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GLEICHHEIT/2363: Transatlantisches Kräftemessen in München


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Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Transatlantisches Kräftemessen in München

Von Ulrich Rippert
7. Februar 2009


Die 45. Münchner Sicherheitskonferenz, die an diesem Wochenende tagt, ist hochrangig besetzt. US-Präsident Barack Obama schickte seinen Stellvertreter Joe Biden in die bayerische Landeshauptstadt. Zur Delegation des Vizepräsidenten gehört Obamas Sicherheitsberater, James Jones, der Chef des US Central Command (Mittelostkommando der United States Armed Forces), David Petraeus, und der neue Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke.

Auch die deutsche Seite ist prominent vertreten. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD), nehmen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) teil.

Außerdem sind der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, sowie der stellvertretende russische Ministerpräsident Sergej Iwanow und der afghanische Präsident Hamid Karsai angereist. Unter den 300 Teilnehmern befinden sich 13 Staats- und Regierungschefs und 50 Minister.

Es ist der erste große Auftritt der neuen amerikanischen Regierung auf der europäischen Bühne. Und es ist ein erstes Kräftemessen unter den veränderten Bedingungen, die durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise und die wachsenden militärischen Schwierigkeiten der US-Regierung im Irak und in Afghanistan entstanden sind.

Vor einem Jahr hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates in München die europäischen Nato-Verbündeten heftig attackiert. Mit Blick auf den Krieg in Afghanistan forderte er damals eine "faire Lastenverteilung" im transatlantischen Bündnis und verlangte mehr Einsatz der Europäer "beim Kämpfen und Sterben". Anderenfalls, so drohte er, werde die kollektive Sicherheit scheitern und "die Allianz letztlich zerstört".

Keiner der Europäer wagte es damals, der aggressiven US-Kriegspolitik entgegenzutreten. Stattdessen hofften die Machthaber in Berlin und Paris auf ein baldiges Ende der Bush-Regierung und eine Wende in der amerikanischen Außenpolitik. Es war damals der parteilose US-Senator Joseph Lieberman, der die Europäer darauf aufmerksam machte, wie falsch derartige Hoffnungen seien. Lieberman betonte, dass Gates beim Thema Afghanistan nicht nur die Bush-Regierung repräsentiere. Der Minister habe "eine parteiübergreifende, amerikanische Position" vorgetragen. Europa dürfe sicher sein, dass auch die demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Barack Obama beim Thema Afghanistan exakt dieselbe Linie vertreten.

Er hatte recht. Präsident Obama und Außenministerin Clinton setzen nicht nur den Krieg in Afghanistan fort, sondern verschärfen ihn deutlich. Der Präsident, der den großen Wandel angekündigte, behielt nicht nur Robert Gates als Verteidigungsminister, sondern schickte als eine seiner ersten Regierungsmaßnahmen 10.000 weitere Kampftruppen nach Afghanistan, weitere 20.000 sollen folgen, um eine Verdoppelung der US-Streitkräfte am Hindukusch zu erreichen und eine Ausweitung des Kriegs auf Pakistan vorzubereiten.

Auch die Zusammenstellung der US-Delegation auf der gegenwärtigen Sicherheitskonferenz macht deutlich, welche überragende Bedeutung der Afghanistankrieg für die neue US-Administration hat. General James Jones, Obamas neuer Sicherheitsberater, war ab 2003 Kommandeur des US European Comand (USEUCOM). In dieser Funktion waren ihm auch die US-Truppen der Operation Enduring Freedom in Afghanistan unterstellt. General David Petraeus leitete die US-Luftlandedivision im Irak-Krieg und wurde im Oktober vergangenen Jahres Kommandeur des übergeordneten US Central Command, dem auch der Afghanistaneinsatz zugeordnet ist. Und Richard Holbrooke ist offiziell US-Sonderbeauftragter für Afghanistan und Pakistan. Bei seiner Ernennung erklärte Außenministerin Clinton, dies sei "ein lautes und klares Signal, ... dass unsere Nation erneut in der Lage ist, globale Führung zu beweisen".

Doch die Situation ist verändert. Durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise und die militärischen Rückschläge hat die US-Regierung an Einfluss verloren. Die europäischen Regierungen bieten Unterstützung an, aber nur im Rahmen ihrer eigenen imperialistischen Interessen und sie stellen eindeutige Bedingungen.


Gemeinsame Botschaft von Merkel und Sarkozy

Unter der Überschrift "Wir Europäer müssen mit einer Stimme sprechen" veröffentlichten die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident zwei Tage vor der Konferenz einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung. In freundlicher diplomatischer Verpackung erklären sie darin, dass die Zeit der Vorherrschaft der USA in Europa und weltweit unwiderruflich zu Ende sei. "Kein Land kann heute mehr die Probleme der Welt alleine lösen", betonen sie zu Beginn und verlangen "eine international abgestimmte Sicherheitspolitik - im umfassenden Sinne". Notwendig sei gemeinsames Analysieren, gemeinsames Entscheiden und gemeinsames Umsetzen. "Einseitige Schritte würden dem Geist dieser Partnerschaft widersprechen."

