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GEGENWIND/651: Sicherheit für wen?


Gegenwind Nr. 328 - Januar 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

FLUCHT & ASYL
Sicherheit für wen?
Deutschland erklärt Albanien und Republiken Jugoslawiens für "sicher"

von Reinhard Pohl


Bereits beim "Asylkompromiss" 1992/93 wurde nicht nur die Fiktion "sicherer Drittstaaten", sondern auch der Begriff der "sicheren Herkunftsstaaten" ins Gesetz eingefügt. Die "sicheren Herkunftsstaaten" spielten jahrelang in der Beratungspraxis kaum eine Rolle, umfasste doch die Liste nur zwei Staaten Westafrikas. Doch nachdem Anfang 2015 fast die Hälfte aller Asylanträge von StaatsbürgerInnen aus Albanien und dem ehemaligen Jugoslawien gestellt wurden, wurde es hektisch: Zum 1. August wurden zunächst drei, zum 24. Oktober dann die anderen drei Staaten zwischen Kroatien, Ungarn und Griechenland zu "sicheren Herkunftsstaaten" erklärt


"Sichere Drittstaaten" sind alle Mitgliedsländer der EU: Wer als Flüchtling dort ankommt oder durchreist, hat nach deutscher Gesetzestheorie dort die Möglichkeit, "Schutz" zu finden, kann deshalb in Deutschland kein Asyl mehr bekommen. Der Begriff "sicheres Herkunftsland" bezieht sich dagegen nur auf die eigenen Staatsbürger. Zwar fallen auch alle EU-Mitgliedsländer unter diesen Begriff, da die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger aber sowieso frei reisen dürfen, spielt das keine Rolle. Einschneidend ist diese Erklärung für die Flüchtlinge aus den Herkunftsländern Serbien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Kosova und Albanien. Diese sechs Länder liegen wie eine Insel innerhalb der EU, umgeben von Italien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Seit 1991 bemühen sie sich mehr oder weniger darum, in die EU aufgenommen zu werden: Viele Einwohnerinnen und Einwohner kennen auch die EU von Besuchsreisen, die für viele ohne Visum möglich sind.


Die Länder
Serbien

Serbien ist mit etwas mehr als 7 Millionen Einwohnern das größte Land. Es ist der einzige offizielle Nachfolgerstaat des untergegangenen Jugoslawien, hat sich auch unter dem vom kommunistischen zum nationalistischen Führer gewandelten Präsidenten Milosevic lange Zeit gewaltsam gegen das Auseinanderfallen der Föderation gewehrt. Die Bevölkerung ist zu rund 80 Prozent serbisch, die restlichen 18 bis 20 Prozent teilen sich auf rund zwanzig Minderheiten auf, die größten sind Ungarn und Roma mit jeweils bis zu 500.000 Mitgliedern - bei Volkszählungen gaben zuletzt nur rund 100.000 Roma freiwillig ihre Zugehörigkeit zu dieser Minderheit an, was freigestellt war.

Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 4.600 Euro pro Kopf und damit bei weniger als einem Viertel der EU. Die Bevölkerung schrumpft seit Jahren durch Migration. In Deutschland leben rund 500.000 Menschen aus Serbien, darunter auch Roma, die vor allem seit den 60er Jahren als "Gastarbeiter" hergekommen sind. Rund 40% haben die serbische, rund 60% die deutsche Staatsangehörigkeit.

Seit 2012 ist Serbien "Beitrittskandidat" zur EU, die Einwohner dürfen mit biometrischen Pässen visumfrei zu Besuchsaufenthalten einreisen. Serbien hat damit die Verpflichtung übernommen, Schritt für Schritt EU-Standards einzuführen. So gibt es inzwischen ein Anti-Diskriminierungsgesetz und auch eine Gleichstellungsbeauftragte, bei der man sich im Falle einer Diskriminierung beschweren kann. Sie bekommt jedoch nach ihrem eigenen Tätigkeitsbericht nur rund 100 Beschwerden pro Jahr, und Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig über unvermindert anhaltende Diskriminierungen gegen Minderheiten, vor allem Roma, die sich bei der durchgängig korrupten Justiz auch kaum mit Erfolg beschweren können.

