Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


GEGENWIND/784: Asylgesetz geändert - Post vom Bundesamt


Gegenwind Nr. 363 - Dezember 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Flucht & Asyl
Asylgesetz geändert: Post vom Bundesamt
"Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" will Anerkennungen überprüfen

von Reinhard Pohl


Seit langem steht das "Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" (BAMF) in der Kritik. Grund dafür sind Hunderttausende von Ablehnungen von Asylanträgen, in denen Gerichte später entscheiden, dass die Betroffenen doch hier bleiben dürfen. Bei einigen Herkunftsländern sind ein Drittel, bei anderen die Hälfte der Ablehnungen, die Gerichte überprüfen, falsch.


Dennoch hat das BAMF eine ganz andere Diskussion befördert: Sind Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Eritrea, die anerkannt wurden, zu Recht anerkannt worden? Mehrere statistische Auswertungen ergaben, dass es in einigen BAMF-Niederlassungen bei der Gesamtzahl der Fälle mehr Anerkennungen gab als in anderen Niederlassungen. Ins Visier geriet Bremen, wo auf dem Höhepunkt des Völkermordes an den Jesiden durch den "Islamischen Staat" besonders viele Jesiden Asyl beantragten. Dass sich diese Anträge gerade dort so häuften, liegt daran, dass insbesondere in Niedersachsen und Bremen viele Jesiden leben und Vereine gegründet haben, die bereits in den 90er Jahren hierher gekommen und anerkannt werden sind.

Die Überprüfungen führten zwar erst zur Entlassung der Leiterin der Bremer Niederlassung, dann zur Entlassung ihrer Nachfolgerin, dann zur Entlassung der BAMF-Chefin in Nürnberg - allerdings wurden bis heute keine systematischen Verstöße gegen Verfahrensregeln nachgewiesen. Es gab damals bundesweit beim BAMF einen hohen Arbeitsdruck und keinerlei Qualitätskontrolle, so dass in Bremen nur herangezogen werden konnte, dass die damalige Leiterin auch privat zu einer Veranstaltungen von Jesiden gegangen war.

Allerdings gab und gibt es auch in Schleswig-Holstein Veranstaltungen zu Herkunftsländern, bei denen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des BAMF in ihrer Freizeit auftauchen. Grundsätzlich ist es in Deutschland erlaubt.

Fragebogen statt Anhörung

2016 kamen besonders viele Flüchtlinge nach Deutschland. Da die Bundesregierung das Personal des BAMF nicht rechtzeitig aufgestockt hatte, der Krieg in Syrien war bereits 2011 ausgebrochen, entschloss sich das BAMF zu einer Arbeitserleichterung: Bei Flüchtlingen aus Syrien und Eritrea sowie - bei denjenigen Flüchtlingen aus dem Irak, die einer Minderheit (meist Jesiden oder Christen) angehören, wurde oft auf eine Anhörung verzichtet. Stattdessen sollten wesentliche Angaben per Fragebogen erhoben werden.

Eigentlich sollten diese Fragebögen beim BAMF mit Hilfe von Dolmetscherinnen und Dolmetschern ausgefüllt werden. Letztlich war das dem BAMF aber zu teuer, so engagierten - sie sprachkundige Aushilfen, die nur ein Drittel des normalen Honorars erhielten, und ließen sie auch noch allein. Letztlich entschieden also die Aushilfen, beim BAMF "Sprachmittler" genannt, über die Anerkennung oder Ablehnung.

Ähnliche Schnellverfahren wurden auch in anderen europäischen Ländern, so in Schweden oder Belgien durchgeführt. Wenn das von ausgebildeten Kräften beaufsichtigt wird, ist das auch kein Problem, im Gegenteil: Da Flüchtlinge aus diesen Ländern sowieso anerkannt werden, können sie mit einem schnellen Verfahren weit eher mit Sprachkursen starten, die Kinder einschulen und sich um Arbeit bemühen.

Was diese Anerkennungen aus Sicht des BAMF und der Regierungsparteien CDU, SPD und CSU problematisch machte, war ein einzelner Fall von Betrug: Ein rechtsradikaler Bundeswehr-Offizier beantragte Asyl als "Syrer" und bekam es auch. Er nutzte sein internes Wissen auch, dass keine BAMF-Anhörer am Verfahren beteiligt werden, sondern die BAMF-Stelle ebenfalls provisorisch durch einen Bundeswehr-Soldaten übernommen worden war.

