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GEGENWIND/683: Erich-Mühsam-Preis für Konstantin Wecker


Gegenwind Nr. 337 - Oktober 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

PROJEKTE
Erich-Mühsam-Preis für Konstantin Wecker

von Günther Stamer


"Der Erich-Mühsam-Preis wird in diesem Jahr verliehen an Konstantin Wecker, Liedermacher, Poet, philosophierender Musiker, musizierender Philosoph, Aktivist, Anarchist", so heißt es u.a. in der Begründung der in Lübeck ansässigen Erich-Mühsam-Gesellschaft. "Wecker ist ein Anarchist im Sinne Mühsams. Er rüttelt die Menschen auf und prangert Missstände in der Gesellschaft an. Damit soll sein Eintreten für Frieden, Menschenrechte und gegen Fremdenhass gewürdigt werden", sagte der Vorsitzende der Erich-Mühsam-Gesellschaft, Lienhard Böhning.


Die Auszeichnung wird von der 1989 gegründeten Erich-Mühsam-Gesellschaft seit 1993 alle drei Jahre vergeben. Damit soll das Andenken an den in Lübeck aufgewachsenen Schriftsteller Erich Mühsam (1878-1934) geehrt werden, der sich zeitlebens für Frieden, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat. Mühsam war 1918 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt. Im Juli 1934 wurde er im KZ Oranienburg ermordet.

Zu früheren Preisträgern des Preises gehören u.a. der Kabarettist Dietrich Kittner (1999), der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal (2001), die Tageszeitung "Junge Welt" (2003) und der Initiator der Aktion "Stolpersteine", Gunter Demnig (2009).

Erich Mühsam: "Sich fügen heißt lügen"

"Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!" Erich Mühsam hat sich nicht gefügt; deshalb haben ihn die Schergen der SS in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg brutal ermordet.

Mühsam ist in Lübeck aufgewachsen; wegen "sozialistischer Umtriebe" wurde er 1896 vom Gymnasium gewiesen. Apothekerlehre, dann Apothekengehilfe in Lübeck, später in Berlin; ab 1901 freier Schriftsteller in Berlin. Am 7.11.1918 führend an der revolutionären Massenerhebung in München beteiligt; radikaler Verfechter des Rätesystems; prägte als populäre Leitfigur den Verlauf der Revolutionsereignisse bis zur Bayerischen Räterepublik mit (Reden, Aufrufe, Programme). Am 13.4.1919 verhaftet; verurteilt zu 15 Jahren Festungshaft. Nach Amnestierung am 21.12.1924 in Berlin ansässig. Mitglied der Roten Hilfe Deutschlands und Mitarbeit in vielen linken und antifaschistischen Organisationen. Als einer der eindringlichsten und frühesten Warner vor dem Nationalsozialismus wurde Mühsam am 28.2.1933 verhaftet und war 14 Monate lang Folter und Misshandlungen ausgesetzt, bis er schließlich von SS-Männern ermordet wurde.

Wecker: "... man muss sich wehren solang man kann"

"Ich will die Feigheit brennen sehen, man muss sich wehren solang man kann. Denn wer sich fügt, der fängt bereits ganz insgeheim zu lügen an." So Konstantin Wecker 1978 in seinem Lied "Wer nicht genießt, ist ungenießbar". Angelehnt war dieser einprägsame Vers an einen Spruch Erich Mühsams: "Sich fügen heißt lügen".

Anlässlich der Preisverleihung durch die Erich-Mühsam-Gesellschaft schreibt Konstantin Wecker auf seiner Homepage:

