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GLEICHHEIT/2324: Konjunkturpaket II - Nebelkerzen im Wahljahr 2009


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Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Konjunkturpaket II: Nebelkerzen im Wahljahr 2009

Von Dietmar Henning
15. Januar 2009


Die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD einigten sich am späten Montagabend auf ein zweites Konjunkturpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro. Es dient vor allem dazu, die arbeitende Bevölkerung im Wahljahr 2009 zu beruhigen und das wahre Ausmaß der Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Angriffe zu verschleiern.

Noch Anfang Dezember hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein weiteres Konjunkturpaket strikt abgelehnt. Auf dem CDU-Bundesparteitag hatte sie erklärt: "An einem sinnlosen Wettbewerb um Milliarden, daran beteiligen wir uns nicht. Der ist mit uns nicht zu machen." Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte sich sogar noch kurz vor Weihnachten dagegen gesträubt, von seinem Lebensziel, einem ausgeglichenen Haushalt, abzurücken. Nun hat die Bundesregierung in Rekordzeit das nach eigenen Worten "größte Konjunkturpaket in der Geschichte der Bundesrepublik" auf den Weg gebracht.

Grund für diesen Umschwung sind die dramatische Verschärfung der Wirtschaftkrise und das bevorstehende Superwahljahr. Laut vorläufigen Schätzungen des statistischen Bundesamts nahm das Bruttoinlandsprodukt im letzten Quartal 2008 um 1,5 bis 2 Prozent ab. Für das laufende Jahr wird ein weiterer Rückgang der Wirtschaftsleistung erwartet. Der Export, die Hauptstütze der deutschen Wirtschaft, ist im November um fast 12 Prozent gegenüber dem Vormonat eingebrochen. Zahlreiche Unternehmen stehen vor dem Bankrott. Laut dem Verband Creditreform wird die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2009 auf 35.000 steigen.

Angesichts explodierender Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahlen wagt es keine Partei, in den anstehenden 15 Wahlen vor die Wähler zu treten, ohne den Eindruck zu erwecken, es werde etwas zur Milderung der Krisenfolgen getan. Nachdem die Bundesregierung bereits im November 500 Milliarden Euro zur Rettung der Banken bereitgestellt hat, fürchtet sie nun eine soziale Explosion, wenn sie nicht zumindest das Gefühl vermittelt, sie unternehme auch etwas gegen die sozialen Auswirkungen der Krise.

Das Konjunkturpaket II ist das Ergebnis eines heftigen Geschachers zwischen CDU, CSU und SPD. Jede Partei hat versucht, sich gegenüber ihren Wählern in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu setzen. Entsprechend ist das Ergebnis ausgefallen: Ein Sammelsurium von Maßnahmen, das auf die Auswirkungen der Krise so gut wie keine Auswirkungen haben wird.

Das Paket enthält einige finanzielle Zugeständnisse an mittlere und untere Einkommensgruppen. Diese sind aber derart gering ausgefallen, dass sie sich angesichts der Kürzungen der vergangenen Jahre wie eine Provokation ausnehmen.

So wird das Kindergeld um eine einmalige Zahlung von 100 Euro erhöht. An der Armut kinderreicher Familien wird dieses Almosen nichts ändern. Die SPD hatte ursprünglich 200 Euro gefordert, war aber am Widerstand der CDU gescheitert.

Für Autos ist eine wesentlich höhere Summe eingeplant. Wer einen neuen Wagen kauft und ein mindestens neun Jahre altes Auto verschrottet, bekommt eine Prämie von 2.500 Euro. Für den Kinderbonus sind im Konjunkturpaket 1,8, für die Verschrottungsprämie 1,5 Milliarden Euro vorgesehen. Zusätzlich erhalten die Autohersteller 500 Millionen Euro zur Entwicklung innovativer Antriebstechnologien.

Das Verhältnis ist derart grotesk, dass es sogar einem Vertreter des Unternehmerlagers aufstieß. "Für ein Kind gibt es 100 Euro, für ein altes Auto 2.500. Das zeigt, wie zukunftsorientiert und sozial in unserem Land gedacht wird", kommentierte der Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren, Stefan Kirschsieper.