Überprüfungen und anlasslose Überprüfungen

Zur Zeit hat das BAMF wieder viele freie Kapazitäten. Die Zahl der Asylanträge ist im Vergleich zu 2016 auf ein Viertel gesunken. Deshalb startete das BAMF Ende 2017 mit einer Überprüfung der Anerkennungen, die nach Ausfüllen eines Fragebogens entschieden wurden.

Da im BAMF kaum Unterlagen existieren, wurden die betroffenen anerkannten Flüchtlinge angeschrieben, zu einem Termin zu erscheinen und zu erläutern, welche Dokumente sie haben, um ihre Identität zu belegen. Da die angeschriebenen Flüchtlinge bereits anerkannt waren und selbst kein Interesse an einem neuen Verfahren hatten, haben die meisten diese Schreiben ignoriert. Denn damit sucht das BAMF Anhaltspunkte, um entweder die Anerkennung zu widerrufen oder zurückzunehmen.

Bei einer Rücknahme geht es darum, dass eine Anerkennung zu Unrecht erfolgt ist, zum Beispiel indem ein falscher Name oder falsche Religion oder falscher Herkunftsstaat genannt wurde.

Bei einem Widerruf geht es darum, dass die Anerkennung damals zu Recht erfolgte, sich die Situation im Herkunftsland aber seitdem entscheidend geändert hat, dass jetzt ein Schutz durch Deutschland nicht mehr benötigt wird.

Eine anlasslose Überprüfung ist im Asylgesetz ohnehin vorgesehen: Jede positive Entscheidung (Asyl, Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot) soll nach drei Jahren überprüft werden. Das BAMF macht das teilweise automatisiert, indem elektronische Akten von einem Programm in zwei Gruppen ("Mensch soll draufgucken" oder "Draufgucken nicht nötig") unterteilt werden, danach entscheidet jemand durch Aktendurchsicht, ob ein Widerrufsverfahren durchgeführt wird. Dabei bekommt der Betroffene vier Wochen Zeit, um schriftlich zu begründen, warum er immer noch Schutz braucht, danach wird nach Aktenlage und mit Hilfe von Länderinformationen entschieden. Solche Verfahren werden zur Zeit zu Tausenden durchgeführt, in über 99 Prozent enden sie mit der Beibehaltung der Anerkennung.

Mitwirkung?

Beim Asylverfahren selbst gibt es eine "Mitwirkungspflicht": Der Flüchtling, der die Anerkennung haben will, muss alle Papiere vorlegen, die verlangt werden, und alle Fragen beantworten, die gestellt werden.

Im Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren gibt es diese Pflicht bisher nicht. Da aber nach Aktenlage entschieden wird, ist der anerkannte Flüchtling gut beraten, aktuelle Informationen an das BAMF zu schicken, wenn er seinen Schutzstatus behalten will.

Hat das BAMF nur Unordnung in den eigenen Akten, war bisher keine Mitwirkungspflicht vorgesehen. Solch eine Situation wie 2016 kannte das Asylgesetz einfach nicht, und die Ausgabe von Fragebögen sowie das Alleinlassen der Hilfskräfte ("Sprachmittler") mit den AntragstellerInnen kannte das Gesetz ebenfalls nicht.

Jetzt hat der Gesetzgeber reagiert. Der Bundestag hat auf Vorschlag der Bundesregierung das Asylgesetz geändert und eine "Mitwirkungspflicht in Widerrufs- und Rücknahmeverfahren" eingeführt. Dazu wurde dem § 73 ein Absatz 3a hinzugefügt.

Danach müssen anerkannte Flüchtlinge an Widerrufs- und Rücknahmeverfahren in Zukunft mitwirken. Das kann auch eine (nochmalige) Identitätsüberprüfung einschließen, also das persönliche Erscheinen und Abnahme von Fingerabdrücken sowie den anschließenden Abgleich mit anderen Datenbanken.

Der Anlass der Gesetzesänderung, die behördeninternen Überprüfungen" der Fragebogen-Verfahren, wurde nicht neu geregelt.

Und was heißt das?

Das BAMF muss jetzt, um die Mitwirkungspflicht auszulösen, das Widerrufsverfahren einleiten und der oder dem Betroffenen mitteilen, was erwartet wird. Kommt keine Antwort, muss per Einschreibung und unter Hinweis auf die Rechtsfolgen in aller Form zum Mitwirken aufgefordert werden. Die Bundesregierung glaubt laut Gesetzesbegründung, dass dieses zweite Schreiben in 30 bis 60 Prozent der Verfahren erforderlich ist.

