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GLEICHHEIT/2316: Protestbewegung in Griechenland benötigt eine sozialistische Perspektive


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Die Protestbewegung in Griechenland benötigt eine sozialistische Perspektive
PASOK und SYRIZA sind keine Alternative zur rechten Regierung

Erklärung der europäischen Sektionen des IKVI
10. Januar 2009
aus dem Englischen (9. Januar 2009)


Diese Erklärung wurde auf der Massendemonstration der Studenten und Jugendlichen vom 9. Januar in Athen verteilt.

Seit Wochen kommt es in Athen und anderen Städten Griechenlands zu Protesten, Streiks und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Regierung unter Premier Kostas Karamanlis von der konservativen Nea Dimokratia (ND) gerät zunehmend unter Druck. Auch die angekündigte Umstellung innerhalb der Regierung ist rein kosmetisch und ändert nichts am politischen Kurs der rechten Regierung.

Die beiden größten Oppositionsparteien, die Panhellenische-Sozialistische Bewegung (PASOK) und das Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) fordern angesichts der Regierungskrise Neuwahlen. Doch beide stellen keine wirkliche Alternative zur ND dar. Die PASOK erlebte 2004 und 2007 verheerende Wahlniederlagen, nachdem sie jahrelang Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung betrieben hatte. Wenn SYRIZA heute erklärt, wie ihr Fraktionsvorsitzender Alekos Alavanos dies tut, ein Bündnis mit den Sozialdemokraten komme nicht in Frage, sollte man dem keine große Bedeutung beimessen. Bündnisse von PASOK und SYRIZA sind auf kommunaler Ebene keine Seltenheit.

Die katastrophalen Zustände an griechischen Schulen und Universitäten und die trostlosen Zukunftsaussichten treiben immer mehr junge Menschen auf die Straße, um ihrem Ärger Luft zu machen. Die staatlichen Einrichtungen sind vollkommen heruntergekommen und angemessene Bildung wird nur noch in teuren Privatschulen vermittelt. Nach dem Ende des Studiums erhalten viele, wenn überhaupt, nur schlecht bezahlte Jobs. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt über 21 Prozent.

Mit dem Argument, es seien keine Mittel vorhanden, wurden Bildungs- und Sozialsysteme kaputt gespart, während auf der anderen Seite eine kleine Minderheit traumhafte Reichtümer anhäufte. Diese kann sich auf eine korrupte politische Elite verlassen, die in all den politischen Skandalen der letzten Jahrzehnte hinreichend bewiesen hat, dass sie für die einfache Bevölkerung nur Verachtung übrig hat.

Das Eingreifen breiter Schichten gegen diese Entwicklung ist zu begrüßen. Doch Protest, selbst in seinen radikalsten Formen, bleibt auf reformistische Illusionen beschränkt. Protestpolitik setzt die Herrschenden nur unter Druck, in der Hoffnung, dass sie ihre Politik ändern werden. Doch die Krise der kapitalistischen Gesellschaft kann nicht mehr durch Reformen überwunden werden.

Überall in Europa und weltweit ist die junge Generation mit einer Gesellschaft konfrontiert, deren herrschende Schicht sich auf Kosten der Allgemeinheit hemmungslos bereichert, die Staatskasse plündert, Bildungs- und Sozialsysteme zerstört und ihre Privilegien mit Hilfe einer korrupten Staats- und Parteien-Bürokratie und bewaffneten Polizeieinheiten verteidigt.

Die soziale und politische Krise in Griechenland und ganz Europa ist Ausdruck einer tiefen Krise des gesamten kapitalistischen Systems. Die gegenwärtige Finanzkrise hat rund um den Globus die inneren Widersprüche des Kapitalismus wieder heftig aufflammen lassen. In aller Welt reagieren Regierungen auf diese Krise zunehmend mit Unterdrückung im Innern und militaristischer Aggression nach außen.

