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GEGENWIND/855: Klima, Gerechtigkeit und sozialökologischer Umbau


Gegenwind Nr. 377, Februar 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Klima, Gerechtigkeit und sozialökologischer Umbau

von Klaus Peters


Was zunächst wie ein Scherz aufgefasst werden konnte, hat einen ernsten Hintergrund. Ende des letzten Jahres wurde berichtet, dass die Post die zeitlichen Zustellungsquoten verlängern möchte. Ein wesentlicher Grund soll der Klimaschutz sein, der Verzicht auf Postflüge. Nun ja, gibt es wieder Postzüge? Wahrscheinlich findet nur eine Verlagerung auf die Straße statt.

In dem rund 80 Seiten umfassenden Entwurf des "Aktionsplans Klimagerechtigkeit" der Arbeitsgemeinschaft sozial-ökologischer Umbau der Bundestagsfraktion DIE LINKE vom 14.11.2019 ist dieser Vorschlag nicht enthalten. Dieser Aktionspian kann aber aus anderen Gründen nicht überzeugen. Die Absicht ist gut, doch man muss sich etwas mehr einfallen lassen, als nur etliche Seiten mit weitgehend bekannten Forderungen zu füllen. Unbestritten waren die Grünen die ersten, die Forderungen zum sozial-okologischen Umbau aufgestellt und auch Programmentwurfe erstellt hatten. Was ist daraus geworden7 Richtig, heute reden fast alle vom Klimaschutz und DIE LINKE jetzt auch vom "Green New Deal".

An den Anfang einer alternativen Konzeption müssten aufgrund der bestehenden Bildungsdefizite zunächst einige grundlegende Erkenntnisse stehen. Neben einer Aufklärung über die Ursachen (Neoliberalismus, Wachstumswahn) sind dies insbesondere: Aufklärung über Wasser-, Nährstoff- und Kohlenstoffkreisläufe, über Bevölkerungswachstum, Ressourcenverbrauch, Artenschwund, Flächenverbrauch, Unfallopfer und volkswirtschaftliche Kosten.


Ein ganzheitlicher Ansatz ist notwendig

Ein ganzheitlicher Ansatz zum Schutz unserer Lebensgrundlagen, wie bereits in den 1980er Jahren von vielen Wissenschaftlern, Publizisten und Bürgerinitiativen gefordert und skizziert, ist im vorliegenden Entwurf dieses Aktionspians nicht klar erkennbar. Eine Partei wie DIE LiNKE kann es nicht dabei belassen, Forderungen zum Klimaschutz zusammenzufassen und auf die Notwendigkeit von etwas mehr Gerechtigkeit hinzuweisen. Zahlreiche andere Defizite beim Schutz unserer Lebensgrundlagen müssen benannt, in einen Zusammenhang gestellt werden. Dazu kommt es ganz wesentlich darauf an, echte Alternativen aufzuzeigen. Auch die Umsetzung von Zielen ist - mit möglichen Schwierigkeiten und Nebenwirkungen - zu thematisieren. Die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 beschlossenen 17 Nachhaltigkeitsziele sollten berücksichtigt werden.

Doch entweder fehlen Mut oder Fähigkeiten oder beides. Wenn die Verhältnisse schwierig und festgefahren sind, ist es selbstverständlich nicht ganz einfach, grundlegende Veränderungen durchzusetzen. Kleine Korrekturen stabilisieren die Verhältnisse auch noch. Für große Veränderungen fehlt die politische Kraft. Vielleicht war ja ohnehin die Mitwirkung in einer R2G-Koalition der eigentliche Vater des Gedankens.