Mazedonien

Mit rund zwei Millionen Einwohnern gehört Mazedonien zu den kleineren Ländern Ex-Jugoslawiens. Weniger als zwei Drittel der Bevölkerung sind Mazedonier, allein die albanische Minderheit macht mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus. Rund 3 Prozent sind Roma.

Nach der Trennung von Jugoslawien strebte Mazedonien sofort in die NATO und die EU, bei letzterer ist es seit 2005 Beitrittskandidat. Problematisch sind aber die Beziehungen zu Bulgarien, das lange ein "mazedonisches Volk" nicht anerkannte und die EinwohnerInnen als "Bulgaren" vereinnahmen wollte. Griechenland hatte und hat erhebliche Probleme mit Name und Fahne des Landes, die auf das klassisch-griechische Mazedonien zurückgehen.

Mazedonien ist mit einem BIP von nur 3.900 Euro pro Kopf sehr arm und wurde seit der Unabhängigkeit auch immer wieder von bewaffneten Konflikten, vor allem mit Organisationen der albanischen Minderheit, in der Entwicklung zurückgeworfen.

Montenegro

Montenegro trennte sich erst 2006 von Serbien und ist mit 625.000 Einwohnern der kleinste Staat von den sechs. Weniger als die Hälfte der Einwohner sind Montenegriner, die Serben mit 29 Prozent die größte Minderheit.

Montenegro hat in der Umstellung von der staatlich gelenkten Wirtschaft seine industrielle Basis verloren und versucht, den Tourismus zu fördern. Es wird wie die anderen Staaten vor allem durch die Korruption behindert, die bis in die Spitzen des Staates weit verbreitet ist. Montenegro ist seit 2010 Beitrittskandidat der EU.

In Montenegro ist der Euro das einzige Zahlungsmittel, eine eigene Währung hat das Land nicht.

Für die Minderheiten ist das größte Problem, dass organisiertes Verbrechen und Justiz eng miteinander verwoben sind und Rechtsschutz unabhängig von den gesetzlichen Vorschriften kaum erlangt werden kann.

Bosnien-Herzegowina

Bosnien wurde offiziell 1992 unabhängig, in Wirklichkeit erst nach Bürgerkrieg und NATO-Intervention mit dem Dayton-Abkommen von 1995. Hundertausende Einwohner waren während des Krieges geflohen, nur wenig über die Hälfte kehrten zurück, viele erst durch Abschiebung.

Das Land ist per Verfassung zu einem Bündnis der drei großen Volksgruppen Bosnier, Kroaten und Serben geworden, entsprechend sind Sitze im Parlament oder Ämter in der Regierung und Staatsführung quotiert - was Angehörige von Minderheiten teils sogar gesetzlich von Aufstiegsmöglichkeiten ausschließt. Die EU hat diese Verfassung, die den Charakter eines Waffenstillstands hat, vorläufig abgesegnet, auch um Abschiebungen durchführen zu können. In die EU kann das Land mit solch einer Verfassung nicht, es ist bisher kein EU-Beitrittskandidat. Die drei Mitglieder des Staatspräsidiums, die gemeinsam das Amt eines Präsidenten wahrnehmen, blockieren sich gegenseitig, was jede Entwicklung behindert. Mit dem Ende des Krieges wurden die drei Währungen des Landes durch die D-Mark ersetzt, die bis heute als "Konvertible Mark" die Landeswährung bildet und fest an den Euro gekoppelt ist. Die drei Verwaltungen neben der Zentralverwaltung verfügen über insgesamt 150 Ministerien, die alle nicht nur einen Bereich des Landes verwalten, sondern auch Posten und Pöstchen verteilen - was das gesamte Land lähmt.

