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GEGENWIND/713: Was geschieht, wenn ein Vertrauen nicht mehr zu retten ist


Gegenwind Nr. 345 - Juni 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Landtagswahl
Die SPD und die Migranten in Schleswig-Holstein:
Was geschieht, wenn ein Vertrauen nicht mehr zu retten ist

von Dieter Valiev


Die SPD hat ihre Niederlage zu verdauen. Nun bleibt es unspektakulär zu beobachten, wie die SPD von ihr beschäftigte "Copingstrategie" wie unglückliches "Bunte-Interview" endlich zur Seite packt und stattdessen eine ernsthafte und kraftvolle Bereitschaft vorgibt, ihre Fehler anerkennen und erarbeiten zu wollen. Mit der von Frust gelähmte Partei wird keiner eine Koalition schließen wollen, weil ein Pflegefall keinem gewünscht ist. Vor allem ist es noch zu knacken, ob bei der SPD noch Bereitschaft vorhanden ist, Interesse des gesamten Volkes vertreten zu können, statt Interesse eigener Wählerschaft weiter bedienen zu wollen, wie es davor viel zu lange war. Was hat die Ex-Regierung tatsächlich falsch gemacht?


Migrations- und Integrationspolitik

Schon mit der Abschaffung vom Aktionsplan Integration vor einigen Jahren beginnt eine Wendedynamik in die falsche Richtung. Die SPD-Landesregierung nimmt damit viel zu großen Abstand von wesentlichen Akteuren der Migrationsarbeit, Vertretern von Migranteninteressen. Den auf ihrer Fahne angebrachte Wortlaut - Vielfalt, Toleranz, Fairness und Wertschätzung von Menschen sei eine Selbstverpflichtung - tritt die Landesregierung kurz darauf mit Füßen und bestimmt für die weitere Zusammenarbeit diverse Träger aus ihrer Nähe, zu denen Türkische Gemeinde Schleswig-Holstein, Kreisverband Arbeiterwohlfahrt und Landesverband deutscher Sinti und Roma angehören. Ein Mitwirken auf Kommunal- und Landesebene bleibt für die restlichen legitim konstituierten Migrantengruppen und Interessenvertretungen unzugänglich. Somit gilt die Gerechtigkeit nicht mehr für alle, sondern nur für die von der SPD bestimmte wenige. Aufbau von unzähligen Ausschüssen, deren Tätigkeit für mehrere kleinere Träger nicht transparent ist, Erteilung von internen Ausschreibungen und Vergabe von Förderungsmitteln, die meist ohne Wettbewerb und unter Bedingungen, dass der Leistungserbringer entweder SPD-Mitglied oder zumindest ein SPD-Sympathisant sei, stattfinden. Diese demokratiefremden Methoden entwickeln sich langsam für die SPD zu Normen und Werten. Wachsende Unzufriedenheit im Migrantenmilieu, unsaubere Konkurrenz und Kampf um die Förderungsmittel, mangelnde Professionalität von Maßnahmenmitarbeitern, nimmt Landesregierung nicht nur einmal in Kauf.

Ehrungen und Auszeichnungen ist ein besonderes Thema, wo die Landesregierung, bewusst oder unbewusst, noch weniger attraktiv wirkte. Obwohl die SPD mehrfach betont, ohne gewissenhafte Beteiligung von Landesbevölkerung mit Migrationshintergrund eine Umsetzung von der Integrationsstrategie, insbesondere Bewältigung der jüngsten Flüchtlingskrise, derart erfolgreich kaum denkbar wäre, lässt sich die Landesregierung den Erfolg unfairerweise der eigenen Partei und vor allem den Einheimischen zuschreiben. Während es dem Migrationsbericht der Landesregierung Schleswig-Holstein 2014 zufolge der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund 12 % der Gesamtbevölkerung beträgt, stehen jährlich lediglich etwa 3 bis 5 Migranten im Rampenlicht, was etwa 3 % (immer wieder schändliche 3 %) von der Gesamtzahl ausgezeichneter Personen ausmacht. Die restlichen 97 % teilt die Regierung zwischen den Einheimischen großzügig auf. Die Türkische Gemeinde Schleswig-Holstein und der Verband deutscher Sinti und Roma wurden entsprechend 2015 und 2016 ausgezeichnet.

Sicherheits- und Innenpolitik

Das nächste Thema, das die SPD-Landesregierung lieber verborgen oder die künftigen Regierung erben lässt, ist die Sicherheitsangelegenheit. Während die Regierung immer wieder von der möglichen Rückkehr der nach Syrien ausgereisten etwa 30 Personen lautstark spricht, ist ihr vorzuwerfen, das Schweigen zur realen Gefahr, die sich möglicherweise in einem benachbarten Wohnblock befindet. Seit Beginn 2000 fliehen Asylsuchende aus den Kriegs- und Krisenregionen im nordkaukasischen Russland nach Deutschland. Diese sprachlich, kulturell und religiös heterogenen Gruppen von ethnischen Minderheiten, die aus mehreren Teilrepubliken Russlands stammen, werden in Deutschland irrtümlicherweise dem tschetschenischen Volk zugeordnet, was nicht korrekt ist. Vielmehr ist es wichtig zu wissen, dass eine Mehrheit dieser Menschenflut muslimische Abstammung hat. Ein Flügel dieser Flüchtlingsgruppen vertritt eine strenge fundamentalistische Auslegung und ist laut Verfassungsschutz kriegserfahren und kampferprobt. Gemäß unterschiedlichen Forschungen und Datenquellen reisen nach Deutschland jährlich etwa 1.200 Flüchtlinge ein. Da der Migrationsbericht nur eine Gesamtstatistik von Asylsuchenden aus Russland darstellt, gehe man davon aus, dass in Schleswig-Holstein heutzutage 3.000 bis 5.000 Migranten aus dem Nordkaukasus leben. Manche davon sind bereits eingebürgert, einzelne unter zum Teil gefälschten Identitäten. Sie sind mobil, genießen uneingeschränkte Reisefreiheit und können Beziehungen zu den demokratie- und europafeindlichen Gruppen weltweit ungehindert pflegen. Wie damit ein deutsches Sicherheitssystem inkompetent umgehen kann, lässt sich nachweislich bei dem schockierenden Fall von Franco A. in schönster Weise beobachten.

