, ausgenommen die Stadtstaaten. Die Vorträge und Diskussionen vermittelten einen erheblichen Handlungsbedarf. Der vorgegebene Handlungsrahmen lässt allerdings offensichtlich nicht den notwendigen Spielraum, um die Biodiversität zu sichern oder gar wieder auf frühere Standards anzuheben.

Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass Naturschutz und Agrarpolitik in den letzten Jahren nicht gerade im Mittelpunkt des Interesses der Medien und der Öffentlichkeit standen. Das geringe Interesse kann auf die jeweils agierenden Personen, auf andere dominierende Themen oder auch auf die Medien zurückgeführt werden. Während der Amtszeit des österreichischen EU-Agrarkommissars Franz Fischler (1995 - 2004) hatte die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) einen anderen Stellenwert, insbesondere auch deshalb, weil Umweltmaßnahmen, Politik für die ländlichen Räume und die Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion fester Bestandteil der GAP geworden waren. Die Prämienzahlungen waren nicht mehr allein von der Produktionsmenge abhängig. Doch die damaligen Ansätze reichten nicht aus, wie sich bald zeigte. Neue Probleme wie die "Vermaisung" der Landschaften kamen hinzu. Der Artenschwund ging weiter. Der Konzentrationsprozess schritt weiter voran und in vielen ländlichen Regionen setzte sich der Niedergang der Dörfer fort.


KASTEN

Beispielhafte Angaben zum Artenschwund:

Der Bestand der Kiebitze ist in Deutschland in den letzten 20 Jahren um 50 Prozent zurückgegangen. Der aktuelle Bestand betrug 2014 noch rund 80.000 Brutpaare. Quelle: natur 11/2014, S. 6
Bei den Rebhühnern liegt der aktuelle Bestand bei 50.000 Brutpaaren. Die Rückgänge betrugen in den letzten 25 Jahren über 50 Prozent, in Sachsen sogar 90 Prozent. Quelle: Wikipedia

KASTEN-ENDE


Die Umweltverbände hatten mittlerweile Bündnisse gebildet und fundierte Konzepte für eine neue, ökologische Agrarpolitik vorgelegt. Allerdings reichten deren Kräfte nicht aus, um sich gegen die großen Landschaftsnutzer, deren Verbände und damit gegen die nationalen und transnationalen Machtstrukturen durchzusetzen.

Der in der letzten EU-Kommission für Agrarpolitik verantwortliche Kommissar Darius Ciolos hatte zunächst einen optimistisch stimmenden Programmentwurf für die 2015 beginnende Förderperiode vorgestellt. Die Akteure des Bündnisses ökologische Agrarpolitik mussten dann allerdings feststellen, dass vom vorgelegten Programmentwurf und erst recht von ihren Vorschlägen viel zu wenig übrig geblieben war. Für die Zukunft bedeutet das, so auch einige Referenten der Veranstaltung in Gotha, sich noch früher und noch engagierter in die Programmprozesse einzubringen. Der interne Austausch ist zwar sehr wichtig, doch selbst gut begründete Vorschläge müssen auch und besonders mit Unterstützung der Medien und der Öffentlichkeit offensiv vertreten werden. Selbst auf grüne Umweltminister können sich die Akteure nicht verlassen, wie ein Referent anmerkte.

Die Ankündigung des neuen EU-Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker, die Programme künftig schlanker zu gestalten, bedeutet keineswegs, dass diese besser, also ökologisch und nachhaltig wirksamer werden. Die in Kraft getretenen Bestimmungen waren wieder unter Zeitdruck in nationale und länderspezifische Programme umzusetzen, die wiederum durch die EU-Kommission genehmigt werden müssen. Ein Teil der Ausführungsbestimmungen, auch die der EU-Kommission, liegt noch nicht vor.


KASTEN

Finanzierung:

Das Volumen des EU-Haushalts für 2015 beträgt 145,2 Mrd. Euro, für Agrarausgaben stehen 58 Mrd. Euro zur Verfügung. Auf die BRD entfallen ca. 4,8 Mrd. für Direktzahlungen (1. Säule) und 1,4 Mrd. für die 2. Säule. Die Mittel der 2. Säule werden durch den Bund und die Länder aufgestockt.

Landwirtschaftlich genutzte Fläche nach Hauptnutzungsarten (in 1000 ha), Werte in Klammem gelten für das Bundesland Schleswig-Holstein

  • Landwirtschaftliche genutzte Fläche: 16.750 (990)
  • Ackerland: 11.900 (667)
  • Getreide: 6.580 (280)
  • Silomais/Grünmais: 2.090 (181)
  • Dauergrünland: 4.650 (316)
  • Ökologischer Landbau (nach EU-VO): 1.060 (40); 6,4 % (4,1 %)
  • Ökologische Vorrangfläche zukünftig ca. 500 (30) (vorhandene Landschaftsstrukturen werden einbezogen)
  • Naturschutzgebietsfläche: 1 340 = 3,8 % (47,9 = 3.1 %). Die Prozentzahlen der NSG beziehen sich jeweils auf die gesamte Bodenfläche.

Angaben des Statistischen Bundesamtes (2014) und des Bundesamtes für Naturschutz (12/2012); Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Angaben zum Ökologischen Landbau für 2013; Statistikamt Nord, Angaben für 2013

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Voraussetzungen für Direktzahlungen (1. Säule der EU-Agrarförderung):

Direktzahlungen erfolgen flächenbezogen, sie betrugen in Deutschland bisher etwa 350 pro ha jährlich. In der BRD gingen bisher 70 % der Mittel an 20 % der Betriebe. Auf EU-Ebene teilten sich bisher 60 % der Betriebe im unteren Bereich 5 % der Subventionen. Die größten Betriebe erhielten dagegen knapp 60 %.