Unter den täglichen Auseinandersetzungen der drei "großen" Volksgruppen, die sich auch auf die "Zuteilung" von Posten in der Verwaltung, im Bildungs- und Gesundheitssystem erstrecken, leiden insbesondere Angehörige der Minderheiten, die zu keiner der drei Gruppen gehören. Das sind insbesondere Albaner und Roma, aber auch Mitglieder "gemischter" Familien oder solche, die sich zu keiner Gruppe (Religion) zählen wollen. Ihnen bleibt die Migration, vor allem eines oder zweier Familienmitglieder - wenn nicht alle gehen können, müssen diese Abgesandten zumindest Geld nach Hause schicken.

Übrigens brach die Fluchtwelle nach Deutschland in der zweiten Juli-Hälfte 2015 ab. Ein Grund dafür war der Besuch Angela Merkels in Sarajewo, wo sie in einer Fernsehansprache zusagte, sich für die Aufnahme des Landes in die EU einzusetzen. Zumindest für ein paar Monate hält die wage Hoffnung viele Menschen davon ab, einen (aussichtslosen) Asylantrag in Deutschland zu stellen.

Kosova

Kosova (serbisch: Kosovo) wurde 1999 durch eine Intervention der NATO von Serbien abgetrennt und erklärte sich 2008 für unabhängig. 110 Staaten der 193 UNO-Mitglieder haben den Staat anerkannt.

Das Gebiet spielt eine große Rolle in der serbischen Geschichte, das hier entscheidende Schlachten gegen das Osmanische Reich verlor. Bereits 1912, als die osmanische Herrschaft endete, war die serbische gegenüber der albanischen Bevölkerung in der Minderheit. Heute rechnen sich 88 Prozent der Bevölkerung zu den Albanern, rund 7 Prozent sieht sich als serbisch.

Mit dem Krieg 1999 ging eine Trennung der Bevölkerung einher: Serben flohen in den Norden des Landes, Albaner verließen ihn. Die NATO-Besatzung förderte die Trennung der Bevölkerungsgruppen, weil sich so die Sicherheitslage entspannte. Das Nicht-Zusammenleben im Lande führt allerdings nicht nur dazu, dass es keine gemeinsame Planung für die Zukunft gibt - auch Minderheiten, vor allem Roma, fallen bei der Vergabe von Wohnungen oder von Stellen im öffentlichen Dienst völlig unter den Tisch.

Innerhalb Jugoslawiens war Kosovo schon die ärmste Provinz, viele Einwohner waren Wanderarbeiter, die sich in den anderen Landesteilen in der Saison im Tourismus und in der Landwirtschaft verdingten.

Nach der Abtrennung von Serbien drängten NATO und EU auf einen wirksamen Minderheitenschutz, auch um Flüchtlinge aus Westeuropa abschieben zu können. Heute sieht die Verfassung vor, dass die Regierung mindestens einen Minister serbischer Volkszugehörigkeit und einen Minister aus einer anderen Minderheit umfassen muss, bei mehr als 12 Ministerien müssen drei MinisterInnen nicht-albanisch sein. Das bedeutet im Umkehrschluss für die regierenden Parteien, dass alle anderen MinisterInnen AlbanerInnen sein sollen - unabhängig von der Qualifikation.

Auch die Besetzung von Posten bei Polizei und Justiz nach ethnischen Kriterien sorgt dafür, dass Verbrechen an Angehörigen von Minderheiten nicht verfolgt und nicht geahndet werden. Die Korruption im Land geht mit der organisierten Kriminalität häufig Hand in Hand. Dazu ist die kosovarische Bevölkerung die jüngste Europas, über die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, Stellen kann man nur durch Beziehungen und Protektion erhalten - Auswanderung ist für viele die einzige erfolgversprechende Möglichkeit. Die lange Besetzung des Kosovo durch NATO-Truppen hat für einen Schein-Aufschwung der Wirtschaft gesorgt, da die Stationierungsmächte auch potente Auftraggeber waren. Mit dem Rückzug der meisten Truppen sind weite Bereiche der Wirtschaft eingebrochen, viele zusätzliche Arbeitslose finden keine Anstellung im "nationalen" Teil der Wirtschaft.