Das ist die Bedeutung des mörderischen Angriffs der israelischen Armee auf die wehrlose Bevölkerung im Gazastreifen. Griechenland mit seiner schwachen und gegen Krisen extrem anfälligen Wirtschaft wird von dieser internationalen Krise besonders betroffen sein. In den kommenden Monaten werden Tausende ihren Arbeitsplatz verlieren, und Karamanlis kündigte bereits an, auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit weiteren "Reformen", also mit sozialen Angriffen auf die Bevölkerung zu reagieren.

Der Kampf gegen ständigen Sozialabbau erfordert eine sozialistische Perspektive. Die Arbeiterklasse muss sich international zusammenschließen und für eine sozialistische Gesellschaft kämpfen, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse über das Profitstreben einer schmalen Elite stellt.

In diesem Zusammenhang steht die griechische Bevölkerung nicht nur einer korrupten rechten Regierung gegenüber. Auch die "linken" Parteien und Gewerkschaften verteidigen die bürgerliche Ordnung und das Profitsystem.

Die allermeisten Missstände in Schulen und Universitäten gehen noch auf das Konto der Panhellenischen-Sozialistischen Bewegung (PASOK). Seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahr 1974 dominierte sie die griechische Politik und stellte mit kurzen Unterbrechungen bis 2004 die Regierung. In den 1980er Jahren führte sie noch begrenzte Sozialreformen durch und schmückte sie mit anti-europäischer und anti-amerikanischer Rhetorik. Doch sei den 1990er Jahren ging sie - wie andere europäische sozialdemokratische Parteien auch - zu rigidem Sozialabbau über. Mit dem Antritt der PASOK-Regierung von Konstantin Simitis wurde ab 1996 ein Reformprozess in Gang gesetzt, der sich in einer massiven Deregulierung und Privatisierung des gesamten öffentlichen Bereichs äußerte. An diese Politik hat Karamanlis ab 2004 im Wesentlichen angeknüpft.

Mit der PASOK eng verbunden sind die Gewerkschaften des Landes. Allen voran der Gewerkschaftsverband GSEE. Außer obligatorischen Protestkundgebungen und Streiks hat er den Privatisierungen der 1990er Jahre nichts entgegengesetzt. In enger Zusammenarbeit mit der PASOK und den Wirtschaftsverbänden wurden Lohnsenkungen und verschlechterte Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Vor kurzem machte die Besetzung der GSEE-Zentrale in Athen deutlich, wie verhasst diese Organisation mittlerweile unter Arbeitern ist.

Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hat in ihrer Reaktion auf die Studentenproteste einen weiteren Rechtsschwenk unternommen. Angesichts der zahlreichen Straßenschlachten, zu denen es gekommen ist, bezeichneten sie die Protestierenden als "blindwütige Gewalttäter". Ihre einzige Sorge besteht darin, dass sich die Proteste ausweiten und außerhalb der bürokratischen Apparate ablaufen. Es ist bezeichnend, dass die KKE die einzige Oppositionspartei ist, die sich gegen Neuwahlen ausspricht.

Die KKE wurde 1918 unter dem Eindruck der russischen Revolution als revolutionäre Partei gegründet, stand aber dann ab Ende der 1920er Jahre vollständig unter der Kontrolle der stalinistischen Bürokratie in Moskau. In den 1940er Jahren baute die KKE ihre Geheimpolizei OPLA auf, die bis zum Ende des Bürgerkriegs hunderte Trotzkisten - die vehement gegen die reaktionäre Politik Stalins und seiner griechischen Vasallen eintraten - entführte und ermordete. Die KKE setzte die verräterische Politik Stalins um, der 1945 Griechenland bereits den Westmächten zugestanden hatte. Sie würgte 1949 den griechischen Bürgerkrieg ab und verlieh damit monarchistischen und extrem rechten Kräften Auftrieb. Dies gipfelte schließlich 1967 im Putsch der Obristen, die unter General Georgios Papadopoulos eine brutale, von den Westmächten unterstützte Militärregierung installierten, die tausende von Linken, Gewerkschaftern und Kommunisten folterte und tötete.