Auf Drängen der CSU wurde auch eine Senkung von Steuern und Sozialabgaben vereinbart, die nun von der Regierung als Wohltat für niedrige und mittlere Einkommen dargestellt wird. In Wirklichkeit sind die Einsparungen für Durchschnittsverdiener lächerlich gering, während Niedrigverdiener und sozial Abhängige völlig leer ausgehen. Lediglich gut Verdienende profitieren nennenswert von den niedrigeren Steuersätzen, nachdem die SPD ihre ursprüngliche Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes fallen gelassen hat.

Der Steuer-Grundfreibetrag wird in zwei Schritten um 340 auf 8004 Euro angehoben, der Eingangssteuersatz sinkt von 15 auf 14 Prozent. Die erst zu Beginn des Jahres erhöhten Krankenversicherungsbeiträge sinken am 1. Juli 2009 um 0,6 Prozentpunkte auf 14,9 Prozent - und zwar je zu gleichen Teilen für die Unternehmer und Beschäftigte.

Laut Unions-Fraktionschef Volker Kauder wird eine Durchschnittsfamilie dadurch bei Steuern und Abgaben um 200 Euro im Jahr entlastet. SPD-Fraktionschef Peter Struck sprach von 400 bis 500 Euro im Jahr, rechnete aber auch den Kinderbonus von einmalig 100 Euro pro Kind mit ein.

200 bis 500 Euro pro Jahr sind für eine Durchschnittsfamilie - also für zwei Erwachsene und zwei Kinder mit durchschnittlichem Familieneinkommen (etwa 45.000 Euro brutto) - 16 bis 41 Euro im Monat. Für arme Familien oder Alleinstehende ist diese Summe bedeutend geringer. Berechnungen der Presse zufolge spart ein Alleinstehender mit geringem Einkommen (1.250 Euro brutto) in diesem Jahr 86 Euro oder 7,17 Euro im Monat.

Glauben Union und SPD wirklich, dass sich die Bevölkerung an der Nase herumführen lässt? In den letzten Jahren ist ihr durch Steuer- und Abgabenerhöhungen, durch soziale Kürzungen sowie die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ein Vielfaches der jetzt vereinbarten Almosen genommen worden. Allein die Mehrwertsteuererhöhung 2007 um drei Prozentpunkte zieht ihr jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag aus den Taschen.

Arbeitslose wurden zudem vor allem durch die Hartz-Gesetze in bittere Armut gestürzt. Die ebenfalls beschlossene Anhebung des Hartz-IV-Kinderregelsatzes zum 1. Juli um 35 Euro im Monat - der aufgrund einer neuen Verbrauchsstichprobe ohnehin demnächst erfolgt wäre - wird Familien im Hartz-IV-Bezug nicht aus der Armut holen.

Inzwischen müssen sich viele Familien ähnlich wie in den USA kontinuierlich verschulden, um ihren Lebensunterhalt überhaupt bestreiten zu können. Und nun stellen sich die Fraktionsspitzen von SPD und Union vor die TV-Kameras und Mikrofone und haben die Frechheit zu behaupten, Millionen Bürger profitierten vom neuen Konjunkturpaket. Bei Millionen Menschen werden die Almosen des Konjunkturpakets im Schuldenloch versinken wie ein Sandkorn in der Wüste.

Der größte Teil des Konjunkturpakets, über 17 Milliarden Euro, wird für Investitionen in die Infrastruktur aufgewendet - für Bildungseinrichtungen und Straßen, aber auch für den Ausbau des Breitbandnetzes. Diese Investitionen waren längst überfällig. Zahlreiche deutsche Schulen und Universitäten befinden sich in einem unbeschreiblichen Zustand, nachdem sie durch Sparmaßnahmen in den Ländern und Kommunen jahrzehntelang finanziell ausgeblutet worden sind. Die Investitionen kommen in erster Linie der Bauindustrie sowie der Telekommunikations- und Elektronik-Branche zugute. Sie werden wenig dazu beitragen, die Gesamtfolgen der Krise zu mildern.