Im Lande leben rund 1,8 Millionen Einwohner, außerhalb des Landes leben rund eine halbe Million StaatsbürgerInnen, denen Verwandte oft eine erste Hilfe bei der Einwanderung zusagen, auch wenn ein Asylantrag die einzige vorgesehene Möglichkeit ist, zu einem Aufenthaltstitel zu kommen.

Eine Perspektive für eine EU-Mitgliedschaft, für die meisten EinwohnerInnen die einzige Hoffnung, ist schwer zu realisieren, denn einige EU-Mitgliedsstaaten (Spanien, Slowakei, Rumänien, Griechenland, Zypern) haben Kosova nicht anerkannt. Deshalb kann die Kommission keine Verträge mit der Regierung abschließen. Viele Forderungen der EU bezüglich besserer Möglichkeiten für Minderheiten kann die Regierung nicht erfüllen, weil eine starke nationalistische Opposition im Parlament derartige Schritte zu verhindern weiß.

Albanien

Eine Sonderstellung nimmt im Westbalkan Albanien ein. Das Land ist seit 1912 selbständig, gehörte nicht zu Jugoslawien, hat heute fast 3 Millionen Einwohner und ist nach Kosova der ärmste Staat. Im Zweiten Weltkrieg war das Land italienisch besetzt, und nach dem deutschen Einmarsch in Serbien wurde auch Kosova zu Albanien geschlagen. Während des Kalten Krieges plante der ehemalige Partisanenchef und dann albanischer Präsident Enver Hoxha eine Konföderation mit Jugoslavien, brach aber 1948 mit Tito und schloss sich 1949 dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) unter Führung der Sowjetunion an. 1961 brach das Land mit der Sowjetunion und ging ein Bündnis mit China ein. Aber auch von China distanzierte sich der Diktator, quer durchs Land wurden 200.000 Bunker und Munitionsdepots angelegt, um einen erwarteten Weltkrieg siegreich zu überstehen.

Als der Diktator 1985 starb, war das Land ruiniert. Die Grenzöffnung 1990 führte dazu, dass Albaner massenhaft auswanderten. Trotz der 1990 höchsten Geburtenrate Europas schrumpfte die Bevölkerung in den nächsten Jahren um rund 10 Prozent, Hauptzielländer der Auswanderung waren Griechenland und Italien, später auch Deutschland und die USA.

In der Regierung wechseln sich Konservative und Sozialdemokraten ab, beide Parteien verstehen sich auch als verantwortlich für die Versorgung der eigenen Anhänger mit Posten. Das Wirtschaftswachstum wird durch diese Korruption gelähmt, und die Assoziierung mit der EU wird wie die Visumfreiheit nicht als Hoffnung für eine bessere Zukunft gesehen, sondern als Erleichterung der Auswanderung. Rund ein Drittel der "Wirtschaftsleistung" Albaniens besteht aus Überweisungen von AuslandsalbanerInnen an ihre Familien - unverzichtbar für das Land, aber auch ein Hindernis dafür, im Lande etwas zu bewegen, weil die dynamischsten Teile der Bevölkerung es verlassen.


Asyl in Deutschland

Anfang des Jahres kamen rund die Hälfte aller Asylanträge von Flüchtlingen aus den Westbalkanstaaten. Im gesamten ersten Halbjahr waren unter den 10 stärksten Herkunftsländern (168.199 von 218.221 Asylanträgen) vier aus diesem Gebiet: Kosovo (32.929), Albanien (29.857), Serbien (18.287) und Mazedonien (8.716). Dabei waren unter den serbischen Flüchtlingen nach eigenen Angaben über 90 Prozent Roma, unter den albanischen nur 9 Prozent.