Dass die KKE auch heute eine rechte Regierung unterstützen würde, machte sie bereits 1989 deutlich, als sie im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion ein Bündnis der linken Parteien unter Einbeziehung der zuvor abgespaltenen Eurokommunisten gründete und eine kurzlebige Koalitionsregierung mit der ND bildete.

Auch das Bündnis der radikalen Linken SYRIZA stellt keine Alternative zu den diskreditierten alten Arbeiterparteien dar. Die größte Kraft innerhalb SYRIZA ist Synaspismos, die sich aus einer Abspaltung der KKE rekrutierte. SYRIZA unterstützte die jüngsten Demonstrationen und forderte Maßnahmen gegen die soziale und politische Krise. Aber hinter dem Deckmantel ihrer radikalen Rhetorik bietet Synaspismos gemeinsam mit Grünen, Maoisten und anderen kleinbürgerlichen Radikalen lediglich eine aufgewärmte Version reformistischer Protestpolitik. Das Bündnis versucht, die schnelle Linksbewegung breiter Schichten der Bevölkerung in für die herrschende Klasse harmlose Kanäle umzulenken.

Die Forderungen von SYRIZA, wie beispielsweise den Stopp von Privatisierungen, Erhöhung öffentlicher Ausgaben und oberflächliche Reformen der Sozial- und Bildungssysteme, unterscheiden sich kaum von dem reformistischen Programm der PASOK in den 1980er Jahren. Doch was schon am Wandel der PASOK deutlich wurde, ist die Tatsache, dass die Globalisierung der Produktion einer solchen Politik längst den Boden entzogen hat.

Mit Parteien wie SYRIZA hat die europäische Arbeiterklasse bereits ihre Erfahrungen gemacht. So ermöglichte Rifondazione Comunista in Italien durch ihre rechte Politik Silvio Berlusconi die Rückkehr an die Macht. Die deutsche Linkspartei, mit der Synaspismos in der Europäischen Linken vereint ist, führt seit sieben Jahren in Berlin, wo sie an der Landesregierung beteiligt ist, Sozialabbau durch, der selbst konservative Regierungen in den Schatten stellt.

Unter diesen Bedingungen haben gerade unter Studenten anarchistische Positionen einen gewissen Einfluss gewonnen. Der Frust und die Wut vieler Studenten über die bankrotten etablierten Parteien sind gerechtfertigt. Doch gleichzeitig muss anerkannt werden, dass ohne eine politische Perspektive die Bewegung isoliert und demoralisiert wird. Dadurch entsteht ein Klima, in dem Provokationen staatlicher Organe Tür und Tor geöffnet wird. Es gab mehrere Berichte, dass Agenten des griechischen Staates an Gewalttaten im Verlauf der früheren Demonstrationen beteiligt waren. Seit der Tötung eines Polizisten in Athen wird gegen so genannte "Linksradikale" gehetzt, obwohl die genauen Umstände der Schüsse unklar und die Täter bisher nicht bekannt sind.

Notwendig ist eine zielstrebige Orientierung auf die Arbeiterklasse in Griechenland und ganz Europa. Das erfordert ein internationales sozialistisches Programm, das sich auf die politischen Erfahrungen der großen Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse stützt.

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Siehe auch:
Die Krise der griechischen Regierung und die Rolle
der "Linken" (30. Dezember 2008)

Massenproteste in Griechenland - eine Frage der
politischen Perspektiven (18. Dezember 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.01.2009
Die Protestbewegung in Griechenland benötigt eine sozialistische Perspektive
PASOK und SYRIZA sind keine Alternative zur rechten Regierung
http://wsws.org/de/2008/jan2009/grie-j10.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009