Mehrfach regte das Kulturzentrum Kaukasus Kiel e.V. bei mehreren Fachgremien erforderliche Präventionsarbeit und politische Bildung in diesem Migrantenkreis an. Bietet nachhaltig Bereitschaft, eigene Kenntnisse, Erfahrung, Forschungsergebnisse, Konzepte und Ideen an. Chancengleichheit und Migrationspolitik versteht aber Landesregierung auf ihre eigene Art und Weise. Während den türkischstämmigen Migranten meist über die Türkische Gemeinde Schleswig-Holstein zahlreiche Migrationsberatungen, Bildungsmaßnahmen, Begegnungsorte und Förderungsmittel für Arbeitsplätze von der Landesregierung angeboten werden, werden Migranten aus dem Nordkaukasus lediglich mit Polizeimaßnahmen bedient. Diesem "Unwillkommen"-Angebot zufolge wird die Zahl demokratiefeindliche Muslimen kontinuierlich in die weitere Höhe getrieben. Die vom Kulturzentrum Kaukasus Kiel e.V. dutzend eingereichte Präventionskonzepte sowie Beratungs- und Bildungsangebote lehnen Innen- sowie Sozialministerien der Landesregierung ab mit der Begründung, eigenständig handeln zu wollen.

Vor einigen Jahren beauftragte die Landesregierung die Türkische Gemeinde Schleswig-Holstein sowie die Landeskoordinierungsstelle-BeraNet in dem Handlungsfeld tätig zu werden. Doch finden diese zweifelsfrei erfahrenen Träger aufgrund mangelnder kultureller und sprachlicher Kenntnisse keinen Zugang zu dieser Zielgruppe. Steigende Förderung der russischsprachigen Beratungsstellen beim Kreisverband Arbeiterwohlfahrt von der Landesregierung hat ebenso keine Entspannung bringen können. Neuankömmlinge gehören zu ethnischer Minderheit," deren Russisch eine Fremdsprache ist, sie benötigen von Anfang an muttersprachliche und kultursensible Interaktion. Die Praxiserfahrungen belegen, dass diese Flüchtlingsgruppe gehäuft von Vertretern demokratiefeindlicher und gewaltbereiter Szene angesprochen und angeworben wird, einige schließen sich aufgrund fehlender Prävention dieser Szene an, lehnen die deutsche Rechtsordnung grundsätzlich ab und sind in die demokratische Gesellschaft nicht mehr integrierbar. Die Arbeitsergebnisse nach jahrelang intensiver Beschäftigung der Landesregierung sind bekannt: trotz mehrstelliger Förderungsbeträge, die bei den Leistungsträgern nachhaltig landen, wächst die Zahl von islamistischen Gefährdern permanent weiter. Daraus ergibt sich für Schleswig-Holstein eine bittere Bilanz - die existierende SPD-Landesregierung stellt sich selbstbewusst aber handlungsunfähig dar und besitzt weder Fachkompetenz noch klare Vorstellungen, dennoch versucht sie immer wieder aktuellen Herausforderungen mit altem Werkzeug entgegenzuwirken.

Es wird nun erwartet, dass die sich neu bildende Landesregierung schädliche Migrations- und Integrationsparadigmen ziemlich rasch umzudenken hat, bevor die glimmende Lunte das Pulverfass erreicht. Wer an professionellen Präventions- und Integrationsmaßnahmen in diesem Handlungsfeld weiter sparen wird oder Förderungsmittel an falschen Ecken landen lässt, wird später mit einem drastisch höheren Betrag für Fehlerbeseitigung rechnen müssen.

Es ist kein Wunder, dass die Wählerschaft, darunter immer mehr Migranten Schleswig-Holstein, denen Sicherheit und Ordnung in ihrer neuen Heimat von Bedeutung ist, nicht mehr blind ihre Zukunft in die Hände von politischen Eliten geben wird. Mit steigender Rate von Einbürgerungen, die ihnen eine Partizipation bei der politischen Willensbildung ermöglicht, lernen Migranten allmählich, eine falsche Regierungsagenda rechtzeitig zu erkennen und eine falsche Partei mit demokratischem Mitteln entmachten zu können. Nun entsteht eine Herausforderung für die Regierungskoalition 2017, den Wählerwillen feinfühlig wahrnehmen und umsetzen zu können.

Kiel, den 15.05.2017

Dieter Valiev ist staatlich anerkannter Sozialpädagoge (FH-Kiel) / Vorstandsmitglied des Migrantenforum Kiel (2013-2017)

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Quelle:
Gegenwind Nr. 345 - Juni 2017, Seite 11 - 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2017

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