Zentralen Raum in ihrem Artikel nimmt die "Wiederherstellung einer Partnerschaft mit Russland" ein. Sie schreiben: "Der Krieg in Georgien im vergangenen Sommer war eine Zäsur." Merkel und Sarkozy betonen, dass es die Europäische Union - nicht die USA - war, der es gelang "die Spirale der Gewalt zum Stillstand zu bringen und die Bedingungen für einen Prozess der Beilegung des Konfliktes zu schaffen."

Als Nachbar und Partner sei Russland "unverändert von großer Bedeutung". Die Zusammenarbeit im Nato-Russland-Rat spiele "eine zentrale Rolle" und müsse systematisch intensiviert werden. "Präsident Medwedew hat im vergangenen Sommer Vorschläge für eine Neugestaltung der europäischen Sicherheit vorgelegt. Wir sind bereit, gemeinsam mit unseren Verbündeten und europäischen Partnern darüber zu sprechen und die Sichtweisen aller Beteiligten zu berücksichtigen", heißt es in dem Artikel und weiter: "Zugleich plädieren wir dafür, die Zusammenarbeit im Nato-Russland-Rat und zwischen Russland und der Europäischen Union wo immer möglich zu intensivieren."

Eine Erweiterung der Nato sei nur in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit Russland möglich. "Gleichzeitig erinnern wir daran, dass die Mitgliedschaft in der Nato an Kriterien gebunden ist und mit der Übernahme von großer Verantwortung einhergeht", schreiben die beiden Regierungschefs und schließen damit eine von den USA bisher geforderte Nato-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine auf absehbare Zeit aus.

In Bezug auf den Iran heißt es in dem Brief: "Wir setzen auf eine diplomatische Lösung." Hinter dieser knappen Formulierung verbirgt sich mehr als die Ablehnung eines Militärschlags gegen Teheran. Deutschland und Frankreich waren in der Vergangenheit die beiden wichtigsten Handelspartner des Iran und haben durch die Wirtschaftssanktionen der vergangenen Jahre große Verluste hinnehmen müssen. Es gibt deutliche Anzeichen, dass beide Regierungen auf der Sicherheitskonferenz die US-Delegation mit einem Ultimatum konfrontieren: Ausweitung der militärischen Unterstützung in Afghanistan nur gegen weitgehende Lockerung der Iran-Sanktionen.

Vor allem die Bundesregierung drängt seit geraumer Zeit auf ein Ende der Sanktionspolitik gegenüber Iran. Denn das Land verfügt über die zweitgrößten Erdgasvorräte weltweit. In den vergangenen Wochen war Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) zu Besuch in Teheran. Es habe sich über einen privaten Aufenthalt gehandelt, der aber mit dem Außenamt abgestimmt sei, teilte sein Büro mit. Schröder ist Aufsichtsratsvorsitzender der Betreibergesellschaft der Ostseepipeline, die russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland transportieren soll und steht in enger Verbindung zu den führenden deutschen Energiekonzernen, die an einer Zusammenarbeit mit dem Iran sehr interessiert sind. "Langfristig" könne es sich die EU "nicht leisten", Kooperationen "mit dem Iran auszuschließen", erklärt der Chefeinkäufer des deutschen Energiekonzerns RWE, in einem Artikel der Financial Times Deutschland Ende Januar.

Zu Beginn betonte daher der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, dass es von großer Bedeutung sei, dass auch führende Politiker des Iran, Außenminister Mottaki und Parlamentspräsident Laridschani an der Veranstaltung teilnehmen und für Gespräche zur Verfügung stehen. Ischinger, der mehr als 30 Jahre lang im Auswärtigen Amt, unter anderem als Chef des Planungsstabs, arbeitete, war in den vergangenen sieben Jahren als Botschafter Deutschlands in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien tätig. Er verfügt über beste Kontakte nach allen Seiten.

Die Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof kennzeichnet einen Umbruch in den internationalen Beziehungen. Die Vorherrschaft der USA, die jahrzehntelang die transatlantische Achse prägte, wird von mehreren europäischen Ländern in Frage gestellt. Alte Beziehungen verlieren an Einfluss, neue sind noch nicht gefestigt. Vieles ist in Bewegung. Doch unter der Oberfläche der diplomatischen Beziehungen verschärfen sich nicht nur die transatlantischen Spannungen, sondern auch die Konflikte zwischen den europäischen Großmächten nehmen zu. Angesichts der rapiden Verschärfung der internationalen Krise stellt jede Regierung die eigenen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen in den Vordergrund.

Siehe auch:
Weltwirtschaftsforum in Davos von Trübsinn,
Ratlosigkeit und Spaltung beherrscht (3. Februar 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.02.2009
Transatlantisches Kräftemessen in München
http://wsws.org/de/2009/feb2009/ -f07.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2009