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GLEICHHEIT/2779: Opel, General Motors und die deutsch-amerikanischen Beziehungen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Opel, General Motors und die deutsch-amerikanischen Beziehungen

Von Peter Schwarz
13. November 2009


In den vergangenen Tagen haben die deutsche und die amerikanische Regierung gleich zweimal feierlich die Partnerschaft zwischen beiden Ländern beschworen. Am 3. November ließ sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vom amerikanischen Kongress mit stehenden Ovationen feiern. Am 9. November wandten sich US-Außenministerin Hillary Clinton persönlich und Präsident Barack Obama per Videobotschaft an die Feiern zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls in Berlin.

Steigt man von den Höhen salbungsvoller Worte in die Niederungen ökonomischer und politischer Interessen hinab, zeigen sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen in einem völlig anderen Licht. Zwanzig Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs sind sie durch wachsende Rivalitäten und Konflikte geprägt. Die Auseinandersetzung um den Autohersteller Opel hat das in aller Deutlichkeit gezeigt.

Während sich Merkel in Washington von den Kongressabgeordneten feiern ließ, beschloss der Aufsichtsrat von General Motors (GM) im 800 Kilometer entfernten Detroit, seine deutsche Tochter entgegen allen bisherigen Zusagen nicht an den Zulieferer Magna zu verkaufen, sondern in eigener Regie weiterzuführen. Deutsche Medien bezeichneten dies übereinstimmend als größte Blamage, die die Bundeskanzlerin in ihrer bisherigen politischen Laufbahn erlitten habe. Merkel hatte sich persönlich für den Verkauf an Magna eingesetzt und dies zu einem zentralen Bestandteil ihres Bundestagswahlkampfs gemacht.

Die Absage von GM ist politisch umso brisanter, als sich der Konzern im Besitz der amerikanischen Regierung befindet und der Verwaltungsrat, der die Entscheidung traf, von dieser ernannt worden ist. Merkel selbst wurde erst nach einem Treffen mit Präsident Obama und ihrem Auftritt vor dem Kongress über die Entscheidung informiert, obwohl diese bereits früher gefallen war. Hinterher hieß es, auch Obama habe nicht Bescheid gewusst - was angesichts der außenpolitischen Sprengkraft der Entscheidung wenig glaubwürdig ist.

Deutsche Regierungsstellen gaben sich wenig Mühe, ihre Empörung über die Kehrtwende von GM zu verbergen. Während Merkel selbst diplomatisch zurückhaltend von "tiefem Bedauern" sprach, äußerte der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) offen seine "Verärgerung". Sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Jürgen Rüttgers (ebenfalls CDU) warf GM vor, sein Verhalten zeige "das hässliche Gesicht des Turbokapitalismus".

Merkel hatte ihre Unterstützung für das Opel-Magna-Projekt stets mit der Sorge um die Arbeitsplätze in den Opel-Werken begründet. Doch das war Wahlpropaganda. Der Übernahme durch Magna wären 11.000 der 50.000 europäischen Arbeitsplätze zum Opfer gefallen, und es gibt bisher keine Beweise, dass GM mehr Arbeitsplätze abzubauen gedenkt.

In Wirklichkeit verbirgt sich hinter der Auseinandersetzung um Opel ein Kampf um Märkte und geopolitische Interessen. Mit der Selbständigkeit Opels hätte die amerikanische Autoindustrie ein wichtiges Stützbein auf dem europäischen Markt verloren. Gleichzeitig hätte Opel der deutschen Autoindustrie als Brücke zum russischen Markt gedient.

Magna wollte Opel nämlich gemeinsam mit der russischen Sberbank übernehmen, deren Chef German Gref ein früherer Wirtschaftsminister und enger Vertrauter des russischen Regierungschefs Wladimir Putin ist. Die daniederliegende russische Autoindustrie sollte so Zugang zu dringend benötigtem technischem Knowhow bekommen. Opel und dessen Technologiezentrum in Rüsselsheim hätten als Gegenleistung Zugang zum russischen und - über diesen - zum asiatischen Automarkt erhalten. Die russische Regierung unterstützte diesen Plan und reagierte entsprechend verstimmt auf sein Scheitern.