Doppelt so viel wie für das Konjunkturprogramm, nämlich 100 Millionen Euro, stellt die Große Koalition zur Absicherung größerer Unternehmen zur Verfügung. In dieser Größenordnung sollen, wie das Kabinett am Montag ebenfalls beschloss, Kreditbürgschaften für klamme Großunternehmen vergeben werden.

Eigentlich hatte das im vergangenen Jahr verabschiedete 500-Milliarden-Rettungspaket für die Banken die so genannte Kreditklemme lösen und den Banken und Unternehmen wieder zu Liquidität verhelfen sollen. Doch die Banken denken nicht daran, die erhaltenen Gelder an andere Banken oder Unternehmen weiterzugeben. Stattdessen wird das Geld benutzt, um durch Fehlspekulationen entstandene Löcher zu stopfen und Konkurrenten aufzukaufen.

So hat allein die Commerzbank über 18 Milliarden Euro aus dem Banken-Rettungspaket erhalten. Sie finanziert damit die Übernahme der Dresdener Bank mitsamt ihren faulen Krediten und Verlusten. Niemand fragt danach, welcher Banker oder Broker für die Milliardenverluste verantwortlich ist, die nun mit Steuergeldern beglichen werden. Stiller Gewinner ist die Allianz-Gruppe, der größte Versicherungskonzern der Welt und bisherige Eigentümer der Dresdener Bank. "Durch die Teilverstaatlichung der Commerzbank hat die Allianz hinter den Kulissen das große Geschäft gemacht - zu Lasten der öffentlichen Kassen, also des Steuerzahlers", bilanziert die Süddeutsche Zeitung.

Der Medienrummel um das Konjunkturpaket II soll davon ablenken, dass dieselben Banken und Konzerne, die die Krise durch gigantische Fehlspekulationen verursacht haben, auch in der Krise das große Geld machen, indem sie die Staatskassen plündern.

In diesem Jahr stehen auf kommunaler, Landes-, Bundes- und Europaebene insgesamt 15 Wahlen an. Bis zur Bundestagswahl im September soll die Illusion aufrechterhalten werden, in der Krise säßen alle in einem Boot. Doch spätestens danach wird die Rechnung präsentiert.

Die Große Koalition hat am Montag auch dafür die Weichen gestellt. Sie beschloss, mithilfe einer im Grundgesetz verankerten "Schuldenbremse" und eines Tilgungsfonds die nächste Bundesregierung zu verpflichten, das gewaltige Haushaltsloch, das durch das Konjunktur- und Bankenrettungspaket entsteht, auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen. Geplant ist die Obergrenze der Neuverschuldung gesetzlich auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Die Maastricht-Kriterien der EU erlauben derzeit noch eine Neuverschuldung von 3 Prozent.

Schon machen die ersten Vorschläge für soziale Kürzungen die Runde. Die Frage der Schulden sei "auch eine Frage des Generationenvertrages", sagte der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, Otto Fricke (FDP), dem Boulevard-Blatt Bild. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Fornahl befürwortete im gleichen Blatt eine Kürzung der Renten. Es sei wichtig, dass in der Wirtschaftskrise alle Generationen einen Beitrag leisteten. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, sprach sich zudem für eine schnellere Heraufsetzung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre aus.

Es besteht kein Zweifel: Die Bundesregierung hält auch mit dem Konjunkturpaket II an der sozialen Umverteilung von unten nach oben fest. Es ist ein Pakt der Regierenden mit der Wirtschaft.

Siehe auch:
Konjunkturpaket II: Merkels Pakt mit der deutschen
Wirtschaft (10. Januar 2009)

OECD: Wachsende soziale Ungleichheit und Armut
in Deutschland (25. Oktober 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.01.2009
Konjunkturpaket II: Nebelkerzen im Wahljahr 2009
http://wsws.org/de/2008/jan2009/konj-j15.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009