Wichtig wäre zu erklären, welche Bereiche vergesellschaftet bzw. rekommunalisiert werden sollen. Die Bürger sollen zwar wieder stärker beteiligt werden, doch auch diese Forderung bleibt unkonkret. Klar herausgestellt werden müsste zudem, dass Veränderungen, die in die gewünschte Richtung gehen sollen, nur mit den betroffenen zivilgesellschaftlichen Gruppen und geeigneten Experten durchgesetzt werden können. Eine Würdigung der Rolle der Pioniere unter den Experten, der Bürgerinitiativen und Verbände, die sich für den Schutz unserer Lebensgrundlagen schon seit den 1980er Jahren eingesetzt haben, darf eigentlich erwartet werden. Die Gründe für die gesellschaftliche Verdrängung von deren Leistungen sind deutlich zu machen: deutsche Einheit, verstärkter Neoliberalismus, Hartz IV, Kriege, Finanzkrise, Migration und wieder Kriege, Aufrüstung, Kampf gegen rechts. Die internationale Dimension der Herausforderungen, etwa Vorschläge zur Neuausrichtung und Verstärkung der Entwicklungshilfe, sollten noch stärker betont werden. Die besonders negative Rolle des Militärs wird thematisiert. Auch das Wachstumsdogma ist immerhin infrage gestellt worden. Es fehlt die Problematisierung des Flächenverbrauchs sowie die der Vernachlässigung des Natur- und Artenschutzes.

Selbst wenn eine ideale "regionale Kreislaufwirtschaft" nicht zu realisieren ist, in diese Richtung muss es gehen. Voraussetzungen sind starke Gebietskörperschaften und öffentliche Einrichtungen, insbesondere zur Daseinsvorsorge. Die demokratische Kontrolle, auch der Konzerne, muss durch Beiräte, Berichtspflichten und echte Bürgerbeteiligung gestärkt werden. Eine solche gesellschaftliche Alternative muss durch Arbeitszeitverkürzungen und eine Vermögensumverteilung begleitet werden.


Zu einigen Kapiteln und Teilaspekten des vorliegenden Aktionsplanentwurfs
Energie

Wie nicht anders zu erwarten, steht das Thema Energie an vorderster Stelle. Insofern berechtigt, da jeglicher Ressourcenverbrauch auch mit Energieverbrauch verbunden ist. Doch der Energieverbrauch steht in diesen Abschnitt im Mittelpunkt: Es werden die bekannten Forderungen aufgelistet: Kohleausstieg und "Ökostromausbau" forcieren. Energiewende durch Bürgerenergieprojekte forcieren, Kosten gerecht verteilen und wieder "Ökostrom" effizient einsetzen. Letzteres müsste eigentlich für jeden Haushalt und Betrieb selbstverständlich sein. Achja, um Akzeptanz zu kaufen, sollen Kommunen an den Erträgen der "Ökostrom"-Betreiber beteiligt werden. Durch die Gewerbesteuer geschieht dies übrigens schon. Schließlich soll (teurer) Wasserstoff die Rettung bringen. Die Rekommunalisierung der Strom- und Wärmeversorgung soll durch die Bundesebene "gefördert" werden. Es folgen dann noch einige andere bekannte Forderungen wie Umverteilung der Netzentgelte, Abschaffung der Stromsteuer und Aufhebung von Industrie-Privilegien. Gegenfinanzierungsvorschläge werden nicht gemacht.

Verkehr

Zu Beginn wird festgestellt, dass im Bereich Verkehr seit 1990 keine C02-Einsparungen erreicht worden sind. Deutlich wird auf die falsche Entwicklung im Mobilitätssektor, auf den massiven Straßenbau und die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bahn hingewiesen. Erfreulicherweise werden die Reaktivierung von Bahnhöfen, die Barrierefreiheit sowie eine Qualitäts- und Komfortoffensive angemahnt. Die Tatsache, dass einige Züge und Bahnstrecken an manchen Tagen bereits überlastet sind, wird nicht erwähnt. Großprojekte werden erwartungsgemäß abgelehht. Welchen Wert die Forderung nach einem Verbot von Verbrennungsmotoren haben soll, bleibt unklar, zumal dies aus verschiedenen Gründen illusorisch bleiben dürfte. Gleiches gilt für ein Werbeverbot oder ein Verbot von Inlandsflügen. Die LKW-Maut soll erhöht, eine PKW-Maut jedoch offensichtlich nicht eingeführt werden. Niedrige Tempolimits werden gefordert, ein Hinweis auf Unfallopfer und Unfallkosten unterbleibt jedoch. Richtig und überfällig ist die Umwandlung der Entfernungspauschale in ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld.

Industrie

Der Forderungskatalog ist prinzipiell bekannt, die Möglichkeiten sind aber relativ begrenzt. Die Industrie soll zu Energie-Effizienz verpflichtet werden. Entsprechende Förderprogramme werden als notwendig erachtet. Das EU-Emissionshandelssystem soll überarbeitet werden. Zudem sollen die Recyclingquoten erhöht werden. Ersatz fossiler Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe wird nicht besonders thematisiert, ist auch nur in wenigen Bereichen möglich.