"Liebe Freunde,

was für eine Ehre und große Freude: Die Erich Mühsam-Gesellschaft hat mir den Erich-Mühsam-Preis verliehen, der alle drei Jahre vergeben wird. Ich liebe Mühsam seit ich Gedichte zu lesen begann, ich war und bin erschüttert über all das, was dieser aufrechte und liebenswerte Anarchist erdulden musste. Gefängnis und Folter konnten ihn nicht brechen, und als seine Folterknechte im KZ Oranienburg seinen Selbstmord verlangten, weigerte er sich. Sie haben ihn zu Tode gequält und dann aufgehängt. Er verkörperte all das, was den Nazis zuwider war: er war Jude, Anarchosyndikalist, Freigeist und vor allem war er ein warmherziger Mensch. Dieser mutige Mann wurde als Schüler wegen "sozialdemokratischer Umtriebe" der Schule verwiesen - ach wären die Sozialdemokraten doch wieder umtriebig -, er war in der Roten Hilfe tätig, er hat sich nie verbiegen lassen. Zusammen mit Ernst Toller und Gustav Landauer gehörte er zu den Initiatoren und Anführern der ersten Phase der Münchner Räterepublik ab dem 7. April 1919. Bereits am 13. April 1919 wurde er deswegen verhaftet.

"Sich fügen heißt lügen" war sein Lebensmotto. Erich Mühsam hat sich sein Leben lang nicht gefügt. Schon früh hatte er eindringlich vor der unheilbringenden Gefahr des Faschismus gewarnt und gehörte zu den ersten und bekanntesten Opfern. Am 10. Juli 1934 wurde er im KZ Oranienburg ermordet. Sein Name wurde zum Synonym für Menschlichkeit, Würde und Widerstand gegen Unrecht. Wenn die Erich-Mühsam-Gesellschaft schreibt, ich sei in seinem Sinne ein Anarchist, der weiterhin an eine herrschaftsfreie Gesellschaft glaubt, dann fühle ich mich sehr geehrt."

1977 gelang Wecker mit dem Album "Genug ist nicht genug" der musikalische Durchbruch. Die auf dieser LP erschienene Ballade an seinen von Nazis erschlagenen Freund "Willy" wurde zu einem "Dauerbrenner" des antifaschistischen Liedguts. Er nahm 1982 an der Konzertreihe Künstler für den Frieden teil. In vielen seiner Lieder setzt sich Wecker mit dem politischen Tagesgeschehen auseinander. Unter dem Motto Nazis raus aus dieser Stadt tourte Wecker zusammen mit dem Kieler Liedermacher Heinz Ratz und dessen Band Strom & Wasser im Jahr 2006 durch die neuen Bundesländer.

Wie nur wenige deutsche Künstler positionierte sich Konstantin Wecker in der Flüchtlingsfrage mit Liedern und vielen öffentlichen Statements klar für eine Willkommenskultur. Dafür musste er viel Häme einstecken, er sei "naiv" und ein "Gutmensch". Doch für ihn zählen, am konkreten Einzel-Schicksal gemessen, nur Mitgefühl und tätige Hilfe.

"Revolution!"

Aktuell tourt Konstantin Wecken & Band mit dem Programm "Revolution!" durch die Lande. Mit den Liedern seiner aktuellen CD "Ohne Warum" sowie mit älteren Titeln rüttelt der Münchner Liedermacher bei der Konzerttour 2016 die Menschen auf, sich noch stärker für eine 'Welt ohne Waffen und Grenzen einzusetzen, sich der sozialen Kälte in Deutschland entgegen zu stellen. Wecker: "Wir brauchen dringend eine linke Revolution, damit kein rechter Putsch passiert. Poesie und Musik können vielleicht die Welt nicht verändern, aber sie können denen Mut machen, die sie verändern wollen."

Die öffentliche Verleihung des Erich-Mühsam-Preises an Konstantin Wecker findet statt am Freitag, den 14. Oktober 2016 um 18.00 Uhr in der Musik- und Kongresshalle Lübeck (MuK), Willy-Brandt-Allee 10. Der Eintritt ist frei! (Einlass ab 17.30 Uhr).

Im Anschluss daran wird Konstantin Wecker in der Musik- und Kongresshalle ein Konzert geben.

Weiterhin veranstaltet die Erich-Mühsam-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Gemeinnützigen Gesellschaft Lübeck am 11. Oktober 2016 um 19.30 Uhr in der Gemeinnützigen Gesellschaft, Königstraße 5 in Lübeck eine Hommage an Erich Mühsam in Liedern und Texten "Das, was ich sehne, steht über den Lüften" mit Anna Haentjens: Gesang / Rezitation und Sven Selle: Klavier.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 337 - Oktober 2016, Seite 56 - 57
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2016

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