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GEHEIM/286: Kapital, Staatssicherheit und Krieg - Allianz SE, BND und Afghanistan


GEHEIM Nr. 1/2011 - 29. März 2011

MÜNCHNER SICHERHEITSKONFERENZ II
Imperialistische Symbiose
Kapital, Staatssicherheit und Krieg: Allianz SE, BND und Afghanistan.

Von Reinhold Schramm


Die Allianz SE ist nach Umsatz und Marktkapitalisierung der weltgrößte Versicherungskonzern und einer der größten Finanzdienstleistungskonzerne. Der Umsatz des Allianz-Konzerns lag 2009 bei 97,385 Mrd. Euro, der offiziell ausgewiesene Gewinn bei 5,328 Mrd. Euro, die Anzahl der Mitarbeiter lag weltweit bei 153.203 (2009). Die Allianz SE ist eine Europäische Aktiengesellschaft (Europäische Gesellschaft, lat. Societas Europaea, kurz SE). Die Allianz SE ist eine Holdinggesellschaft und die globale Zentrale der Allianz Gruppe befindet sich mit Sitz in München. Die Allianz SE als globales Unternehmen ist in fast allen Kontinenten der Welt geschäftlich, geopolitisch und gesellschaftspolitisch tätig. Die Asien-Pazifikregion gehört zu den wichtigsten Wachstumsmärkten des Allianz-Weltkonzerns. Der Allianz-Konzern ist in 15 Märkten der Region aktiv. Über 14.500 Mitarbeiter kümmern sich um die Geschäftsbedürfnisse des Konzerns mit derzeit mehr als 21,5 Millionen Kunden in dieser Region.

Vorstandsvorsitzender der Allianz SE ist Michael Diekmann und Aufsichtsratsvorsitzender Henning Schulte-Noelle.

Seit Mai 2008 ist Botschafter Wolfgang Ischinger Mitglied im Aufsichtsrat der Allianz Deutschland AG und unter anderem "Generalbevollmächtigter für Regierungsbeziehungen" bei der Allianz SE. In dieser neu geschaffenen Funktion wird Wolfgang Ischinger direkt an den Vorstandsvorsitzenden Michael Diekmann berichten. Botschafter Ischinger war mehr als 30 Jahre im Dienst des Auswärtigen Amtes. Hier hatte Ischinger eine Reihe herausragender Posten inne gehabt. Dazu gehören seine Tätigkeit als Staatssekretär, als Botschafter in den USA und in Großbritannien. In seiner Funktion für die Allianz SE ist Ischinger für die weltweite Koordinierung der Regierungskontakte der Allianz Gruppe verantwortlich. - Im Jahr 2008 hat Botschafter Wolfgang Ischinger zudem auf Initiative der Bundesregierung den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz übernommen und wurde dafür vom Auswärtigen Dienst beurlaubt. [1]

Auszüge aus dem Vortrag von Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Mitglied im Aufsichtsrat der Allianz Deutschland AG und Generalbevollmächtigter für Regierungsbeziehungen der Allianz SE - auf dem Symposium des Bundesnachrichtendienstes (BND) am 28. Oktober 2010 im Hotel Estrel, Berlin.