Die positiven Antworten waren an den Fingern einer Hand abzuzählen: 7 Anerkennungen aus dem Kosovo, 3 aus Albanien, keine aus Serbien, 6 aus Mazedonien - dazu ein paar Dutzend Abschiebeschutz-Entscheidungen für Kranke und Alte. Die "Schutzquote" lag zwischen 0,0 Prozent (Montenegro) und 0,6 Prozent (Mazedonien).

Der Flüchtlingsstrom aus den meisten Ländern nahm im Sommer stark ab - eine Folge der hohen Ablehnungsquote, die sich herumsprach, aber auch zusätzlicher Versprechungen, die die EU sowie einzelne Länder wie Deutschland machten und über ihre Botschaften im Fernsehen und Internet verbreiteten. Zusätzlich gab es Filme, die über die minimalen Chancen eines Asylantrags informierten und auf die stark steigende Zahl von Abschiebungen hinwiesen.

Gleichzeitig bemühte sich das "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" darum, die Anträge aus diesen sechs Ländern vorzuziehen. So ist die Statistik oben auch mit Vorsicht zu genießen: Die 218.221 Asylanträge geben eben nur die Anträge selbst wieder. Rund doppelt so viele Flüchtlinge erreichten in diesen sechs Monaten Deutschland, aber viele aus dem Irak, Iran, Afghanistan, Russland, Eritrea oder Somalia erhielten für die Antragstellung einen Termin im Frühjahr 2016. Die Zahl von 50 Prozent, im Sommer 30 Prozent und aktuell im Dezember 1,4 Prozent aller Asylanträge von Antragstellern aus dem Westbalkan unterschlägt also, dass noch mal so viele Flüchtlinge noch gar keinen Antrag stellen durften, die aus anderen Ländern kommen. Würde die Bundesregierung die Zahl aller Flüchtlinge bekannt geben, läge der prozentuale Anteil der "Balkan-Flüchtlinge" nur halb so hoch.


Asylpaket I und II

Neben dieser "Bevorzugung" von aussichtslosen Anträgen gab es dann Verschärfungen in zwei Stufen zu Anfang August und Ende Oktober.

Alle Staaten des Westbalkan wurden zu "sicheren Herkunftsländern" erklärt, was den Entscheidern vorschreibt, die Asylanträge als "offensichtlich unbegründet" abzulehnen (wenn nicht "besondere Gründe" vorgebracht werden). Die Abgelehnten haben nur eine Woche Zeit für eine Klage, die allerdings keine aufschiebende Wirkung hat: Reisen sie nicht innerhalb einer Woche aus, können sie abgeschoben werden.

Zusätzlich bekam das Bundesamt die Befugnis, Einreisesperren von einem Jahr mit der Abschiebung zu verhängen - ohne Berücksichtigung der Bereitschaft vieler abgelehnter AntragstellerInnen, freiwillig auszureisen. Seit Anfang August kann eine solche Sperre nur vermeiden, wer den Asylantrag vor einer Entscheidung zurückzieht und gleichzeitig ausreist.

Die Zeit, die in der Erstaufnahme verbracht werden muss, wurde auf bis zu sechs Monate verlängert - für Flüchtlinge aus "sicheren Herkunftsländern" allerdings bis zur Entscheidung und Ausreise. Sie werden auch in Schleswig-Holstein seit November nicht mehr auf die Kreise verteilt, was den Ausländerbehörden erspart, sich vor einer Abschiebung mit Nachbarn, Freundeskreisen und KlassenlehrerInnen auseinandersetzen zu müssen.

Das Arbeitsverbot, im letzten Jahr auf drei Monate verkürzt, wurde für Flüchtlinge aus "sicheren Herkunftsstaaten" wieder auf das gesamte Asylverfahren ausgedehnt. Dabei war gerade diese Erleichterung die "Gegenleistung" von CDU/CSU, um die Zustimmung der Grünen (vor allem der Landesregierung Baden-Württembergs im Bundesrat) zur Ausweitung der Liste der "sicheren Herkunftsländer" zu erreichen. Die Grünen müssen sich in Zukunft also doppelt überlegen, einen Kompromiss einzugehen, wenn der hinterher von der Merkel-Regierung so brutal einkassiert wird.

