Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3376: Spekulation stürzt Euro in die Krise


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Spekulation stürzt Euro in die Krise

Von Stefan Steinberg
27. November 2010


Nachdem sie wie Geier über die griechische und irische Wirtschaft hergefallen sind, - mit verheerenden sozialen Konsequenzen für die Bevölkerung -, wenden sich die internationalen Spekulanten und Rating-Agenturen den nächsten Opfern zu.

Schon treiben sie den Preis portugiesischer und spanischer Staatsanleihen nach oben. Der Zinssatz für zehnjährige portugiesische Staatsanleihen ist auf sieben Prozent gestiegen, während die Anleihen des Nachbarlands Spanien ihren höchsten Stand seit Mitte der 1990er Jahre erreicht haben.

Die stark steigenden Zinssätze, die für ihre offiziellen Staatspapiere gezahlt werden müssen, machen es Portugal und Spanien immer schwerer, ihre Schulden zurückzuzahlen und sich zu refinanzieren. Griechenland und Irland haben diesem Druck der Finanzmärkte schon nachgegeben und massive Rettungs-Pakete mit Krediten und Garantien akzeptiert. Diese Bailout-Pakete sind an brutale Sparprogramme gekoppelt, die Sozialreformen rückgängig machen.

Angesichts dieser Offensive tun die europäischen Regierungen, was von ihnen verlangt wird. Als Ende letzter Woche das neunzig Milliarden Euro schwere Rettungspaket von EU und Internationalem Währungsfond (IWF) beschlossen wurde, akzeptierte der irische Finanzminister Brian Lenihan, dass Banken weiterhin staatlich garantierte Anleihen über fünf Jahre ausgeben können. Das bedeutet, dass die Käufer von Anleihen vollständig von jeder Verpflichtung freigestellt sind, zur Rettung der Banken beizutragen. So ist sichergestellt, dass die gesamte Last dieser jüngsten Rettungsaktion von den Steuerzahlern getragen wird. Trotz dieser Garantie und trotz der erneuten brutalen Sozialkürzungen, die die irische Regierung diese Woche bekannt gegeben hat, sind die irischen Zehn-Jahres-Anleihen auf den Rekordwert von fast neun Prozent gestiegen. Die Anleihemärkte senden klare Zeichen, dass die jüngsten Maßnahmen zur Stützung seiner praktisch wertlosen Banken unzureichend waren und noch drastischere Sozialkürzungen notwendig sind.

Über die aktuelle Offensive der Anleihemärkte gegen Spanien schreibt die spanische Zeitung Publico unter der Überschrift "Voller Angriff auf spanische Schulden": "Die Kosten für Anleihen haben sich innerhalb eines Monats verdoppelt... Nachdem die Eurozone offiziell akzeptiert hat, dass Irland das zweite Opfer ist, riechen die Spekulanten Blut, und große Investoren ziehen ihr Geld ab."

Die Madrider Tageszeitung schließt: "Spanien muss sich auf sehr schwere Schläge einstellen. Wenn es strauchelt, oder wenn es seine Schulden nicht zurückzahlen kann, dann könnte das den Euro zu Fall bringen."

Als sich die Anleihemärkte Anfang des Jahres Griechenland vorknöpften, forderten sie von Athen grundlegende Reformen, um seine hohe Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Dieses kleine Mittelmeerland wurde als schwächstes Glied in der europäischen Kette gesehen. Inzwischen zählen zu diesen schwachen Gliedern auch einige der größten Volkswirtschaften der Union. Spanien hat die fünftgrößte Volkswirtschaft Europas und ist dreimal größer als die Wirtschaften Griechenlands, Irlands und Portugals zusammengenommen.

Zwischen diesen Ländern, die von der Großfinanz ins Visier genommen werden, bestehen auch beträchtliche Unterschiede.

Im Unterschied zu Griechenland und Portugal hat Spanien relativ niedrige Staatsschulden, aber dafür ist die Privatwirtschaft hoch verschuldet, weil eine Immobilienblase geplatzt ist (wie in Irland). Auch hat Spanien die höchste Arbeitslosigkeit in Westeuropa. Im Unterschied zu Irland hat das spanische Bankensystem die Finanzkrise aber leidlich überstanden, weil es über eine relativ hohe Eigenkapitalausstattung verfügt.

Trotz unterschiedlicher Wirtschaftsprobleme sind die "Strukturreformen", die von den Banken über die Europäische Union und den IWF diktiert werden, jedes Mal die gleichen: Eine Mixtur aus Deregulierung des Arbeitsmarkts, Steuererhöhungen für kleine und mittlere Einkommen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Alles Maßnahmen, die auf die Verarmung der breiten Mehrheit der Bevölkerung abzielen.

Was wir hier erleben, ist eine grundlegende Umstrukturierung der Klassenbeziehungen in Europa und weltweit. Im Kern besteht sie aus einer massiven Umschichtung des gesellschaftlichen Reichtums in die Tresore der Banken und die Taschen der internationalen Finanzaristokratie.

Schon spekuliert die internationale Presse, dass andere, noch größere europäische Länder die nächsten Opfer der Finanzmafia werden könnten. Ein Artikel in der Financial Times vom Mittwoch zog eine Parallele zwischen den aktuellen Aktivitäten von Investoren in Europa zu der Welle von Spekulation, die mit dem Bankenkrach von 2008 endete. "Die Märkte greifen sich ein Land nach dem anderen, wie bei einer Reihe Enten im Schießstand", hieß es in der Zeitung. "Setze für Bear Sterns und Lehman Brothers Griechenland und Irland ein. Die Frage ist, ob die Seuche, wie bei den Banken, gestoppt werden kann, oder ob Portugal, Spanien, Italien oder vielleicht sogar Frankreich in den Strudel gerissen werden."

Wirtschaftsanalysten sind durchwegs der Meinung, dass der Rettungsfond über 750 Milliarden Euro, der im Mai geschaffen wurde, auch für einen eventuellen Bailout von Portugal reichen würde, dass er aber völlig unzureichend wäre, um ein Rettungspaket für Spanien zu tragen. Schon wird das Land als "zu groß, um es zu retten" ('too big to save') bezeichnet. Wer aber so über eine Rettung Portugal spricht, denkt nicht daran, dass Spanien sein wichtigster Investor ist. Er geht von der Domino-Theorie einer "finanziellen Ansteckung" aus und nicht von einem Zusammenbruch, der mehrere Länder gleichzeitig erfassen könnte. Europas politische Führungskreise sind sich einig, dass die Schaffung eines weiteren riesigen Rettungsfonds auf europäischer Ebene - ein Euro-Rettungsfond 2 - politisch nicht durchsetzbar wäre. Ein Zusammenbruch der spanischen Wirtschaft würde den Euro ins Chaos werfen und könnte leicht zum Auseinanderbrechen der Eurozone führen. Das hätte unkalkulierbare Folgen.

Der Euro ist in den letzten Wochen gegenüber dem Dollar wieder kontinuierlich gefallen. Die Märkte beginnen schon, einen Zusammenbruch der Eurozone in ihre Kalkulationen einzubeziehen, und sie spekulieren kurzfristig auf einen weiteren Fall des Euro. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte diese Woche, dass sich Europa in "einer außerordentlich schwierigen Situation" befinde und "auf den Pfad der Stabilisierung zurückkehren" müsse. Dazu gehörten auch Grenzen für die Märkte und eine Beteiligung privater Investoren an zukünftigen Bailouts in der Eurozone. Das letzte Mal, als sie diese Forderung erhoben hatte, gingen die Anleihemärkte gleich in die Gegenoffensive und griffen Irland an. Daraufhin trat Merkel den Rückzug an. Aber weil der Bailout Irlands die Märkte nicht beruhigt hat, greift sie ihre Forderung wieder auf. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Dienstag im Bundestag, dass mit der Irlandkrise die Zukunft des Euro auf dem Spiel stehe.

Aus Furcht vor den Konsequenzen dieser Erklärung betonte ein Sprecher des Wirtschaftskommissars der Europäischen Kommission, Olli Rehn, der Euro sei "eine stabile Währung", die nicht bedroht sei. Dennoch spekulieren politische Kommentatoren weiterhin über ein Ende des Euro. Im britischen Independent fragte David Prosser rundheraus: "Wann hört Deutschland endlich mit seinem ökonomischen Experiment auf?" Er stellt fest, dass "der Euro nicht von seinen schwächsten Mitgliedern bedroht wird, sondern von seinen stärksten. Obwohl die Gemeinschaftswährung mehr als alles andere das Projekt Deutschlands ist, schwindet die Geduld seiner Wähler".

Im Guardian schreibt der pro-europäische Historiker Timothy Garton: "Wenn die Eurozone auseinanderfällt, dann deswegen, weil Deutschland nicht genug getan hat, um es zu verhindern. Wenn die Eurozone gerettet wird, dann dank Deutschland. Das ist die größte Herausforderung an die deutsche Staatskunst seit der friedlichen Wiedervereinigung vor zwanzig Jahren. Im Moment werden die Führer der zentralen europäischen Macht dieser Verantwortung nicht gerecht, aber sie haben noch einige Wochen Zeit, um das zu ändern. Danach könnte es zu spät sein."

Solche Appelle an Deutschland, Europa und dem Euro zu Hilfe zu kommen, greifen zu kurz. Es geht nicht einfach darum, dass die "Geduld der deutschen Wähler" erschöpft ist. Natürlich ist der deutschen Regierung sehr daran gelegen, die Gemeinschaftswährung zu retten, und Deutschland hat in der Vergangenheit wie kein anderes Land von ihr profitiert. Aber Deutschland hat in der ganzen Krise gezeigt, dass es - genau wie alle andern europäischen Länder - einen nationalen Egoismus pflegt und sich den Banken unterordnet. Deutschland steht an erster Stelle, wenn in allen Ländern Europas schmerzliche Sparprogramme durchgesetzt werden, wodurch die scharfen wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede auf dem Kontinent weiter vertieft werden. In der Periode relativer wirtschaftlicher Stabilität waren diese Unterschiede handhabbar und konnten sogar überdeckt werden. Die Finanzkrise, die durch den Zusammenbruch der Lehman Brothers 2008 losgetreten wurde, hat diese Gegensätze jetzt explosiv an die Oberfläche gebracht. Das droht Europa auseinanderzureißen. Je mehr sich die Krise verschärft, desto deutlicher wird, dass im Rahmen konkurrierender kapitalistischer Nationalstaaten eine fortschrittliche Lösung nicht möglich ist. Sie erfordert die sozialistische Vereinigung des Kontinents durch eine revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 27.11.2010
Spekulation stürzt Euro in die Krise
http://www.wsws.org/de/2010/nov2010/euro-n27.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2010