Der russische Automarkt gilt als einer der zukunftsträchtigsten der Welt. Im Jahr 2007, vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, wurden in Russland rund 2,5 Millionen Autos mit einem Gesamtwert von 45 Milliarden Dollar verkauft. Über die Hälfte davon wurde importiert. Ein weiteres Fünftel waren in Russland hergestellte ausländische Lizenzmodelle. Experten rechnen mit einer Verdoppelung der Verkaufszahlen in den nächsten Jahren. Unter den Importeuren haben amerikanische, aber auch japanische und koreanische Marken die Nase vorn. Die GM-Tochter Chevrolet, die ein Joint Venture mit dem russischen Avtovaz betreibt, liegt mit einem Marktanteil von 8 Prozent an erster Stelle. Der stärkste deutsche Konzern, Volkswagen, folgt dagegen erst auf Platz 14.

Bei Zustandekommen des Magna-Deals wäre Opel in Russland als Konkurrent Chevrolets aufgetreten. In den Werken des Wolga-Herrstellers Gaz in Nischni Nowgorod sollte ein für den russischen Markt entwickeltes Opel-Modell gebaut werden. Gegenwärtig ruht bei Gaz die Produktion, und etwa die Hälfte der 118.000 Arbeitsplätze wird abgebaut. Auch der kriselnde Lada-Hersteller Avtovaz mit 102.000 Beschäftigten braucht dringend Zugang zu neuer Technologie.

Der geplante Technologietransfer nach Russland trug schließlich maßgeblich dazu bei, dass GM den Verkauf an Magna platzen ließ. Im GM-Vorstand setzte sich der 77-jährige Entwicklungschef Bob Lutz gegen den Vorsitzenden Fritz Henderson durch. Während Henderson durch den Verkauf die Gelder für die Opel-Sanierung einsparen wollte, lehnte Lutz den Verkauf mit der Begründung ab, GM ziehe sich damit einen Konkurrenten in Russland heran und verliere seine Präsenz sowie seine technologischen Kompetenzen in Europa.

Hinter der Auseinandersetzung um Absatzmärkte und Technologien stehen weitergehende geostrategische Fragen. Deutschland versucht seit langem, seine ökonomische und militärische Abhängigkeit von den USA durch eine stärkere Verbindung mit Russland zu mindern. Das ruft nicht nur in Washington Widerstand hervor, sondern auch in vielen europäischen Hauptstädten. Vor allem die ehemaligen Ostblock-Länder argwöhnen, ihre Interessen könnten einer Achse zwischen Berlin und Moskau zum Opfer fallen. Und in Paris und London fürchtet man, dass Deutschland seine Großmachtinteressen einseitig, auf Kosten der EU verfolgt.

Vor acht Jahren war es über diese Fragen zum offenen Konflikt gekommen. Als sich die deutsche Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) gegen den Irakkrieg aussprach, mobilisierte Washington das - in den Worten des damaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld - "neue" gegen das "alte Europa" und brachte den Integrationsprozess der EU ins Stocken.

Die Außenpolitik Schröders, der sich in enger Zusammenarbeit mit den führenden deutschen Energiekonzernen immer enger an den russischen Präsidenten Putin anlehnte, stieß aber auch in Deutschland auf Widerspruch. Führende Kreise erachteten eine zu große Abhängigkeit von Russland als riskant und bestanden auf dem Vorrang des Bündnisses mit den USA. Schröders zunehmende Isolation in dieser Frage trug mit zum vorzeitigen Ende seiner Regierung bei.

Auch in der Opel-Frage konnte die amerikanische Seite innereuropäische und innerdeutsche Spannungen ausnutzen. In Spanien, Belgien und Großbritannien, wo Opel und die britische Tochter Vauxhall eigene Werke unterhalten, wurde die GM-Entscheidung gegen Magna begrüßt.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der sich die Bundesregierung einseitig und unter Bevorzugung deutscher Standorte für den Magna-Deal eingesetzt hatte, war in diesen Ländern auf Empörung gestoßen. Sie schalteten die EU-Wettbewerbskommissarin Nellie Kroes ein, die von der deutschen Regierung eine Erklärung verlangte, dass die zugesagten 4,5 Milliarden Euro Sanierungshilfe nicht an einen bestimmten Investor, Magna, gebunden sei. Das weckte in Detroit die Erwartung, GM könne ebenfalls Zugang zu deutschen Staatsgeldern erhalten, und trug mit zur Entscheidung bei, den Verkauf von Opel zu stoppen.