Begründet wird es weiterhin mit den Fehlern des BAMF 2015 und 2016, aus dieser Zeit fehlen oft Unterlagen, unabhängig davon, ob sie mal da waren oder nicht. Doch sie sollen jetzt nach der Gesetzesbegründung bei der regulären Überprüfung drei Jahre nach der Anerkennung erhoben werden. Auf die gegenwärtigen Hunderttausenden Briefen mit einer "Einladung zum Gespräch" geht das Gesetz selbst nicht ein, darauf wurde nur in der Bundestagsdebatte verwiesen.

Da in nächster Zeit rund 800.000 Überprüfungen anstehen, kann es also sein, dass das automatisierte Verfahren nicht mehr angewendet wird, sondern Verwaltungsangestellte alle Akten von Flüchtlinge auf Vollständigkeit überprüfen. Sie würden dann formell ein Widerrufsverfahren einleiten, um die Grundlage für die Mitwirkungspflicht zu schaffen. Die zweite Aufforderung käme dann per Einschreiben. Das Gesetz sieht die Kosten bei 1,4 Millionen Euro Portokosten einmalig und 3,5 Millionen Euro jährlich.

Für 2018 und 2019 stehen jeweils 250.000 Überprüfungen an, die ebenso viele Entscheidungen aus 2015 und 2016 betreffen. Allein für diejenigen, die voraussichtlich nicht entsprechend der Aufforderung reagieren, rechnet die Regierung mit Personalkosten von fast 2 Millionen Euro, sie rechnet mit 91.000 Flüchtlingen, die nicht mitwirken. Auf Dauer rechnet die Bundesregierung mit 1,3 Millionen Euro zusätzlicher Personalkosten für die Aufforderungen in den Folgejahren.

Was die Überprüfungsverfahren selbst kosten, bei dieser Gesetzesänderung ging es bei den Kosten ausschließlich um den Versand der Einschreiben, sagt die Bundesregierung nicht. Hier muss das BAMF oder das Innenministerium entscheiden, ob nicht angehörte Flüchtlinge jetzt bei der Überprüfung tatsächlich zu einer Anhörung geladen werden, die dann sicherlich die zehnfachen Personalkosten verursachen, oder ob es bei der Entscheidung nach Aktenlage bleibt, zu der die Betroffenen eine Stellungnahme schicken.

Dass sich an der Quote von 99 Prozent Beibehaltung der Anerkennung etwas ändern wird, haben weder die Regierung noch die Abgeordneten von CDU, SPD und CSU behauptet. Auch die Abgeordneten von AfD und FDP, die der Gesetzesänderung zustimmten, behaupten dies nicht.

Dagegen prophezeiten Grüne und Linke, dass die Quote des Widerrufs von Anerkennungen unter 1 Prozent bleiben würden. Sie verwiesen gleichzeitig darauf, dass solch eine Debatte und solch ein Gesetz nur wieder Vorurteile schüren würden, unter den Flüchtlingen wären viele, die zu Unrecht ein Bleiberecht erhalten hätten - obwohl das BAMF selbst bisher zu 99 % den weiteren Schutzbedarf bestätigt hat. SPD und CDU schoben in ihren Debattenbeiträgen die Bevölkerung vor: So sagte Helge Lindh in der Debatte zur Begründung der Gesetzesverschärfung: "... wir gehen davon aus, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass das Asylrecht von der Bevölkerung angenommen wird. (...) wenn es uns gelingt, Unklarheiten auszuräumen, das Gefühl und die Überzeugung zu wecken, dass wir das, was 2015/2016 in der Schnelligkeit an Unklarheiten entstanden ist, dass wir Unsicherheiten, Verunsicherung, die populistisch genutzt werden könnten, beseitigen, ist das allein schon ein Mehrwert dieser Gesetzgebung. (...)" (Bundestagsprotokoll Seite 6951A). Sein CDU-Kollege Hans-Jürgen Irmer beklagte, viele kämen ohne Pass, "89 Prozent der Eritreer, 90 bis 97 Prozent derjenigen aus Somalia (...) Sie machen es aus einem ganz bestimmten Grund: "Der größte Anteil deren, die hierherkommen, kommt aus wirtschaftlichen Gründen."

Übrigens ist diese Komplett-Überprüfung aller positiven Entscheidungen nach drei Jahren "typisch deutsch". Von den 28 EU-Mitgliedern überprüfen 26 die Anerkennungen nur, wenn sich in den Herkunftsländern etwas ändert. Die zwei Mitgliedsstaaten, die alle Entscheidungen überprüfen, sind Deutschland und Österreich.


Drittes Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes: Bundestags-Drucksache 19/4456.

Debatte und Abstimmung: Bundestagsprotokoll, Seite 6948 bis 6956.

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 363 - Dezember 2018, Seite 7 - 9
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info
 
Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang