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GEHEIM/253: Deutschland auf dem Weg zu einer neuen Gestapo?


GEHEIM Nr. 3/2009 - 8. Oktober 2009

DEUTSCHLAND
Auf dem Weg zu einer neuen Gestapo?
Das Bundesinnenministerium plant, die Kompetenzen des V-Schutzes zu erweitern

Von Michael Opperskalski


Der recht laue Wahlkampf ächzte in seinen letzten Tagen, noch war nicht deutlich, welche Farbenlehre als Regierung auf die Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik wohl zukommen würde, lediglich auf eine alt-neue Bundeskanzlerin Angela Merkel konnte man sich schon einmal einstellen, da schien eigentlich eine Bombe zu platzen. Am 25. September berichtete die "Süddeutsche Zeitung" auf Seite 1: "Verfassungsschutz soll zur Polizei werden - Innenministerium erarbeitet Sicherheits-Papier zur Vorbereitung der Koalitionsverhandlungen nach der Wahl. Das Innenministerium bereitet sich mit weitgehenden Forderungen zur inneren Sicherheit auf die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl vor. Der Verfassungsschutz soll zahlreiche neue Kompetenzen erhalten und zur allgemeinen Sicherheitsbehörde ausgebaut werden. Dies ergibt sich aus einem Konzept, das in dem von Wolfgang Schäuble (CDU) geführten Bundesinnenministerium ausgearbeitet worden ist. Es nennt sich 'Vorbereitung Koalitionspapier', trägt das Datum 22. September und liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Die Forderungen darin gehen über das CDU-Wahlprogramm hinaus. Das Papier zielt darauf ab, die Aufgaben von Verfassungsschutz und Polizei zusammenzufassen."


V-Schutz wird Polizei

"Auf sechs Seiten ist aufgelistet, wie der Sicherheitsstaat perfektioniert werden könnte. So soll der Verfassungsschutz künftig auch heimlich Computer durchsuchen und Kameras in Wohnungen anbringen dürfen. Er soll auf die 'vorsorglich gespeicherten' Telefon- und Mailverbindungsdaten sowie die Kontostammdaten zugreifen können. Bei der Terrorismusbekämpfung soll das Bundesamt für Verfassungsschutz zulasten der Landesämter gestärkt werden. Außerdem soll der Inlandsgeheimdienst künftig auch die organisierte Kriminalität beobachten. Das war bisher alleinige Aufgabe der Polizei.

Das Bundeskriminalamt (BKA) soll zur Vorbereitung von Online-Durchsuchungen künftig in Wohnungen einbrechen dürfen. Außerdem sollen die Befugnisse, die das BKA jüngst zur Terrorabwehr erhielt, der gesamten Polizei zur Strafverfolgung zur Verfügung stehen. Gemeint sind die Online-Durchsuchung, die Überwachung von Internet-Telefonaten und der Spähangriff in Wohnungen. Beim Lauschangriff soll nicht sofort abgeschaltet werden, wenn über Privates gesprochen wird, sondern ein Band mitlaufen, bei dem dann später ein Richter das Private aussortiert.


Immunität für V-Leute

Verdeckte Ermittler und V-Leute der Polizei sollen sich bei 'szenetypischem Verhalten', etwa beim Verwenden von NS-Symbolen, nicht mehr strafbar machen. Die Daten der Autobahnmaut sollen künftig für die Strafverfolgung genutzt werden, ebenso die IP-Adressen von Personen, die sich im Internet eine Seite der Sicherheitsbehörden ansehen. Die Erstellung eines DNA-Profils (genetischer Fingerabdruck) soll erkennungsdienstliche Standardmaßnahmen werden, wie heute schon der Fingerabdruck oder das Passfoto. Entlassene Sexualstraftäter sollen in einer Warndatei erfasst werden, um ein 'engmaschiges Sicherheitsmanagement' zu ermöglichen." (1)

Stimmen aus dem Innenministerium sowie der CDU haben das Papier zwar inzwischen relativiert, vor allem, was seine Basis für die Koalitionsverhandlungen betrifft, Tatsache ist jedoch, dass die Horrorliste zusammenfasst, was Unionspolitiker in unterschiedlichen Zusammenhängen schon seit längerem immer wieder forderten. Sie ist damit nicht mehr und nicht weniger als die konsequente Fortsetzung einer Entwicklung, die GEHEIM seit 1985 beobachtete, analysierte und darüber berichtete - die Durchlöcherung, Zerschlagung und Aufhebung des von den Verfassungsvätern vor dem Hintergrund der fürchterlichen Erfahrung mit der Nazi-Gestapo gewollten Trennungsgebotes von Geheimdiensten, Polizeien und Justiz. Niemals wieder sollte eine Behörde entstehen, die alle diese drei Elemente zu ungeheurer Machtfülle vereinigt. Das Papier aus dem Innenministerium vollzieht jedoch genau das: die nach einer jahrelangen faktischen Entstehung formale Etablierung einer Geheimen Staatspolizei...


Alle schweigen

Man hätte nun meinen können, dass dieses Szenario zu einem Aufschrei geführt, dem lauen Wahlkampf ein zutiefst polarisierendes Thema gegeben hätte. Nichts von dem ist jedoch passiert, der Wahlkampf blieb langweilig. Die Medien gingen kaum auf die Thematik ein. Die parlamentarischen Oppositionsparteien kritisierten das Papier aus dem Innenministerium zwar, aber wohl eher "pflichtgemäß". Niemand warnte in Konsequenz und Härte vor dem, was droht und gerade aus den Reihen von CDU/CSU immer wieder laut gefordert wird. Die Etablierung einer Geheimen Staatspolizei wird sich - in Tradition - vor allem gegen linke politische Kräfte richten. Auch jene Partei, die Linke, die sich mit ihrer Namensgebung den Anspruch gegeben hat, für dieses politische Spektrum zu sprechen, ist angesichts der Dramatik der Entwicklung auffallend zurückhalten. Es bleibt abzuwarten, wie die FDP nun in den Koalitionsverhandlungen reagieren wird, hat diese Partei sich doch in letzter Zeit großmäulig als Verteidigerin bürgerlich-demokratischer Rechte zu profilieren versucht. Es ist jedoch zu befürchten, dass genau diese zur koalitionären Verhandlungsmasse um Pöstchen und Posten degradiert werden. Grundrechte - wie seit Jahrzehnten - klein geschrieben. Es droht sie aber und sehr bald - die Geheime Staatspolizei...


Anmerkung:
(1) "die tageszeitung". 26/27. September 2009


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Quelle:
GEHEIM Nr. 3/2009 - 8. Oktober 2009, Seite 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2009