Gebäude

Nicht ganz unbekannte, auch jahrzehntelang vernachlässige Ziele enthält das Kapitel: "Lebenswerte Nachbarschaften, gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung". Ressourcensparende Bauweisen (Holzbau), Passivhausstandard werden aufgeführt. Das Thema Sozialwohnungen wird erwartungsgemäß behandelt. Hilfreich wären Vergleichszahlen zum europäischen Ausland. Es fehlen konkrete Vorgaben zur Reduzierung des Flächenverbrauchs (Mehrfamilienhäuser statt Einfamilienhäuser), zur Deckelung und Rückführung des Baus von Zeitwohnungen sowie Angaben dazu, was unter Ökologischem Bauen verstanden wird. Auch Gestaltungsfragen sollten thematisiert werden (Gebäude, Ensembles, Frei- und Grünflächen, Ortsgestaltung).

Ernährung und Landwirtschaft

Die Herstellung gleichwertiger Lebensräume in Stadt und Land ist eine Herausforderung, der bisher nicht gerecht werden konnte. Deshalb ist es wichtig, immer wieder auf die diversen Defizite hinzuweisen und politisch Druck zu machen. Mit der Neuausrichtung der Landwirtschaft ist es dabei nicht getan. Die zentrale Rolle, die die Landwirtschaft, insbesondere durch die LPGs, in der DDR hatte, kann nicht wieder hergestellt werden. Die damalige Landwirtschaft war zudem auch nicht ökologisch ausgerichtet.

Eine sozialökologisch ausgerichtete Landwirtschaft wird gefordert, der Anteil des zertifizierten Öko-Landbaus soll 25 % betragen. Im Bereich Landwirtschaft sollen aber auch regionale Kreisläufe aufgebaut und unterstützt werden. Fleischkonsum, Transporte und Futtermittelimporte werden problematisiert. Beim Pestizid- und Düngemitteleinsatz wirkt die Forderung nach kontrolliertem und gezieltem Einsatz relativ schwach. Moore sollen zu Recht geschützt und die Waldfläche soll vergrößert werden. Im Bereich Landwirtschaft hängt vieles von der Agrarpolitik der EU und der entsprechenden Mittelvergabe ab. Der bisherigen Bevorzugung von Großbetrieben, der immer noch zu geringen Beachtung des Natur- und Landschaftsschutzes, sowie der unzureichenden Berücksichtigung der Infrastruktur in den ländlichen Räumen müsste auch durch nationale Maßnahmen soweit wie möglich entgegen gewirkt werden. Zur Änderung der EU-Politik und der nationalen Ergänzungs- bzw. Ersatzmaßnahmen wären konkretere Angaben notwendig.


Weitere Kapitel zusammengefasst

Zur C02-Bepreisung gibt es differenzierte Angaben. Es soll ein jährliches Investitionspaket von 87 Mrd. Euro bereitgestellt werden. Bei Investitionen ist immer sehr genau darauf zu achten, dass die Mittel auf der Basis fundierter Konzepte, in der Regel auch mit begleitenden Beteiligungsprozessen in der Planung und Ausführung, eingesetzt werden. Ebenso notwendig sind nachfolgende Evaluierungen. Geschieht dies nicht, werden Mittel allzu leicht falsch und nicht effizient eingesetzt.

Zum Sektor Struktur- und Arbeitsmarktpolitik wird optimistisch auf mehr Arbeitsplätze durch einen sozial-ökologischen Umbau gesetzt. Über diesen Umbau soll das Wirtschaftswachstum auch wieder steigen. Die ländlichen Räume sollen besonders profitieren. Dennoch wird auch eine Arbeitszeitverkürzung für notwendig erachtet.

Im Rahmen internationaler Solidarität sollen regionale Wirtschaftskreisläufe im Fokus stehen. Dies dürfte tatsächlich eine große Herausforderung sowohl für die betroffenen Länder als auch für Geberländer sein, zumal die Entwicklung in den Industrieländern auch in eine andere Richtung gelaufen ist. Der Freihandel ist, wie herausgestellt wird, grundsätzlich nachteilig für Entwicklungsländer. Die Importeure sollen auch für Verstöße gegen Umwelt-, Gesundheitsauflagen und andere Auflagen in den Lieferketten verantwortlich gemacht werden können. Hinzuweisen wäre auch darauf, dass die Entwicklungshilfe regelmäßig evaluiert werden müsste.