In Deutschland wurde diese Entscheidung nicht nur von proamerikanischen Kreisen begrüßt, sondern auch von Wirtschaftskreisen, die die Einmischung der Bundesregierung in die Unternehmenspolitik von Opel als Verstoß gegen die "ordnungspolitischen Prinzipien" der Marktwirtschaft betrachten.

So kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung : "Die vom Helfersyndrom befallenen deutschen Politiker haben mit Opel eine rote Linie überschritten. Sie haben im Automobilbau den Wettbewerb außer Kraft gesetzt und Deutschland erpressbar gemacht." Und die Welt meinte: "Die Bauchlandung im Fall Opel sollte den Politikern eine Lehre sein, Managemententscheidungen in Zukunft wieder den Verantwortlichen in den Unternehmen zu überlassen." Beide Zeitungen lobten US-Präsident Obama, der zwar marode Banken und Konzerne mit Milliarden unterstütze, sich aber trotzdem nicht in deren Vorstandsentscheidungen einmische.

Der Wirtschaftsflügel der Union und die marktliberale FDP fühlen sich durch die Entscheidung von GM sichtlich gestärkt. Bundeskanzlerin Merkel ist in ihrer jüngsten Regierungserklärung in wesentlichen Fragen auf ihre Linie eingeschwenkt und hat einige ihrer Kernforderungen übernommen. So legte sie sich auf Steuersenkungen, den Ausstieg aus der paritätisch finanzierten Sozialversicherung und den Einstieg in eine Zwei-Klassen-Medizin fest.

Die Konflikte mit den USA wird dies nicht verringern, im Gegenteil. Deutsche und amerikanische Wirtschaftsinteressen prallen nicht nur bei Opel, sondern auch in zahlreichen anderen Fragen aufeinander - der Währungs- und Finanzpolitik, dem Zugang zu Energie und Rohstoffen, der Konkurrenz zwischen Airbus und Boeing, usw. Dasselbe gilt für die Beziehung zwischen Deutschland und anderen europäischen Mächten, wie Frankreich und Großbritannien.

Unter den Bedingungen einer weltweiten Wirtschaftskrise führt der Kampf um Märkte, Rohstoffe und Investitionsmöglichkeiten unweigerlich zu heftigen Rivalitäten zwischen den imperialistischen Mächten, wie dies schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts der Fall war. Handels- und Wirtschaftskonflikte münden dabei in militärische Konflikte. Beide werden auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung ausgetragen. Die Zuspitzung internationaler Konflikte und verschärfte Angriffe auf die Arbeiterklasse sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Eine besonders üble Rolle spielen in diesem Prozess die Gewerkschaften. Bei Opel hatten der Betriebsrat und die IG Metall am lautesten für den Magna-Deal getrommelt. Als GM seine amerikanischen Werke sanierte und dabei 14 Werke stilllegte, 27.000 Arbeitsplätze abbaute und die Gehälter drastisch reduzierte, kam aus dem Rüsselsheimer Betriebsratsbüro und der Frankfurter IG-Metall-Zentrale nicht ein Wort der Solidarität mit den amerikanischen Kollegen. Stattdessen schürten sie antiamerikanische Stimmungen, warben für die Trennung von GM und boten Magna Lohnverzicht und den Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen an.

Nach dem Scheitern des Verkaufs ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Betriebsrat auf GM-Linie einschwenkt und dem neuen Management seine Mitarbeit bei der "Sanierung" von Opel anbietet. GM-Chef Henderson hat bereits eine entsprechende Werbetour durch Deutschland gestartet.

Arbeitsplätze, Löhne und soziale Rechte können nur verteidigt werden, wenn die Arbeiter von den Gewerkschaften und Betriebräten brechen und unabhängige Verteidigungskomitees aufbauen. Die Verteidigung der Löhne und Arbeitsplätze fällt dabei untrennbar mit dem Kampf gegen Imperialismus und Krieg zusammen. Die Arbeiter müssen sich über die Grenzen hinweg zusammenschließen und den rivalisierenden kapitalistischen Cliquen mit einem sozialistischen Programm entgegen treten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 13.11.2009
Opel, General Motors und die deutsch-amerikanischen Beziehungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009