Im "Asylpaket III", das Anfang 2016 verabschiedet werden soll, sind dann eigene Erstaufnahmeeinrichtungen nur für die Flüchtlinge aus den sechs Balkan-Staaten (und einige andere) vorgesehen, so dass kein Kontakt mit anderen Flüchtlingen oder gar der deutschen Bevölkerung mehr zustande kommt. Da die Zahlen der Neuankömmlinge aber drastisch zurückgegangen ist, ist fraglich, wie weit das Konzept noch umsetzbar ist.


Abschiebungen

Asylanträge aus den sechs Ländern sollen bevorzugt bearbeitet und abgelehnt werden, auch zur Abschreckung. Es soll sich in den Ländern herumsprechen, dass es sich nicht lohnt, Asyl zu beantragen.

Abschiebungen, auch das gehört zum "Asylpaket", sollen dann ohne Ankündigung erfolgen. Die Ablehnung enthält die Aufforderung, Deutschland zu verlassen, dazu wird eine Woche Frist gegeben. Normalerweise akzeptiert die Ausländerbehörde auch eine längere Frist, wenn die Betroffenen erklären, sie wollten freiwillig ausreisen - was immer das Wort "freiwillig" in diesem Zusammenhang bedeutet.

Die Zahl der Ausreisen und Abschiebungen erhöhte sich im Jahre 2015 drastisch, bereits in der Jahresmitte wurden die Zahlen des Vorjahres erreicht. Dabei ergab sich mit kleineren Schwankungen, dass rund zwei Drittel der Betroffenen selbst ausreisten, ein Drittel wurde abgeschoben.


Neues Angebot: Visum zur Arbeit

Ab dem 1. Januar tritt dann in Deutschland eine Änderung zur Beschäftigungsverordnung in Kraft: Paragraph 26 Absatz 2 lautet jetzt:

"Für Staatsangehörige von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien können in den Jahren 2016 bis einschließlich 2020 Zustimmungen zur Ausübung jeder Beschäftigung erteilt werden. Die Zustimmung darf nur erteilt werden, wenn der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels bei der jeweils zuständigen deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsstaat gestellt wurde. Die Zustimmung darf nicht erteilt werden, wenn der Antragsteller in den letzten 24 Monaten vor Antragstellung Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hat. Satz 3 gilt nicht für Antragsteller, die nach dem 1. Januar 2015 und vor dem 24. Oktober 2015 einen Asylantrag gestellt haben, sich am 24. Oktober 2015 gestattet, mit einer Duldung oder als Ausreisepflichtige im Bundesgebiet aufgehalten haben und unverzüglich ausreisen." Das bedeutet, dass alle ihre Asylanträge nach dem 24. Oktober abbrechen und zurückkehren sollten, um ab dem 1. Januar ein Visum mit ungewisser Entscheidung zu beantragen. Sie müssen dazu einen Arbeitsvertrag vorweisen, außerdem eine Arbeitserlaubnis. Diese muss der Arbeitgeber bei der Ausländerbehörde beantragen, die mit Unterstützung der Arbeitsagentur überprüft, ob es einheimische Arbeitslose gibt. Ist das nicht der Fall, kann die Erlaubnis erteilt werden.

Chancen haben vor allem diejenigen, die sich im Pflegebereich oder bei der Saisonarbeit im Tourismus oder der Ernte umsehen. Aber es gibt keinerlei Zusagen über dem Umfang der Visumerteilung. Langfristig sind solche Programme ohnehin nur Übergangslösungen, weil sie keine Entwicklung in den betroffenen Ländern anstoßen. Wenn die zuständigen Botschaften nicht sauber arbeiten, und zur Zeit spricht nichts dafür, bieten solche Programme auch ein Einfallstor für einheimische "Agenturen", die an der Vermittlung von Visumanträgen nicht nur verdienen, sondern auch die im Land herrschende Korruption auf solche "Auswanderungsprogramme" ausdehnen. Profitieren würden dann die gleichen Teile der Bevölkerung, die schon jetzt von der Korruption profitieren und gerade darum nicht zu den AsylantragstellerInnen gehörten.

Diejenigen, die den Asylantrag nicht zurückziehen, sondern auf das Ergebnis warten, um nach einer wahrscheinlichen Ablehnung auszureisen oder abgeschoben zu werden, können von dieser Alternative erst mal nicht profitieren. Sie müssen zunächst die 12 Monate Einreisesperre, die im Falle einer Abschiebung eventuell auf 30 Monate ausgedehnt wurden, im Land selbst absitzen, gilt sie doch für alle Schengen-Staaten. Erst danach dürfen sie wieder visumfrei reisen (oder als Kosovaren ein Visum beantragen), um erst mal einen Arbeitsplatz zu suchen. Dann dürfen sie das Visum erst beantragen, wenn sie 24 Monate lang keine Asylbewerberleistungen bezogen haben. Wenn sie also im Frühjahr 2016 ausreisen, können sie erst im Frühjahr 2017 mit der Suche nach einer Arbeit beginnen, aber erst im Frühjahr 2018 das Visum beantragen. Die Idee ist, für alle den Anreiz zu schaffen, es gar nicht erst mit einem Asylantrag zu versuchen.


Und die Lösung?

Die einzige Lösung wäre eine Entwicklung innerhalb dieser Länder, unterstützt von der EU. Dazu müsste die EU bei den Assoziierungsverträgen die "Kopenhagener Kriterien" anwenden, also Druck auf die Regierungen ausüben, um Korruption zurückzudrängen und einen wirksamen Minderheitenschutz aufzubauen. Zur Zeit liegt der Schwerpunkt der EU-Politik nur auf der sogenannten "Migrationskontrolle", was noch nie funktioniert hat.

Nur wenn die Mehrheit der Bevölkerung und die Mehrheit der Angehörigen von Minderheiten eine Perspektive sieht, einen spürbaren Fortschritt, eine Hoffnung für eine erfolgreiche Zukunft im eigenen Land, wird sich der Migrationsdruck entspannen. Alle Länder des Balkan haben Möglichkeiten, diese können auf dem Gebiet des Tourismus liegen, aber auch auf dem Gebiet von Energieerzeugung und -export.

Die Hoffnungen auf einen EU-Beitritt täuschen: Dieser nützt vor allem den wirtschaftlich starken Ländern. Der überstürzte Beitritt von Bulgarien und Rumänien, von der Kommission aus bestimmten Gründen vorangetrieben, hat es gezeigt: Viele Betriebe wurden von westeuropäischen Konzernen aufgekauft, ähnlich wie schon früher in Griechenland. Ein Beitritt bringt der einheimischen Wirtschaft einen Markt von zur Zeit mehr als 520 Millionen kaufkräftigen Kundinnen und Kunden, aber auch die Konkurrenz von Hunderttausenden stabilen Firmen. Nur mit konkurrenzfähigen Strukturen, das hat der Beitritt Sloweniens gezeigt, kann sich die EU-Mitgliedschaft für diese Länder "lohnen".

Wenn die EU-Staaten, und hier vor allem Deutschland, die Asyl-Möglichkeiten auf Null reduziert, ohne die Visum-Vergabe für Arbeitsstellen im vergleichbaren Umfang einzurichten, bleibt ohne wirtschaftliche Entwicklung nur die Möglichkeit, visumfrei nach Westeuropa zu reisen und schwarz zu arbeiten. Denn von irgendwas will und muss der Mensch ja leben.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 328 - Januar 2016, Seite 13-18
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2016

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