Ist Klimaschutz Friedenspolitik?

In der üblichen Klimadebatte wird der Militär- und Rüstungsbereich fast völlig ausgeblendet. Die Annahme, dass drohende Klimaveränderungen Migration und sogar Konflikte auslösen, ist schwer zu überprüfen. Sicher dürfte sein, dass knapper werdende Rohstoffe schon immer auch Gründe für Konflikte waren. Insofern ist die Problemlage komplex. Festzustellen, Klimaschutz sei Konfliktprävention, ist daher etwas zu einfach. Es kommt vielmehr darauf an, durch Verhandlungen den Rohstoffverbrauch zu regeln und einzuschränken. Gleichzeitig ist die Abrüstung voranzutreiben. Deutschland sollte hier eine Vorreiterrolle einnehmen - das Gegenteil ist leider der Fall, die jährlichen Militärausgaben, die jetzt bereits bei über 45 Milliarden Euro liegen [1], sollen noch weiter steigen. Der enorme Treibstoffverbrauch der Armeen (auch ohne Kriegseinsätze) darf, abgesehen von den Zerstörungen und Umweltschäden bei kriegerischen Handlungen [2], nicht verdrängt werden und ist immer im Zusammenhang mit den sonstigen Emissionen und mit den volkswirtschaftlichen Kosten zu betrachten.


Fazit

In dem vorliegenden Entwurf des Aktionspians Klimagerechtigkeit wird ein Investitionsprogramm mit einem Volumen von jährlich 87 Milliarden Euro genannt, dass durch Umschichtung, Steuern auf Vermögen sowie eine geringe Neuverschuldung finanziert werden soll. Der "European Green Deal" soll bis 2030 jährlich rund 260 Milliarden Euro zusätzlich zu bisherigen Investitionen generieren. Im Vordergrund stehen systembedingt offensichtlich Profite für Konzerne und Investoren - die logischerweise letztlich von den Bürgern aufgebracht werden müssten [3]. Der European Green Deal soll ein Beitrag zur Umsetzung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele sein. Alle Politikbereiche sollen einbezogen werden. Auch für den Bereich Biodiversität werden Maßnahmen angekündigt. Sowohl im Aktionsplan als auch im EU-Papier werden Herausforderungen, die sich aus der Europäischen Landschaftskonvention ergeben, allerdings nicht erwähnt. Defizite im Bereich Straßenverkehrssicherheit werden in beiden Entwürfen ebenfalls nicht genannt, ebenso wenig wie Unfallkosten.

Der dänische Wissenschaftler Björn Lomberg weist am Beispiel Neuseeland nach, dass bereits für eine Halbierung der CO2-Emissionen in diesem Land bis 2050 jährlich 5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgebracht werden müssten [4]. Dabei unterstellt Lomberg die Machbarkeit, ohne dabei besonders konkret zu werden.


Anmerkungen:

[1] Nach NATO-Definition sind es gemäß einem Bericht des Handelsblatts vom 16.10.2019 bereits 50,36 Milliarden Euro (einschließlich Stationierungskosten und Maßnahmen des Auswärtigen Amtes).

[2] Siehe hierzu auch den Beitrag "Klimakiller Militär" von Ralf Cüppers in der Gegenwind-Ausgabe 12/2019.

[3] Der "European Green Deal" sieht gemäß dem Beitrag "Kritik am New Grean Deal" von Karoline Meta Beisel in der Süddeutschen Zeitung vom 04.12.2019 ein Investitionsvolumen von 100 Milliarden Euro für die nächste Haushaltsperiode (2021-2027) vor. Die Mittel sollen aus dem EU-Budget, von den EU-Staaten, aus dem Privatsektor und von der Europäischen Investitionsbank kommen. Durch den EU-Austritt Großbritanniens werden sich die genannten Summen voraussichtlich entsprechend ändern.

[4] Björn Lomberg: "Klimaneutralität wird richtig teuer", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.12.2019

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Quelle:
Gegenwind Nr. 377, Februar 2020, Seite 15-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2020

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