Neu ist, dass die Direktzahlungen bei 150.000 Euro gedeckelt werden können. Einige Mitgliedsländer haben diese Option genutzt, die deutsche Bundesregierung nicht. Für kleinere Betriebe gibt es allerdings Zuschläge. Insgesamt wird die Prämienhöhe leicht abgesenkt, für größere Betriebe etwas stärker.

Das sogenannte "Greening" wird ab 2015 Voraussetzung für Direktzahlungen. Kleinbetriebe und Öko-Betriebe sind ausgenommen. Bei Nichteinhaltung sollen prinzipiell Sanktionen in Form von Zahlungskürzungen erfolgen. Inhalte des "Greening":

  1. Anbaudiversifizierung bei Ackerbaubetrieben ab 10 ha (erforderlich mind. zwei, bei Betriebe ab 30 ha drei Kulturarten, eine Kulturart darf 75 % der Fläche, die zwei größten Kulturen dürfen 95 % nicht überschreiten)
     
  2. Dauergrünland-Erhalt
     
  3. Ökologische Vorrangflächen bei Ackerbaubetrieben ab 15 ha, mind. 5 %, z. B. 20 Meter breite Blühstreifen; stickstofffixierende Pflanzen (Leguminosen) werden teilweise angerechnet

Förderung und Ausgestaltung der Entwicklung des ländlichen Raums (2. Säule der EU-Agrarförderung)

Für den Zeitraum 2015 bis 2020 können die zur Verfügung gestellten Finanzmittel durch maximal 15 % der Mittel aus der Säule 1 für Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums ergänzt werden. Diese Maßnahmen sind im Wesentlichen Umweltprogramme für Nutzflächen, der Ökologische Landbau und investive Maßnahmen wie z.B. Dorferneuerung, Modernisierungen von Betriebseinrichtungen sowie die Förderung der Gründung von Erzeugergemeinschaften und Beratung. Der Kofinanzierungsanteil der EU ist insbesondere für Umweltprogramme und investive Maßnahmen auf 75 % heraufgesetzt worden.

Die jeweiligen Mitgliedstaaten, in der BRD auch die Bundesländer, entscheiden, wie die Mittel eingesetzt werden. Die Bundesregierung hat entschieden, dass lediglich 4,5 % der Finanzmittel aus der Säule 1 umgeschichtet werden sollen und damit zusätzlich für diese Maßnahmen verwendet werden können. Insgesamt werden die Mittel für Maßnahmen der 2. Säule gegenüber der bisherigen Förderperiode erhöht. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft beispielsweise für den Ökolandbau um 24 %. Zu beachten ist allerdings, dass die Bundesländer gemäß den im GAK[1]-Rahmenplan mit dem Bund von den festgelegten Zahlungen um 30 % nach oben oder unten abweichen können.

Es wird sehr darauf ankommen, wie konsequent das Monitoring von Maßnahmen in den Mitgliedstaaten bzw. Bundesländern durchgeführt wird. Dieses Monitoring muss mit einer fundierten und umfassenden Erfolgsbewertung verbunden sein [2]. Die Gestaltung der jeweiligen Programme und die Verteilung der Mittel sind zwar mit der zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission abzustimmen, doch deren Möglichkeiten sind begrenzt. Die Hauptforderungen der Umweltverbände: Deckelung der Prämienzahlungen bei höchstens 150.000 Euro je Betrieb, eine Kulturpflanze auf maximal 50 % der Flächen, mindestens 10 % Ökologische Vorrangflächen, Zertifizierung größerer Betriebe und 15 % Umschichtung von der 1. in die 2. Säule, bleiben bestehen. Darüber hinaus wäre zu klären, ob es richtig ist, Ökolandbaubetriebe generell von der Anlage Ökologischer Vorrangflächen zu befreien. Andererseits müssten die Anforderungen an maximale Schlaggrößen, Stallgrößen, d.h. tierethische Anforderungen, an den Düngemitteleinsatz (Mengen und Verfahren) und den Pestizideinsatz drastisch verschärft werden. Die Förderung von Betrieben, die nicht nach Kriterien Ökologischer Landwirtschaft arbeiten, ist prinzipiell fragwürdig.


Literatur:

EuroNatur, Stiftung Europäisches Naturerbe, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL) und weitere 30 Verbände: Eine andere Agrarpolitik ist möglich, Rheinbach/Hamm, August 2013

Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V.: Vielfalt für Mensch und Natur, EU-Agrarreform für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft nutzen! Berlin, 2012

Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005, ABL L 347/487

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Bericht der Landesregierung zum Antrag "EU-Strukturfonds - Drucksache 18/1195"

Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume: Landesprogramm für den ländlichen Raum (LPIR) des Landes Schleswig-Holstein für den Planungszeitraum 2014-2020, Stand 14.07.2014


Weiterführende Literatur:

Sezgin, Hilal: Artgerecht ist nur die Freiheit, Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen. München/Bonn (2014)
Die Autorin plädiert für eine grundlegende Änderung des Umgangs mit Tieren, letztlich für die Aufgabe der Nutztierhaltung, und damit gleichzeitig für eine grundlegende Änderung unserer Ernährungsweise. Das Buch ist auch über die Bundeszentrale für politische Bildung zu einem Sonderpreis erhältlich.

www.netzwerk-laendlicher-raum.de
www.dvl.de
www.agrarbuendnis.de
www.meine-landwirtschaft.de


Anmerkungen:

[1] Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK)

[2] Wegen unzureichender Umsetzung des bereits bestehenden Grünlandumbruchverbots hat der Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) im April 2014 eine formelle Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht.

*

Quelle:
Gegenwind Nr. Gegenwind 316, Januar 2015, Seite 7-9
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2015


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