Ischinger: "Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan dauert vor nunmehr fast neun Jahren beschlossen - er dauert inzwischen länger als der gesamte Zweite Weltkrieg. Aus der Afghanistan-Krise, die mit der Vertreibung der Taliban und der al-Quaida-Terroristen ihren ersten Höhepunkt erreichte, ist inzwischen eine Krise der westlichen Afghanistanpolitik und Sicherheitspolitik geworden." (...) "Anfang 2010, kurz vor der Londoner Afghanistankonferenz, hat der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke das aktuelle Dilemma des Nato-Einsatzes auf den Punkt gebracht: 'Wir kämpfen in Afghanistan, aber der Feind sitzt in Pakistan'." (...) "Wir müssen schon selbst begründen, warum deutsche - und europäische - Bündnisinteressen diesen Einsatz erfordern." (...) "Deutschland verfolgt in Afghanistan/Pakistan keine eigenen geostrategischen, politischen, rohstoffpolitischen oder wirtschaftlichen Partikularinteressen." (...) "Ohne den von den USA im Sommer 1995 unterstützten, kroatischen militärischen Geländegewinn in Bosnien-Herzegowina hätten die Dayton-Friedensverhandlungen nicht zu einem Verhandlungsfrieden führen können; denn die Serben hätten niemals Territorialkonzessionen ohne militärischen Druck am Verhandlungstisch gemacht. Die mehrmonatige Luftintervention der NATO war 1999 Voraussetzung für das Einlenken Milosevics in der Kosovo-Krise - alle politischen Verhandlungsversuche waren vorher kläglich gescheitert. Der Einsatz militärischer Macht im Rahmen eines strategischen Gesamtansatzes schafft häufig überhaupt erst die Voraussetzungen für eine sogenannte 'politische Lösung'." (...) "Eine 'politische Lösung' der Afghanistankrise wird das Ergebnis von Verhandlungen sein müssen, ja - auch mit den Taliban." (...) "Afghanistan ist ein ethnischer und machtpolitischer Flickenteppich. Deshalb sollte die Suche nach lokalen Verhandlungspartnern oder Verantwortungsträgern, auch unter den Taliban, verstärkt werden." - "Andererseits sollte der Regionalansatz intensiviert, sollten die regionalen und globalen Mächte einbezogen werden. Dazu zählt Pakistan, aber auch Russland, Indien, China - und Iran." (...) "Der Opiumanbau macht Afghanistan zu einem besonders schwierigen Fall. Heute stammen 92 % der Weltproduktion von Heroin aus dem Land. Taliban und Warlords schützen den Anbau von Opium und seine Veredelung zu Heroin. Der kommerzielle Gegenwert ist enorm. Drogenkartelle und Taliban bilden eine sich gegenseitig begünstigende Allianz. Jede künftige Strategie muss daher den Zusammenhang zwischen Drogenanbau und den Entwicklungschancen des Landes in den Vordergrund rücken. Am 11. August 2009 hat der Auswärtige Ausschuss des amerikanischen Senats festgestellt: 'Die Taliban können nicht besiegt und es kann keine funktionierende Regierung geben, wenn nicht der Geldfluss versiegt, der aus der afghanischen Drogenindustrie stammt."(...) "Und warum greift eigentlich niemand den Vorschlag des früheren britischen Außenministers David Miliband auf, über eine Art Marshall-Plan für Pakistan nachzudenken? Zumal sich alle einig sind, dass ein versinken Pakistans im Chaos von Gewalt und Fundamentalismus eine noch viel größere Bedrohung für uns alle darstellen würde als die Gastfreundschaft der Taliban für al-Quaida in Afghanistan!"

Ischinger: "Deutschlands Afghanistan-Debatte braucht eine ausgeprägtere strategische Komponente. Welche Folgen hätte ein Scheitern in Afghanistan und der Zerfall Pakistans für das Verhältnis zwischen China und Indien? Und was wäre dann mit der Rolle der USA in Asien? Wenn Europa Ambitionen hat, sich zu einem 'global player' zu entwickeln, müssen wir dann nicht an einer eigenen aktiven Rolle in Asien interessiert sein? Wäre ein europäischer Rückzug aus Afghanistan nicht nur ein Desaster für die Nato, sondern auch ein entscheidender Schritt in Richtung globaler strategischer Irrelevanz Europas? Wenn das nicht im europäischen Interesse liegt, was folgt daraus?" (...) -

Ischinger: "Zum Schluss: wir müssen große Anstrengungen unternehmen, um das Entstehen eines 'Nie-wieder'-Denkens in unserer Öffentlichkeit zu verhindern. So wie die Welt sich entwickelt, können wir uns nicht in Sicherheit wiegen, dass deutsche Soldaten auf längere Sicht nicht mehr für Auslandseinsätze - auch gefährlicher Art - gebraucht werden. Ein Ergebnis des Einsatzes in Afghanistan, der isolationistischen Tendenzen nachgeben würde, wäre unseren deutschen, europäischen und transatlantischen Interessen sehr abträglich. Auch deshalb wäre es so wichtig, eine funktionierende Verhandlungslösung auf der Basis des hier skizzierten minimalistischen Ansatzes präsentieren zu können."
[2] (Hervorhebung: R.S.)


Anmerkungen/Quellen:

[1] Munich Security Conference (MSC), Wolfgang Ischinger - Curriculum vitae.

http: //www.securityconference.de/CV-Wolfgang-Ischinger.113.0.html

[2] Bundesnachrichtendienst: Afghanistan, Pakistan und die deutsche Sicherheitspolitik; Vortrag bei dem AfPak-Symposium des BND am 28.10.2010. Von Wolfgang Ischinger.

http://www.bnd.de/cln_117/nn_1365662/DE/Presse_Oeffentlichkeit/Veranstaltungen/Symposien/Symposium_2010/downloads/Keynote_20Botschafter_20Ischinger,templated=raw,property=publicationFile.pdf/KeynoteBotschafterIschinger.pdf

BND: "Botschafter Ischinger war Staatssekretär des Auswärtigen Amts und hat Deutschland in Washington und London vertreten. Er ist heute Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und Generalbevollmächtigter der Allianz SE. Er schreibt auf www.securityconference.de."


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Quelle:
GEHEIM-Magazin Nr. 1/2011 - 29. März 2011, Seite 19-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2011